08.12.2020Geopolitik

Wirtschaftlicher Partner und Wettbewerber

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Prof. Achim Wambach, PhD Präsident des ZEW
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China ist dabei, die Sympathien und die Anerkennung, die es für seinen beeindruckenden wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg gewonnen hat, zu verspielen. Europa muss zu einer nüchternen Analyse der Zusammenarbeit mit China übergehen. Der Schutz des fairen Wettbewerbs im Europäischen Binnenmarkt ist dabei ein wesentlicher Bestandteil.

Ach, China. Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas zu einem der größten Wirtschaftsräume der Welt und die Vorteile, die dieser Aufstieg den Menschen gebracht hat, sind beeindruckend. Innerhalb von nur 20 Jahren ist der Anteil Chinas an der Weltwirtschaft von unter 4% auf über 18% gestiegen. In diesem Zeitraum sind über eine Milliarde Menschen der Armut entkommen. Das im Jahr 2000 von der UN ausgegebene Millenniumsziel, die Anzahl der Menschen, die von weniger als 1,25 Dollar am Tag leben müssen, bis 2015 zu halbieren, wurde bereits 2011 erreicht – dank China.

Die Volksrepublik ist allerdings dabei, die Sympathien und die Anerkennung, die sie weltweit für diese Leistungen und die Öffnung des Landes gewonnen hat, zu verspielen. Politisch durch die harte und inhumane Vorgehensweise gegen die Uiguren im eigenen Land und die Demokratie-Bewegung in Honkong sowie durch das Säbelrasseln gegenüber Taiwan und im chinesischen Meer. Wirtschaftlich durch die immer engere Kontrolle und vermehrte Repressionen gegenüber ausländischen Unternehmen im eigenen Land, während chinesische Unternehmen im Weltmarkt, auch unterstützt vom Heimatstaat, als immer stärkere Wettbewerber auftreten.

Europa – und insbesondere Deutschland – hat vom wirtschaftlichen Aufstieg Chinas profitiert. Der Handel mit China, der im Jahr 2000 noch 28 Mrd. Euro betrug, ist mittlerweile auf 206 Mrd. Euro angewachsen. Im Gegensatz zu den USA, wo dieser Handel recht einseitig aus Importen aus China besteht, exportiert Deutschland auch viele Güter nach China.

Der „China-Schock“, so der Titel einer Publikation, die die Verdrängung von Industriearbeitsplätzen in den USA durch chinesische Importsubstitution beschreibt, ist in Deutschland ausgeblieben. Mittlerweile hat sich das Bild aber eingetrübt: Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat in seinem vielbeachteten Grundsatzpapier von 2019 die EU aufgefordert, härtere Maßnahmen gegenüber China in Betracht zu ziehen. Es besteht die Sorge, dass strategische chinesische Investitionen zum Abfluss von technologischem Knowhow und zur Schwächung des europäischen Wirtschaftsstandorts führen.

Was gilt es zu tun? Aus wirtschaftlicher Perspektive ist es wichtig, die verschiedenen Ebenen des Verhältnisses zwischen der europäischen und der chinesischen Wirtschaft auseinanderzuhalten.

Da sind auf einer ersten Ebene zunächst die heimische Wirtschaft in China und die Beteiligungen europäischer Unternehmen vor Ort. Die Volksrepublik China ist heute gemessen am kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt die größte Volkswirtschaft der Welt. Dennoch beträgt das pro Kopf Einkommen in China nur etwa ein Viertel des OECD Durchschnitts. Wenn China weiterhin mit Wachstumsraten von 5-6% voranschreitet, wird die Wirtschaft in etwa 15 Jahren zwar doppelt so groß sein wie heute, aber immer noch knapp weniger als die Hälfte des OECD-pro-Kopf-Einkommens aufweisen.

Es wäre unvernünftig, an diesem Wachstum nicht teilzuhaben, wie derzeit teilweise in Reaktion auf die Corona-Krise unter dem Schlagwort des „Decoupling“ diskutiert wird. Hierunter fallen Überlegungen, Produktionen von Medikamenten und medizinischen Produkten stärker nach Europa zu verlagern. Dabei haben sich in der Krise gerade die Lieferketten von und nach China weitgehend bewährt. Die Krise verlangt eher nach mehr Diversifikation als nach dem Abschneiden von Wirtschaftsketten. Allerdings sollte sich die EU bemühen, die Wirtschaftsbedingungen der europäischen Unternehmen vor Ort in China auf eine solidere Basis zu stellen. Das eigentlich für dieses Jahr geplante Investitionsabkommen wäre ein wichtiger Schritt dahin.

Die zweite Ebene betrifft den Handel von Gütern und Dienstleistungen mit China, und die diesbezüglichen Regeln und Instrumente im Außenwirtschaftsrecht. Im grenzüberschreitenden Warenverkehr sind europäische Unternehmen bereits durch Antidumping- und Antisubventionsinstrumente geschützt. Diese gehen auch auf Besonderheiten der chinesischen Wirtschaftsform ein – so werden Vergleichspreise in Antidumpingverfahren nicht im chinesischen Heimatstaat ermittelt, sofern diese sich „nicht aus dem freien Spiel der Marktkräfte ergeben“.

Dienstleistungen werden zwar – anders als Waren – nicht über das außenwirtschaftliche Instrumentarium erfasst. Im Dienstleistungsbereich ist China immerhin der drittstärkste Handelspartner der EU. Das Volumen im Dienstleistungshandel zwischen der EU und China hat sich von 2010 bis 2018 ungefähr verdoppelt. Auch wenn man sich wünschen würde, dass der Schutz des Wettbewerbs bei der Anwendung des Antidumpingrechts stärker gewichtet wird – Antidumping- und Antisubventionsinstrumente haben mehr den Schutz einer Industrie im Fokus – so sind diese Regeln doch gut etabliert. Baustellen bestehen eher hinsichtlich ihrer Durchsetzung sowie insgesamt hinsichtlich der Stärkung der Welthandelsorganisation als „Schiedsrichter“ im internationalen Handel.

Die dritte Ebene betrifft das Wirtschaften im Europäischen Binnenraum, dem größten gemeinsamen Wirtschaftsraum der Welt. Die EU hat ein ausgefeiltes Regelwerk geschaffen, das den fairen Wettbewerb in diesem Binnenraum schützt, zum einen durch die Wettbewerbskontrolle, aber auch durch die Beihilfekontrolle. Ein Wettlauf der Subventionen durch europäische Länder ist weitgehend unterbunden. In diesem Markt treten nun Wettbewerber aus Drittstaaten auf, die, zumindest was die Beihilfekontrolle betrifft, nicht diesen Regeln unterliegen.

Bei manchen Staaten ist das allein schon wegen der geringen wirtschaftlichen Größe unproblematisch. Bei anderen, wie Singapur, wurde in Handelsverträgen vereinbart, dass auch dort eine vergleichbare Beihilfekontrolle eingeführt wird. Die Volksrepublik China stellt hier eine Besonderheit dar, da die Wirtschaftsform in China, die „sozialistische Marktwirtschaft mit chinesischen Merkmalen“, gerade dadurch geprägt ist, dass der Staat auf vielfache Weise ins Wirtschaftsgeschehen eingreift, um seine industriepolitischen Ziele zu erreichen.

Während also Europa den Staat weitgehend auf die Regelsetzerrolle beschränkt, ist der chinesische Staat als Akteur im Wirtschaftsleben tätig. Um hier für ein level playing field zu sorgen, bietet es sich an, auch Beihilfen von Drittstaaten einer Kontrolle zu unterwerfen. Dies ist zwar auf der Ebene der Staaten nicht möglich, wohl aber auf Ebene der Unternehmen, die diese Beihilfen bekommen und in Europa tätig sind.

Die Europäische Kommission hat dazu im Juni 2020 ein Weißbuch zur „Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen bei Subventionen aus Drittstaaten“ vorgelegt. Die Monopolkommission hat zu diesem Weißbuch in ihrem XXIII. Hauptgutachten Stellung genommen. Dabei teilt sie die Problemanalyse und weitgehend den Grundansatz für Lösungen, spricht sich in Einzelfragen aber für Modifizierungen aus.

Während die Europäische Kommission beispielsweise den Subventionsbegriff aus dem Außenwirtschaftsrecht ableitet, setzt der Vorschlag der Monopolkommission für ein Drittlandsbeihilfeinstrument beim Beihilferecht an. Hintergrund dafür ist, dass so die wirtschaftliche Förderung aus Drittstaaten der aus europäischen Staaten gleichgestellt würde. Die Monopolkommission orientiert sich auch bei der Ausgestaltung an den Beihilferegeln. Der Erhalt von Subventionen von einem Drittstaat müsste von dem betroffenen Unternehmen gegenüber der Europäischen Kommission angezeigt werden, bei Nichtnotifizierung könnten Wettbewerber sich beschweren.

Anstelle einer Aufgliederung in mehrere Teilinstrumente, wie die Europäische Kommission sie vorschlägt, würde das Instrumentarium nach der Monopolkommission einheitlich auch dann eingreifen, wenn aus Drittstaaten subventionierte Unternehmen europäische Unternehmen kaufen wollen oder sich an Beschaffungsvorgängen durch die öffentliche Hand beteiligen. Die wirtschaftliche Signifikanz dieser beiden letztgenannten Wirtschaftsvorgänge ist allerdings gering: So belief sich der Bestand der chinesischen Direktinvestitionen (inkl. Hongkong) in Deutschland im Jahr 2018 auf ca. EUR 8 Mrd., während sich die Direktinvestitionen deutscher Unternehmen in China (inkl. Hongkong) auf ca. EUR 90 Mrd. summierten. Und nur ein sehr geringer Anteil der öffentlichen Beschaffung (etwa 3,5%) geht überhaupt an ausländische Unternehmen, viele davon aus Europa.

China ist wirtschaftlicher Partner und zugleich Wettbewerber. Beides ist aus wirtschaftlicher Perspektive zu begrüßen. Allerdings sollte die EU in beiderseitigem Interesse darauf achten, dass die Regeln der Zusammenarbeit fair sind. Ein Investitionsabkommen sowie ein Drittlandsbeihilfeinstrument wären wichtige Schritte in diese Richtung.

 

Achim Wambach