Nachhaltigkeit ist keine Einbahnstraße!

©BDA/Christian Kruppa
Ingo Kramer Arbeitgeberpräsident (BDA)
©
iStock bluejayphoto

 

 

Es gibt Schlagwörter, die in keiner Rede, auf keinem Podium, in keinem Debattenbeitrag in Deutschland fehlen. Nachhaltigkeit ist so ein Begriff, den wir alle wie selbstverständlich nutzen, der aber nur selten mit Leben gefüllt wird. Der Begriff Nachhaltigkeit ist vielfältig: Es geht nicht nur um eine ökologische Verantwortung, sondern gleichwohl um eine soziale und generationengerechte, wirtschaftliche und finanzielle, sowie gesundheitliche Verantwortung.

Es gibt Stimmen, die meinen, die Wirtschaft befasse sich nicht intensiv genug mit Nachhaltigkeit. Was für ein Irrglaube! Ohne sparsamen Ressourceneinsatz, also Ressourcenschonung, Regenerationsfähigkeit und das Denken in langfristigen Kategorien kann kein Unternehmen im demokratisch verfassten Teil dieser Welt dauerhaft und vernünftig wirtschaften. Das Gegenteil ist also richtig: Kaum jemand in unserem Land ist stärker an nachhaltigem Erfolg interessiert als ein verantwortungsvoller Unternehmer – das gilt für die eigene Firma wie für die gesamte Gesellschaft.

Denn Unternehmen wirken nicht im luftleeren Raum: Sie sind auf stabile politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen ebenso angewiesen wie auf eine intakte Umwelt. Gleiches gilt aber auch im Umkehrschluss: Wirtschaft ist zwar nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts.

Wichtigste Voraussetzung für Nachhaltigkeit ist folglich die funktionierende Symbiose zwischen Wirtschaft und Gesellschaft und der daraus resultierenden gegenseitigen Verantwortung füreinander. In einer offenen Gesellschaft können sich Unternehmer Untugenden wie Verschwendung, unfaire Arbeitsbedingungen und fragwürdiges Geschäftsgebaren nicht lange leisten, ohne sanktioniert zu werden. Und das ist gut so!

Wenn wir uns vor diesem Hintergrund bewusst machen, woher der Begriff Nachhaltigkeit ursprünglich stammt – nämlich aus der Forstwirtschaft – wird relativ schnell deutlich, was gemeint ist. Die erste Generation pflanzt die Bäume, die zweite Generation pflegt den Wald und erst die dritte Generation kann nach hundert Jahren die Bäume fällen und Holz gewinnen.

Im Wald kann nur so viel Holz geschlagen werden, wie dauerhaft – also nachhaltig – nachwächst. Werden mehr Bäume gefällt, als neue gepflanzt oder geschützt werden, gibt es auf Dauer keinen Wald mehr, der bewirtschaftet werden kann. Es gibt folglich kein Brennholz, kein Baumaterial, keinen Grundstoff zur Papierherstellung mehr. Nicht nur der Wald würde dauerhaft geschädigt, sondern die gesamte Gesellschaft.

Kein verantwortungsvoller Waldeigentümer würde deshalb so handeln, denn er kennt die generationsübergreifende Aufgabe einer nachhaltigen Forstwirtschaft. Gleiches gilt für verantwortungsvolle Unternehmer. Besonders deutlich wird das bei den in Generationen denkenden Familienunternehmen.

Für die deutschen Arbeitgeber sollte das Streben nach ökonomischer, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit unabdingbare Grundlage ihres Handels und damit ihres wirtschaftlichen Erfolges sein. Unser primäres Ziel ist es, so zu wirtschaften, dass auch nachfolgende Generationen einer Erwerbstätigkeit nachgehen können und Wohlstand geschaffen werden kann. Klar ist aber auch: Für Unternehmen ist nachhaltiges Wirtschaften an einen dauerhaften Erfolg geknüpft.

Nur Unternehmen, die Gewinne machen und sich so im regionalen oder internationalen Wettbewerb behaupten, können zur nachhaltigen Entwicklung unseres Gemeinwesens beitragen und damit auch zu Stabilität und sozialem Frieden. Diese Komponente wird gern überhört, aber sie ist auch die Existenzgrundlage für Arbeitgeberverbände: Die Unternehmen geben Arbeit, sie erwarten aber auch, dass Ihre Anliegen Gehör beim Sozialpartner und bei der Politik finden.

Nachhaltiges Wirtschaften einer Volkswirtschaft gelingt nur mittels konsolidierter öffentlicher, leistungsfähiger Sozialsysteme. Und da kommt die Politik ins Spiel: Sind die Gesetze, die im Bundestag und in den Landesparlamenten beschlossen werden, so nachhaltig, klimafreundlich und generationengerecht, dass wir unseren Kindern mit gutem Gewissen in die Augen schauen können?

Daran bestehen zu Recht große Zweifel. Denn Nachhaltigkeit ist vor allem eine Frage von Generationengerechtigkeit. Haushalt und soziale Sicherungssysteme müssen dauerhaft tragfähig sein und nicht nur bis zum nächsten Wahltermin. Deshalb bedarf es einer strukturellen Erneuerung sowie einer Anpassung an den demografischen Wandel, damit die Sozialversicherungen langfristig ihre Aufgaben erfüllen können. Das 40-Prozent-Ziel bei der Deckelung der Sozialversicherungsbeiträge, das wir als Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) konsequent auf die Agenda setzen, ist nicht etwa willkürlich gesetzt.

Der Bericht einer von der BDA eingesetzten Kommission, die sich mit der Zukunft der Sozialversicherung beschäftigt, zeigt vielmehr auf, dass die ohnehin schon hohe Belastung von Löhnen und Gehältern durch Sozialversicherungsbeiträge in den kommenden Jahrzehnten voraussichtlich deutlich steigen wird. Auf der Basis des derzeit geltenden Rechts sei ein Beitragssatzanstieg auf rund 50 Prozent bis 2040 zu erwarten. Das ist eine schwere Hypothek für die kleiner werdende junge Generation der Erwerbstätigen.

Die Folge: massive Risiken für die internationale Wettbewerbsfähigkeit und die wirtschaftliche Entwicklung im Inland mit entsprechend ungünstigen Auswirkungen auf die Beschäftigung und Gefahren für den sozialen Zusammenhalt sowie den gerechten Ausgleich zwischen den Generationen. Wo also bleibt die Nachhaltigkeit aus den politischen Sonntagsreden, wenn es mal konkret wird?

Mehr Ausgabendisziplin macht aus Nachhaltigkeitsparolen konkretes Tun. Sicher, wir haben 2020 und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch 2021 bedingt durch eine nicht vorhersehbare Pandemie eine Notwendigkeit staatlichen Handelns – auch im finanziellen Bereich. Die Hilfspakete für die Wirtschaft und die Beschäftigten waren unumgänglich. Der finanzielle Spielraum für die Hilfe in der Not war aber nur deshalb da, weil die Appelle der Wirtschaft für eine solide Haushaltspolitik in den Jahren nach der Finanzkrise ernst genommen worden sind.

Nachhaltige Sozialpolitik kann nur mit strukturell neuer Prioritätensetzung im öffentlichen Haushalt – zum Beispiel einer Investitionsoffensive in Bildung – funktionieren. Konkret bedeutet dies, die individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen zu intensivieren und für mehr Durchlässigkeit im Bildungssystem zu sorgen, denn diese Faktoren ermöglichen – unabhängig von der sozialen Herkunft – Chancengerechtigkeit und nachhaltige Teilhabe. Dies darf die Politik nicht außer Acht lassen, um die Zukunft mit einer gut ausgebildeten Jugend nachhaltig zu sichern. Chancengerechtigkeit statt Ergebnisgleichheit muss das Ziel sein.

Darüber hinaus wird Nachhaltigkeit zunehmend mit Fragen des Klimawandels verknüpft. Dies halte ich ausdrücklich für richtig! Denn eines ist klar: Klimawandel findet statt. Und genau deshalb müssen wir ein gesellschaftliches Einvernehmen entwickeln, wie wir gemeinsam diese Entwicklung nachhaltig bremsen können. Wie bei den Ausgaben des Staates gilt es, im Interesse künftiger Generationen zu handeln. Je früher wir mit Gegenmaßnahmen starten, desto weniger Kosten entstehen, um die Schäden zu beseitigen. Das entspricht dem unternehmerischen Grundverständnis.

Statt Panikmache sollten wir das Vertrauen in unsere technische Innovationsfähigkeit stärken. Denn die deutsche Wirtschaft nimmt ihre Rolle ernst und ist auf vielen Gebieten der Umwelttechnologie weltweit führend. Unternehmern muss klar sein: Ökologie, Ökonomie und soziale Fragen müssen zusammen gedacht werden. Das wesentliche Fundament dieses Wandels bildet die Soziale Marktwirtschaft. Also brauchen wir ausgleichenden Wandel mit einer realistischen Zeitachse und einer Kostenstruktur, welche die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Wettbewerb erhält.

Zweifellos ist beim Thema Klimawandel viel Bewegung in die Wirtschaft gekommen. Diesen Schwung müssen wir nutzen, denn die Wirtschaft ist in Sachen Klima nicht Gegner, sondern Teil der Lösung! Wenn uns die Coronakrise eines gelehrt hat, ist es das sorgfältige Abwägen bei Zielkonflikten – gerade in schwieriger Lage. Die Bewältigung des Klimawandels ist ebenso wie die Bekämpfung des Coronavirus eine sehr komplexe Angelegenheit.

Hier wie da sind wir alle – Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – gefragt. Hier wie da stellen alle gemeinsam einen elementaren Teil der Lösung dar. Im Vergleich zu Entwicklungs- und Schwellenländern haben wir nicht nur die technischen, sondern auch die finanziellen Ressourcen, die industrielle Transformation voranzutreiben und so mit neuen Entwicklungen auf den Klimawandel zu reagieren. Diese Verantwortung für eine nachhaltige Sicherung unserer Lebensgrundlage müssen wir annehmen. Nur so können wir Arbeitsplätze erhalten und das Klima retten.

Wenn Deutschland konsequent auf Innovation und Wettbewerb setzt, wenn es demokratischen Prozessen vertraut und die erfolgreiche Sozialpartnerschaft stärkt, anstatt den Sirenenklängen autokratischer Strukturen zu folgen, wird es uns gelingen, Ökonomie, Ökologie und Generationengerechtigkeit in Einklang zu bringen. So können wir international zum Vorbild mit unserer Sozialen Marktwirtschaft werden. Innovationsoffenheit und Lernfähigkeit sind Teil jeder erfolgreichen Unternehmens-DNA. Arbeitgeber wissen, was Nachhaltigkeit im Alltag bedeutet.

Auch wir haben Kinder und Enkelkinder, denen wir das Beste für ihre Zukunft wünschen – für die wir ein erfolgreiches, lebenswertes Land mitgestalten wollen. Die Staatskunst besteht nun darin, die mit der Nachhaltigkeit verbundenen Zielkonflikte in einem gesunden und einem ethisch verantwortbaren Ausgleich zu lösen, anstatt den Weg des Entweder- oder zu beschreiten.

In meiner Amtszeit als Arbeitgeberpräsident habe ich die traditionelle SPD bei diesen Anstrengungen – trotz mancher Differenzen in der Sache – immer als Verbündeten mit ganzheitlicher Verantwortung gesehen. Denn Nachhaltigkeit heißt auch, widerstrebende Interessen, um der gemeinsamen Zukunft kommender Generationen willen, solidarisch zu einen.

 

Ingo Kramer