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Der vor Kurzem veröffentlichte Bericht des Weltklimarates hat medial hohe Wellen geschlagen: Bei weiter steigenden Treibhausgas-Emissionen ist die Welt nur noch drei Jahre davon entfernt, selbst das Pariser Zwei-Grad-Klimaziel zu verpassen. Insbesondere wohlhabende Länder sind dem Bericht zufolge in der Verantwortung dem entgegenzuwirken. Eine Verantwortung, der sich Deutschland bereits vor zwanzig Jahren mit dem Beginn der Energiewende angenommen hat. Dennoch rangiert der ehemalige Vorreiter in Sachen Klimaschutz aktuell nur noch im Mittelfeld der gängigen Klimaschutz-Indizes. Um unsere Ziele noch zu erreichen, müssen deshalb spätestens nach der Bundestagswahl die entscheidenden Weichen für die Zukunft gestellt werden.

Ein Großteil der Transformation in Deutschland ist bisher durch die Energiewirtschaft erbracht worden. Allein in den letzten vier Jahren hat die Energiewirtschaft ihre CO2-Emissionen um rund 100 Mio. Tonnen reduziert sowie den Anteil an Erneuerbaren Energien auf ca. 45 % gesteigert. Dabei ist es gelungen, die Versorgungssicherheit sowie die Bezahlbarkeit von Energie während dieser Zeit zu gewährleisten.

Als Branche haben wir ein klares Bild, wie das Energiesystem der Zukunft aussehen wird:

Die klimaneutrale Energieversorgung wird auf Erneuerbaren Energien basieren. Erneuerbarer Strom, grüne Wärme und klimaneutrale Gase werden die Säule der Energieversorgung sein. Das Energiesystem der Zukunft ist dezentral und beinhaltet deutlich mehr Akteure als heute. Wir werden eine Vielzahl an volatil produzierenden Erzeugungsanlagen sehen, die mit flexiblen Verbrauchsanwendungen und Speichern interagieren werden. Sogenannte Prosumer werden ihren Strom selbst erzeugen, speichern, verbrauchen und Überschüsse an ihre Nachbarn liefern. Erneuerbarer Strom wird importiert oder von Erzeugungslagen über ein weitläufiges Netz an die Verbraucher transportiert werden. Das alles in einem digitalisierten System, welches dezentrale Erzeuger und Verbraucher miteinander vernetzt. Intelligente, aufeinander abgestimmte und miteinander interagierende Infrastrukturen und Prozesse harmonisieren die volatile Erzeugung mit dem unflexiblen Verbrauch in Interaktion mit modernen Energiemärkten.

Damit Energieversorgungsunternehmen die Potenziale, die in einem solchen System stecken, zur Blüte treiben können, braucht es jedoch die richtigen regulatorischen Rahmenbedingungen. Investitionen in Zukunftstechnologien sind immer mit Risiken verbunden, daher muss der politische Rahmen diese Unsicherheiten minimieren.

Mit dem historischen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Frühjahr 2021 wurde die Bundesregierung zu einer ambitionierteren Klimapolitik verpflichtet. Dieser Verpflichtung ist man mit einer Novelle des Klimaschutzgesetzes zügig nachgekommen. Die darin festgelegten Minderungspfade mit dem Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 bilden die Grundlage der deutschen Energie- und Klimapolitik der nächsten Jahrzehnte. Auch hier muss die Energiewirtschaft ein Großteil der Einsparungen erbringen. Eine Herausforderung, der wir uns gerne stellen, da sie mit Blick auf das zuvor skizzierte Energiesystem der Zukunft viele Chancen mit sich bringt.

Damit diese genutzt werden können, braucht es zeitnahe Verbesserungen bei den politischen Rahmenbedingungen. Zeitnah deshalb, weil die neuen Minderungsziele ein deutliches Plus an Investitionen und Projekten in noch mehr Bereichen in kürzerer Zeit erfordern. Zum Gelingen des weiteren Transformationsprozesses ist es demnach wichtig, dass eine neue Bundesregierung nach der Wahl ein Sofortprogramm vorlegt, welches bestehende Hürden abbaut und ein Investitionsklima schafft, welches Unternehmen dazu ermutigt, in Erneuerbare Energien, Wasserstoff, Speicher, Energieeffizienz, Lastmanagement und P2X zu investieren.

Damit solch ein Klima entsteht, brauchen wir Rahmenbedingungen für Investitionen, welche über die Wahlperioden hinaus Bestand haben. Investitionsschutz kann nicht davon abhängen, wer in das Kanzleramt ein- oder auszieht. Der gesellschaftliche Konsens für den Weg in die Klimaneutralität ist vorhanden, nun braucht es klare Leitplanken, die den Weg zum Ziel verlässlich vorgeben. Bestehen zu viele Unsicherheiten, wird es keinen Fortschritt geben, werden keine Investitionsentscheidungen mehr getroffen.

Mit der Investitionssicherheit als Prämisse für das Gelingen der Energiewende braucht es vor allem dringend einen Hochlauf beim Ausbau von Wind- und PV. Es müssen deutlich mehr Flächen zu Verfügung gestellt, Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt, Repowering erleichtert und das Artenschutzrecht vereinheitlicht werden. Erst dann ist es sinnvoll, die Ausbauvolumina für Wind und PV zu erhöhen. Die Ausschreibungspfade und -ziele müssen sich an dem European Green Deal und dem novellierten Klimaschutzgesetz und dem damit einhergehenden prognostizierten Stromverbrauch orientieren.

Parallel dazu muss die Gaswirtschaft zu einer Wasserstoffwirtschaft transformiert werden. Wasserstoff muss zu einem Massenprodukt werden. Die staatliche Förderung für H2-Erzeugungsinfrastruktur muss dahingehend ausgebaut werden, dass auch kommunale und mittelständische Investoren wirtschaftlich tragfähige Projekte entwickeln können. Kommunale Akteure müssen stärker in die nationale Wasserstoffstrategie eingebunden werden. Kommunale Unternehmen sind erfahren in der langjährigen Anwendung von verschiedenen Formen der Sektorenkopplung wie Kraft-Wärme-Kopplung und energetischer Abfallverwertung und damit prädestiniert dafür den Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft effektiv voranzutreiben. Darüber hinaus ermöglicht ein dezentraler Ansatz auch Wertschöpfung und damit Arbeitsplätze in den Regionen vor Ort zu schaffen. Vor diesem Hintergrund ist der häusliche Wärmemarkt bereits alleinig wegen seiner Größe einer der Schlüssel der Energiewende und ein attraktiver Sektor für die kommunale Nutzung von H2.

Um die ambitionierten Klimaschutzziele in Deutschland und der EU zu erreichen, ist eine zentrale Maßnahme ein wirkungsvoller und verursachergerechter CO2-Preis. Die CO2-Bepreisung muss erhöht, der Strompreis gesenkt werden. Dazu sollte die EEG-Umlage bis spätestens 2026 schrittweise abgeschafft werden. Vor dem Hintergrund eines drastisch steigenden Strombedarfs durch die Vorgaben des European Green Deals sowie des Klimaschutzgesetzes 2021 ist es zwingend erforderlich, die Umlagefinanzierung abzuschaffen und die Förderung aus den Einnahmen aus der CO2-Bepreisung zu finanzieren.

Das sind zentrale Bausteine für das Gelingen der Energiewende. Eine Bundesregierung, die es unter Einbeziehung der Energiewirtschaft schafft, hier nach der Wahl zügig Lösungen zu liefern, wird von sich behaupten können ihrer Verantwortung gerecht geworden zu sein und Deutschland erneut als Vorreiter des Klimaschutzes etabliert zu haben.

 

Sven Becker