„Ich habe die Freiheit, uneingeschränkt zu tun, was ich für das Richtige halte“

©
iStock bluejayphoto

 

 

Interview mit Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach, von Hause aus Chemieingenieur und seit 2018 Wirtschaftsminister von Brandenburg, zu Tesla in Grünheide, der Wirtschaftskompetenz der SPD und der Zukunft Brandenburgs als Green-Tech-Standort

 

Blog politische Ökonomie: Eine kürzlich erschienene ZDF-Reportage über Tesla in Grünheide zeichnete ein ziemlich negatives Bild über dieses Großprojekt in Brandenburg. Das gibt uns als Sozialdemokraten den Anlass, einmal grundsätzlich über Standortpolitik und Investitionsentscheidungen zu diskutieren. Elon Musk gibt 6 Mrd. Euro für einen Standort in Brandenburg aus, wie kann es sein, dass der Bericht so einseitig kritisch ist? Wahrscheinlich gab es noch nie eine höhere Investition in Deutschland an einem Standort, in eine Fabrik.

Vertreter von SPD und Linke taten sich nach dem Bericht bei Twitter besonders als Kritiker hervor. Es hieß, Musk sei ein Ausbeuter und es wurden vornehmlich Probleme bei der Wasserzufuhr und Ähnlichem thematisiert – genau wie in der überkritischen ZDF-Reportage. Wie kann es sein, dass eine Jahrhundertentscheidung der Standortpolitik derart kritisch beäugt wird, muss die Sozialdemokratie offensiver mit Investitionsentscheidungen in Deutschland umgehen und auch mal betonen, dass wir stolz auf so etwas sein können?

Prof. Dr. Jörg Steinbach: Es stimmt, ein breiterer Diskurs ist notwendig. Ich kann selbst nicht eindeutig nachvollziehen, was genau die negative oder schweigende Begleitung ausgelöst hat. Zwei Thesen hört man im Gespräch: Es gibt den Neid derer, die den Zuschlag nicht bekommen haben oder bei denen es nicht so gut funktioniert. Das ist zumindest ein Teil der Geschichte. Zweitens: Eben, weil derartige Investitionsentscheidungen selten sind, haben wir keine Übung im Umgang damit. Musk ist eine Reizfigur; Man kann diskutieren, ob es sinnvoll ist, dass er den Großteil seines Geldes in eine Marsmission steckt und Millionen damit verpulvert werden, wenn die Raketen bei der Landung explodieren. Aber das ist seine Sache. Er hat es nicht nur geerbt, sondern auch etwas erschaffen, das sich gut verkauft hat, wie PayPal. Der Mann hat zumindest eine Vision für unsere Zukunft. Man muss diese nicht teilen, aber ohne Vision, ist man sicher nicht besser aufgestellt für die Zukunft.

In der öffentlichen Wahrnehmung besteht eine umgekehrte Proportionalität zwischen der Lautstärke der Kritiker und der Befürworter. In Umfragen sind zwischen 80-85 Prozent für dieses Projekt. Diese Leute gehen aber nicht auf die Straße und demonstrieren dafür. Die 10-15 Prozent, die die Tesla-Ansiedlung ablehnen, sind überproportional laut. Und dann gibt es die restlichen 5-10 Prozent, die abwarten und erst einmal gucken wollen, wie sich das Ganze entwickelt, weil sie vielleicht auch Erfahrungen aus gescheiterten Großprojekten mitbringen. Diese Leute wollen sehen, dass erst einmal Autos vom Band rollen. Und sie wollen, dass das auch in drei Jahren noch so ist. Wenn wir die Tesla-Fabrik mit anderen Projekten dieser Größenordnung in Deutschland vergleichen, dann hat vermutlich nur dieses Projekt eine solche Zustimmung. Diese Zustimmung ist nicht so fühlbar oder gut hörbar, aber wenn man ein bisschen bohrt und mit den Menschen spricht, dann ist sie da.

Blog politische Ökonomie: Ich habe Sie ein wenig als Einzelkämpfer wahrgenommen im Versuch, dieses Projekt zu verteidigen. Von anderen Sozialdemokraten hat man da relativ wenig gehört. Sollte die Sozialdemokratie ein breiteres Kreuz haben und sagen: „Gebt dem Ganzen mal eine Chance macht, den Standort nicht gleich madig.“ Leute können nur gute Arbeit bekommen, wenn es diesen Standort gibt, Leute können nur gute Arbeitsbedingungen haben, wenn es hier auch gute Unternehmen gibt. Wirtschafts- und Sozialpolitik sind doch Teil eines großen Ganzen und müssen zusammen gesehen werden. Sollte die Sozialdemokratie gegenüber den Kritikern standfest bleiben und bei derartigen Projekten einen klaren eigenen Standpunkt haben und diesen auch verteidigen?

Ja, aber ich würde fast noch einen Schritt weitergehen: Wir müssen eine Positionierung zur Wirtschaftspolitik in Deutschland wieder neu lernen. Es ist fatal, mit welcher Selbstverständlichkeit man das Thema Wirtschaftspolitik mit CDU und FDP assoziiert und dass kaum einer bei dieser Frage spontan die SPD nennt. Das war mal anders. Da haben wir uns ein Claim wegnehmen lassen, den es sich definitiv lohnt, zurückzuholen. Da bin ich auch froh über unser Wahlprogramm. Für die SPD bedeuten Klimaschutz und Ökologie nicht die Vernichtung industrieller Arbeitsplätze, sondern es bedeutet, dass manche Jobs durch andere, neuartige und teils höherwertige Jobs ersetzt werden. Also es ist etwas, das Arbeitsplätze schaffen kann. Davon können wir im Osten Deutschlands ganz stark profitieren und zu den klassischen wirtschaftlichen Schwergewichten im Süden von Deutschland aufholen. Die Bedeutung des Klimaschutzes ist in den vergangenen Jahren langsam gewachsen und wir haben gelernt, dass kein Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie besteht. Doch wir müssen auch beweisen, dass diese Aussage keine theoretische Monstranz bleibt, die wir vor uns hertragen. Wir müssen auch zeigen, dass dahinter eine ehrliche Überzeugung steht, die man belegen kann. Wir haben in Brandenburg eine Riesenchance, aber es bedarf des Selbstbewusstseins, wirtschaftliche Kompetenz für sich zu reklamieren und die Richtung entsprechend vorzugeben.

Blog politische Ökonomie: Alle großen Parteien in Deutschland streben die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie an. Brandenburg ist jetzt ziemlich gut dabei etwa mit Wasserstoffprojekten und die Kohlekommission hat viel Geld für die Transformation der Wirtschaft in der Region bereitgestellt. In der Lausitz gibt es Möglichkeiten, aus der Forschung heraus industrielle Wertschöpfung aufzubauen. Wenn man das mit Tesla in Einklang bringt, das als Unternehmen ebenfalls beides zusammenbringen will, gibt es dann nicht die Chance zu sagen, dass sich Brandenburg mittelfristig zu einem Green-Tech Standort weiterentwickelt? Würden Sie Ihre Standortpolitik darauf fokussieren und gibt es da neue Projekte?

Ein klares Ja! Ich habe für mich den Begriff der Bayuvarisierung von Brandenburg geprägt. Da steckt etwas dahinter. Franz Josef Strauß hat vor einer ähnlichen Entscheidung gestanden, wie wir heute. Es ging darum, Bayern entweder in der Fläche zu entwickeln oder lediglich die urbanen Zentren. Er hat sich damals dafür entschieden, Bayern in der Fläche zu entwickeln und zwar in allen Bereichen. Beispielhaft seien Infrastruktur sowie Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen genannt. Bayern hat dadurch bekanntlich einen hohen wirtschaftlichen Status erreicht, der mit viel Anerkennung betrachtet wird. Und man muss ungeachtet seines Parteibuchs fairerweise sagen, dass Strauß in dem Bereich einen richtig guten Job gemacht hat. Wir stehen jetzt im Osten von Deutschland und besonders in Brandenburg vor einer vergleichbaren Situation.

Es gibt Leute, die sagen, wir bräuchten keine Industrie, ein wenig Tourismus wäre genug. Wer sich aber den brandenburgischen Haushalt anguckt, wird sehen, dass die Einnahmen aus dem Tourismus niemals reichen werden, um einen Gesamthaushalt in Brandenburg zu finanzieren. Wir brauchen Industrie und wir brauchen auch Wertschöpfung, die aus der Produktionstechnik kommt. Man kann das alles in einem Speckgürtel um Berlin ansiedeln oder man kann eben das Bundesland in der Fläche entwickeln. Wie das geht? Ich profitiere hier von Entscheidungen meiner Vorgänger, die den Wert erneuerbarer Energien rechtzeitig erkannt haben und es geschafft haben, dass wir in Brandenburg den höchsten Ausbau an erneuerbaren Energien pro Kopf und pro Quadratmeter haben. Da sind wir bundesweit führend. Hinzu kommt, dass wir wegkommen von einer Situation, in der Deutschland in vier große Quadranten aufgeteilt ist, in denen jeweils ein großer Konzern die Stromerzeugung abdeckt. Das wird der Vergangenheit angehören. Wir kommen heute zu anderen, dezentralen Strukturen, wo kommunale Systeme, Bürgerstrom und Ähnliches an Bedeutung gewinnen. Campus-Konzepte werden eine ganz große Rolle spielen. Dieser Wandel geschieht, weil Windräder und Photovoltaik-Anlagen über das ganze Land verteilt sind. Und wir haben keine ausreichenden Netze, um den Strom in erzeugungsarme Regionen zu transportieren. Also muss ich den Strom da nutzen, wo er erzeugt wird. Dafür brauchen wir neue Rahmenbedingungen: Eine dezentrale Energieversorgung, die man auch dezentral ausbeuten kann, und Flächen, auf denen weitere Ansiedlungen realisiert werden und neue Technologien hinkommen und Wertschöpfungsnetzwerke entwickelt werden können. Technologien können aus dem Bereich Mobilität kommen, und zwar nicht nur für das Auto, sondern auch für Schiene und Luftfahrt, auch Wasserstofftechnologien gehören dazu.

Da haben wir ein Riesenpotenzial, einen Gewinn für das Land zu erzeugen. Mit etwas Glück und Hartnäckigkeit haben wir die Chance, in 5-10 Jahren mit der Wirtschaftskraft von Bayern und Baden-Württemberg gleichzuziehen, die Bayuvarisierung. Und das ist eine Voraussetzung dafür, dass die jungen Leute hierbleiben. Wir können vor Ort für Familien attraktive Lebensverhältnisse bieten. Ich versuche immer, für diesen Optimismus zu werben. Es gibt kaum ein Bundesland, das derart gute Voraussetzungen hat wie Brandenburg. Offensichtlich sind diese Argumente nicht schlecht und Tesla hat mir auch dabei geholfen. Ich bin stolz darauf, dass wir im Bereich moderner Mobilität vermutlich die erste Region sind, in der man nachweislich von einer Kreislaufwirtschaft reden kann. Wir haben BASF für den Aufbau der Fabrik für die Erzeugung von Kathodenmaterial in Schwarzheide gewinnen können Daran anschließend entstehen in Brandenburg Batteriefabriken, deren Produkte in E-Autos genutzt werden und am Ende landet die Batterie wieder in Schwarzheide in der Recyclingfabrik. Das ist das, was wir als eine moderne Versöhnung von Ökologie und Ökonomie schaffen müssen. Und da haben wir mit BASF, Tesla, Mercedes und Microvast große Unternehmen gewinnen können, in Brandenburg diesen Meilenstein zu setzen.

Blog politische Ökonomie: Die Grünen sind gut darin, Ziele und Absichten zu formulieren und schöne Plakate zu malen. Aber die Sozialdemokratie war es immer, die den Strukturwandel und die Transformation organisiert und durchgeführt hat. Das war beim Kohleausstieg so und ebenso beim Zechensterben in Nordrhein-Westfalen. Bei der Dekarbonisierung der Industrie und dem Aufbau einer klimaneutralen Wirtschaft stellt sich natürlich die Frage, welche Instrumente wir zuerst anpacken, mit welchen Schritten wir weitergehen wollen. In der Lausitz haben wir die für Energieinfrastrukturen zuständige Fraunhofer-Einrichtung in Cottbus und ein DLR-Institut für CO2-arme Industrieprozesse in Cottbus und Zittau, die Lausitz ist als Energieregion vorstellbar, es gibt schon viel das ausgebaut werden kann. Sollten wir in der Region zuerst Forschung ansiedeln und darauf hoffen, dass daraus Ausgründungen von Firmen entstehen? Wie ließe sich das zum Beispiel mit bestehenden lokalen Unternehmen verknüpfen, damit daraus etwas entsteht? Wäre also nicht Forschungspolitik zunächst die klügste Industriepolitik?

Ich bekenne mich mit Gusto dazu, das Enfant terrible der Politik in Brandenburg zu sein. Manchmal stören mich Ressortgrenzen mehr als alles andere. Meine Maxime ist, Dinge zu parallelisieren. Wir sollten auf keinen Fall alles in einer Reihenfolge planen, wo nach dem ersten Schritt der zweite Schritt folgt. Wir haben so etwas zu lange praktiziert, sind zu langsam geworden und haben dabei verlernt, Entwicklungen parallel voranzutreiben. Es geht darum, teils kurzfristige Lösungen zu finden, aber eben gleichzeitig auch mittel- und langfristige Dinge anzustoßen. Wir haben zum Beispiel mit APWorks eine Tochterfirma von Airbus nach Cottbus geholt und haben mit ihr ein Kompetenzzentrum für 3D-Druck geschaffen. Dort können gemeinsam mit der BTU Cottbus kleine und mittlere Unternehmen partizipieren, die sich dadurch nicht alles selber anschaffen müssen. Damit hat man einen weiteren Teil der Antwort: Man muss das immer in einer anteiligen Dienstleistungsstruktur realisieren und es den kleineren Unternehmen abnehmen, alles selbst zu investieren. Wir müssen das als Dienstleistung anbieten.

Das gilt besonders auch für Zukunftsthemen wie Künstliche Intelligenz und Big Data. Wir werden auch da für diese Region, vereinfacht gesprochen, Rechenzentren bereitstellen müssen, die diese Dinge als Dienstleistung bereitstellen, weil es sich eben nicht jedes Unternehmen leisten kann, eigene KI-Kompetenzen aufzubauen. Der zweite Schritt: Was können wir mittelfristig tun? Dazu gehört ganz klar das Bahnwerk Cottbus, denn das soll in 5 Jahren am Netz sein und bietet über 1000 neue Arbeitsplätze. Das ist eine Hausnummer, das ist eine Perspektive und das kongruiert zeitlich in etwa mit dem Ausstieg aus dem ersten Braunkohlekraftwerk. Auch das neue Innovations- und Gründerzentrum soll diesen Sommer eingeweiht werden. Das wird durch seine Architektur einmal ein zweites Aushängeschild für die Region sein und da können die Leute schon heute vorbeigehen und reingehen – wegen der Pandemie leider noch nicht so richtig. Aber bei einer Nacht der klugen Köpfe könnten die Leute schon sehen, was schon alles da ist.

Darüber hinaus brauchen wir noch eine langfristige Strategie, für die man schon heute die Samen säen muss. Und das ist für mich insbesondere die außeruniversitäre Forschung. Wir haben schon zwei DLR Institute, ein Fraunhofer Institut, das PTX-Zentrum, das Kompetenzzentrum Klimaschutz in energieintensiven Industrien in die Region holen können. Deren Größenordnung liegt aktuell bei 20-25 Mitarbeitern pro Einrichtung. Die brauchen etwa 5 Jahre, bis sie ihre eigenen Ergebnisse in Form von Ausgründungen und Technologietransfers nach außen tragen können. Deshalb muss die Infrastruktur geschaffen werden, damit sich direkt in der Nähe Startups ansiedeln können und Zulieferbetriebe für die neuen Technologien, die dort entwickelt werden. Jena ist eines der besten Beispiele für eine solche Entwicklung. Auf dem Berg außerhalb der Stadt ist die ganze außeruniversitäre Forschung angesiedelt. Das war mal leer, heute findet dort kein Unternehmen mehr Platz. Aber das braucht eben 5-10 Jahre, bis das seine Früchte trägt. Daher gilt es, parallel zu planen, von ganz kurzfristig wirksamen Lösungen, von solchen, die in 5 Jahren wirken und solchen, die einen Vorlauf von 7-10 Jahren brauchen. Ich glaube, das ist der richtige Ansatz.

Blog politische Ökonomie: Brandenburg als Land hat Zugriff auf Gelder aus der Kohlekommission. Was ist die SPD-Antwort, was will man damit machen im Gegensatz beispielsweise zu den Grünen? Hat man da unterschiedliche Vorstellungen? Was ist der sozialdemokratische Plan, um mit diesem Geld Transformation anzuschieben?

Ich glaube, der sozialdemokratische Anteil an dem Plan ist, dass wir die Menschen nicht vergessen. Wir müssen den Leuten deutlich machen, dass wir Respekt vor ihnen haben und dass sie uns als Individuen wichtig sind. Eines rechne ich Annalena Baerbock hoch an: Bei einer Veranstaltung vor anderthalb Jahren in Schwarze Pumpe, wo sie sich einer Diskussion gestellt hat, hat sie den Bergleuten gesagt, die Grünen hätten die Emotionalität des Strukturwandels in der Region unterschätzt. Leider habe ich danach nichts Vergleichbares mehr von ihr gehört, aber sie hat das Problem zumindest begriffen. Ministerpräsident Dietmar Woidke und ich stellen uns ständig der Diskussion in der Region. Man wird auch mal beschimpft und die Leute sagen, man nehme ihnen die Lebensgrundlage weg. Darüber muss man eben miteinander sprechen und den Menschen Perspektiven aufzeigen. Eine Anekdote werde ich nie vergessen: Als ich als frisch gebackener Wirtschaftsminister von meiner ersten Betriebsversammlung zurückkam, erfuhr ich von einer SMS an meinen Staatssekretär, in der jemand sagte: Na, das ist ja wohl kein Wirtschaftsminister, das ist ja wohl ein Grüner. Da war ich eigentlich schon für die Leute abgestempelt. Es dauerte ein Jahr, bis sich die Einstellung mir gegenüber wandelte. Das war eindeutig zu spüren. Da merkten die Leute, dass ich niemandem nach dem Mund rede, sondern dass ich auch bittere Wahrheiten anspreche. Wenn ich ihnen etwas sage, dann können sie darauf ein Haus bauen. Als ich darauf hinwies, dass der Strukturwandel laut Kohlekompromiss noch in den 2030ern vollzogen wird, da war ich für die Menschen aus der Braunkohleindustrie ein Grüner. Dass ich aber nichts weiter gemacht hatte, als ihnen die Wahrheit zu vermitteln, damit sie sich rechtzeitig darauf einstellen können, das haben viele erst hinterher begriffen. Ich war bei den Mahnwachen in Jänschwalde, ich gehe in Betriebsversammlungen. Bildlich gesprochen: Wir müssen die 130km Abstand zwischen Cottbus und Potsdam auf 100 oder 10 Meter reduzieren und wir müssen uns den Leuten stellen. Das tut Dietmar Woidke, das tue ich und das ist die sozialdemokratische Komponente an einer Bewegung, die durch den Transformationsprozess ziemlich grün aussieht.

Blog politische Ökonomie: Wenn Sie jetzt mal aus Ihrem Arbeitsalltag als Wirtschaftsminister berichten, was stört Sie am meisten, worüber ärgern Sie sich besonders? Ist es die Bürokratie, sind es langsame Strukturen, Unverständnis bei bestimmten Gesprächspartnern? Man hat als Wirtschaftsminister immer das Ziel, den Standort zu stärken. Was sind die größten Hürden, die Ihnen im Alltag begegnen?

Ich sage oft: Leute nehmt doch mal den Kopf hoch! Ich würde mir eine positivere Grundeinstellung wünschen. Würde mir wünschen, dass die Leute wahrnehmen: „Wenn wir unsere Städte und Dörfer 30 Jahre nach der Wende ansehen, sollte man besser nicht nach Gelsenkirchen gucken, oder Bochum.“ Man kann sich doch teilweise wirklich erschrecken, wie es im Ruhrgebiet aussieht. In Brandenburg leben wir in einem großartigen Land in einem tollen Umfeld und wir haben die Chance, es so zu gestalten, dass es für Familien über die nächsten Generationen eine gute Zukunft gibt. Das sollte uns positiv stimmen.

Zweitens: Ich bin eben kein Berufspolitiker. Für mich gilt – und das zieht sich durch mein ganzes Leben – „geht nicht gibt’s nicht!“ Die Tesla-Ansiedlung zeigt, dass man manchmal einfach machen und an gewissen Stellen ins Risiko gehen muss. Am Anfang meiner beruflichen Laufbahn war ich in der Forschungsabteilung eines Chemieunternehmens tätig, wo es die Möglichkeit gab, völlig neue Ideen zu verfolgen. Das Unternehmen hatte erkannt hat, dass, wenn zwei Projekte erfolgreich sind, diese derart auf den Erfolg des Unternehmens ausstrahlen, dass die zehn gescheiterten Versuche davor unerheblich waren. Und ich halte es für richtig, mit einer solchen Risikobereitschaft Politik zu machen und nicht auf jede Umfrage oder Stimmungsäußerung zu reagieren. Ich bin für 5 Jahre gewählt, verfolge ein Ziel und das versuche ich umzusetzen. Und wenn sich nach fünf Jahren herausstellt, dass ich nur Mist gebaut habe, dann gehöre ich zu Recht nach Hause geschickt. Wenn die Wahlbevölkerung am Ende aber wahrnimmt, dass sich die Ergebnisse sehen lassen können, dann kriegt man garantiert auch die Belohnung in Form einer Wiederwahl. Ich würde mit in der Politik oft eine geringere Vorsicht und größere Risikobereitschaft wünschen.

Blog politische Ökonomie: Würden Sie sagen, dass es mehr Seiteneinsteiger als Staatssekretär oder Minister braucht? Schröder ist 1998 mit Lafontaine angetreten und spätere Minister waren beispielsweise ein stellvertretender IG Metall-Vorsitzender und ein parteiloser Manager wie Werner Müller. In Hamburg hat man nun den dritten parteilosen Wirtschaftssenator in Folge. Es gibt also Beispiele, die zeigen, dass Sozialdemokratien dann oft erfolgreich waren, wenn sie es geschafft haben, Seiteneinsteigern eine Chance zu geben. Würden Sie sagen, dass es angesichts des schlechten Zustands der Partei ein Instrument ist, das intensiver verfolgt werden sollte und eher auf Köpfe geschaut werden sollte als auf die Parteilaufbahn und die Funktionärskarriere? Sollte die SPD also in Zukunft mehr darauf achten, Ämter nach Kompetenz und wie im Falle der IG-Metall mehr auf Repräsentation von gewissen Verbänden zu besetzen?

Ja, hinsichtlich der Kompetenz würde ich das uneingeschränkt so unterschreiben. Auch bevor ich Minister in Brandenburg wurde, hatte ich schon verschiedene Ämter inne, beispielsweise als Präsident einer Universität. Aus dieser Erfahrung würde ich mich dafür aussprechen, jedes Amt zunächst auf zwei Amtszeiten zu beschränken. Die erste Wahlperiode brauche ich, um zu lernen, mich zu orientieren und Ziele zu definieren. Erst in der zweiten Amtszeit kann man sich so richtig mit der Umsetzung befassen. Und wenn das dann meine letzte Amtszeit ist, bin ich nicht gezwungen, faule Kompromisse einzugehen oder Stimmungen zu bedienen. Nach einer Pause kann dann eine dritte Amtszeit angestrebt werden, aber zunächst sollten es erstmal nur zwei sein. Bei mir begründet sich meine Unabhängigkeit auch mit meinem Alter. Ich habe 35 Jahre Berufstätigkeit hinter mir. Was ich jetzt mache, ist Kür! Das mache ich mit großer Freude und das gibt mir Handlungsspielraum. Ich habe die Freiheit, uneingeschränkt das zu tun, was ich für das Richtige halte.  So kann ich noch in den Spiegel gucken und sagen, dass ich mir treu geblieben bin. Ich glaube, so etwas geht einfacher, wenn die Menschen gezwungen sind, durch eine andere Aufgabe mal wieder die Nähe zu den Leuten und zur täglichen Arbeit wiederzufinden. Gerne auch durch Weiterbildungen. Aber ich finde es problematisch, dass wir Berufspolitiker haben, die darauf achten müssen, dass ihre Karriere 20-30 Jahre anhält und ihr Einkommen gesichert ist. Das führt zu Reaktionen, die ursächlich sind für die Diskrepanz, die wir teilweise zwischen Bürgern und Politikern haben.

Blog politische Ökonomie: Noch einmal zur Lage der Wirtschaftspolitik und der SPD. Die Partei steht zwischen 13-16 Prozentpunkten (je nach Umfrage). Auf Landesebene gibt es ein paar Leuchttürme und einige Ausreißer nach unten, aber bundespolitisch passiert nichts. Bei der Wirtschaftskompetenz liegt die Zuschreibung nur noch bei 8 Prozent (laut letztem ZDF-Politbarometer), während die Union bei 41 Prozentpunkten steht. Es liegen da Welten dazwischen. Das letzte Mal als die Sozialdemokratie gute Ergebnisse hatte – nämlich 1998 und 2002 – lagen diese Werte nah beieinander. 1998 lag die SPD bei der Wirtschaftskompetenz bei 33 Prozent und die Union bei 37 Prozent. 2002 bei 31 Prozent (SPD) und 36 Prozent (Union). Seither geht die Wahrnehmung der Wirtschaftskompetenz der SPD nur noch nach unten. Meine Frage: Das Beispiel Tesla zeigt aktive Industrie- und Standortpolitik. Wirtschaftspolitik schadet Brandenburg nicht, sondern hilft dem Land. Ist es nicht ein Rezept zur Rückkehr alter Stärke, wenn man stärker auf Wirtschaftspolitik setzt? Was wären Themen, über die Sie im Bundestagswahlkampf reden würden?

Was ich zuvor über den Kohleausstieg gesagt habe, lässt sich auf andere Gebiete übertragen und das steht auch nicht im Widerspruch zum Wahlprogramm der SPD. Wenn man das Wahlprogramm als Gesetz versteht, dann wäre Wirtschaftspolitik die entsprechende Verordnung. Unser Wahlprogramm ist wirklich gut, aber in einigen Teilen extrem intellektuell formuliert. Was die Bürgerinnen und Bürger brauchen, ist die Übersetzung ins Handfeste. Das können wir mit verschiedenen Dingen kombinieren. Wir haben die Digitalisierung der Wirtschaft im Programm. Aber was wir bisher nicht deutlich gemacht haben ist, dass uns auch die Menschen interessieren und wir uns um sie kümmern. Themen wie künstliche Intelligenz lösen bei vielen Leuten Ängste aus, weil KI gleichgesetzt wird mit Rationalisierungsmaßnahmen, die gute Arbeitsplätze gefährden. Die richtige sozialdemokratische Herangehensweise an diese Themen wäre, den Leuten klar zu machen, dass wir uns für den Erhalt der Belegschaften einsetzen und diese so weiter qualifizieren wollen, dass man merkt, dass der eigene Job sogar mehr Spaß machen kann. Und nicht das andere Extrem wie CDU und noch stärker die FDP es machen, die das unter rein betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachten und überlegen, wie Gewinne durch solche Maßnahmen gesteigert und Personalkosten gesenkt werden können. Wir haben Wege, die Transformation gemeinsam mit den Menschen zu gestalten und da kann man Wirtschafts- und Sozialpolitik gut verknüpfen.

Das kann man auch durch Anpassungen in der Ausbildung tun. Wir müssen überlegen, welche neuen Jobs jetzt durch die große Auto- und Batteriefabrik bei uns entstehen. Welche Qualifikationen werden gebraucht und was bedeutet das für die Ausbildung? Es gibt Studien, die zeigen, dass die Summe der Arbeitsplätze bei Einführung neuer Technologien ungefähr die gleiche bleibt, aber 20 Prozent der Jobs werden sich verändern. Dieser Veränderungsprozess der Arbeitswelt ist es, bei dem die SPD den Menschen zur Seite stehen muss und sie so einbindet, dass sie stolz sind, Teil dieser neuen Welt zu sein. Diese Übersetzung des Wahlprogramms auf die menschliche Ebene ist es, was wir in den nächsten Wochen und Monaten leisten müssen, wenn wir vor der Wahl zu Prognosewerten jenseits der 15 Prozentpunkte kommen wollen.

Blog politische Ökonomie: Was wären die zwei wichtigsten wirtschaftspolitischen Themen, die wir bundespolitisch anpacken müssen?

So systematisch habe ich mir die Frage noch nicht gestellt. Aber ein Beispiel: Wir müssen sehen, wie wir unsere stromintensiven Industrien wie Zement und Aluminium nachhaltig transformieren können, ohne dass diese aus Deutschland in andere Länder abwandern, wo geringere Umweltstandards gelten. Diese Industrien müssen die Stärken der deutschen Wirtschaft bleiben. Wir müssen den Menschen zeigen, dass wir bestimmte Stärken Deutschlands erhalten wollen. Das sind bestimmte Industriezweige, das ist ein bestimmter Industrieanteil an der Gesamtwirtschaft. Und wir müssen an Beispielen zeigen, wie wir Industrie halten und unterstützen wollen, wie wir etwa grünen Stahl und Zement herstellen wollen und wie man das mit der Wasserstoffstrategie kombiniert. Vermutlich kann man vieles an der Nutzung von Wasserstoff festmachen, muss es aber verständlich erklären. Wir stehen dafür, dass wir Wasserstoff so anwenden, dass der Industriestandort Deutschland seine alte Reputation mit neuen Technologien neu erwachen lässt.

 

Prof. Dr. Jörg Steinbach

 

Dieses Interview hat Dr. Nils Heisterhagen geführt