Ein Plädoyer für mehr Investitionen

 

Aktuell bestimmen die Folgen der Corona-Krise die wirtschaftspolitische Debatte in Deutschland. Es geht darum, das Überleben zahlreicher Unternehmen zu sichern, Arbeitsplätze zu erhalten und die Pandemie endlich in den Griff zu bekommen. Der Staat nimmt hierzu erhebliche Summen in die Hand. So ist nach Jahren der Überschüsse in den öffentlichen Kassen das letzte Jahr mit einem Minus von rund 140 Milliarden Euro abgeschlossen worden – in diesem Jahr wird das Defizit voraussichtlich noch einmal auf 160 Milliarden Euro ansteigen.

Hinzu kommen Kredite und Beteiligungen für in Not geratene Unternehmen, sowie ein Risikopuffer um auch für den Fall ungünstigerer Pandemieverläufe gewappnet zu sein oder auch weitere Impfrunden zu finanzieren. Der Bund hat dazu die maximale Nettokreditaufnahme in diesem Jahr auf 240 Milliarden Euro angehoben. Dies alles ist notwendig um die Krise zu bewältigen, hinterlässt aber auch Spuren: Die zukünftigen finanziellen Spielräume der öffentlichen Hand werden deutlich kleiner. Die gesamtstaatliche Schuldenstandsquote wird in nur zwei Jahren um gut 12 Prozentpunkte auf voraussichtlich mehr als 70 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt ansteigen, im Fall der Ausschöpfung aller bereitgestellter Mittel auf gut 75 Prozent. Schon jetzt werden Forderungen laut, nach der Krise einen rigiden finanzpolitischen Kurs einzuschlagen und die Schuldenbelastung schnell zurückzuführen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass dies meist zu Lasten der öffentlichen Investitionen geschieht, zumal rentenpolitische Versprechen an anderer Stelle Mittel langfristig bereits binden.

Gute Gründe für ein Investitionsprogramm

Es wäre allerdings an der falschen Stelle gespart. Deutschlands öffentlicher Kapitalstock ist in den letzten 30 Jahren um insgesamt 20 Milliarden Euro geschrumpft – trotz Wiedervereinigungsboom und trotz voller Kassen, zumindest in den letzten 10 Jahren. Vieles spricht dafür, die Investitionshaushalte deutlich auszuweiten.

Erstens besteht ein erheblicher Nachholbedarf vor allem in der kommunalen Infrastruktur, die sichtbar verschlissen ist. Zudem birgt die Corona-Krise das Risiko eines Investitionsstopps auf kommunaler Ebene: Bereits verschuldete Gemeinden könnten Investitionen in die Infrastruktur zurückfahren müssen, da die Einnahmen wegbrechen und die langfristigen Auswirkungen der Krise die Sozialausgaben erhöhen.

Zweitens gibt es große Bedarfe für die Modernisierung bestimmter Infrastrukturen. Schätzungen zeigen, dass für die Energiewende, Digitalisierung, Bildung aber auch Forschung und Entwicklung mehr als 220 Milliarden Euro zusätzlich notwendig wären, um Deutschland fit für die Zukunft zu machen. Ohne zusätzliches öffentliches Kapital dürften viele Ziele wie die Energiewende unerreichbar bleiben.

Drittens sind deutsche Staatsanleihen international weiterhin sehr begehrt, so dass die Finanzierungsbedingungen derzeit so vorteilhaft wie nie zuvor sind: Der Bund bekommt Geld dafür geschenkt, wenn er sich am Kapitalmarkt finanziert. Selbst Vorhaben mit geringer Rendite dürften sich in diesem Umfeld rechnen, sofern sie ihre Abschreibungen selbst erwirtschaften.

Viertens haben öffentliche Investitionen gerade in der Krise eine hohe Rendite: Eine neue Studie zeigt, dass jeder Euro für öffentliche Bruttoanlageinvestitionen im Durchschnitt 1,5 Euro private Investitionen nach sich zieht. Dieser Effekt wird größer, je niedriger die Zinsen sind, je höher die Unsicherheit ist und je geringer die gesamtwirtschaftliche Auslastung ist. Neben den Bruttoanlageinvestitionen wurden auch weitere investiv wirkende Ausgaben, wie Investitionszuschüsse sowie Ausgaben in Bildung, Erziehung und Gesundheit (Humanpotentialausgaben), untersucht. Während Investitionszuschüsse kurzfristig die private Investitionstätigkeit anregen, sind öffentliche Ausgaben für Forschung und Entwicklung und Investitionen in das Humanpotenzial nachhaltiger: Diese benötigen zwar einige Zeit, bis diese auch private Investitionsausgaben anregen – dafür steigen diese aber deutlich stärker und dauerhaft an.

Fünftens sind es die privaten Investitionen, die durch die Krise erheblich belastet werden: Schwindendes Eigenkapital, steigenden Schuldenbelastung und unsichere Geschäftsaussichten lassen Unternehmen bei der Modernisierung ihrer Produktionsstätten zurückhaltend agieren. Dies wiederum lastet auf der Produktivitätsentwicklung, was in Hinblick auf das zukünftige Wachstum kontraproduktiv ist.

Sechstens können sich wichtige Schlüsselinnovationen im Anschluss an die erste Finanzierungsspritze oft nur durch ein langfristiges, kooperatives und institutionalisiertes Zusammenspiel zwischen öffentlichem und privatem Sektor weiterentwickeln. Beispielsweise könnten sich Investitionen zur Entwicklung von Impfstoffen nicht nur in der Corona-Pandemie rentieren, sondern mittel- bis langfristig zum Schutz vor anderen bislang schwer heilbaren Krankheiten eingesetzt werden. So könnte der mRNA-Impfstoff zu einer Schlüsselinnovation in der Medizinforschung werden, ähnlich wie grüner Wasserstoff beim Antrieb umweltfreundlicher Fahrzeuge, Schiffe und Flugzeuge. Die dadurch gewonnene Stabilität reduziert für die Unsicherheit für private Unternehmen langfristige, innovative, aber gleichzeitig riskante Projekte zu investieren. Eine rege öffentliche Investitionstätigkeit schafft Anreize für private Unternehmen in diesen Bereichen ihre Investitionen ebenfalls auszuweiten.

Branchen profitieren in unterschiedlicher Weise von öffentlichen Investitionen – Vom „Zukunftspaket“ sollten deutliche Stabilisierungs- und Wachstumseffekte ausgehen

Ein Investitionsprogramm würde sich je nach Ausgestaltung branchenspezifisch unterschiedlich auswirken. Unmittelbar würden allgemeine Steigerungen öffentlicher Sachinvestitionen den Aufbau des Kapitalstocks in der Baubranche, dem Bereich Reparatur und Instandhaltung, dem Maschinenbau, Automobilbranche und der Elektroindustrie anschieben. Dadurch würden Investitionsketten in Gang gesetzt, die mit Verzögerung auch in Dienstleistungsbereichen wie dem Hotel- und Gastgewerbe oder dem Einzelhandel Investitionen anregen können. Auch hier gilt, dass die Wirkung in Krisenzeiten deutlich größer ist, als in Zeiten der Normalauslastung. Alles in allem zeigen die empirischen Ergebnisse deutliche Effekte öffentlicher Investitionen in vielen Branchen, die sowohl direkt als auch längerfristig wirken.

Mit dem Konjunkturprogramm aus dem vergangenen Jahr werden erhebliche investive Mittel bereitgestellt und wichtige Zukunftsinvestitionen aufgestockt. Diese dürften sich kurz- und mittelfristig positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken. Modellsimulationen zeigen, dass die rund 37 Milliarden Euro des Konjunkturprogramms für Bruttoanlageinvestitionen und Investitionszuschüsse zu einem zusätzlichen Anstieg der privaten Investitionen von 29 Milliarden Euro führen. Insgesamt erhöhen diese das Bruttoinlandsprodukt um 45 Milliarden Euro. Berücksichtigt man die zusätzlichen Forschungs- und Bildungsausgaben, dann dürfte der Gesamtimpuls des Konjunkturpakets von 45 Milliarden Euro im investiven Bereich zu einem Anstieg der Wirtschaftsleistung von 67 Milliarden Euro bis in das Jahr 2024 führen.

Es gibt also viele gewichtige Argumente für eine Ausweitung staatlicher Investitionen, welche sich dreifach auszahlen würden: Kurzfristig helfen sie, die aktuelle Krise schneller zu überwinden. Ganz konkret sind dies beispielsweise FuE-Ausgaben für die Entwicklung eines Impfstoffs, aber auch vorgezogene Ausrüstungsinvestitionen sowie die Entlastungen der Kommunen. Mittelfristig würden öffentliche Investitionen bspw. in den Ausbau des Glasfasernetzes oder eine effizientere öffentliche Verwaltung das durch die demografische Entwicklung schwache Produktionspotenzial Deutschlands anheben. Auch der Ausbau des Angebots in Ganztagesschulen und Kitas dürfte mittelfristig das Erwerbspotential von Familien, insbesondere von jungen Müttern, stärken. Langfristig würden mit öffentlichen Investitionen wichtige gesundheits-, klima- und sozialpolitische Probleme adressiert und die Resilienz gegenüber zukünftigen Gesundheits- und Umweltkrisen erhöhen.

 

Dr. Marius Clemens

Dr. Claus Michelsen