Infrastrukturinvestitionen nicht nur planen, sondern auch umsetzen

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Sandra Parthie Leiterin des Brüsseler Büros des IW Köln
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Lange genug hat das Übereinkommen zwischen der EU und ihren Mitgliedern auf einen neuen europäischen „Mehrjährigen Finanzrahmen“ auf sich warten lassen. Trotz vieler politischer Bekenntnisse zur Notwendigkeit einer raschen Einigung, nicht nur auf das gut 1 Billion Euro umfassende EU-Budget für 2021-2027, sondern vor allem für den darauf basierenden 750 Milliarden Euro schweren EU-Aufbaufond, blieb diese bis November 2020 aus. Erst kurz vor Ende der deutschen Ratspräsidentschaft und vor Auslaufen des aktuellen Finanzrahmens konnten die letzten politischen Klippen, insbesondere bezüglich Rechtsstaatlichkeit, umschifft werden.

„Projects of Common European Interest (PCEI)“

Die Einigung sieht u.a. vor, dass 37 Prozent der nationalen Aufbaugelder für den Bereich Klimaschutz und Klimawandelanpassung und 20 Prozent für Maßnahmen im Bereich Digitalisierung eingesetzt werden müssen. Die Einhaltung dieser Vorgaben sowie die Prüfung der sogenannten nationalen „Aufbau- und Resilienzpläne“ erfolgt sowohl durch die Europäische Kommission als auch durch den EU-Finanzministerrat. Bis Ende April 2021 müssen die EU-Mitgliedstaaten ihre nationalen Pläne vorlegen. Darauf folgt dann die mehrmonatige Prüfphase, nach der ab Sommer 2021 die ersten Gelder ausgezahlt werden sollen. Die Notwendigkeit einer finanziellen Unterstützung nationaler Aufbaupläne mit europäischen Geldern ist zwischen den EU-Mitgliedern höchst unterschiedlich ausgeprägt. Am oberen Ende steht nach derzeitigen Analysen Italien, das mit über 200 Milliarden Euro aus dem EU-Topf rechnen darf. Deutschland dagegen kann etwa 22 Milliarden Euro an europäischen Zuschüssen erwarten.

Die EU geht damit einen weiteren richtigen Schritt zur Entwicklung einer transparenten Projekt-Pipeline auf nationaler und europäischer Ebene. Sie hat bereits über die „Projects of Common European Interest (PCEI)“ ein Instrument zur Identifikation prioritärer grenzüberschreitender Infrastrukturprojekte geschaffen, das sie nun mit nationalen Investitionsplänen unterfüttern kann. Eine Übersicht über nationale und europäische Investitionen und Investitionsabsichten gibt Unternehmen, von Baufirmen bis Telekommunikationsanbietern, die immer wieder aus der Wirtschaft geforderte Planungssicherheit, um sich aufstellen und Ressourcen aufbauen zu können.

Zentral ist nun natürlich die Frage, wofür das Geld konkret ausgegeben werden soll. Der erste Entwurf des Deutschen Aufbau- und Resilienzplans (DARP) wurde vom Bundesfinanzministerium im Dezember 2020 öffentlich gemacht.

Expert*innen und gute Beobachter*innen werden große Ähnlichkeiten zum Konjunktur- und Zukunftspaket der Bundesregierung vom Juni 2020 erkennen. Das muss nicht schlecht sein – Investitionsbedarfe und Prioritäten haben durchaus eine längere Halbwertzeit und müssen nicht notwendigerweise halbjährlich umgeworfen werden.

Umsetzungsproblem

Nicht nur in Deutschland hat die Austeritätspolitik der vergangenen Jahre zu einem Verfall des Kapitalstocks auf vielen Ebenen beigetragen. Der Investitions- und Modernisierungsstau reicht von Breitbandausbau, über Energieversorgung, Bildungsangebote bis hin zum öffentlichen Verkehrsangebot. Nicht zuletzt in einer gemeinsamen Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung von 2019 wurde in einem breiten sozio-ökonomischen Konsens aufgelistet, welche Investitionen es braucht, um die deutsche Gesellschaft und Wirtschaft zukunftsfähig zu machen. Hinsichtlich der Bedarfe besteht also kein Erkenntnisproblem. Dass sie im DARP genauso benannt werden, wie im Bundeshaushalt, zeugt von einem großen Konsens, selbst wenn Akzente immer noch verschoben werden können, sei es zu einer schnelleren Digitalisierung von öffentlicher Verwaltung oder zu einem dringlicheren Netzausbau für Schulen, bleibt unbenommen.

Kritischer Punkt für alle Investitionsaufgaben ist jedoch die Umsetzung. Eine Reihe von prioritären Infrastrukturprojekten kommt in Deutschland seit Jahren nicht voran.

Damit stehen wir zwar global alles andere als allein dar; die öffentlichen Investitionen sind weltweit auf einen historischen Tiefpunkt. Noch in den 1990er Jahren lagen sie in Schnitt der reichen Industrieländer laut Internationalem Währungsfonds bei 2,4 Prozent des BIP und dümpeln seit 2010 bei unter 2 Prozent. Andererseits flehte Finanzminister Olaf Scholz 2019 förmlich „Bitte nehmt das Geld“ und erklärte, dass in Deutschland jährlich „Investitionsmittel in Milliardenhöhe für Schulen, Straßen und Digitalisierung ungenutzt liegen“ und sich inzwischen auf mehr als 15 Milliarden Euro summiert hätten.

Woran es nun liegt, dass gerade die immer wieder angemahnten und für den Kapitalstock sowie die Funktionsfähigkeit eines Staates so zentralen Infrastrukturinvestitionen nicht vorankommen, dazu gibt es unterschiedliche Theorien. Sie reichen von politisch-hausgemachten Problemen, über wackelige Finanzierungskonzepte bis hin zu groben Mängeln in der Umsetzung.

Bei politischen Fragen kommen, gerade auch in demokratischen Ländern wie Deutschland, Zielkonflikte zum Tragen – zwischen raschem Handlungsbedarf einerseits und berechtigten Transparenzanforderungen von Steuerzahler*innen oder der gesetzlich garantierten Einbeziehung von betroffenen Bürger*innen andererseits. In Deutschland gibt es eine Vielzahl von Klagen gegen Infrastrukturprojekte. Obwohl von den Gerichten im Schnitt nur 1 von 5 erfolgreich stattgegeben wird, wie Zahlen des Forums Vergabe e.V. für den Zeitraum 1999-2019 zeigen, tragen auch die anderen vier zu Verzögerungen im Projektablauf bei. Von denen gibt es ohnehin schon ausreichend.

Öffentlich-Private Partnerschaften

Und dabei kommt auch ein Instrument, das sowohl auf nationaler Ebene, wie auch auf europäischer eher zu Unrecht große Unterstützung genießt, zum Einsatz: Öffentlich-Private Partnerschaften ÖPP (engl. Public private partnerships PPP) wurden in den 1980/1990er Jahren fast schon als Wundermittel gegen die langsame Ausführung von öffentlichen Investitionsprojekten gehandelt. Das beste aus zwei Welten – Geld aus dem privaten Sektor, statt aus klammen öffentlichen Kassen, sollte zusammen mit privatwirtschaftlichen know-how in die Projektumsetzung fließen und dort durch staatliche Garantien abgesichert sein, während der Staat am Ende weiterhin die regulatorische Kontrolle über die jeweilige Dienstleistung (z.B. Busverkehr) oder das Gut (Autobahn) behielt.

Doch in der Praxis ist nicht zu erkennen, dass ÖPP in Europa wirklich besser funktionieren, als allein von der öffentlichen Hand verantwortete Maßnahmen. In einem Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofes über ÖPP von 2018 steht dann auch, dass ÖPP wegen der komplexen Finanzierungsverträge und einer höheren Anfälligkeit von privaten Darlehensgebern gegenüber wirtschaftlichen und finanziellen Abschwüngen, eher noch weitere Mehrkosten verursachen. Auch das verminderte Finanzrisiko, eigentlich als Anreiz gedacht, beförderte vor allem übermäßigen Optimismus bezüglich künftiger Nachfrage oder Einnahmen aus dem jeweiligen Projekt.

Während sich bestimmte politische Rahmenbedingungen, wie die Forderung nach Transparenz, zwar negativ auf eine rasche Projektumsetzung auswirken können, so haben sie dennoch einen Wert für die Gesellschaft und müssen daher akzeptiert werden. Die Entscheidung, Infrastrukturinvestitionen europa- bzw. deutschlandweit nicht mehr über ÖPP zu forcieren ist jedoch durchaus überlegenswert. Sie sollte einhergehen mit der Lösung des dritten Problems – Mängel bei der Umsetzung.

Ziel muss sein, dass Projekte schneller realisiert werden. Dafür bedarf es, gerade jetzt im Rahmen der zur Verfügung stehenden europäischen Finanzmittel, des Ausbaus behördlicher Strukturen und des behördlichen Know-hows durch massive Investitionen in entsprechendes Personal sowie dessen Ausbildung. Für Deutschland sollten auch über die Einrichtung einer Anstalt des öffentlichen Rechts, Baufirmen und Handwerksbetriebe bei staatlichen Aufträgen effizient und wirksam gesteuert und kontrolliert werden. Dazu gehören auch verbesserte Anreize für nachhaltiges schnelles Arbeiten, beispielsweise über ein Prämiensystem, das bei vorzeitigem und ordnungsmäßigem Projektabschluss greift.

Damit ließen sich nicht nur kurzfristig die Schäden der Pandemie bekämpfen, sondern auch langfristig stärkt die öffentliche Verwaltung damit ihre Handlungsfähigkeit. Das ist entscheidend für die Akzeptanz durch die Bürgerinnen und Bürger.

 

Sandra Parthie