Die Mieten in Baden-Württemberg galoppieren. Die Wohnungssuche ist für viele von Verzweiflung und Niederlagen geprägt. Menschen wohnen sich förmlich arm – und Städte und Viertel verlieren ihre durchmischten Wohnstrukturen. Baden-Württemberg braucht deshalb eine ehrgeizige und nachhaltige Wohnraumoffensive. Wohnen muss bezahlbar, barrierefrei und durchmischt sein. Und wir als Gemeinschaft müssen dafür sorgen, dass moderne Mobilität, Klimaneutralität, innovative Wohnkonzepte und die Verwendung nachwachsender Baustoffe ihren Beitrag dazu leisten.

Wohnen ist ein Menschenrecht, bezahlbares Wohnen muss als Teil der Daseinsvorsorge verstanden werden und elementar für das Familienland Baden-Württemberg und den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg sein. Es überrascht mich manchmal sehr, mit welchem ehrlichen oder gespielten Erstaunen in den letzten Jahren ein Marktversagen beklagt wurde. Verantwortungsvolle Wohnungspolitik hat immer einen handlungsfähigen, aktiven Staat gebraucht.

Ich plädiere deshalb für ein umfangreiches Maßnahmenpaket, um das Wohnen in Baden-Württemberg bezahlbarer zu machen.

Das Problem an einer ehrgeizigen Wohnungspolitik ist oft, dass sie konkret in ihren Instrumenten werden muss – und dann entgegnet werden kann, dass dieses eine Instrument sicher nicht die Wohnraumnot beendet. Ich begleite und unterstütze intensiv den Einsatz von Initiativen für bspw. Tiny Houses, Miethäusersyndikate oder Mehrgenerationenhäuser mit einem hohen Anteil an Shared Spaces.

An den Konzepten wird häufig keine Kritik geübt, sondern an der Erwähnung schlechthin mit dem Verweis darauf, dass damit allein die Wohnungsnot nicht beendet werden könne. Hierfür gibt es auch ein sehr spezielles Beispiel im Südwesten: Nicht mehr genutzte Ställe in Gemeinden und Städten bspw. könnten entfernt werden, wenn diese den Wohnungsbau behindern. Als SPD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg haben wir vorgeschlagen, dass es schon nach zwei Jahren der Nichtnutzung möglich sein soll, leerstehende Ställe zu beseitigen. Die grün-schwarze Landesregierung hat leider entschieden, dass Ställe bis zu zehn Jahren ungenutzt bleiben können.

War beim Lesen dieser Zeilen der Reflex: „Aber nur mit leerstehenden Stellen kann man die Wohnungsnot auch nicht besiegen, Herr Born!“ Und das stimmt.

Wohnungspolitik braucht einen gemeinsamen Rahmen, der das, was man tut – aber auch das, was man nicht tut – zusammenfasst. Mein Vorschlag: „Wir wollen Nachbar*innen sein.“ Das Modell „einsame Insel“ taugt weder als Siedlungs- noch als Gesellschaftsmodell für unser Land. Es kostet uns zu viel Fläche und schafft gleichzeitig zu wenig Wohnraum. Das „Land der Nachbar*innen“ würde bisherige vermeintliche Idealkonzepte durch neue ersetzen. Wir haben Lust auf Kompromisse, auf Kontakte und auf Nähe. Wir wollen unsere Städte, Gemeinden und Quartiere wieder als das zurückgewinnen, wie sie gedacht sind: Als europäische Polis, in der man schläft und kocht, arbeitet und einkauft, seine Gesundheitsversorgung und Kulturangebot findet. Das Nachbar*innen-Modell verlangt einiges von uns – aber auch von der Politik. Denn nur wenn bereits bei der Planung auf Durchmischung, Bezahlbarkeit, Barrierefreiheit und Anbindung geachtet wird, kann es gelingen.

In 24 von 41 Kreisen von Baden-Württemberg ist der Wohnungsmarkt „angespannt“ oder „sehr angespannt“. Der Flächenfraß in Baden-Württemberg mit durchschnittlich 8 Fußballfeldern am Tag hat dieses Problem nicht lösen können. Der Wohnungsmangel in Baden-Württemberg ist also in der Fläche des Landes und in der Breite der Bevölkerung angekommen. Uwe Hardt von der Caritas lässt sich wie folgt zitieren: „Normalverdiener aus der Mittelschicht können ihre Familien aufgrund der hohen Wohnungskosten nicht mehr richtig versorgen.“

Ich halte diese Tatsache für einen Skandal. Und ich bin der festen Überzeugung, dass wir als Gesellschaft in der Verantwortung dafür sind, dass unsere Städte und Gemeinden mit Wohnraum versorgt werden. Dazu müssen wir auch liebgewonnene Traditionen über Bord werfen. Und da wird das Nachbar*innen-Modell konkret: Innen- vor Außenentwicklung, die Erlaubnis zum Bauen in die Höhe, zur Verdichtung, zum urbanen Gebiet, zur Überprüfung und Entschlackung von Bauvorschriften.

Aber Politik muss noch mehr machen als die Wohnraumschaffung zu unterstützen. Sie muss selbst mit in die Wohnraumschaffung einsteigen. Immer mehr Kommunen machen dies vor, indem sie ihre kommunalen Wohnbaugesellschaften stärken oder sogar neue gründen. In Baden-Württemberg gibt es keine Landesentwicklungsgesellschaft für mehr sozialen Wohnraum, leider. Aber diese Gesellschaft wäre dringend notwendig, denn nur dann, wenn der Staat sozialen Wohnraum baut, ist es möglich, zusätzlich Druck aus dem Kessel zu nehmen. Die grün-schwarze Landesregierung will von einer Landesentwicklungsgesellschaft aber weiterhin nichts wissen.

In Baden-Württemberg müssten 500.000 Wohnungen gebaut werden, um die Wohnungsnot zu lindern. Bis zum Jahr 2025, wohlgemerkt. Die Zahlen sind keine Erfindung von mir, sondern aus einer Studie, die die grün-schwarze Landesregierung selbst in Auftrag gegeben hat. Von diesen 500.000 Wohnungen sind wir in Baden-Württemberg weit entfernt, ebenso von den bis zu 6.000 geförderten mietpreisgebundenen Wohnungen, die pro Jahr neu entstehen müssten.

Die grün-schwarze Landesregierung hat einen Fokus auf das Thema Mitarbeiter*innenwohnen gelegt. Ich habe nichts dagegen, wirklich nicht. Nur wenn man genauer hinschaut, ist es reinste PR – die einschlägigen Unterlagen sprechen von 40 Anträgen pro Jahr, die Mitarbeiter*innenwohnungen ermöglichen wollen. Wenn man 500.000 Wohnungen bis 2025 benötigt und von einem zentralen Baustein 40 Anträge pro Jahr zugeliefert werden, dann ist das faktisch nichts. Den Instrumentenkasten zu erweitern, müsste folgerichtig bedeuten, alle Instrumente mit den notwendigen Fördermitteln zu hinterlegen, damit sie ihren maximalen Beitrag zu den 500.000 Wohnungen leisten können. Das gelingt der Landesregierung weder beim sozialen Wohnungsbau noch beim Mitarbeiter*innenwohnen, es gelingt ihr ebenfalls nicht beim innovativen Wohnen und auch nicht bei der Nachverdichtung.

Das Land der höchsten Mieten, des fehlenden barrierefreien Wohnraums und des für viele Familien nicht mehr realistisch erreichbaren Traum von der eigenen Immobilie hat ein ernsthaftes Problem. Aber eine Problembeschreibung kann nur der erste Schritt einer Lösung sein. Es braucht einen gemeinsamen Kraftakt in Baden-Württemberg – nennen wir es Wohnraumoffensive. Diese Wohnraumoffensive muss finanziert sein. Aber sie braucht auch einen Rahmen, wohin wir wollen. Für mich muss das ein Land sein, in dem Wohnen bezahlbar und barrierefrei ist, ökologisch nachhaltiger und durchmischt. Eben ein Land der Nachbar*innen.

 

Daniel Born