Fit for 55 und der Emissionshandel – noch komplexer und noch anspruchsvoller

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Zum Verrücktwerden komplex war der europäische Emissionshandel auch bislang schon. Nun drohe es noch komplizierter zu werden – auch zu Lasten der Unternehmen. Sie stellt die Frage, wie die Ergänzung mit dem nationalen Emissionshandel am besten organisiert werden könnte.

„Die Leute, die den Emissionshandel verstehen, sind entweder tot oder verrückt.“ Das sagte mir ein blitzgescheiter Gesprächspartner zu Beginn in diesen Tagen. Nach meiner eigenen Einschätzung – und ich muss das ja wissen – bin ich beides nicht. Woraus sich die messerscharfe Schlussfolgerung ziehen lässt: Ich verstehe den Emissionshandel nicht.

Dass ich diese Erkenntnis nach jahrzehntelanger Beschäftigung mit der Sache und mehreren hundert Seiten eigener Publikation zum Thema ziehen muss, gibt mir zu denken. Wobei ich immer schon der Meinung war, dass wir in Deutschland die Sache mit dem europäischen Emissionshandel, dem EU-ETS, besonders komplex gestaltet haben. Schon in der ersten Handelsperiode hatten wir über 40 mögliche Varianten der Zuteilung von kostenlosen Zertifikaten und haben seitenweise Zuteilungsanträge gepinselt. Während unsere europäischen Nachbarn einen Dreiseiter als Formular abgaben und nicht-komische Witzchen zum Besten gaben. Auch auf andere Erfahrungen hätte ich gut und gerne verzichten können. Und bin damit sicherlich nicht allein.

Nun denn. Ein Schicksal im Emissionshandel ist es, dass sich in regelmäßigen Abständen die Regeln ändern und immer dann, wenn man das Gefühl hat „Jetzt, hat man’s“, alles grundlegend anders wird. In der Vergangenheit betraf dies die Regeln in den Handelsperioden, die von der ersten (2005-2007) bis zur heute vierten (2020-2030) Handelsperiode immerhin jeweils länger wurden. Die Hoffnung auf stabilen Wissensbestand bis 2030 hat nun gerade die Kommission erledigt.

Zusammen mit der entsprechenden wirtschaftlichen Planung für die Unternehmen. Das allseits diskutierte Paket „Fit for 55“ vom 14. Juli sieht einige Änderungen für den Emissionshandel vor, die es in sich haben und schon unter der vierten Handelsperiode wirken sollen.

Der Lineare Reduktionsfaktor wird demnach von 2,2 Prozent auf 4,2 Prozent angehoben, das heißt, um diesen Anteil wird die jährlich verfügbare Zahl an Zertifikaten laut dem Vorschlag der Europäischen Kommission gesenkt. Die kostenlosen Zuteilungen – so es sie noch gibt – sollen an Emissionsreduktionsmaßnahmen geknüpft werden und die maximale Senkung der Benchmarks soll bei 2,5 Prozent statt bei bisher 1,6 Prozent liegen – damit kann der Anspruch auf Gratis-Zuteilungen schneller verloren gehen beziehungsweise ist schwerer zu erreichen. Außerdem sollen ohnehin die freien Zuteilungen von 2026 bis 2035 auf Null gesenkt werden.

Wobei Sektoren, die dem ebenfalls neu angepeilten CO2-Grenzausgleich CBAM unterliegen (Grundstoffe wie Zement, Stahl und Aluminium), nur noch bis 2025 Zuteilungen erhalten. Außerdem sieht das Paket vor, dass die Sektoren Gebäude und Verkehr ein europäisches Emissionshandelssystem bekommen. Da diese Sektoren ja seit Jahresbeginn gerade dem deutschen Emissionshandel unterworfen sind – auch ein System, dem man sich mit Sanftmut und Geduld nähern muss, wenn man es im Detail verstehen möchte –, wird hier noch ein besonderes Bonbon auszuwickeln sein.

Verlässlich und verständlich? Dafür gäbe es eine persönliche Belohnung

Muss das BEHG, also der nationale Emissionshandel, jetzt wieder abgeschafft werden? Weil, doppelt belasten geht ja nicht so ohne Weiteres. Da noch unklar ist, wie genau die Einbeziehung der beiden Sektoren in den europäischen Emissionshandel erfolgt, bietet sich auch hier Anlass zu maximaler Komplexität.

Was wäre zum Beispiel, wenn man europäisch nicht den Inverkehrbringer von Brennstoffen adressieren würde wie das BEHG? Oder noch feinsinniger, den Inverkehrbringer einfach anders definiert? Spannend wird es auch für den Luft- und Schiffsverkehr, die ja in den europäischen Emissionshandel anders beziehungsweise neu einbezogen werden.

Wer die Debatten der Vergangenheit kennt, weiß, was auch hier noch für zwischenstaatliche Fragen zu lösen sind. Ich habe Klimaschutz schon immer für richtig und wichtig gehalten. Dass seine Ausgestaltung im Emissionshandel uns aber alle die eingangs dargestellte persönliche Einordnung beweisfest beantworten wird, das hätte ich allerdings nicht gedacht.

Lassen Sie mich daher etwas ganz Juristisches machen. Ich lobe hiermit ein handsigniertes Exemplar aller meiner „CO2-Bücher“ und eine schöne Tasse Kaffee für denjenigen aus (Paragraph 657 BGB), dem es gelingt, den nationalen und den europäischen Emissionshandel so zu reformieren, dass er erstens verständlich wird und zweitens verlässlich. Das gilt natürlich nur, solange Sie darüber nicht verrückt werden und solange der Vorrat reicht …

 

Dieser Text ist zuerst beim Tagesspiegel-Background Energie und Klima erschienen. Wir danken dem Tagesspiegel für die Genehmigung der Zweitveröffentlichung.

Prof. Dr. Ines Zenke