Schauen wir auf den Weg zur Klimaneutralität bis 2045, blicken wir auf unzählige Herausforderungen, die es noch zu meistern gilt. Ein deutlich beschleunigter EE-Ausbau gehört dazu, der Ausstieg aus der Kohleverstromung, die Erhaltung der Versorgungssicherheit, der Netzausbau, der Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft und die Transformation von Erdgas zu klimaneutralen Gasen, um nur einige Baustellen zu nennen. Meine Überzeugung ist, dass hinter jeder dieser großen Aufgaben eine noch größere Chance liegt, unseren Weg als Industrieland fortzuschreiben. Die Energiewirtschaft wird dabei ganz vorne mitspielen, denn Energie macht Zukunft!

Das gilt in besonderem Maße auch für die Frage der künftigen Wärmeversorgung. Ohne eine Wärmewende ist die Energiewende und Klimaneutralität nicht machbar. Die Wärmewende ist eine der Mammutaufgaben der kommenden Jahre. Anteilig müssen in den nächsten zehn Jahren die Treibhausgasminderungen erreicht werden, die zuvor über einen Zeitraum von 30 Jahren realisiert wurden. Und die Wärmewende rückt als Frage noch einmal sehr viel näher an die Menschen heran. Wenig berührt die emotionale und soziale Sicherheit so sehr wie die Frage nach einem warmen Zuhause.

Deshalb spielt gerade der soziale Aspekt eine wichtige Rolle bei der Frage, wie wir den Energieverbrauch des Gebäudesektors dekarbonisieren und weiter reduzieren. Deutschland ist schon gebaut – wir können die Wärmewende nicht am Reißbrett und mit dem Rechenschieber planen, sondern nur mit Blick auf die Realitäten vor Ort. Zwischen Neubau und Bestand, Stadt und Land, denen die mieten und denen die vermieten, müssen wir Lösungen finden, die für jedes Gebäude, für jedes Quartier passend sind.

Ein komplexes System, eine differenzierte Landschaft braucht differenzierte Antworten. Wer nur steigende Anteile von Fernwärme will, dem muss bewusst sein, was es in einer Stadt wie Berlin bedeutet, Straßen aufzureißen, um Leitungen zu legen. Wer nur auf die weitere Elektrifizierung des Bestands setzt, dem muss klar sein, dass das für ältere Gebäude oft Kernsanierungen bedeutet. Und wer nur auf die Weiternutzung der Gasnetze hofft, der verschenkt Effizienzpotenziale, die durch die direkte EE-Strom-Nutzung entstehen.

Eine Debatte um das Entweder-oder von Lösungen läuft in eine Sackgasse. Die Wärmewende gelingt nur als ein Sowohl-als-auch. Nicht als kleinster gemeinsamer Nenner, sondern als Kraftanstrengung, für die wir alles in die Waagschale werfen. Dafür brauchen wir den ganzen Instrumentenkasten: mehr Energieeffizienz und höhere Sanierungsraten ebenso wie den Ausbau von grünen Wärmenetzen und den Einsatz klimaneutraler Gase wie Wasserstoff im Heizkessel. Dazu gehört weiterhin, dass wir Förderprogramme zugänglicher und unkomplizierter machen, einen Ausgleich zwischen Eigentümern und Mieterinnen und Mieter ermöglichen und die erforderlichen Infrastrukturen weiter solidarisch finanzieren.

Dazu gehört, dass wir schon vorhandene und nach wie vor werthaltige Infrastrukturen möglichst weiter nutzen, zum Beispiel durch die Transformation von Erdgas- zu Wasserstoffnetzen, um unnötigen Aufwand zu vermeiden. Und dazu gehört die Erkenntnis, dass jede Maßnahme eine kompetente Fachkraft benötigt, die sie umsetzt. Deshalb brauchen wir eine Ausbildungs- und Einstellungsoffensive für klimaschutzrelevante Berufe und Gewerke.

Wenn es uns gelingt, alle diese Aspekte im Blick zu halten auf dem Weg zu einem klimaneutralen Gebäudebestand, dann erreichen wir nicht nur die Klimaschutzziele, sondern erzielen Wertschöpfung, kurbeln die Konjunktur an und profitieren als Leitmarkt für Gebäudetechnik auch auf den Weltmärkten. Das Wichtigste aber ist, sowohl heute als auch 2045, die Menschen stehen im Mittelpunkt der Energiewende und mit ihnen eine warme Wohnung.

 

Kerstin Andreae