Kreislaufwirtschaft – der neue Wachstumsmotor in Deutschland und Europa

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Mit dem neuen EU-Klimagesetz sind die weitreichenden Klimaziele der Europäischen Union nun verbindlich und unumkehrbar festgeschrieben. Der Green Deal ist, seitdem er Ende 2019 vorgestellt wurde, eines der bestimmenden Themen in den Medien und der öffentlichen Wahrnehmung. Seine enorme Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft haben dennoch wohl die wenigsten in ihrem kompletten Ausmaß bereits erfasst. Die EU richtet mit dem Klimagesetz ihre gesamte Politik, also Industrie-, Finanz-, Umwelt- und Wirtschaftspolitik darauf aus, bis 2050 treibhausgasneutral zu werden. Das ist nur mit einer umfassenden Transformation zu erreichen. In der europäischen Wirtschaft wird nichts so bleiben wie es momentan ist. Die neue Bundesregierung wird nun Maßnahmen umsetzen müssen, die geeignet sind, dieses Ziel zu erfüllen.

Der Green Deal soll eine „Wachstumsstrategie innerhalb der planetaren Grenzen“ sein, damit er neben den Klimazielen auch wirtschaftliche und soziale Zielsetzungen fördert. Eine dieser Grenzen ist der Ausstoß von Treibhausgasen. Wenn es gelingen soll den Klimawandel einzudämmen, darf die Menschheit nur noch eine begrenzte Menge dieser Gase in die Atmosphäre emittieren. Diese Grenze ist bekannt und wird breit diskutiert. Die Endlichkeit von Rohstoffen hingegen ist eine viel stärkere Bedrohung für die Sicherung und den Ausbau unseres Wohlstandes, Wachstums und technischen Fortschritts und muss stärker in den öffentlichen Fokus gerückt werden. Es gibt auf der Erde eine endliche Menge an Rohstoffen. Bei dem aktuellen Verbrauch werden einige Rohstoffvorkommen schon in den nächsten Generationen aufgebraucht sein. Das betrifft nicht nur Stoffe wie Rohöl oder Metalle für die Industrie, sondern beispielsweise auch Phosphor, der als ein Grundbaustein des Lebens für die Landwirtschaft existentiell ist.

Trotz dieser Grenzen wird der weltweite Ressourcenverbrauch laut einer OECD Studie stetig steigen und 2060 bereits doppelt so hoch sein, wie noch 2011. Das wirft zum einen Fragen nach intergenerationeller Gerechtigkeit auf. Wie viel Verbrauch gestehen wir uns selbst zu und wie viel Teilhabe wollen wir zukünftigen Generationen noch ermöglichen? Zum anderen hat es aber auch ganz konkrete Auswirkungen auf die Gegenwart. Denn die beiden planetaren Grenzen Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen sind eng miteinander verbunden.

Klimaschutz und Wohlstand durch Kreislaufwirtschaft.

In unserem momentanen Wirtschaftssystem werden Rohstoffe der Erde entnommen, zu Produkten verarbeitet, konsumiert und schlussendlich beseitigt oder verbrannt. Nur ein sehr geringer Anteil wird wieder aufbereitet und als Recyclingrohstoff erneut genutzt. In der deutschen Industrie stammen grade einmal 12% der eingesetzten Rohstoffe aus dem Recycling.

Wenn organische Abfälle auf eine Deponie verbracht werden, entsteht Methan – ein Treibhausgas, das bis zu 84 mal schädlicher ist als CO2. Werden die Abfälle verbrannt, wird die dabei entstehende Energie zwar in Form von Wärme und Strom genutzt, es werden aber ebenfalls Treibhausgase freigesetzt. Auf diese Weise belastet das lineare System die Atmosphäre doppelt, zu Beginn durch die Emissionen des Abbaus und zum Ende durch die Beseitigung. Mit einem europaweiten Deponieverbot könnte man sofort Klimaschutzziele erreichen und einen Wachstums- und Innovationschub für die Kreislaufwirtschaft auslösen.

Im Sinne des Klimaschutzes muss der stetige Abbau und Verbrauch von Rohstoffen massiv gesenkt werden. Will man dabei den Lebensstandard der Menschen aufrecht erhalten und keine neuen sozialen Fragen aufwerfen, muss es gelingen den Ressourcenverbrauch vom Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum zu entkoppeln.

An dieser Stelle kommt die umfassende Transformation der Wirtschaft ins Spiel.

Wiederverwertung statt Beseitigung

Das lineare System muss aus den Köpfen der Menschen verschwinden und konsequent zu einem Kreis weiter gedacht werden, in dem Stoffe nicht beseitigt sondern wiederverwertet werden. So werden nicht nur die Emissionen der Beseitigung gespart, sondern auch die des substituierten primären Abbaus.

Zugegeben auch die Wiederverwertung benötigt Energie und wenn Recyclingrohstoffe das gesamte Rohstoffangebot steigern, kommt es zu Rebound Effekten, aber der Gesamteffekt ist eindeutig positiv. Die Herstellung von Recycling-Aluminium benötigt beispielsweise grade einmal 5% der Energie, die für die Herstellung aus dem primären Rohstoff Bauxit notwendig wäre und kein weiteres Öko-System muss für den zusätzlichen Abbau zerstört werden.

Chancen der Transformation – 3 Millionen neue Jobs

Die USA, China, Japan – immer mehr Staaten geben mehr oder weniger vergleichbar ambitionierte Klimaziele wie die EU aus. Der Wandel ist längst beschlossen, jetzt gilt es ihn zu gestalten und anzuführen. Deutschland und die EU haben die Möglichkeit als Vorreiter jetzt die weltweiten industriellen Standards zu setzen, an denen sich die Märkte in Zukunft orientieren werden. In den vergangenen Jahren ist der deutsche Anteil der Patente im Bereich der Kreislaufwirtschaft allerdings kontinuierlich zurückgegangen. Fragen der Ressourcenschonung, Reparierbarkeit und Wiederverwertbarkeit müssen daher in der Ausbildung zukünftiger Ingenieure eine viel bedeutendere Rolle spielen, als bisher.

Denn die Potenziale der Kreislaufwirtschaft sind groß. Eine Studie des Parlamentarischen Forschungsdienstes der EU hat bereits 2017 gezeigt, dass die Transformation zur Kreislaufwirtschaft bis zu drei Millionen neue hochwertige Arbeitsplätze innerhalb der EU schafft und damit die wegbrechenden Jobs der linearen Wirtschaft z.B. im Bergbau mehr als kompensieren kann. Netto seien über eine halbe Millionen neue Arbeitsplätze möglich. Weltweit besteht laut einer McKinsey Studie das Potenzial für fünf Millionen zusätzliche Arbeitsplätze.

Damit dieses Potenzial gehoben werden kann, müssen Märkte für Recyclingrohstoffe geschaffen werden. Technisch ist bereits heute vieles möglich, aber so lange Recyclingplastik teurer ist als Plastik, welches aus heute noch steuerprivilegiertem Rohöl hergestellt wurde, kann es sich nicht am Markt durchsetzen. Gleiches gilt für viele andere Stoffe, bei denen die Umweltauswirkungen des primären Abbaus noch immer nicht hinreichend bepreist sind.

Dabei sollte grade die EU als rohstoffarmer Kontinent auch geopolitisch ein Interesse an starken Rezyklatmärkten haben. Nicht erst seit die “Ever Given“ den Suez-Kanal blockiert hat oder die Cornona Pandemie Lieferketten destabilisiert hat, ist klar, dass die Versorgung mit Rohstoffen auf den Weltmärkten mit Unsicherheiten verbunden ist. Die Preise sind volatil und der freie Zugang zu bestimmten Rohstoffen wird oftmals aus strategischen Gründen blockiert. Gerade die aktuellen Verfügbarkeitsengpässe zeigen, welche Gefahr für Handwerk und Industrie daraus sehr schnell entstehen kann. Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft kann die EU von diesen Bedingungen ein Stück weit unabhängiger machen. Wenn die primären Rohstoffe in Zukunft immer knapper und damit teurer werden, kommt der Fähigkeit zur Wiederverwertung eine immer bedeutendere Rolle zu. Die Etablierung einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft wird sich somit schon in naher Zukunft zum wirtschaftlichen Wachstums- und Jobmotor in Deutschland und Europa entwickeln und wesentlich einen industriell dargestellten klimafreundlichen Wohlstand der nächsten Jahrzehnte sicherstellen.

 

Ralph Müller-Beck