Klimaschutz und der moderne Staat

Prof. Dr. Tom Krebs Universität Mannheim
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Nach Jahren des politischen Stillstands bewegt sich etwas in der Klimapolitik. Die EU-Staaten haben bereits letztes Jahr die Klimaneutralität bis 2050 als gemeinsames Ziel ausgerufen. Zudem haben die USA und China während des Klimagipfels am 22. April 2021 relativ ambitionierte Klimaziele formuliert. Damit haben sich die drei größten Volkswirtschaften der Welt zur Klimaneutralität als langfristiges Ziel bekannt. Der Kampf gegen den Klimawandel ist zum Konsens der Weltpolitik geworden.

1. Traditionelle Klimapolitik

Das Ziel ist also gesteckt, aber wie soll es erreicht werden? In der öffentlichen Debatte in Deutschland dominiert ein einfacher Ansatz – die traditionelle Klimapolitik. Dieser Ansatz besagt, dass sich die Politik auf ein Instrument konzentrieren sollte: Eine einheitliche CO2-Bepreisung, die entweder über eine CO2-Steuer oder den Handel von CO2-Zertifikaten implementiert wird (SVR, 2019). Darüber hinaus wird der einheitliche CO2-Preis durch zusätzliche Maßnahmen flankiert: Forschungsförderung und gesetzliche Vorgaben (Ordnungsrecht).

Die traditionelle Klimapolitik ist im Prinzip richtig, aber sie greift zu kurz und läuft deshalb Gefahr zu scheitern. Sie greift zu kurz, weil sie die Lenkungswirkung einer CO2-Bepreisung überschätzt und die politischen Handlungsmöglichkeiten unnötig einengt. Konkret hat die wissenschaftliche Literatur gezeigt, dass die Lenkungswirkung eines CO2-Preises genau in dem Bereich gering ist, der besonders wichtig für eine erfolgreiche Transformation ist: Investitionen in klimafreundliche Zukunftstechnologien, um klimaneutralen technologischen Fortschritt zu schaffen (Lilliestam et al., 2021). Zudem kann dieser Nachteil eines CO2-Preises nicht durch Forschungsförderung allein ausgeglichen werden (Krebs, 2021).

Die traditionelle Klimapolitik läuft Gefahr zu scheitern, weil sie in der Realität einen Widerspruch zwischen Klimaschutz und Wohlstand erzeugt. Wir können zwar die Klimaziele mit einer traditionellen Klimapolitik erreichen, aber der notwendige CO2-Preis wird so hoch sein, dass es zu Unternehmenspleiten und Arbeitsplatzverlusten kommen wird. Dieser Widerspruch wird die Gesellschaft spalten und die Politik wird letztlich zurückrudern müssen. Das Ergebnis einer solchen Politik ist am Ende für alle enttäuschend: Die Klimaziele werden verfehlt und die Industrie ist ins nicht-europäische Ausland abgewandert.

2. Moderne Klimapolitik

Eine moderne Klimapolitik löst den vermeintlichen Widerspruch zwischen Klimaschutz und Wohlstand auf, indem sie den politischen Tunnelblick ablegt und die politischen Handlungsmöglichkeiten erweitert. Eine solche Politik setzt nicht auf die Bestrafung klimaschädlichen Verhaltens durch einen CO2-Preis als zentrales Instrument, sondern unterstützt Menschen und Unternehmen dabei, sich klimafreundlich zu verhalten bzw. auf klimafreundliche Technologien umzusteigen.

Verbleibt die zentrale Frage: Wie sieht eine moderne Klimapolitik aus, die das Erreichen der gesetzten Klimaziele gewährleistet? Eine solche Klimapolitik rückt zwei wirtschaftspolitische Instrumente in den Mittelunkt, die in der öffentlichen Debatte häufig nur eine Nebenrolle spielen: Moderne Infrastruktur- und Industriepolitik. Eine moderne Klimapolitik kann nur mithilfe eines modernen Staates umgesetzt werden, dessen Handeln durch die folgenden zwei wirtschaftspolitischen Prinzipien bestimmt wird.

Zum Ersten schafft der moderne Staat die notwendige Infrastruktur, damit die klimafreundlichen Zukunftsprodukte von den Produktionsstätten zu den Abnehmern transportiert werden können. Beispielsweise erfordert der Aufbau einer wettbewerbsfähigen Wasserstoffwirtschaft in Deutschland neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien den Aufbau eines Netzwerks von Wasserstoffleitungen. Eine solche Infrastrukturpolitik ist eine originäre Aufgabe des modernen Staates, die von der öffentlichen Hand übernommen werden muss und nicht privatisiert werden sollte.

Zum Zweiten betreibt der moderne Staat strategische Industriepolitik, um Planungssicherheit zu schaffen und gezielt die Investitionen in klimafreundliche Zukunftstechnologien anzuschieben. Zum Beispiel kann der Staat durch entsprechende Differenz- bzw. Klimaschutzverträge die Transformation der Industrie beschleunigen und gleichzeitig die Nachfrage nach Wasserstoff stärken. Zudem stimuliert der moderne Staat die Nachfrage nach den klimafreundlichen Zukunftstechnologien, indem er seine eigenen Aktivitäten nach ökologischen Kriterien ausrichtet und bei öffentlichen Ausschreibungen solche Kriterien verwendet. Beispielsweise können staatliche Bahnunternehmen die ökologische Transformation beschleunigen, indem sie klimaschädliche Dieselzüge durch klimafreundliche Alternativen ersetzen.

3. Ein Wasserstoffpaket für Deutschland

In einer Studie für das Forum New Economy wird eine Wasserstoffstrategie für Deutschland entwickelt, die auf diesem modernen Staatsverständnis basiert (Krebs, 2021). Zwei Gründe sprechen dafür, den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in den Mittelpunkt einer zukunftsorientierten Klimapolitik zu rücken.

Erstens ist grüner Wasserstoff – also Wasserstoff produziert auf Basis erneuerbarer Energien (Windenergie, Solarenergie) – neben der Elektrifizierung eine der wesentlichen Säulen einer erfolgreichen Klimastrategie (Agora, 2021). Besonders die Dekarbonisierung der Industrie (Stahl, Chemie, Zement) erfordert die Verwendung großer Mengen Wasserstoffs. Dazu kommt noch der Bedarf an Wasserstoff in der Energiewirtschaft und im Schwertransport. Kurz gesagt: Wasserstoff ist eine klimapolitische Notwendigkeit, weil Deutschland ohne den zügigen Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft die gesetzten Klimaziele verfehlen wird.

Zweitens ist der Aufbau einer international wettbewerbsfähigen Wasserstoffwirtschaft ein geeignetes Mittel, um gut bezahlte Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen und den Wohlstand in Deutschland zu steigern. In der Wasserstofftechnologie liegt ein großes Innovationspotenzial, das die Grundlage für einen ökologisch nachhaltigen Wirtschaftsboom bilden kann. Darüber hinaus ist Deutschland zurzeit noch ein Technologieführer im Wasserstoffbereich und diese gute Ausgangsposition sollte im wirtschaftlichen Wettbewerb mit den USA und China genutzt werden.

Der Kern der entwickelten Wasserstoffstrategie ist ein öffentliches Wasserstoffpaket, das weit über die aktuellen Pläne der Bundesregierung hinausgeht. Die skizzierte Wasserstoffstrategie ist – zusammen mit der Elektrifizierung der Wirtschaft – ein „Jahrhundertprojekt“ vergleichbar mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes in Deutschland im 19. Jahrhundert und dem Raumfahrtprogramm in den USA im 20 Jahrhundert. Ein solches Wasserstoffpaket würde die Wachstumspotenziale der deutschen Wirtschaft erheblich stärken und sich in der langen Frist auch fiskalisch lohnen.

Das vorgeschlagene Wasserstoffpaket besteht aus sechs Maßnahmen und hat ein Finanzvolumen von insgesamt 100 Mrd. Euro bis 2030 (jährlich 10 Mrd. Euro). Dabei betreffen die ersten drei Maßnahmen die Infrastrukturpolitik und die anderen drei Maßnahmen können der Industriepolitik zugeordnet werden. Die sechs Maßnahmen sind:

Maßnahme 1 (insgesamt 25 Mrd. Euro bis 2030): Aufbau eines leistungsfähigen Leitungsnetzwerks zum Transport von Wasserstoff in Deutschland und Europa.

Maßnahme 2 (insgesamt 30 Mrd. Euro bis 2030): Ausbau der Transportinfrastruktur für Offshore-Windenergie mit angeschlossener Wasserstoffproduktion.

Maßnahme 3 (insgesamt 5 Mrd. Euro bis 2030): Stärkung der kommunalen Planungskapazitäten durch Aufstockung der Personaldecke.

Maßnahmen 4 (insgesamt 10 Mrd. Euro bis 2030): Klimaschädliche Dieselzüge durch klimafreundliche Alternativen ersetzen und bei öffentlichen Ausschreibungen ökologische Kriterien verwenden.

Maßnahme 5 (insgesamt 25 Mrd. Euro bis 2030): Die Investitionen der transformierenden Industrien (Stahl, Chemie) in klimafreundliche Anlagen durch innovative Förderkonzepte unterstützen.

Maßnahme 6 (insgesamt 5 Mrd. Euro bis 2030): Forschung und Entwicklung im Wasserstoffbereich durch zielgenaue Förderprogramme unterstützen.

 4. Umsetzung

Die Maßnahmen 1, 2 und 5 erfordern unternehmerisches Handeln und sollten daher mittels öffentlicher Unternehmen durchgeführt werden. Als öffentliche Förderbank ist die KfW in einer ausgezeichneten Position, die Maßnahme 5 mit der damit verbundenen Investitionsförderung umzusetzen. Die Infrastrukturmaßnahmen 1 und 2 könnten von einer neu zu gründenden Wasserstoffgesellschaft des Bundes oder von dem Übertragungsnetzbetreiber TenneT übernommen werden, wobei für die zweite Option der deutsche Staat zuerst eine Mehrheitsbeteiligung an dem niederländischen Staatsunternehmen TenneT erwerben sollte.

Die Umsetzung der Maßnahmen 1, 2 und 5 durch eigenständige öffentliche Unternehmen ist nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern auch finanzpolitisch nützlich. Konkret erfordern diese Maßnahmen aus finanzpolitischer Sicht hauptsächlich die Bereitstellung von zusätzlichem Eigenkapital für die betroffenen öffentlichen Unternehmen (KfW, TenneT oder Wasserstoffgesellschaft). Damit erhöhen sich zwar die Ausgaben im Bundeshaushalt, aber diese Ausgaben werden als finanzielle Transaktionen gebucht und beeinflussen somit nicht die Obergrenze der gemäß Schuldenbremse zulässigen Nettokreditaufnahme. Dementsprechend könnten zusätzliche öffentliche Investitionen im Umfang von circa 80 Mrd. Euro in den Bereichen Wasserstoff und Erneuerbare Energien ohne merkliche Einschränkungen der finanzpolitischen Spielräume umgesetzt werden.

 

Prof. Dr. Tom Krebs

Referenzen

Agora (2021) „Klimaneutrales Deutschland 2045“ Studie der Agora-Energiewende, Agora-Verkehrswende und Stiftung Klimaneutralität in Zusammenarbeit mit Prognos AG, Öko-Institut e.V. und Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH.

Krebs, T. (2021) „Klimaschutz und der moderne Staat: Ein Wasserstoffpaket für Deutschland“ Studie im Auftrag von Forum New Economy

SVR (2019) “Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik“. Sondergutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Lilliestam, J., Patt, A., Bersalli, G. (2021): „The effect of carbon pricing on technological change for full energy decarbonization: A review of empirical ex‐post evidence.” Wiley Interdisciplinary Reviews – Climate Change, 12(1): e681.