Wie aus Klimaschutz gute Jobs werden, zeigt sich in Duisburg

Wer Stahl für eine Industrie des 19. Jahrhunderts hält, irrt. Gewaltig sogar. Stahl ist ein Träger für Zukunftstechnologien: für digitale Produktionsprozesse, für Rohstoffkreisläufe und selbstverständlich für Wasserstofftechnologie.

Aus Stahl wird Fortschritt gemacht – und er wird in Duisburg gemacht. Ohne das Wissen und das Können der Ingenieurinnen und Facharbeiter in Duisburg wird Deutschland seine ökologischen Transformationsziele nicht erreichen. Sorry, liebe Leute in Berlin, München oder Frankfurt:  It´s up to Duisburg. If we can make it there, we`ll make it anywhere.

Stahl ist der Test für die Zukunftsfähigkeit der deutschen Industrie.

Wollen wir ihn bestehen, braucht Deutschland eine neue, eine aktive Industriepolitik: mit öffentlichen Investitionen in Wasserstoffproduktion und -leitungen, mit strategischen Unternehmensbeteiligungen und nicht zuletzt mit staatlichen Entwicklungszentren an den Industriestandorten.

Fortschritt gibt es nicht für umsonst.

Thomas Kutschaty, der SPD-Vorsitzende in NRW, sagt es immer wieder: „Industriearbeiter und die Schülerinnen von Schüler von Friday-for-Future können gemeinsam demonstrieren gehen. Sie stehen auf einer Seite.“ Recht hat er. Denn sie haben die gleichen Interessen: Die Beschäftigten wollen Klimaschutz. Und die Schülerinnen und Schüler wollen gute Jobs. Die Stahlindustrie kann zeigen, wie beides möglich wird. Klimaschutz schafft die Arbeit von morgen. Denn Stahl ist ein wachsender Markt. Die OECD schätzt, dass der weltweite Bedarf an (klimaneutralen) Rohstahlprodukten bis 2050 um mehr als die Hälfte steigen wird. Wer wird das Geschäft machen? Wo wird die Wertschöpfung entstehen? Wer bekommt die Jobs?

Wenn wir jetzt mutige Entscheidungen treffen, dann werden nicht nur China oder Indien die Profiteure sein, sondern eben auch Deutschland. Moderner Stahl ist der Nukleus, in dem neue Technologien zur Anwendung kommen, die schließlich auch zu Technologieführerschaften in ganz anderen Branchen führen werden. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Industrie und Produzierendem Gewerbe können die Gewinner des Wandels sein.

Doch zunächst müssen wir uns über die Herausforderung im Klaren sein: Knapp 200 Millionen Tonnen CO2 hat die Industrie in Deutschland im Jahr 2019 ausgestoßen – 2,5 Prozent der bundesweiten Kohlendioxid-Emissionen stammen alleine aus den Hochöfen des Thyssenkrupp-Stahlstandortes Duisburg. Zum Vergleich: Wenn alle Menschen in Deutschland auf Fleisch verzichteten, würden nur ca. 37 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Ein bewusster, klimafreundlicher Konsum ist zu begrüßen, aber die wichtigste und entscheidendste Maßnahme im Kampf gegen den Klimawandel ist die Umstellung auf eine CO2-arme Industrie.

Der Vergleich zeigt zudem, dass die Lenkungswirkung eines höheren CO2-Preises derzeit völlig überschätzt wird. Ein hoher CO2-Preis wird erst dann zu geringeren Emissionen führen, wenn es auch Konsum- und Produktionsalternativen gibt. Ohne massive Investitionen, z. B. in klimafreundliche Mobilität oder eine Wasserstoffinfrastruktur, wirkt ein hoher CO2-Preis nur wie eine versteckte Mehrwertsteuererhöhung bzw. wie eine Strafsteuer auf Industriearbeitsplätze. Der Ökonom Tom Krebs bringt das Problem auf den Punkt: „Das Ergebnis einer solchen Politik ist am Ende für alle enttäuschend: Die Klimaziele werden verfehlt und die Industrie ist ins nicht-europäische Ausland abgewandert.“

CO2-Bepreisung ohne öffentliche Investitionen in Alternativen ist im Grund nichts anderes als ein De-Industrialisierungsprogramm.

Die SPD wird das verhindern.

Denn machen wir uns nichts vor: Sollten die deutschen Stahlwerke aufgrund einer verfehlten schwarz-gelb-grünen Industriepolitik zu Industriemuseen verkommen, würden trotzdem weiterhin Autos und Flugzeuge gebaut werden. Die Konkurrenz in Asien und den USA könnte ihr Glück kaum fassen. Sie würde unsere Stelle einnehmen  – allerdings unter umweltschädlicheren Bedingungen. In Deutschland fallen je produzierte Tonne Stahl 1,5 Tonnen CO2 an; in China hingegen 1,8 Tonnen.

Im Ruhrgebiet ist die Stahlindustrie schon auf einem guten Weg, die Treibhausgase weiter zu reduzieren – mit Aussicht auf eine komplett CO2-neutrale Produktion. Bei einem erfolgreichen Pilotprojekt bei Thyssenkrupp am Standort Duisburg-Hamborn wurde in einem Hochofen zusätzlich zur CO2-erzeugenden Kokskohle auch Wasserstoff als Reduktionsmittel eingesetzt. Bis 2030 will ThyssenKrupp die Treibhausgase bei seiner Stahlherstellung um 30 Prozent reduzieren. Und bis 2050 soll die Stahlproduktion sogar komplett klimaneutral sein. Nirgendwo sonst kann Wasserstoff mit einem größeren Klimaschutzeffekt eingesetzt werden als in der Stahlbranche: Durch den Einsatz von einer Tonne Wasserstoff können 25 Tonnen CO2 vermieden werden.

Damit dieser Technologievorsprung auch zu einer marktreifen Technologieführerschaft – und damit zu mehr Jobs durch Klimaschutz – führt, braucht es die neue Industriepolitik, von der oben schon die Rede war. Der Kern einer solchen Politik ist die öffentliche (Anschub-)Finanzierung der Produktion, Verteilung und Anwendung von grünem Wasserstoff. Ohne eine solche – staatlich finanzierte – Infrastruktur wird Deutschland seine Klimaziele verfehlen. Der Markt allein wird sie nicht schaffen. Dazu fehlt es an Kapital, an Planungssicherheit und eben auch an Zeit.

Was ist zu tun? Die Erneuerbaren Energien müssen massiv ausgebaut werden. Allein für die Umstellung auf eine klimaneutrale Stahlproduktion werden ca. 130 Terrawattstunden Strom aus erneuerbaren Energien benötigt. Das entspricht etwa 12.000 Windrädern. 2020 wurden in NRW ganze 92 solcher Windräder neu gebaut. Deutschland allein wird seinen Bedarf aber nicht aus eigener Kraft decken können. Deshalb muss ein europäisches Verteilungsnetz für grünen Wasserstoff aufgebaut werden (vom sonnenreichen Südeuropa nach Nord- und Mitteleuropa), das von öffentlichen Unternehmen betrieben wird. Solange grüner Wasserstoff knapp und teuer ist, sollte in der derzeitigen Transformationsphase auch blauer Wasserstoff als Übergangstechnologie verwendet werden. Bei der Produktion von blauem Wasserstoff entsteht zwar CO2, aber dieses CO2 wird gespeichert oder genutzt und nicht ungenutzt in die Atmosphäre abgegeben.

Die langfristigen Perspektiven sind gut: Laut einer Studie von Bloomberg NEF aus diesem Jahr wird grüner Wasserstoff bis 2050 um 85 Prozent günstiger sein als jetzt. Der Preis könnte dann bei unter einem US-Dollar pro Kilogramm liegen. Denn grüner Strom wird durch eine stärker automatisierte Fertigung und eine bessere Technik in Zukunft günstiger werden.

Der Umbau von industriellen Produktionsanlagen, wie z. B. der Ersatz von Kokskohle durch Wasserstoff in Hochöfen, muss ferner durch Klimaverträge, sogenannte „Contracts for Difference“ (Vertrag zwischen Staat und Unternehmen über einen Ausgleich von höheren Kosten bei CO2-armer Produktion), und direkten Investitionen unterstützt und am Besten durch staatliche Beteiligungen abgesichert werden. Das gibt den Unternehmen Sicherheit auf der Eigentümerseite und schützt die Arbeitsplätze vor feindlichen Übernahmen in den Übergangsphasen. Wir alle erinnern uns an die Attacken eines Investors wie Cevian bei ThyssenKrupp, der das Management über Jahre vor sich her trieb. Eine öffentliche Beteiligung verhindert zudem, dass die Gewinne des Umbaus privatisiert und seine Kosten sozialisiert werden. Anders als bei schlichten Subventionen kann der Staat seine Beteiligungen später mit Gewinn wieder verkaufen.

Schließlich gehört auch eine stärkere Forschungsförderung zu einer neuen, aktiven Industriepolitik. Wie können Anlagen zur Elektrolyse – dem Verfahren, in dem durch Strom Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird – entwickelt werden, die den Wasserstoff umweltfreundlich, effizient und kostengünstig produzieren? Können die vorhandenen Erdgaspipelines für den Transport von Wasserstoff genutzt werden? Was für zusätzliche Infrastruktur ist notwendig? Auf diese und weitere Fragen müssen Antworten gefunden werden. Und zwar am besten dort, wo sie gebraucht werden.

Das neue „Innovations- und Technologiezentrum Wasserstofftechnologie für Mobilitätsanwendungen (ITZ)“ muss nach Duisburg kommen.

Mit Europas größtem Stahlstandort, der Industriebranche mit der größten Hebelwirkung für die Wasserstoff-Technologie, sowie der Universität Duisburg-Essen und ihrem Zentrum für Brennstoffzellen-Technik ist Duisburg der ideale Standort. Hier wollen wir Industrie und Forschung zusammenbringen, damit aus Klimaschutz erst Technologieführerschaft und dann gute Jobs entstehen.

So wird Fortschritt gemacht.

 

Sarah Philipp