Das Ruhrgebiet, und damit auch meine Heimat Gelsenkirchen, lebt seit über 100 Jahren in einer Phase der Veränderungen. So wurde Gelsenkirchen von einem ländlichen Dorf zu einer Stadt im industriellen Herzen Deutschlands. Zuletzt wandelte sich das ganze vom Steinkohlebergbau geprägte Gebiet um Rhein und Ruhr zur Zukunftsregion. Wir haben seit der Zeit der großen Zechenschließungen viel getan, um die Facharbeiterinnen und Facharbeiter in der Region zu halten, Know-How zu bewahren und eine Region mit Perspektiven für moderne Industriearbeitsplätze zu entwickeln.
Das beschlossene Ende der Kohleverstromung bedeutet gerade für das Ruhrgebiet erneut eine große Veränderung. In Gelsenkirchen befindet sich mit Scholven ein großes Kraftwerk – das auch in Europa zu den größten Steinkohlekraftwerken gehört.
Die Transformation der Energiewirtschaft
Das Kraftwerk Scholven wird vorerst auf Gas umgestellt und damit weiterhin ein wichtiger industrieller Standort in der Region bleiben. Es ist aber auch ein gutes Beispiel für die Verbundwirtschaft, die das gesamte Ruhrgebiet prägt. Denn Scholven liefert nicht nur Strom für die Region, sondern es produziert zudem Fernwärme und Dampf für die benachbarten Chemiebetriebe. Dazu zählt auch eine der größten Öl-Raffinerien.
Schon aufgrund dieser komplexen Interdependenzen kann es keine Lösung sein, einfach die Steinkohlekraftwerksstandorte zu schließen. Sie sind Teil einer industriellen Kette, weshalb die Kraftwerke entscheidend für die Wertschöpfung sind.
Deshalb muss der Fokus der sozial-ökologischen Transformation in der Industrie, neben der Sicherung von Arbeitsplätzen, darauf liegen, zu erkennen, welchen Wert solche Anlagen für die sozio-ökonomische Stabilität einer Region darstellen. Der Co2-Ausstoß darf nicht das einzige Kriterium sein.
Wasserstoff – Multitalent für die Energiewende
Um Wasserstoff zu gewinnen, muss Wasser (H2O) in seine chemischen Bestandteile Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O) getrennt werden. Ein Verfahren hierzu ist die Elektrolyse. Bei der Elektrolyse wird Wasser mit einer Flüssigkeit angereichert und dann mit Hilfe von Strom in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt.
Dieses Verfahren ist bereits gängige Praxis und wird weiterentwickelt. Auch an der Hochschule in Gelsenkirchen beschäftigt man sich mit Verfahren zur Elektrolyse und hat in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Forschungsvorhaben angestoßen.
Das Problem bei der Elektrolyse bleibt aber der hohe Einsatz von Energie, der notwendig ist, um die Spaltung der Elemente zu erzeugen. Das macht Wasserstoff nicht nur sehr teuer.
Weil viel Energie weiterhin nicht klimaneutral erzeugt wird, ist auch die CO²-Bilanz von Wasserstoff noch relativ schlecht. Zumindest, wenn er mit konventioneller Energie erzeugt wird.
Vom grünen Wasserstoff spricht man, wenn er nur mit erneuerbaren Energien erzeugt worden ist. Beispielsweise mit Windenergie. Was Wasserstoff für die Energiewende so wertvoll macht, ist seine vielfältige Anwendbarkeit. In Raffinerien wird Wasserstoff bereits heute verwendet, um Benzin und Diesel zu entschwefeln und damit umweltfreundlicher zu machen. Künftig soll er Strom aus erneuerbaren Energien in Bereiche bringen, in denen eine direkte Stromanwendung nicht möglich ist – etwa den Schwerlast- und Schiffsverkehr. Auch bei der Metallveredelung könnte er eine wichtige Rolle spielen, wenn wir es schaffen, grünen Wasserstoff in ausreichenden Mengen zu produzieren und über Pipelines zu den Betrieben zu bringen.
In allen diesen Bereichen kann Wasserstoff dazu beitragen Treibhausgasemissionen zu verringern und damit einen wesentlichen Part für die Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens übernehmen. Wichtig hierfür ist jedoch nicht nur die breite Anwendung von Wasserstoff, sondern auch seine Produktion aus erneuerbaren Energien. Denn Wasserstoff kann sowohl aus fossilen Brennstoffen oder aus der Elektrolyse von Wasser mittels erneuerbaren Energien hergestellt werden. Um die Klimaziele zu erreichen, ist es deshalb wichtig, den sogenannten grünen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien zu fördern.
Neue Perspektiven Wasserstoff
Wie bereits erwähnt, stehen wir vor der zukunftsentscheidenden Frage, wie eine moderne und sozial-ökologische Industrie aussehen kann. Die Nutzung von -grünem- Wasserstoff, dessen Markthochlauf enorme Möglichkeiten für Wirtschaft und Beschäftigung bietet, wird eine Antwort darauf sein. Insbesondere die weitläufigen Industrieflächen der Kraftwerkstandorte haben ein großes Potential, um zum Herzen eines Entwicklungsstandortes für Wasserstoff zu werden. Erste Schritte sind längst unternommen. Zukünftig wird grüner Strom aus den Windanlagen der Nordsee bis an die Grenze des Ruhrgebiets geliefert, was eine erste wichtige Voraussetzung für die Produktion von grünem Wasserstoff vor Ort ist.
Doch Wasserstoff muss nicht nur produziert werden, sondern braucht für die industrielle Anwendung neben Verbrauchern auch eine ausgebaute Infrastruktur für den Transport. Beides ist in der Region bereits vorhanden. Aufgrund des Traditionsstandorts Ruhr existieren bereits seit Langem Pipelines für den Transport. Zudem sind in der Region eine ganze Reihe von Verbrauchern aus der Energie- und Chemiewirtschaft ansässig.
Des Weiteren beschäftigen sich bereits seit einiger Zeit Forschungseinrichtungen in der Region mit verschiedenen Aspekten der Nutzung und Herstellung von Wasserstoff. Hierzu zählt auch die Westfälische Hochschule in Gelsenkirchen.
Das Ruhrgebiet wieder stark machen
Angesichts dieser guten Voraussetzungen mangelt es dem Ruhrgebiet nicht an Innovationskraft und Anwendungsbereichen, um die sozio-ökonomische Transformation voranzutreiben. Die SPD hat sich immer an die Seite der Industriearbeiterinnen und Industriearbeiter gestellt und in den vergangenen Jahren viel für den Erhalt der industriellen Arbeitsplätze in der Region getan. Wir müssen den anstehenden Strukturwandel nutzen, um auf diesen Erfolgen aufzubauen. Ein Augenmerk muss hierbei auf der Einbringung der Erfahrung der Facharbeiterinnen und Facharbeiter in die Transformation der Wirtschaft liegen. Diese beruflichen Perspektiven sind es, die die Menschen brauchen, um der Region verbunden zu bleiben.
Für mich steht fest: Wir müssen das Potential des Wasserstoffs nutzen und eine auf ihm beruhende Wirtschaft in unserer Region aufbauen! Denn es ist alles vorhanden: Infrastruktur, Know-How und große industrielle Betriebe. Außerdem haben wir in dieser Legislaturperiode mit dem Strukturstärkungsgesetz und der Wasserstoffstrategie die notwendigen politischen Grundsteine gelegt.
Nun ist es an uns allen, das Ruhrgebiet weiterhin politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich attraktiv zu gestalten, um die Stakeholder in der Region zu halten und gemeinsam in ein neues industrielles Zeitalter zu wachsen.
Markus Töns