Mit öffentlichem Wohnungsbau gegen die Wohnungskrise

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Für einige Monate hatte die Corona-Krise die Frage nach ausreichendem und bezahlbaren Wohnraum in den Hintergrund gedrängt. Mit der sich abzeichnenden wirtschaftlichen Erholung wird aber deutlich, dass die Pandemie nichts an den Herausforderungen geändert hat: In Deutschlands Großstädten gibt es weiter zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Weil dieser Mangel zu zunehmender Segregation führt und insbesondere Geringverdiener*innen aus den Innenstädten verdrängt werden, was wiederum Bildungschancen verringert und damit das langfristige Wachstumspotenzial dämpft, ist die Wohnungsfrage eine der zentralen sozial- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit.

Während konservative Ökonom*innen wie etwa der Wissenschaftliche Beirat im BMWi fordern, von der Objektförderung auf die Subjektförderung umzustellen, also vor allem Wohngeld zu erhöhen, wird auf der linken Seite des politischem Spektrums nach Enteignungen gerufen und versucht, über immer strengere Mietpreisregulierungen den Mietanstieg zu kontrollieren. So hat die Bundesregierung zuletzt 2019 die bundesrechtlich verankerte Mietpreisbremse verschärft, die – vereinfacht gesagt – den Anstieg von Mieten im Altbestand auch bei Mieterwechsel begrenzt. Das Land Berlin hat derweil den noch strengerer „Mietendeckel“ gesetzlich implementiert, der die Mieten absolut begrenzt und oft sogar nachträglich senkt.

Doch sowohl Umstellung auf Subjektförderung wie auch Enteignung und immer strengere Mietpreisbegrenzungen werden das Problem eines unzureichenden Angebots bezahlbaren Wohnraums in Großstädten nicht lösen und beachten die Funktionsweise von Wohnungsmärkten nicht ausreichend. Tatsächlich hilft nur, möglichst viel bezahlbaren Wohnraum zu bauen, und weil es gute ökonomische Gründe gibt, warum die Privatwirtschaft das nicht von selbst machen wird, brauchen wir deutlich mehr öffentlichen Wohnungsbau.

Eine einfache Erhöhung des Wohngeldes würde vor allem die Preise in die Höhe treiben, aber kaum eines der zentralen Probleme lösen, dass private Bauherren einen Anreiz haben, auf zentrumsnahen Grundstücken statt flächenfressenden Luxuswohnungen bezahlbaren Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten zu erstellen. Planungsrechtlich diesen Anreizen entgegenzuwirken ist aller Erfahrung nach extrem schwierig und gelingt selten bis nie.

Eingriffe bei Mieten differenziert betrachten

Aber auch Mietpreiskontrollen sind weniger zielführend als manche ihrer Befürworter argumentieren. Zwar sind die Gegenargumente der Kritiker von Mietregulierungen ebenfalls übertrieben, dass eine Begrenzung der Mieten das Wohnungsangebot gefährlich verknappe, weil zum einen Neubau unterlassen werde, zum anderen bestehende Mietwohnungen in möblierte Wohnungen oder in Eigentumswohnungen zur Selbstnutzung umgewandelt würden und weil eine Begrenzung der Mieten zu einer übermäßigen Nachfrage nach Wohnraum führe, was wiederum den Wohnungsmangel weiter verschärfe.

Die Ökonomie der Mietpreiseingriffe ist komplexer als oft bei diesen Argumenten dargestellt. Ob und wie schädlich Eingriffe sind, hängt von der genauen Ausgestaltung der Regeln ab. Üblicherweise unterscheidet die moderne Literatur zwischen Mietregulierungen der ersten und zweiten Generation. Regulierungen der zweiten Generation zeichnen sich dadurch aus, dass sie zwischen Altbestand und Neubauten unterscheiden. Preise werden üblicherweise nur im Altbestand begrenzt. Dadurch bleibt der Anreiz für Neubauten bestehen und wird möglicherweise sogar noch einmal verstärkt, weil Wohnungssuchende aus dem Markt für Bestandswohnungen in den Markt für Neubauten gedrängt werden und der Preis dort möglicherweise noch stärker steigt.

Gegner der Mietpreisbremse verweisen bei diesem Argument gerne darauf, dass eine Mietpreiskontrolle nur für Bestandsgebäude zu einem gespaltenen Wohnungsmarkt führe. Da in dem Bestandsmarkt die Mieten pro Quadratmeter niedriger lägen als im Markt für Neubauten, werde dort zu viel Wohnfläche nachgefragt, was zu einem Mangel im Bestandsmarkt führen würde.

Dieses Argument ist prinzipiell richtig, vernachlässigt aber die Interaktion der Mietpreisbremse (die für Neuvermietungen von Bestandsgebäuden gilt) mit allgemeinen Regeln zur Erhöhung von Bestandsmieten. In Deutschland ist die Erhöhung – auch ohne Mietpreisbremse und Mietendeckel – von Bestandsmieten gesetzlich gedeckelt. Bei massivem Anstieg des allgemeinen Mietniveaus, wie wir es in den vergangenen Jahren in einigen deutschen Großstädten gesehen haben, steigt dabei der Anreiz für Menschen, in zu großen Wohnungen wohnen zu bleiben. Viele ältere Ehepaare in Berlin, deren Kinder inzwischen ausgezogen sind, belegen weiter Familienwohnungen. Weil aber inzwischen eine neu gemietete 50-Quadratmeterwohnung oft teurer ist als eine 120-Quadratmeterwohnung mit Altvertrag, ist ein Umzug wenig attraktiv.

Die Mietpreisbremse entspannt tendenziell diesen Lock-In-Effekt, weil zumindest auf dem Markt für Bestandsbauten der Mietpreisanstieg begrenzt ist und damit eine kleinere Wohnung günstiger gemietet werden kann. Somit wird zum Teil die Nachfrage nach Wohnraum wieder gesenkt. Ob in der Summe der nachfragesteigernde Effekt niedriger Quadratmeterpreise oder der nachfragesenkende Effekt durch erhöhte Mobilität von Haushalten größer ist, ist eine empirische Frage, für die es für Deutschland keine belastbaren Erkenntnisse gibt.

Unerwünschte Verteilungseffekte verhindern

Beachtet werden sollte in der Debatte auch, dass nicht jeder Preisanstieg als Marktsignal ökonomisch sinnvoll ist. Gerade weil Angebotsanpassungen im Wohnungsmarkt durch lange Plan- und Bauprozesse, kombiniert mit möglichen Kapazitätsengpässen in der Bauwirtschaft und beim Boden, extrem lange dauern (relativ unelastisches Angebot in der kurzen Frist), gleichzeitig die Nutzung von Wohnraum (und damit die Nachfrage) schlecht über die Zeit verschoben werden kann, kommt es immer wieder zum Überschießen von Neuvertragsmieten wie auch Kaufpreisen.

Weil die meisten Haushalte einen signifikanten Anteil ihres verfügbaren Einkommens fürs Wohnen ausgeben, führt dies zu einer massiven Umverteilung von jenen, die mieten müssen, zu jenen, die Eigentum besitzen. Wenn die Beschränkungen zur weiteren Ausweitung des Wohnungsangebots jenseits des Wohnungsmarktes liegen (etwa in begrenzter Planungskapazität oder begrenzten Kapazitäten der Bauindustrie), hat ein weiterer Preisanstieg keinen positiven Einfluss auf den Wohnungsbau und der Verteilungseffekt dominiert.

Eingriffe in die Mietpreisbildung – sei es durch Regeln für Bestandsmieten, aber auch durch Regeln für Neuvermietungen wie im Fall der deutschen Mietpreisbremse – haben hier eine sinnvolle Funktion: Sie begrenzen bei unerwarteten Nachfrageverschiebungen die Umverteilung von Mietern zu Immobilieneigentümern. Sie begrenzen damit die Vermögensverwerfungen, die sich etwa aus einer unerwarteten Wanderungsbewegung in die Städte oder plötzlich höherer Immigration ergeben.

Allerdings darf bei der Regulierung von Mieten auch nicht das Argument vernachlässigt werden, dass eine unbedachte Begrenzung von Mieten tatsächlich das Angebot an frei vermieteten Wohnungen beeinträchtigen kann. Eine Deckelung von Mieten auf zu niedrigem Niveau etwa erhöht den Anreiz für private Eigentümer, insbesondere kleinere Wohnungen gar nicht zu vermieten und als Zweitwohnung zu halten. Auch wenn Eingriffe in den Mietmarkt die Rentabilität von Wohnungsbauunternehmen gefährden und dort zu Liquiditätsproblemen führen, kann dies negative Effekte auf den Wohnungsbau haben. Ebenfalls problematisch ist es, wenn Mietpreisbegrenzungen Anreize schaffen, die Sanierung des Altbestands auszusetzen.

Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass eine Mietpreisregulierung auch unerwünschte Verteilungseffekte haben kann. Zum Beispiel besteht bei einer Obergrenze für den Mietpreis immer die Gefahr, dass die einkommensstarken Haushalte, die im Durchschnitt auch die qualitativ hochwertigeren Wohnungen anmieten, besonders stark von der Regulierung profitieren.

Die deutsche Mietpreisbremse scheint nach bisheriger Evaluation so konstruiert zu sein, dass schädliche Nebenwirkungen minimiert werden und eine Dämpfung des Mietenanstiegs in angespannten Wohnungsmärkten gelingt. Beim Berliner Mietendeckel gibt es dagegen Indizen, dass hier die Eingriffe zu weit gegangen sind und deshalb negative Nebenwirkungen deutlich stärker sind. Insbesondere bei den Regeln zur Absenkung von Mieten im Altbestand, aber auch bei der Umlagefähigkeit von durchaus sinnvollen Modernisierungen, ist der Mietendeckel deutlich restriktiver als die Mietpreisbremse, sodass negative Nebenwirkungen auf das Wohnungsangebot wahrscheinlicher werden.

Mietbegrenzungen als Symptomtherapie

Insgesamt darf bei all diesen Überlegungen nicht vergessen werden, dass Mietpreiseingriffe vor allem das Symptom der Probleme am Wohnungsmarkt bekämpfen. Genau wie Paracetamol bei einem vereiterten Zahn sinnvoll sein kann, bis man zum Zahnarzt kommt, kann diese Symptomtherapie am Wohnungsmarkt durchaus sinnvoll sein, doch sollte sie in der Regel nur zeitlich begrenzt eingesetzt werden. Für eine langfristige Entspannung ist eine Ausweitung des Angebots unerlässlich.

Neben der schnelleren Genehmigung von Bauvorhaben, angemessener planungsrechtlicher Vorgaben und der Nutzung von Verdichtungsmöglichkeiten (z.B. Wohnungen auf einstöckigen Supermärkten) kommt dabei einem verstärkten öffentlichen Wohnungsbau eine zentrale Rolle zu. Ein relevantes Wohnungsangebot der öffentlichen Hand kann als Stabilisator für ganze Wohnungsmärkte dienen. Richtig organisiert könnte der öffentliche Wohnungsbau die Mietpreisentwicklung in Großstädten abmildern, Skaleneffekte aus seriellem Bauen nutzen und Flächenvergeudung in zentralen Lagen vorbeugen.

Wichtig ist, dass es hier nicht nur um „sozialen“ Wohnungsbau für Haushalte mit geringen Einkommen geht, sondern, dass der öffentliche Wohnungsbau für Haushalte bis weit über das Medianeinkommen offen sein sollte, wie es etwa in Wien der Fall ist. Ausgangspunkt für eine solche Initiative in Deutschland sollten die hervorragenden Erfahrungen mit den führenden öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften wie der Hamburger SAGA sein.

Solche kommunalen Wohnungsbaugesellschaften könnten durch spezielle Bundesgesellschaften beim Planung, Finanzierung und beim Aufbau kommunaler Grundstücksfonds unterstützt werden, wie ich mit Tom Krebs in einem IMK Report ausgeführt habe. Anders als Enteignungen von Bestandseigentümer, die nichts an dem grundlegenden Problem mangelnden Wohnraums ändern würde, könnte so das Angebot an bezahlbarem Wohnbau zügig erhöht werden – und damit das neue Wohnungsproblem an der Wurzel angegangen werden.

 

Prof. Dr. Sebastian Dullien