Einmal den Teufelskreis durchbrechen: Finanztransaktionssteuer jetzt einführen

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Prof. Dr. Dorothea Schäfer Forschungsdirektorin Finanzmärkte am DIW Berlin
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Ein Plädoyer für die Finanztransaktionssteuer. Wenn dafür der große Wurf nicht gelingt, dann vielleicht ein kleinerer Wurf

 

Auf ihrem Treffen 2010 formulierten die Staats- und Regierungschefs der G20 das Ziel, der Finanzsektor möge einen „fairen und substanziellen Beitrag“ leisten, der auch das Eingehen von „übermäßigen Risiken“ verhindern möge. Schätzungen gehen allein für Deutschland davon aus, dass sich die Kosten der Steuerzahlenden für die Rettung des Finanzsektors seit 2008 auf bis zu 70 Milliarden Euro belaufen.

Aus Beschlüssen wurde nichts

Zur Umsetzung des G20-Ziels hat die EU-Kommission im September 2011 die Einführung einer EU-weiten Finanztransaktionssteuer (FTS) mit einer sehr breiten Bemessungsgrundlage vorgeschlagen. Neben dem Aktien- und Anleihehandel sollte auch der Handel mit Derivaten umfassend besteuert werden. EU-Parlament und zuständige Ausschüsse haben dem Vorschlag der Europäischen Kommission 2012 mit großer Mehrheit zugestimmt.

Bei den Mitgliedsstaaten fand die umfassende FTS keine einhellige Unterstützung. Speziell Länder mit großen Finanzsektoren im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt wie Großbritannien und Luxemburg sprachen sich gegen die Finanztransaktionssteuer aus. Nur elf Mitgliedstaaten stimmten der Steuer zu. Im Februar 2013 veröffentlichte die EU-Kommission daher einen FTS-Richtlinienvorschlag, der eine sogenannte Verstärkte Zusammenarbeit der elf „willigen“ EU-Länder vorsah. Der überarbeitete Vorschlag sah weiterhin eine breite Bemessungsgrundlage vor. Der Steuersatz für beide Vertragsparteien sollte im Wertpapierhandel bei 0,2 Prozent des Transaktionswertes und im Derivatehandel bei 0,02 Prozent des Nominalwerts (oft der Wert des zugrunde liegenden Wertpapiers) liegen (hier, hier).

Neben dem Ziel, einen „fairen und substanziellen Beitrag“ des Finanzsektors einzutreiben, stand von Anfang an die Lenkungswirkung und der Beitrag der FTS zur Erhöhung der Finanzmarkstabilität im Mittelpunkt (hier, hier). So fördert die Steuer die Langfristorientierung beim Erwerb von Wertpapieren und dämmt spekulationsgetriebenen Derivatehandel ein. Langfristorientierung zahlt sich für Kleinanleger unbestritten aus. Nicht umsonst gehört das Sprichwort „Hin- und Her macht Taschen leer“ zu den bekanntesten Börsenweisheiten.

Alle Aufkommensschätzungen kommen zu dem Schluss, dass der überwiegende Teil der zukünftigen Einnahmen von der umfassenden Besteuerung der Derivatemärkte zu erwarten ist (z.B. hier). Beschränkt man sich hingegen nur auf einzelne Wertpapiersegmente – zum Beispiel nur auf den Aktienhandel – dann fällt das Aufkommen eher bescheiden aus. Beispielsweise hat Frankreich mit seiner bereits 2012 eingeführten und weitgehend auf den Aktienmarkt und große Unternehmen beschränkten FTS 2017 ein Aufkommen von weniger als einer Milliarde Euro erzielt.

Für kleinere EU-Länder kann ein moderates Steueraufkommen durchaus ein Hemmnis bedeuten. Sie befürchten, dass sich die größeren Länder nicht genügend am Aufbau der notwendigen technischen Infrastruktur beteiligen, und das eigene Steueraufkommen zu klein ist, um die Aufbaukosten zu decken.

Seit der Vorlage des Vorschlags 2013 haben die elf Staaten der Verstärkten Zusammenarbeit die genaue Besteuerung verhandelt. Zwar schien er mehrmals nahe, aber ein unumkehrbarer Durchbruch ist nie gelungen. Die Verhandlungen wurden offiziell nie abgebrochen, aber ohne einen frischen Impuls werden sie auch kein Ergebnis mehr hervorbringen.

Kein politischer Wille?

Der politische Wille ist eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung für Fortschritte bei der Einführung der FTS. Die jetzige Bundesregierung hat die Einführung der FTS im Koalitionsvertrag 2017 festgeschrieben. Jüngst wurde im Programm der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die Finanztransaktionssteuer als eine der Maßnahmen zur Finanzierung der Reaktion der EU auf die Coronavirus-Pandemie genannt. Den Stillstand bei der Einführung der FTS konnte weder die Koalitionsvereinbarung noch die Vorhaben der deutschen EU-Ratspräsidentschaft beenden.

Die langjährigen Verhandlungen haben eindeutig gezeigt, dass sich die noch verbliebenen 10 EU Mitgliedstaaten in der Verstärkten Zusammenarbeit auf keine Finanztransaktionssteuer mit einer umfassenden Bemessungsgrundlage einigen können, trotz aller offensichtlichen Vorteile wie Eindämmung des spekulationsgetriebenen Derivatehandels, kaum Steuerumgehung durch Verlagerung des Handels auf nichtbesteuerte Segmente, höhere Steuergerechtigkeit und stärkere Progressivität sowie ein vergleichsweise hohes Steueraufkommen.

Neue Idee

So hat sich die Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer mit umfassender Bemessungsgrundlage ironischerweise als Programm zur Verhinderung der FTS erwiesen. Daher muss ein neuer Weg beschritten werden. Anstatt nach dem Optimum zu streben, muss das Mögliche versucht werden. Anderenfalls werden wir in dem Teufelskreis gefangen bleiben, der da lautet: Die Politik schlägt eine breite Bemessungsgrundlage vor. Interessensgruppen attackieren die breite FTS mit dem Argument, die Einbeziehung bestimmter Finanzinstrumente sei unverhältnismäßig (zum Beispiel, weil Finanzderivate auch reale Geschäfte absichern können, oder weil Finanzinstrumente auch Ersparnisse für die Alterssicherung aufnehmen können, etc.).

Gesetzgeberinnen und Gesetzgeber schränken im Bemühen um eine Einigung die Bemessungsgrundlage ein. Schließlich werden in einem neuen Vorschlag nur mehr wenige, verhältnismäßig leicht zu besteuernde Finanzinstrumente erfasst. Nun attackieren nicht nur Gegner und Gegnerinnen, sondern auch Befürworterinnen und Befürworter (z.B. hier). Der Vorwurf ist nun: Einseitigkeit, Diskriminierung von kleinen Aktiensparerinnen und -sparern, Förderung von Steuerumgehung, bescheidenes, kaum die Kosten deckendes Steueraufkommen etc. Die Politik reagiert einmal mehr. Sie schlägt eine breite Bemessungsgrundlage vor.  Interessensgruppen attackieren ….

Dieser Teufelskreis muss einmal durchbrochen werden.

Aus den vergangenen Jahren lässt sich nur eine Lehre ziehen. Der Einstieg in die FTS kann nur gelingen, wenn ein pragmatischer, also eindeutig gangbarer Weg beschritten wird. Der gemeinsame deutsch-französische Vorschlag aus dem Jahr 2018 war sowohl ein frischer Impuls als auch ein gangbarer Weg.

Weniger ist mehr

Warum ist er gangbar? Weil Frankreich – und in gewisser Weise auch Italien, das 2013 eine nationale FTS eingeführt hat – eine Blaupause liefern und bereits gezeigt haben, dass die Finanztransaktionssteuer funktioniert. Sie funktioniert technisch, und sie funktioniert auf nationalstaatlicher Ebene. Darauf aufbauend hat das Finanzministerium im Dezember 2019 den Staaten der Verstärkten Zusammenarbeit einen Vorschlag für einen Richtlinientext zur Einführung einer FTS unterbreitet. Eine supranationale Einführung der FTS im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit wäre zwar wünschenswert, und sollte dringend angestrebt werden, möglich aber ist auch eine Einführung auf nationalstaatlicher Ebene.

Ohne Zweifel ist bei der Einführung der Finanztransaktionssteuer die breite Bemessungsgrundlage zu bevorzugen. Wenn sich allerdings herausgestellt hat, dass das Festhalten an ihr, unbeabsichtigt, aber faktisch, ein Programm zur Verhinderung einer FTS ist, muss in der Verstärkten Zusammenarbeit, wie auch auf nationalstaatlicher Ebene die Maxime gelten: „Weniger ist mehr“. Es ist besser, mit einer schmalen Finanztransaktionsteuer nach französischem oder italienischem Vorbild den Einstieg in die Besteuerung von Finanztransaktionen zu schaffen, als sich mit dem unbedingten Festhalten an einer breiten Bemessungsgrundlage in dem oben beschriebenen Teufelskreis selbst gefangen zu nehmen.

(Teile dieses Textes entstammen meiner Stellungnahme zur schriftlichen Anhörung des Finanzausschusses des Schleswig-Holsteinischen Landtags zum Thema Finanztransaktionssteuer einführen, Drucksache 19/2609)

 

Prof. Dr. Dorothea Schäfer