Die internationale Arbeitsteilung ist gegenwärtig insbesondere durch ein Streben nach Effizienzmaximierung geprägt. Erzielt wird diese etwa durch Just-in-time-Produktion und die Zusammenarbeit mit dem weltweit günstigsten Zulieferer – Abweichungen von vereinbarten Lieferbeziehungen sind dabei nicht vorgesehen. Wenn es dennoch zu einer Störung kommt, bewirkt das Produktionsstopps und Versorgungsengpässe.
Unterbrechung der Lieferketten hat viele Gründe
In den letzten Jahren gab es zahlreiche Störungen der globalen Lieferketten. Am gravierendsten war zwar ihre Unterbrechung durch die Corona-Pandemie in der ersten Hälfte des Jahres 2020, weil zahlreiche Vorleistungen aus Asien ausblieben. Aber auch vorher gab es spürbare Beeinträchtigungen der globalen Wertschöpfungsnetzwerke.
Beispiele dafür sind der Hurrikan Katrina im Jahr 2005 in den USA, das Erdbeben und der Tsunami im März 2011 in Japan sowie handelspolitisch verursachte Störungen durch Strafzölle, nichttarifäre Handelshemmnisse, Sanktionen und Exportverbote. Ebenfalls zu Unterbrechungen führen politische Unruhen und Terroranschläge sowie jüngst die Blockade des Suezkanals durch das Containerschiff „Ever Given“ im März 2021.
Und auch in Zukunft sind Probleme zu erwarten: Es droht die Zunahme von extremen Wetterereignissen infolge des Klimawandels, insbesondere von starken Flussfluten, die das Risiko der Unterbrechung von Lieferketten weiter steigern. Daher überdenken Unternehmen und Gesellschaft die an maximaler Effizienz orientierte Arbeitsteilung, was zu einer Verkürzung der globalen Wertschöpfungsketten führen kann.
Renationalisierung der Produktion hat einen Preis
Ein erster Reflex auf das temporäre Ausbleiben von importierten Vorleistungen und Endprodukten ist die Forderung nach einer Herstellung der betroffenen Produkte im eigenen Land. Allerdings bedeutet die Rückverlagerung entsprechender Produktionsschritte den Verzicht auf die Kostenvorteile der internationalen Arbeitsteilung. Es kommt zu höheren Produktionskosten und Preisen, die von den einheimischen Verbrauchern bezahlt werden – und deren Kaufkraft und materiellen Wohlstand schmälern.
Alternativ bietet sich eine staatliche Flankierung der Produktion im Inland an. Der Staat kann den inländischen Unternehmen Subventionen zahlen, damit sie ihre Produkte zu geringeren – und damit international wettbewerbsfähigen – Preisen anbieten können. Aber auch das verlangt eine Gegenfinanzierung – diesmal durch die Steuerzahler.
Egal, welche Variante gewählt wird: Irgendjemand muss für den Verzicht auf preiswertere Importe bezahlen – eine geringere Importabhängigkeit hat einen Preis. Dennoch kann die Verringerung von Importen perspektivisch zusätzlich an Bedeutung gewinnen, wenn die negativen externen Effekte, die mit dem Ausstoß von Treibhausgasen verbunden sind, durch höhere CO2-Preise internalisiert werden.
CO2-Preis verringert internationale Arbeitsteilung auf angemessenes Niveau
Ein zentrales Element einer funktionierenden Marktwirtschaft besteht darin, dass wirtschaftliche Akteure alle Kosten ihres Handelns tragen. Dazu gehört, dass die negativen Folgen von Treibhausgasemissionen in den Marktpreisen enthalten sind. Gelingt dies dem Markt nicht, ist ein staatliches Eingreifen erforderlich – z. B. durch eine CO2-Steuer.
Eine adäquate Bepreisung von Treibhausgasemissionen bedeutet, dass nicht nur die Emissionen, die bei der Produktion von Gütern entstehen, mit einem höheren CO2-Preis belegt werden, sondern auch die Emissionen, die beim Transport der Güter anfallen – sei es mit Lkw, Bahn, Flugzeug oder Schiff. Das hat zur Folge, dass sich bestimmte Produktionsverlagerungen im Rahmen der globalen Wertschöpfungsnetzwerke nicht mehr lohnen. Außerdem verlieren einige Importe von Vorleistungen und Endprodukten ihre betriebswirtschaftliche Vorteilhaftigkeit – das Ausmaß der internationalen Arbeitsteilung geht zurück.
Wohlfahrtstheoretisch ist diese Einpreisung der Umweltkosten dennoch ein Muss. Das gilt auch für die Verringerung des Niveaus der grenzüberschreitenden Arbeitsteilung und des daraus resultierenden internationalen Handels.
Was ist zu tun?
Die Kombination aus krisenanfälligen Lieferketten und einer adäquaten Bepreisung von Treibhausgasemissionen dürfte dazu führen, dass die internationale Arbeitsteilung zukünftig abnimmt. Für ein Industrieland wie Deutschland bedeutet das einen Anstieg der Produktionskosten. Um diesen abzudämpfen, bieten sich verschiedene Maßnahmen an:
Erstens: Der verstärkte Einsatz digitaler Technologien – inklusive der systematischen Auswertung von Big Data durch hochwertige KI – trägt dazu bei, dass wirtschaftliche Entscheidungs- und Produktionsprozesse schneller, präziser und zuverlässiger durchgeführt werden können. Damit sinken die Produktionskosten, was den Verzicht auf einige importierte Vorleistungen und Endprodukte leichter macht.
Zweitens: Eine Steigerung der Ressourcenproduktivität und eine Förderung von erneuerbaren Energien verringern den Bedarf an fossilen Energien und anderen Rohstoffen. Damit sinkt die Abhängigkeit von Ressourcenimporten.
Drittens: Die 3D-Drucktechnologie ist eine Möglichkeit, die beiden erstgenannten Aspekte zu vereinen. Bei dieser Technologie werden Materialien zu neuen Produkten verschmolzen, was den Rohstoffverbrauch reduziert. Mit der Produktion vor Ort werden zudem Transportkosten gespart. Die daraus resultierenden Kosteneinsparungen können den Verzicht auf Importe zu einer betriebswirtschaftlich sinnvollen Entscheidung werden lassen. Allerdings: In einem rohstoffarmen Land wie Deutschland wird die Abhängigkeit von importierten Grundstoffen dadurch größer.
Wirtschaftspolitische Implikationen: Vieles regelt der Markt, …
Ein Großteil der skizzierten Anpassungsmaßnahmen ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Unternehmen und Verbrauchern.
Unternehmen passen sich an ein höheres Risiko der Unterbrechung von Lieferketten an. Denkbare Reaktionen sind die Zusammenarbeit mit mehreren Zuliefererbetrieben aus verschiedenen Regionen, das Halten größerer Lagervorräte oder die Produktion erforderlicher Einzelteile vor Ort.
Auch eine höhere Ressourcenproduktivität wird in erster Linie durch die Unternehmen vorangetrieben. Ein höherer CO2-Preis stellt für sie einen Anreiz dar, Maßnahmen zur Emissionsreduzierung zu ergreifen. Die Verbraucher unterstützen diese Entwicklung durch eine höhere Nachfrage nach emissionsärmeren Produkten, weil das ihre Konsumausgaben verringert.
… aber nicht alles
Allerdings werden nicht alle notwendigen technologischen Innovationen und organisatorischen Anpassungen ohne staatliche Flankierung erfolgen können.
Im Bereich der Vorratshaltung kann eine staatliche Intervention erforderlich werden – so wie gegenwärtig bei der strategischen Ölreserve in Deutschland. Ihr Vorrat deckt den Bedarf für 90 Tage ab. Die mit der Erdölbevorratung verbundenen Kosten werden von den Unternehmen, die Erdöl importieren oder verarbeiten, aufgebracht und fließen in ihre Preisgestaltung ein.
Im Bereich der ökologischen Transformation ist eine aktive Rolle des Staates u. a. bei sogenannten Basistechnologien erforderlich. Diese wirken sich häufig auf viele Wirtschaftssektoren aus und werden auch als „Game-Changer-Technologien“ bezeichnet. Allerdings ist ihre Entwicklung mit einer hohen Unsicherheit hinsichtlich ihres wirtschaftlichen Erfolgs verbunden – und bis zur Marktreife und Gewinnerzielung vergeht viel Zeit. Daher schrecken private Unternehmen häufig vor derartigen technologischen Entwicklungen zurück.
Staatliche Interventionen sind zudem notwendig, wenn neue Technologien und Produkte ein flächendeckendes Netzwerk benötigen, also z. B. ein leistungsfähiges Netz von Ladesäulen für eine intensivere Nutzung von Elektrofahrzeugen.
Ausblick
Die bisherige internationale Arbeitsteilung hat zwei zentrale Kostenelemente unterschätzt bzw. ignoriert: die Kosten einer unvorhergesehenen Unterbrechung der globalen Lieferketten und die sozialen und ökologischen Kosten von Treibhausgasemissionen. Werden beide Kosten in den Preisen berücksichtigt, ist eine Senkung des momentan erreichten Ausmaßes der internationalen Arbeitsteilung zu erwarten. Das führt zwar zu höheren Kosten, aber da diese Kosten nun einmal existieren, müssen sie auch in den Marktpreisen abgebildet werden.
Der damit verbundene Rückgang des internationalen Handels bedeutet jedoch keinesfalls das Ende der Globalisierung. Unternehmen können ihre Produkte nach wie vor im Ausland verkaufen. Jedoch wird es nun in einigen Fällen sinnvoll, die erforderlichen Produktionskapazitäten direkt in dem Land des Absatzes zu errichten. Durch dieses Zusammenrücken von Produktion und Verbrauch nimmt der grenzüberschreitende Güterhandel ab. Allerdings nicht ersatzlos: An seine Stelle treten grenzüberschreitende Kapitalströme in Form von ausländischen Direktinvestitionen und ein wachsender Handel mit Dienstleistungen.
Dr. Thieß Petersen