Die Tourismuswirtschaft leidet wie kaum eine zweite Branche unter dem Corona-Virus und kämpft gegen ihre schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Es ist wie es ist, sagt der Volksmund. Aber, so fügt er hinzu, es wird zu dem, was du daraus machst. In die Praxis übersetzt: Wir wissen um die Gefahr des Virus, aber wir sollten nicht wie das Kaninchen auf die Schlange starren. Diesen Eindruck vermitteln uns leider zu oft die Regierungen in Berlin und den Ländern. Sie verwalten die Krise, statt sie dynamisch zu managen.
Was tun? Klar ist, wir helfen uns selbst so weit wie möglich; das haben wir in vielen Krisen der Vergangenheit bewiesen. Aber ohne Hilfe der Politik – inhaltlich, ideell und finanziell – schaffen wir es in dieser aktuellen Ausnahmesituation nicht. Ein Jahr Lockdown mit Unterbrechungen hinterlässt tiefe Spuren, schwächt Strukturen und zerbricht manche von ihnen.
Drei Aspekte sind wesentlich beim Weg in und aus der Krise. Erstens: Unsere Unternehmen, die Sonderopfer zum Wohl der Gesellschaft bringen, mit finanziellen Hilfen über Wasser zu halten. Zweitens: Endlich Lösungen zu finden, die mit und trotz Corona ein Maximum an öffentlichem Leben, Freizeit und Tourismus garantieren, denn das Virus wird uns noch lange begleiten. Modellprojekte können und müssen ein erster Schritt sein. Und drittens: Ein Masterplan als Konzept und Blaupause für künftige Krisen, der spätestens nach dem Wiederaufbau auf die Tagesordnung gehört.
Wiederaufbau des Tourismus gehört ganz oben auf die politische Agenda
Ein erfolgreicher Neustart des Tourismus sollte nicht nur der Branche, sondern gerade auch der Politik ein wichtiges Ansinnen sein. Denn Tourismus ist mehr als nette Freizeitbeschäftigung. Er ist weltweit eine starke Wirtschaftskraft und einer der größten Arbeitgeber. Er ist ein wichtiger gesellschaftlicher Faktor. Er dient der aktiven Erholung, der körperlichen und seelischen Regeneration und der Gesunderhaltung von Jung und Alt. Und last but not least: Tourismus ist eine Friedensbranche, die Völkerverständigung und interkulturellen Dialog fördert.
Diese Werte zu sichern und wieder zu stärken, gehört weit oben auf die politische Agenda.
Dafür müssen in einem ersten Schritt die touristischen Strukturen im In- wie Ausland vor dem Kollaps bewahrt werden. Sorgen bereiten hierzulande gerade auch die kleinen und mittleren Betriebe – das Hotel garni, der traditionelle Gasthof, das Busunternehmen auf dem Lande oder das Reisebüro in der Innenstadt. Viele von ihnen Familienbetriebe, die über Generationen hinweg erfolgreich waren und nun unverschuldet in Not geraten sind. Ihre Einnahmen tendieren seit Monaten gegen Null, die Margen sind ohnehin schmal. Kredite lasten schon jetzt auf vielen Schultern. Und die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wird nicht ewig verlängert.
Die Tourismuswirtschaft erwartet von der Politik finanzielle Hilfen, die dem Sonderopfer gerecht werden, das die Branche schon seit so vielen Monaten erbringt. Entschädigungen für die vom Staat verursachten Versäumnisse sind das Mindeste. Wir erwarten aber auch endlich ein (Öffnungs-)Konzept, mit dem diese Unternehmen (wieder) festeren Boden unter den Füßen bekommen. Lockdown in höchster Not – okay. Aber jetzt muss es endlich darum gehen, mehr anzubieten, als grundsätzlich vom Reisen abzuraten. Kreativere und mutigere Lösungen im Umgang mit unserer Branche sind gefragt. Lösungen hin zu einem Leben, das Mobilität, Freizeit und Erholung trotz Virus möglich macht. Im Zusammenspiel von Tourismus, Politik, Technik und Wissenschaft.
Kampf gegen die Pandemie forcieren: Impfen, testen, digitalisieren
Zunehmend wird es Zeit, die Starre endlich spürbar zu lockern. Denn die besonders gefährdeten Menschen über 80 sind weitgehend geimpft, die über 70-Jährigen, Pflege-, Rettungs- und Lehrpersonal sind aktuell an der Reihe. Die vulnerablen Gruppen sind bald geschützt. Spätestens dann gilt es, Freiheiten zurückzugeben. Reisen und Ausgehen wieder zuzulassen. Und das nicht nur für Geimpfte. Ungeimpft darf nicht bedeuten, ein- oder ausgesperrt zu werden.
Voraussetzung für Öffnungen bleibt vorerst eine intelligente Teststrategie. Also gilt jetzt: impfen und testen, was das Zeug hält. Ergänzt um die digitale Nachverfolgung. Stichwort Apps wie „Luca“. Sie übermittelt dem Gesundheitsamt verschlüsselt Kontaktdaten und macht eine direkte Nachverfolgung möglich. Bei aller technischer und medizinischer Vorsorge und Kontrolle bleibt unabdingbar der letzte Punkt: Die konsequente Einhaltung der AHA-Regeln – für Gastgeber wie Gäste.
Das Wiederöffnen unserer Betriebe dient nicht nur ihnen selbst, sondern der Wirtschaft insgesamt und vielen Partnern der Branche, die vom Tourismus profitieren. Touristische Ausgaben beschränken sich nicht auf Hotels, Restaurants oder Reisebüros, Strandkorbvermieter und Skiverleiher. Sie kommen auch dem ÖPNV, Einzelhändlern oder Kultureinrichtungen und mittelbar sogar den Handwerkern vor Ort zu Gute. Ganze Regionen, viele Innenstädte und historische Kleinstädte leben vom Tourismus – und leiden, wenn der Tourismus stillsteht.
Neustart nutzen für sinnvolle Korrekturen
Der von Corona erzwungene Neustart bietet unserer Branche immerhin auch die Chance, erkannte frühere Schwachstellen zu reduzieren. Lösungen mitzudenken, die zum Beispiel „Overtourism“ vermeiden helfen. Mehr auf Smart, Safe und Seamless Tourism zu setzen. Dem Thema Klimaschutz mit neuen und innovativen Ideen und Maßnahmen zu begegnen und diese in Restart-Konzepten zu implementieren.
Aus Erfahrungen lernen und Best-Practice abkupfern
Und was, wenn sich die Situation wiederholt? Dann sollten wir einen (Master-)Plan haben. Wirtschaft wie Politik. Der auf den Erfahrungen aufbaut, die wir in dieser Krise gesammelt haben. Und Best Practice aus aller Welt mit einbezieht. Damit sich schlechte Entscheidungen nicht wiederholen. Und gute möglichst früh erfolgen, weil wir nicht neu mit dem Denken anfangen müssen. Lasst uns den Blick nach Israel oder Chile richten, deren Impfstrategie deutlich effizienter ist als unsere. Nach Asien, wo schnelles, umfangreiches und kostenloses Testen in einfach zugänglichen Testzentren vielerorts lange Usus und auch die Kontaktnachverfolgung deutlich effizienter und erfolgreicher ist. Oder auf Modellregionen, die innovative Wege gegangen sind. Was können wir von anderen lernen?
Dieses Wissen sollte Teil einer Nach-Corona-Strategie sein, die wir in einer neuen Krise auf Knopfdruck abrufen können. Gefragt sind pragmatische Lösungen, die das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben im Spannungsfeld zwischen Gesundheitsschutz und erträglichem Alltag regeln. Eine Pandemie ist wie sie ist. Aber sie wird auch zu dem, was wir daraus machen.
Dr. Michael Frenzel