©
iStock bluejayphoto

 

 

Dass Politik und Ökonomie zusammenhängen, ist für Sozialdemokraten klar. Wie sie zusammenhängen schon weniger. Das möglichst genau zu verstehen und praktische Folgerungen daraus zu ziehen, ist aber für die SPD lebensnotwendig.

Marxisten, auch in der SPD, haben Politik und Gesellschaft zumeist aus der Wirtschaft – den sog. Produktivkräften  – abgeleitet. Eine wirksame eigenständige Wirtschaftspolitik, die die Ökonomie gestaltet, hatte da keinen systematischen theoretischen Ort. Seit dem Godesberger Programm von 1959 haben Sozialdemokraten den kapitalistischen Markt jedoch zum Ausgangspunkt ihrer Politik genommen.

Politisch ging es im Wesentlichen in Weiterentwicklung der „Sozialen Marktwirtschaft“ um Wirtschaftsdemokratie und Mitbestimmung in den Unternehmen, um absichernde Sozial- und Arbeitsmarktpolitik und in der Tradition von J.M. Keynes um Konjunkturpolitik zum Ausgleich von Krisen.

Neben den Gewerkschaften und ihrer Verantwortung für die Praxis von Wirtschaftsdemokratie und Mitbestimmung war und ist der politische Akteur sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik dabei der Staat. Seit den siebziger Jahren hat sich die SPD vor allem auf Sozial- und Gesellschaftspolitik konzentriert. Die Wirtschaftspolitik, in der keine Konjunkturpolitik mehr gegen die steigende Arbeitslosigkeit im Zusammenhang mit der ökonomischen Globalisierung half, rückte in den Hintergrund. Auch deshalb wird der SPD bis heute wenig Wirtschaftskompetenz zugeschrieben.

Was in Weiterentwicklung von J.M. Keynes noch immer fehlt, was die SPD aber mehr als alle anderen Parteien braucht, ist ein Konzept von politischer Ökonomie, das zeitgemäß wirtschaftspolitische Strategien, Akteure und Umsetzungsverfahren ausbuchstabiert, durch die sozialdemokratische Politik für alle Bürgerinnen und Bürger ein Leben in Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität ermöglicht. Anders als Konservativen geht es Sozialdemokraten nämlich nicht einfach um Machterhalt und um Sicherung der bestehenden Verhältnisse und Privilegien, sondern um mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Dafür braucht man Konzepte. Angesichts der ökonomischen Globalisierung reicht der Nationalstaat als bisheriger Hauptakteur dafür nicht mehr aus. Denn die Wirtschaft agiert grenzüberschreitend, kann also nicht mehr allein durch den Nationalstaat, sondern muss auch grenzüberschreitend gestaltet werden.

Zusätzlich zum Staat kommen als Akteure in Frage: Internationale Zusammenschlüsse von nationalen Regierungen/Staaten (EU, OECD), transnationale Konferenzen (G7, G20) oder Koalitionen von Willigen. Ein Beispiel dafür ist der gerade gewonnene Konsens von G7, G20 und der OECD für eine Mindestbesteuerung von großen transnationalen Unternehmen. Das ist ein mühsamer und langwieriger Prozess. Aber er kann, wie jetzt gerade zum Erfolg führen; vor allem, wenn nationale Politiker wie Olaf Scholz zielstrebig und hartnäckig daran arbeiten und eine Großmacht wie die USA sich dafür engagieren.

Zu den transnationalen wirtschaftspolitischen Akteuren zählen mehr und mehr Städte und Kommunen, in denen demnächst ca. 80% der Weltbevölkerung leben werden. Sie schließen sich zunehmend über nationale Grenzen hinweg zu Städtebünden zusammen, um sich gegenseitig beizustehen, voneinander zu lernen oder auch politische Prioritäten aus kommunaler Sicht durchzusetzen. Eine wirksame politische Ökonomie sollte deshalb nicht nur Strategien einzelstaatlicher Wirtschaftspolitik oder von Regierungszusammenschlüssen wie dem europäischen Rat ausarbeiten.

Sie bleiben wichtig, um koordinierend den gesetzlichen oder vertraglichen politischen Rahmen zu setzen. Sie muss aber zusätzlich die Umsetzung ökonomischer Ziele vor allem auf kommunaler Ebene ausbuchstabieren. Zu einer „politischen Ökonomie“ auf kommunaler Ebene würde dabei auch eine intelligente Weiterentwicklung politischer Teilhabe gehören, durch die Bürgerinnen und Bürger mit eigenen Entscheidungsbefugnissen ihr eigenes Lebensumfeld auch in Bezug auf die Wirtschaft gestalten können.

So könnte einer erweiterte kommunale Partizipation aussehen: Wenn Bürgermeister in einen Beirat für die großen kommunalen Entwicklungsziele zusätzlich zu den gewählten Stadträten und ihrer Verwaltung für eine breitere Basis zivilgesellschaftliche Organisationen und Unternehmen einlüden, könnte man deutlich mehr Perspektiven zusammen bringen, die eine gemeinwohlorientierte kommunale Entwicklung begünstigen. So können Bürgerinnen und Bürger sich zugleich mehr mit ihrer Wirtschaft politisch identifizieren, den gesetzlichen Rahmen entsprechend den konkreten Umständen und Herausforderungen ausfüllen und sich zu Eigen machen (Ownership). So können sie auch gegen den Klimawandel nachhaltig und effektiver als bisher die Verhältnisse verändern. Die letzten Entscheidungen würden die gewählten Institutionen treffen.

Wenn es zu einer wirksamen und mit der repräsentativen Demokratie vereinbaren Erweiterung von Bürgerpartizipation auf kommunaler Ebene kommt, überwinden die Bürgerinnen und Bürger auch das Gefühl der Ohnmacht, das gegenwärtig zu einer gefährlichen Distanzierung gegenüber Politik, Wirtschaft und unserem demokratischen Gemeinwesen geführt und rechtspopulistische antidemokratische Bewegungen hervorgebracht hat. Schließlich wird es so auch für Wirtschaftsunternehmen zur Gewohnheit, Verantwortung für die politischen Voraussetzungen ihres betriebswirtschaftlichen Erfolgs – staatliche Infrastruktur, Rechtsstaatlichkeit, Bildung und Ausbildung, Kampf gegen den Klimawandel und gegen Rechtspopulismus etc. – zu übernehmen.

Der Begriff der politischen Ökonomie erweitert sich damit nicht nur von der Nationalökonomie auf die innerstaatliche wie auf die überstaatliche Ebene. Er verbindet sich auch konkreter mit Demokratie- und Partizipationstheorie. Das ist auch deswegen erforderlich, weil makroökonomische Theorien, sofern sie Wirtschaftspolitik als Einflussnahme auf die Ökonomie nicht einfach als marktradikal ablehnen, oft undifferenziert „den Staat“ als Akteur zugunsten des Gemeinwohls verstehen und damit hinter der Realität unserer pluralistischen Gesellschaft zurückbleiben.

Gemeinwohl kann heute nicht durch eine Ministerialbürokratie „über den Parteien“ exekutiert werden, sondern, muss sich aus den Auseinandersetzungen der pluralistischen Gesellschaften ergeben. Das gelingt oft nicht, weil es in der Gesellschaft über die Pluralität von Interessen und normativen Vorstellungen hinaus auch erhebliche Unterschiede der Machtpotenziale gibt, bei denen die größeren sich eben zuungunsten der kleineren durchsetzen können. Das ist der Grund, weshalb Marxisten der repräsentativen Demokratie generell absprechen, Entscheidungen zugunsten der Unterprivilegierten treffen zu können.

Die Zukunft sozialdemokratischer politischer Ökonomie liegt daher ganz wesentlich in einer theoretischen Weiterentwicklung einer strategischen Wirtschaftspolitik, die der ökonomischen Globalisierung gerecht wird, indem sie vor allem neue Akteure einbezieht und sie miteinander konzeptionell und empirisch verknüpft. Dabei werden Städte und Gemeinden eine immer größere Rolle spielen, die sich schon jetzt auch auf globaler Ebene zusammenschließen, um gerechte und effektive Lösungen für transnationale Herausforderungen zu finden.

 

Prof. Dr. Gesine Schwan