Staatsschulden: Warum machen wir es nicht wie bei der Geldpolitik? – Ein Gedanke

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Prof. Dr. Rüdiger Bachmann Professor für VWL an der University of Notre Dame
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Und wieder ist die Schuldenbremse in aller Munde. Konservativ-liberale Ökonomen wollen sie eher heute als morgen wieder zur Anwendung bringen, progressiv-linke Ökonomen würden sie gerne weiterentwickeln oder am liebsten ganz abschaffen. Dabei kann man festhalten: die Schuldenbremse ist besser als ihr Ruf.

Während der Pandemie hat sie sich als ausreichend flexibel erwiesen, weil man sie aussetzen konnte, so dass der Staat in der Lage war, die notwendigen epidemiologischen Maßnahmen durchzuführen sowie die nötigen ökonomischen Rettungspakete zu schnüren. Nebenbemerkung: die rein ideologisch-politische und rechtlich irrelevante Schwarze Null ist einfach schlechte Ökonomik und unseriöse Wirtschaftspolitik, sie bleibt hoffentlich begraben.

Da man die Schuldenbremse, weil mit Verfassungsrang, aber wohl nicht so bald wieder loswerden wird, hat man sich auf der pragmatischen Linken zwei Strategien überlegt, um mit ihr angesichts der Sorge um eine zu schnelle Bremsung des Post-Covid Aufschwungs bzw. um den Erfolg des anstehenden klimapolitischen und infrastrukturellen Transformationsprozesses umzugehen: (1) man schafft es in einem politischen Großkonsens die erneute Anwendung der Schuldenbremse noch ein paar Jahre parlamentarisch hinauszuzögern; (2) oder man ergänzt die Schuldenbremse um eine Investitionsregel in der Verfassung. Beide Ideen sind kritisch zu sehen.

Die erste Vorgehensweise ist mit politischer und verfassungsrechtlicher Unsicherheit behaftet, denn politische Winde können sich drehen und Klagen beim Bundesverfassungsgericht immer eingereicht werden. „Durchwursteln“ ist hier unangemessen. Dies gälte auch für eine verstärkte Nutzung von Finanzierungsvehikeln außerhalb regulärer Haushalte, über die mancher in Berlin allzu eifrig nachdenkt.

Aber auch die zweite Vorgehensweise ist letztlich nicht praktikabel. Was genau ist eine Investition? In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung gibt es zwar eine pragmatische Definition, aber auch die wirft Fragen auf: Warum gelten von privaten Haushalten gekaufte Autos nicht als gesamtwirtschaftlicher Kapitalstock und somit deren Autokäufe nicht als Investitionen, Häuser aber schon?

Investitionen in nichtphysische Anlagegüter, etwa Software und Patente, werden in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung noch gar nicht so lange zu den Investitionen gezählt. Bei staatlichen Investitionen wird es noch einmal problematischer: Selbst wenn aus einer Staatsausgabe ein physischer Gegenstand resultiert, folgt daraus nicht, dass der für den Staat auch veräußerbar wäre. Warum ein Hörsaalbau eine (gute) staatliche Investition sein soll, das komplementäre Gehalt des darin lehrenden Professors aber (schlechter) Staatskonsum, ist letztlich nicht nachvollziehbar. Und warum sollten etwa Sozialausgaben nicht Investitionen in den sozialen Frieden sein? Die ökonomische Theorie entscheidet zwischen Investitions- und Konsumcharakter eines Gutes kontextuell und in Abhängigkeit vom jeweiligen Erkenntnisinteresse. Das ist der Wirtschaftspolitik aber nicht möglich. Eine saubere, für die Wirtschaftspolitik brauchbare und hinreichend kontextlose juristische Definition, die dann auch noch einigermaßen politisch manipulationsfrei wäre, ist nicht durchführbar.

Die Schuldenbremse basiert zunächst einmal auf einer richtigen politökonomischen Einsicht, dass nämlich ein sich nicht selbstbindendes Parlament zu sehr Fiskalpolitik für die Gegenwart und auf Kosten der Zukunft betreibt. Die Schuldenbremse will, wie Odysseus, der sich selbst an den Mast bindet, gerade diese Selbstbindung gewährleisten.

Auf der anderen Seite hat die Schuldenbremse mit einer im Prinzip fixen Prozentzahl für das jährliche Defizit einen schweren Konstruktionsfehler: Sie reagiert nicht auf Marktsignale und ist damit zu starr. Sie verstößt damit gegen das Prinzip der Zustandsabhängigkeit guter Wirtschaftspolitik. Wer immer und überall nur eine wirtschaftspolitische Maßnahme kennt, betreibt keine seriöse Wirtschaftspolitik. Ob Staatsschulden tragfähig sind, hängt wesentlich von den (prognostizierten) nominalen Zinsen im Verhältnis zum (prognostizierten) nominalen Wachstum ab. Sind und bleiben die Zinsen niedrig, sind mehr Staatsschulden möglich, aus denen eine Volkswirtschaft herauswachsen kann.

Das ist genau der Unterschied zur schwäbischen Hausfrau: Staaten leben im Prinzip ewig (und wenn sie untergehen, dann gibt es in der Regel andere Probleme als Staatsschulden). Darüber hinaus stellen die Schulden eines Staates mit guter Bonität eine hochliquide und sichere Sparform für den privaten Sektor dar, die dieser nicht selbst bereitstellen stellen kann, so dass die optimale Staatsschuld niemals Null ist.

Umgekehrt gilt: bei hohen Zinsen kann eine Volkswirtschaft nicht so ohne weiteres aus den Schulden herauswachsen und die Schulden, die heute aufgenommen werden, lasten auf zukünftigen Generationen in Form von höheren Steuern oder höherer Inflation. Es bleibt festzuhalten: Staatsschulden sind Werkzeuge und stellen a priori weder gute noch schlechte Wirtschaftspolitik dar, es kommt auf die Lage an. Zwar hat die gegenwärtige Ausgestaltung der Schuldenbremse eine gewisse eingebaute Zustandsabhängigkeit, indem sie eben, wie geschehen, bei Ausnahmesituationen ausgesetzt werden kann. Aber diese Zustandsabhängigkeit ist grob und sie zeigt eine weitere politische Schwäche der Schuldenbremse an: was wäre wenn, wie etwa in den USA, das politische System auch in Deutschland so dysfunktional würde, dass eine entsprechend alles blockierende parlamentarische Sperrminorität entstünde?

Was also tun? Es stellt sich heraus, dass wir ein ähnliches politökonomisches Problem schon einmal erfolgreich gelöst haben, und zwar mit unabhängigen Zentralbanken in der Geldpolitik und damit der Normalform der Stabilisierungspolitik. Auch hier ging es um eine Selbstbindung der Politik gegenüber der Versuchung, etwa vor Wahlen, die Wirtschaft zu stimulieren und zu inflationieren, gerade wenn die Wirtschaftssubjekte nicht damit rechnen. Faktisch wird Geldpolitik heute als marktflexible Regelbindung betrieben. Gute Geldpolitik setzt Zinsen in Reaktion auf makroökonomische Bedingungen und Erwartungen.

Dies könnte man anstelle der starren Schuldenbremse auch in der Fiskalpolitik erreichen, und zwar durch eine unabhängige Schuldenkommission, die, wie die Geldpolitik den Leitzins, jedes Jahr die Höhe des Budgetdefizits sowie dessen wahrscheinlichen Pfad in der Zukunft in Reaktion auf die Marktsignale festlegen würde. Rechtshygienisch hätte man damit das Unding einer starren quantitativen Regel im Grundgesetz beseitigt; stattdessen stünde dort ein Auftrag: Finanzpolitische Spielräume eröffnen und Tragfähigkeit der deutschen Staatsschulden gewährleisten (im Zuge einer weiteren Europäisierung der Fiskalpolitik könnte man diese Aufgabe ähnlich wie bei der Geldpolitik auch auf die supranationale Ebene übertragen). Ähnlich wie die Zentralbanken bekäme die Schuldenkommission einen wissenschaftlichen Stab, der die Fiskalpolitik auf ähnlich rationale Grundlagen stellen könnte, wie es bei der Geldpolitik schon heute der Fall ist.

Der Rest der Fiskalpolitik, Steuern – wie hoch und was besteuert – sowie Staatsausgaben – wie hoch und für was –, lägen wie bisher beim Parlament, nur dass die zusätzliche Nebenbedingung gälte, das nun flexibler vorgegebene Budgetdefizit einzuhalten. Man beachte, dass diese Lösung einigermaßen politisch neutral ist: Eine progressiv-linke Regierung könnte erhöhte Schuldenspielräume für höhere Staatsausgaben verwenden; eine konservativ-liberale Regierung zu Steuersenkungen. Der Wähler soll entscheiden. Die Mitglieder der Schuldenkommission hätten lange, feste, aber nicht erneuerbare Amtszeiten. Der Auswahlprozess wäre soweit wie möglich dem politischen Raum zu entziehen. Einen Unterschied zur Geldpolitik gäbe es allerdings: das Parlament, um es im Letzten nicht seines Königsrechts zu berauben, könnte die Vorgabe der unabhängigen Schuldenkommission, etwa mit einer qualifizierten Mehrheit, überstimmen, müsste sich damit aber in besonderem Maße vor dem Souverän rechtfertigen.

 

Prof. Dr. Rüdiger Bachmann