Deutscher Aufbau- und Resilienzplan fliegt unterm Radar

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Ende 2020 haben sich die EU-Mitgliedsstaaten nach zähen Verhandlungen auf die Einrichtung einer „Recovery and Resilience Facility“ geeinigt. Die Europäische Kommission wird ermächtigt, im Namen der EU Hunderte von Milliarden Euro an den Finanzmärkten zu leihen. Bis zu 672,5 Mrd. Euro sollen den Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt werden, etwa die Hälfte als Zuschüsse, die andere Hälfte als Darlehen. Hierzu müssen die Mitgliedsstaaten nationale Pläne einreichen, die zuerst von der Kommission und dann vom Rat genehmigt werden.

Deutschland hat seinen Plan – Deutscher Aufbau- und Resilienzplan (DARP) – rechtzeitig am 27. April eingereicht. Stolze 1250 Seiten. Makroökonomisch ist das Volumen der zur Verfügung stehenden Fördermittel gering: weniger als 0,8% des jährlichen BIP (2020) und diese Ausgaben werden über einen Zeitraum von 6 Jahren (2021-26) verteilt. Die RRF wirkt stark umverteilend (Watzka/Watt 2020) zwischen den Mitgliedsstaaten. Von der Covid-Krise stark betroffenen Länder erhalten relativ zur Wirtschaftsleistung deutlich höhere Beträge. Deutschland profitiert aber auch indirekt über die Förderung seiner engen Handelspartner. Es werden keine RRF-Darlehen beantragt, da für Deutschland die Kosten für die Bedienung solcher Darlehen etwas höher sind als das was bei nationaler Verschuldung auf den Finanzmärkten zu zahlen wäre. Die RRF ist insgesamt makroökonomisch weit weniger wichtig als das nationale Konjunkturpaket.

Die Bundesregierung beziffert die vierzig im DARP zusammengefassten Maßnahmen, für die sie EU-Mittel anstrebt, auf knapp 28 Mrd. €. Diese sind in sechs Prioritäten unterteilt. Die EU-Regeln sehen vor, dass mindestens 37 % der Ausgaben in Klimaschutzprojekte fließen sollen; 20 % sollen für die Digitalisierung verwendet werden. Nach Angaben der Bundesregierung konzentrieren sich mehr als 40 % der DARP-Ausgaben auf die erste Priorität, Klima/Energie. Was die Digitalisierung betrifft, so hat Deutschland dieses Ziel in den Säulen 2 und 3 des DARP explizit gemacht, die zusammen mehr als 25% ausmachen. Da die Digitalisierung in anderen Themenbereichen „verankert“ wurde, sollen sogar bis zu 50 % der Ausgaben im Rahmen des DARP zum Digitalisierungsziel beitragen.

Auf einige wichtige Elemente des Pakets soll im Folgenden eingegangen sein.

Klima und Energie

Die Säule Klima und Energie besteht aus drei Maßnahmenpaketen: Dekarbonisierung mit dem Schwerpunkt auf erneuerbarem (grünem) Wasserstoff sowie der Förderung klimafreundlicher Mobilität und klimafreundlichen Bauens/Wohnens. Mit 40,3 % der Gesamtsumme ist sie der mit Abstand wichtigste Teil des DARP.

Für die Dekarbonisierung stehen insgesamt 3,26 Mrd. € zur Verfügung. Bemerkenswert ist der Aufbau von Elektrolysekapazitäten zur Erzeugung von grünem Wasserstoff und dessen Verteilung an die Endverbraucher. (Im Gegensatz dazu bietet das DARP keine Unterstützung für andere ausgereifte erneuerbare Energiequellen wie Wind- und Solarenergie). Aber selbst wenn man die wasserstoffbezogene Forschungs- und Innovationsförderung hinzurechnet, sind nur 2,2 Mrd. € für die Entwicklung einer weitgehend neuen Technologie vorgesehen. Auch das Angebot von „Carbon Contracts for Difference“, bei denen der Staat Firmen subventioniert, die langfristige kohlenstoffreduzierende Investitionen tätigen, die bei den derzeitigen Kohlenstoffpreisen nicht rentabel sind, ist ein vielversprechender Ansatz. Allerdings ist es nur als Pilotprojekt angelegt und verfügt über ein Budget von nur etwas mehr als einer halben Milliarde Euro.

Auffällig am Abschnitt zur klimafreundlichen Mobilität ist der fast vollständige Fokus auf den Straßenverkehr. Von den 5,4 Mrd. €, die zur Förderung klimafreundlicher Mobilität vorgesehen sind, entfallen nur 227 Mio. € auf die Verbesserung des Schienenverkehrs. Und selbst das ist eng auf die Motorentechnik fokussiert: Für einen generellen Ausbau des Schienennetzes oder des Zugangebots ist kein Platz. Der öffentliche Personennahverkehr wird nur über ein, wenn auch beträchtliches (1 Mrd. €), Förderprogramm zur Anschaffung von Elektrobussen einbezogen. Überwiegend zielen die Maßnahmen in diesem Abschnitt des DARP darauf ab, die Elektrifizierung des motorisierten Individualverkehrs zu fördern. Fast die Hälfte (2,5 Mrd. €) der Gesamtsumme ist für eine „Innovationsprämie“ in Höhe von 9000 € für die Neuanschaffung von Elektrofahrzeugen (Plug-in-Hybride bis zu 6750 €) vorgesehen. Kein einziger Euro ist für die Förderung des Radverkehrs vorgesehen.

Der Bereich klimafreundliches Bauen/Renovieren wird dominiert von einer 2,5 Mrd. € Förderung für die energetische Sanierung von Gebäuden durch Dämmung, Heizungsmodernisierung etc. Damit soll ein bestehendes nationales Programm erweitert werden, so dass schätzungsweise 40.000 zusätzliche Wohneinheiten davon profitieren können. Die CO2-reduzierenden Effekte solcher – beschäftigungsintensiven – Maßnahmen sind erheblich. DARP bringt hier einen eindeutigen Mehrwert.

Digitalisierung von Wirtschaft und Infrastruktur und von Bildung

Auf diese beiden Kapitel des DARP entfallen rund 5,9 Mrd. € bzw. 1,4 Mrd. €, zusammen also mehr als ein Viertel des DARP. Es herrscht weitgehender politischer Konsens, akzentuiert durch die Erfahrungen während der Pandemie, dass Deutschland bei der Digitalisierung großen Nachholbedarf hat.

Das auffälligste Merkmal des Abschnitts Digitalisierung der Wirtschaft ist das quantitative Übergewicht – mit fast 1,9 Mrd. € – der Unterstützung für einen bestimmten Sektor, die Automobilindustrie, die schon ein Hauptnutznießer von Projekten der Klimasäule ist. Diese Fokussierung wird mit den enormen Herausforderungen begründet, vor denen die Branche bei der Umstellung auf Elektrofahrzeuge steht, und mit dem Kostenwettbewerb, insbesondere bei den Zulieferer-KMU. Es ist schwer nachvollziehbar, dass es sich hier wirklich um eine Förderung der „Digitalisierung“ handelt und nicht um eine sektorale Investitionsförderung. Andererseits enthält dieser Teil des DARP eine Investition in die Schieneninfrastruktur (die oben als fehlend im Mobilitätskapitel identifiziert wurde) in Form der Digitalisierung von Eisenbahnsignal- und Kommunikationssystemen (500 Mio. €).

Die Erfahrungen mit der Pandemie, bei der Schüler gezwungen waren, für längere Zeit zu Hause zu lernen, und Kommunen und sogar einzelne Schulen gezwungen waren, nach individuellen Lösungen zu suchen, haben die Notwendigkeit einer „digitalen Bildungsoffensive“ gezeigt. Das Programm ist allerdings von sehr bescheidenem Umfang. Neben der Anschaffung von Geräten für Lehrer und Investitionen in deren Qualifizierung (500 Mio. €) enthält es Elemente, deren Priorität nicht sofort ersichtlich ist, wie die Unterstützung der Bildungseinrichtungen der Bundeswehr (100 Mio. €). Das größte Einzelprojekt (630 Mio. €) ist der Aufbau einer „Meta-Plattform“ zur Systematisierung und Verbesserung des Zugangs zu digitalen Bildungsinhalten. Die Fokussierung auf die „Meta“-Ebene – und die damit verbundene nebulöse Beschreibung, was diese Maßnahme in der Praxis bewirken kann – spiegelt die Tatsache wider, dass Bildung in der Zuständigkeit der Länder liegt.

Soziale Inklusion

Die vorgesehenen Maßnahmen sind von geringem Umfang und haben einen starken Fokus auf Kinder und Jugendliche, entsprechend einem expliziten Ziel der RRF auf EU-Ebene. Die beiden quantitativ wichtigsten Maßnahmen sind die Verbesserung der Kinderbetreuung (500 Mio. €) und die Sicherstellung eines ausreichenden Angebots an Lehrstellen/dualen Ausbildungsgängen, insbesondere für benachteiligte Gruppen.

Es handelt sich um sinnvolle Programme, die auf reale, durch die Pandemie verschärfte Bedürfnisse reagieren; die quantitativen Dimensionen sind allerdings sehr begrenzt.

Stärkung des Gesundheitssystems und Modernisierung der öffentlichen Verwaltung

Etwas mehr als 16% des DARP sind für gesundheitsbezogene Maßnahmen vorgesehen. Die Pandemie hat eine völlig unzureichende Digitalisierung deutlich gemacht, die zu Verzögerungen bei der Bearbeitung von Tests und einer lückenhaften Berichterstattung über den Verlauf der Pandemie sowie einer mangelnden Koordination zwischen den lokalen Gesundheitsbehörden führte. Vor diesem Hintergrund sind Investitionen von mehr als 800 Mio. € in diesem Bereich vorgesehen.

Das mit Abstand größte Programm in diesem Bereich ist mit 3 Mrd. € ein „Zukunftsprogramm“ für Krankenhäuser. Das Programm soll „frontloaded“ sein, mit einem Ausgabenschwerpunkt im Jahr 2021; das entsprechende Gesetz wurde bereits im vergangenen Jahr verabschiedet. Hier geht es vor allem darum, die Digitalisierung der Krankenhäuser zu verbessern. Allein dieses Programm macht etwa 10% des gesamten DARP aus. Zudem sollen im Rahmen des DARP weitere 750 Mio. € in die Forschung und Entwicklung von Covid-Vakzinen investiert werden.

Die Diagnose mangelnder Digitalisierung im speziellen Fall des Gesundheitswesens gilt auch allgemein für die öffentliche Verwaltung. Daher wurde ein Programm aufgelegt, um Problemen der rückständigen Digitalisierung durch Investitionen in Sach- und Humankapital zu begegnen. Das Hauptelement ist ein 3-Milliarden-Euro-Förderprogramm für Investitionen in die Digitalisierung, um die öffentliche Verwaltung für die Bürger benutzerfreundlicher zu machen. Ziele sind unter anderen, den Bürgern die Möglichkeit zu geben, sich in der Online-Kommunikation mit der Verwaltung zu identifizieren, während gleichzeitig Datenschutzfallen und Missbrauch durch Kriminelle vermieden werden und Interoperabilität zwischen verschiedenen Teilen und Ebenen der Verwaltung ermöglicht wird.

Gesamtbeurteilung

Die Überschneidung zwischen dem nationalen Konjunktur- und Zukunftsprogramm und den DARP-Maßnahmen ist sehr groß. Die RRF wurde ganz überwiegend nicht als Chance wahrgenommen, zusätzliche neue Aufgaben zu übernehmen. Bereits geplante Projekte, die ansonsten durch nationale Kreditaufnahme finanziert worden wären, sollen nun auf Mittel der RRF zurückgreifen, wenn auch in manchen Fällen vom Umfang her etwas aufgestockt. Die starke Anbindung an das bestehende nationale Programm dient andererseits einer schnelleren Abwicklung.

Was die Priorisierung angeht, so entspricht der DARP grundsätzlich der von der EU geforderten Fokussierung auf Klimawandel und Digitalisierung. Letztere zieht sich in der Tat wie ein roter Faden durch einen Großteil des Programms. Dies steht im Einklang mit den jüngsten länderspezifischen Empfehlungen der EU an das Land und spiegelt von vielen BeobachterInnen wahrgenommene Schwächen Deutschlands wider, die durch die Pandemie aufgedeckt wurden.

Ein genauerer Blick offenbart jedoch einige Probleme. Auffallend ist der Fokus sowohl unter dem Label „grün“ wie auch „digital“ auf den Automobilsektor. Es ist zwar ein berechtigtes politisches Ziel, aus ökonomischen und sozialen Gründen die Abkehr des strategisch wichtigen Sektors vom Verbrennungsmotor zu unterstützen, aber die Vernachlässigung anderer Verkehrsträger ist auffällig. Einige Maßnahmen, wie z.B. die Subventionierung von Plug-in-Hybrid-Autos, stehen wohl im Widerspruch zu den Umweltzielen. Möglicherweise soll gezeigt werden, dass „Europa“ die heimische Autoindustrie unterstützt, vor dem Hintergrund der Kritik, dass die EU-auferlegten Flottenemissionsanforderungen die deutsche Automobilproduktion stark belastet haben. In anderen Bereichen (z.B. Wasserstoffwirtschaft und Unterstützung der industriellen Dekarbonisierung) sind die geplanten Maßnahmen grundsätzlich zielführend: Der Umfang der Förderung ist allerdings sehr gering.

Im Gegensatz zu anderen Ländern, wie Italien und Spanien, in denen der RRF-Plan eine starke Rolle in der öffentlichen Diskussion hat, ist in Deutschland die Aufmerksamkeit viel geringer. Dies entspricht der Tatsache, dass das nationale Konjunkturpaket viel wichtiger ist. Dies wiederum geht konform mit der Stoßrichtung des europäischen Plans, zusätzliche Hilfe vor allem dort anzubieten, wo sie den größten Beitrag zur Überwindung der Krise und zur Neuorientierung der europäischen Volkswirtschaft auf klimapolitische Ziele leisten kann.

 

Dr. Andrew Watt