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Warum die globale Mindeststeuer sinnvoll ist

Die Chancen stehen nicht schlecht, dass im Verlauf dieses Jahres ein globales Abkommen über die Einführung einer effektiven Mindeststeuer auf die Gewinne multinationaler Unternehmen unterzeichnet wird. Die Mindeststeuer würde verhindern, dass Steuerzahlungen auf Gewinneinkommen unter einen bestimmten Schwellenwert (z.B. von 10 oder 15 Prozent des Gewinneinkommens) fallen.

Es ist bemerkenswert, dass sich in diesen konfliktreichen Zeiten fast 140 Staaten zu einem bedeutenden Schritt zu mehr internationaler Steuerkoordination bereitfinden. Ebenso bemerkenswert ist, dass es auch hierzulande kaum Kritik an diesem Teil der Reform gibt. Sogar die Unternehmensverbände signalisieren ihre Unterstützung; die Steuerabteilung des BDI beispielsweise hält die Mindesteuer für den „richtigen Weg“.

Nur vereinzelt sind Stimmen zu vernehmen, die aus sehr grundsätzlicher, ordnungspolitischer Perspektive kritisieren, dass jede Form der Steuerkoordination den Wettbewerb zwischen Standorten einschränkt und so verhindert, dass der Wettbewerb seine positiven Wirkungen entfaltet. Man ist versucht, diese Einwürfe einfach zu ignorieren, zumal wenn sie so altbacken und unbelastet von jeder spezifischen Kenntnis der Reformvorhaben daherkommen wie zuletzt bei Thomas Straubhaar in der Welt (14. April 2021)[1] oder bei Patrick Welter in der FAZ (20. April 2021)[2].

Ich möchte die Kritik an dieser Stelle trotzdem ernstnehmen und argumentieren, dass die nun geplante Mindeststeuer eine notwendige Korrektur des geltenden Steuersystems ist, die den Standortwettbewerb in seiner produktiven Form erst ermöglicht.

Ob Standortwettbewerb mit Steuern und staatlichen Dienstleistungen Fluch oder Segen ist, ist umstritten. In der ökonomischen Theorie lassen sich drei grundsätzliche Argumente für und wider den Steuerwettbewerb identifizieren.

Erstens: Kaum jemand bezweifelt die wohlfahrtssteigernde Wirkung des Wettbewerbs auf Konsumgütermärkten – warum sollte es beim Wettbewerb zwischen Staaten anders sein? Wenn Staaten keine Sorge davor haben müssen, dass ihnen Haushalte und Unternehmen davonlaufen, werden sie nachlässig. Mobilität von Steuerzahler:innen bzw. allgemein der Bemessungsgrundlage zwingt den Staat also, effizient zu wirtschaften und Politik im Sinne seiner Bürger:innen zu machen. Der Wettbewerb hat also einen Disziplinierungseffekt.

Zweitens: Selbst wenn der Staat guten Willens ist, kann er nicht genau wissen, was „gute“ Politik ist. Wenn Kommunen, Regionen oder ganze Staaten im Wettstreit liegen, können sie voneinander lernen: der Föderalismus als Labor – gute Politik lockt Haushalte und Unternehmen an. Selbst in der Corona-Krise kommt dieses Argument zum Tragen: Der Föderalismus erlaubt es, unterschiedliche und innovative Maßnahmen regional auszutesten – sodass alle anderen davon lernen können. Der Wettbewerb hat also einen Lerneffekt.

Drittens: Gute Politik kann es notwendig machen, mobile Haushalte, Produktionsfaktoren oder Unternehmen zu besteuern, und das Aufkommen zur Finanzierung staatlicher Dienstleistungen oder Transfers zu nutzen, die eher den Immobilen zugutekommen. Die Mobilität beschränkt die Möglichkeiten des Staates, Aufkommen zu erzielen. Im Extremfall führt der Steuerwettbewerb zu einer Erodierung der Staatsfinanzen. Der Wettbewerb hat also einen Beschränkungseffekt.

Je nach Perspektive ist Standortwettbewerb also hilfreich oder schädlich. Alle drei Effekte sind theoretisch konsistent und durch empirische Evidenz gestützt. Je nachdem, wie man die Rolle des Staates einschätzt und die empirische Evidenz der drei Effekte gewichtet, kann man also zu unterschiedlichem Urteil kommen.

Hier kommt nun ein Aber. Der Standortwettbewerb, wie wir ihn zurzeit beobachten, hat kaum etwas mit dem Wettbewerb zu tun, der einen Disziplinierungs- oder einen Lerneffekt haben kann.

Der real existierende Standortwettbewerb ist pervertiert. Unternehmen nutzen die Infrastruktur eines Landes, seine Transportwege, sein Rechtssystem, seine gut ausgebildeten Arbeitnehmer:innen, verbuchen ihr Gewinneinkommen aber in Niedrigsteuerstandorten und Steueroasen, in denen kaum Produktion stattfindet. Neuere Schätzungen gehen von mehr als 600 Mrd. US-Dollar an Gewinnen aus, die in Steueroasen verbucht werden. Ähnliches lässt sich bei einer kleinen Gruppe von Superreichen beobachten, die in luxuriösen Apartments und Penthouses in New York, London oder Berlin leben, ihr Einkommen aber über Schein- und Briefkastenfirmen unversteuert in Sicherheit bringen. Empirische Studien taxieren das in Steueroasen angelegte Vermögen auf mehrere Billionen US-Dollar – das meiste davon unangemeldet.

Für diese Unternehmen und diese Superreichen bietet der Standortwettbewerb das Beste beider Welten: die Vorzüge hochgerüsteter Produktionsstandorte bzw. vibrierender Metropolen und die Anonymität und Nullsteuerbelastung kleiner Inselstaaten.

Damit Standortwettbewerb seine Vorzüge, nämlich den Disziplinierungs- und den Lerneffekt entfalten kann, ist aber entscheidend, dass mobile Haushalte oder Unternehmen dort Steuern zahlen, wo sie staatliche Angebote nutzen. „Gutes“ Regierungshandeln muss sich für den Staat und seine Bürger:innen lohnen. Dazu müssen sich lohnende Investitionen in Infrastruktur, Ausbildung etc. mittelfristig in höherer steuerlicher Bemessungsgrundlage niederschlagen.

Die Mindeststeuer sorgt für mehr Kongruenz von staatlichen Leistungen und Steuerzahlungen, indem sie den Anreiz für Unternehmen senkt, so viel Gewinn wie möglich außer Landes zu schaffen. Der Aufwand, immer neue Schlupflöcher und Steuersparmodelle zu finden, hat mittlerweile groteske Ausmaße angenommen – und er ist aus volkswirtschaftlicher Sicht reine Verschwendung.

Die Mindeststeuer wird diesen Aufwand reduzieren und damit gesamtwirtschaftlich Kosten reduzieren. Sie hebelt dabei den Standortwettbewerb keinesfalls aus. Sie beseitigt nur die Option, im Wettbewerb der Kleinststaaten auf jegliche Steuerzahlungen zu verzichten. Sie beschneidet also den Wettbewerb mit sehr niedrigen Steuersätzen, lässt aber andere Instrumente des Standortwettbewerbs unangetastet. Niedrigsteuerstandorte, die nun nicht mehr mit geringen Steuerlasten werben können, haben immer noch das Rechtssystem, die Infrastruktur, effiziente und schnelle Verwaltungen etc. als mögliche Vorzüge zur Hand. Für einige Staaten, die nicht nur durch Verzicht auf Steuern glänzen, könnte dies also durchaus einen Vorteil haben – denn schließlich suchen sich Unternehmen, die sowieso 10 Prozent auf ihren Gewinn zahlen müssen, auch einen Gegenwert für ihre Steuerzahlung.

Die Mindeststeuer ist damit ein erster wichtiger Schritt zurück zu einer Welt, in der Standorte um den Status als attraktive Produktionsumgebung konkurrieren. Besonders erfolgreiche Standorte können höhere Steuersätze nehmen, Standorte an der Peripherie können mit niedrigeren Steuersätzen ihre Nachteile teilweise kompensieren. Das ist sinnvoller Wettbewerb, der produktivitätssteigernd ist und allen Standorten eine Chance lässt.

Die Mindeststeuer reduziert nicht die Intensität des Wettbewerbs, sie ändert seinen Modus. Mit der Mindeststeuer wird der Wettbewerb der Produktionsstandorte wieder wichtiger und, ja, eventuell auch intensiver. Und dann gibt es auch wieder einen echten Dissens zwischen den Anhänger:innen des Disziplinierungs- und Lerneffekts und denen des Beschränkungseffekts.

 

Prof. Dr. Johanns Becker

 

[1] https://www.welt.de/wirtschaft/article230236589/Die-Google-Steuer-ist-ein-teurer-Weg-die-Schwachen-zu-belasten.html?cid=socialmedia.twitter.shared.web

[2] https://blogs.faz.net/fazit/2021/04/20/wider-die-steuertyrannei-12170/