Die Globalisierung kann und sollte man nicht zurückdrehen
Grenzen wurden geschlossen, Verkehrsverbindungen gekappt, Länder abgeriegelt. Die Corona-Krise hat die Verwundbarkeit internationaler Lieferketten vor Augen geführt. Also ist es doch besser, wieder möglichst viel selbst zu produzieren, anstatt auf internationale Arbeitsteilung zu setzen? Ist das die Konsequenz aus Corona? – Die Antwort klingt einfach, ist aber falsch. Deutschlands Wohlstand basiert vor allem auf internationaler Arbeitsteilung, wie ein Gutachten des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel im Auftrag der IMPULS-Stiftung des VDMA eindrucksvoll zeigt.
Auswirkungen von Abschottung
Für das Gutachten im Auftrag der IMPULS-Stiftung des VDMA haben die Wissenschaftler des IfW Kiel vier Szenarien durchgespielt, in denen die EU bzw. Deutschland durch den Einsatz sogenannter nicht-tarifärer Handelshemmnisse (z.B. Importquoten, Importverbote oder Subventionierung heimischer Anbieter) ausländischen Zulieferern den Marktzugang erschweren, um damit eine Rückverlagerung ausländischer Wertschöpfungsschritte zu erreichen. Berechnungsgrundlage ist die Annahme, dass Deutschland bzw. die EU diese Hürden verdoppelt. Eine solche Abschottung würde den Berechnungen zufolge in Deutschland zu einem Rückgang des Realeinkommens um jährlich 3,3 Prozent führen. Gemessen am deutschen Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2019 läge das Einkommen somit um 114 Milliarden Euro tiefer.
Kommt es zu einem Handelskrieg und das Ausland reagiert erwartungsgemäß mit Vergeltungsmaßnahmen, sinkt das Einkommen sogar um 6,9 Prozent. Schottet sich Deutschland sogar auch gegenüber den anderen EU-Staaten ab, liegt das Bruttoinlandsprodukt dauerhaft Jahr für Jahr um 9,1 Prozent unterhalb des Niveaus ohne zusätzliche Handelshemmnisse. Bereits die Einführung von Handelshemmnissen nur für den Bereich der Medizinprodukte ist mit einem Verlust des Realeinkommens von 0,2 Prozent verbunden.
Auch im Rest der EU und weltweit sinkt das Einkommen in allen vier Fällen. Besonders deutlich im Falle von Vergeltungsmaßnahmen. Dann reduziert sich das Realeinkommen in der EU (ohne Deutschland) um durchschnittlich 4,9 Prozent, weltweit um 1,5 Prozent.
Maschinenbau unter den Verlierern
Der Maschinenbau in Deutschland bezieht knapp 43 Prozent seiner Vorprodukte entweder direkt oder indirekt aus dem Ausland. Aufgrund dieser starken internationalen Verflechtung würde er überproportional unter einer Abschottung leiden, rund drei Mal stärker als die deutsche Wirtschaft im Durchschnitt. Seine Produktion geht jährlich um 14,3 Prozent zurück, wenn sich die EU abschottet, und um 19,5 Prozent, wenn das Ausland mit Vergeltungsmaßnahmen reagiert. Dies entspräche einem Umsatzverlust von rund 50 Milliarden Euro. Schottet sich Deutschland auch einseitig gegenüber der EU ab, sinkt die Produktion im Maschinenbau um 25 Prozent, dies entspricht gut 60 Milliarden Euro weniger Umsatz.
Verwerfungen jenseits der Wirtschaft
Die genannten Zahlen zeigen deutlich: Die deutsche Volkswirtschaft verliert, wenn wir versuchen, die Globalisierung zurückzudrehen. Das Geschäftsmodell Deutschlands im Allgemeinen und des Maschinenbaus im Besonderen beruht auf offenen Grenzen, Austausch und Vernetzung. Dies sind die Erfolgsgaranten, die wir bewahren müssen, für unsere Technologieführerschaft und globalen Markterfolge. Ohne internationale Arbeitsteilung sind am Ende alle Handelspartner ärmer und das Einkommen, das wir verteilen können, wird kleiner. Schwächeres Wachstum trifft auch Personen, die Sozialleistungen oder staatliche Transfers beziehen wie Rente, Arbeitslosengeld oder Kindergeld. Auch im Gesundheitssystem müsste vermutlich gespart werden
Zwar könnte eine Abschottung Deutschlands und der EU die Folgen eines Produktionsschocks in Zulieferländern, wie er durch die Coronakrise verursacht wurde, leicht abmildern und die Wirtschaft würde womöglich etwas weniger stark einbrechen. Allerdings von einem deutlich geringeren Niveau aus. Im Ergebnis stünde eine abgeschottete deutsche Wirtschaft auch nach einem Schock wesentlich schlechter da als bei freiem Handel.
Freihandel reduziert Risiko
Darüber hinaus existieren in einer Regionalwirtschaft weniger Anpassungsmöglichkeiten, sodass ebenso denkbare inländische Schocks auf die heimische Wirtschaft größere negative Effekte auf die Wohlfahrt haben als bei internationaler Diversifizierung durch Freihandel. Außerdem kann auch in einer Regionalwirtschaft nicht jedes Gut lokal produziert werden. Abhängigkeiten von einzelnen Vorprodukten und Rohstoffen bleiben daher ebenfalls in einer Welt des begrenzten Handels bestehen.
Die Kieler Studie unterstreicht: Mehr Eigenproduktion ist nicht die bessere Alternative zu internationaler Arbeitsteilung. Zielführender wäre es, die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft durch stärkere Diversifizierung im Hinblick auf Zulieferer und vermehrte Lagerhaltung zu verbessern. Eine gemeinsame Strategie auf EU-Ebene kann dazu beitragen, die Kosten einzelner Länder bei der Lagerhaltung zu reduzieren. Der erweiterte Einsatz von Recycling reduziert die Rohstoffabhängigkeit und ist gleichzeitig aus umweltpolitischer Sicht zu empfehlen. Auch neue Technologien wie der 3D-Druck können dazu beitragen, Lieferketten krisenfester zu machen und die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.
Um möglichst effektiv und kostengünstig diversifizieren zu können, spricht sich die Studie generell für eine verstärkte internationale Zusammenarbeit und ein Abbau von Handelsbarrieren durch Freihandelsabkommen aus. Mit anderen Worten: Schwächen, die die internationale Arbeitsteilung haben mag, sind am besten durch eine Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung zu begegnen.
Henrik Schunk