Elektrifizierung und Digitalisierung: Chancen für mehr Klimaschutz nutzen

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Wieder keine klare internationale Linie: Die 26. Klimakonferenz in Glasgow ist zwar mit einem gemeinsamen Abschlussstatement zu Ende gegangen – aber dieses bleibt überwiegend vage und hinter den Erwartungen zurück. Ein wichtiges Ergebnis ist indes, dass die nationalen Beiträge zum Klimaschutz bereits nächstes Jahr angepasst werden sollen, um noch ambitioniertere Ziele bis 2030 zu setzen. Damit Anspruch und Wirklichkeit nicht weiter auseinanderdriften, steht die nächste Bundesregierung nun nochmals mehr im Obligo, die selbst gesteckten Klimaziele konsequenter anzugehen und endlich auch mit konkreten Maßnahmen zu hinterlegen.

Denn Fakt ist inzwischen: Wir werden schon die Klimaziele für 2021 in den Sektoren Gebäude, Verkehr und Industrie nicht halten können. Dass es 2020 gerade noch gereicht hat, „verdanken“ wir der Corona-Pandemie – einem „Verbündeten“, auf den wir künftig sehr gerne verzichten wollen.

Der Schlüssel zu einer klimafreundlichen Zukunft liegt in der umfassenden Elektrifizierung und Digitalisierung aller Sektoren – und damit in der Transformation unserer Gesellschaft zur All-Electric-Society. Was so simpel klingt, ist eine Mammutaufgabe – für die Industrie, die Politik, die Gesellschaft, in Deutschland, Europa und weltweit. Aber sie ist lösbar.

Klar ist: Keiner kann den Klimawandel allein bremsen. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen zusammenarbeiten. Klar ist aber auch: Wir können dabei auf die Innovationsfähigkeit unserer Industrie setzen. Vieles, was wir an Technologien benötigen, um den Ausstoß klimaschädlicher Gase drastisch zu reduzieren, liegt bereits vor. Und ich bin sicher: Wir haben noch lange nicht das Ende unseres Erfindungsreichtums gesehen und dürfen auch auf Sprunginnovationen setzen.

Nun ist es an der Politik, den passenden Rahmen zu setzen, um einen wirkungsvollen Klimaschutz zu implementieren. Einen Rahmen, der zum einen Innovation gezielt fördert und zum anderen Unternehmen die Chance einräumt, Klimaschutz ertragreich in ihre Geschäftsmodelle zu integrieren. Die nächste Bundesregierung muss sich dieser Aufgabe voll und ganz verschreiben, um das Industrieland Deutschland in eine digitale und klimafreundliche Zukunft zu führen. Mit einem konkreten Plan und mit einem konkreten Zielbild, damit klar ist, wohin die „Reise“ geht.

Für unsere Branche, die Elektro- und Digitalindustrie, stehen auf diesem Weg die Elektrifizierung, Digitalisierung und Kopplung aller klimarelevanten Sektoren im Zentrum. Die erst kürzlich veröffentlichte Klimapfadestudie des BDI zeigt eindeutig, dass Strom – erneuerbar und in der Regel dezentral erzeugt – der Energieträger der Zukunft ist. Mit ihm müssen und können 90 Prozent des Energiebedarfs gedeckt werden – in direkter Anwendung oder indirekt über Speichermedien wie grünem Wasserstoff oder e-Fuels. Selbst in einer bevölkerungsreichen Industriegesellschaft wie Deutschland ist das möglich. Dabei ist wesentlich, dass der Primärenergiebedarf in Deutschland bis 2045 um 40 Prozent gesenkt werden kann: In erster Linie durch die Elektrifizierung ganzer Sektoren durch direkte Verwendung von Strom aus regenerativen Quellen in Verbindung mit intelligenter Sektorenkopplung, aber auch durch das Heben weiterer Effizienzpotenziale.

Was leiten wir also daraus ab? Erstens, der flächendeckende Ausbau der erneuerbaren Energien hat eine der obersten Prioritäten. Der bisherige „Ausbaupfad“ für die Erneuerbaren muss zu einer „Schnellstraße“ werden. Plus 300, besser 400 Prozent dürften nicht zu knapp kalkuliert sein. Das bedeutet massive Investitionen bei gleichzeitiger Straffung der Planungs- und Genehmigungsverfahren. Hängepartien wie etwa beim Trassenausbau oder beim Ausbau der Windenergie werden wir uns bei den ambitionierten Klimazielen nicht mehr leisten können. Im Juli erst hat das Bundeswirtschaftsministerium seine Schätzung zum Stromverbrauch in Deutschland für das Jahr 2030 von 580 auf 655 Terawattstunden nach oben korrigiert. Aber selbst diese Prognose dürfte deutlich unter dem tatsächlichen Bedarf zurückbleiben. Die Klimapfadestudie des BDI etwa geht von einem Bedarf von 753 TWh im Jahr 2030 aus.

Zweitens muss die Energie- bzw. Stromeffizienz in allen Bereichen vorangetrieben werden, um den Anstieg des Strombedarfs möglichst gering zu halten. Der Großteil der Technologien für diese notwendigen Stromeinsparungen kommen aus der Elektro- und Digitalindustrie, wie zum Beispiel hocheffiziente elektrische Antriebe oder Gleichstromtechnologie in der Industrie. Sie geht hier als Schlüsselbranche voran. Dabei wird die Hebelwirkung der Energieeffizienz deutlich mehr Energie einsparen können, als überhaupt an regenerative Energiequellen in Deutschland hinzugebaut werden können. Die Förderung muss also auch auf die Energieeffizienz ausgedehnt werden.

Drittens bedeutet mehr Strombedarf auch eine höhere Auslastung und damit mehr Belastung für die Übertragungs- und Verteilnetze. Geht man vom momentanen Stand unseres Stromnetzes in Deutschland aus, ist es dafür nicht ausgelegt. Es würde zum Nadelöhr der Energiewende werden. Um diesem Problem zu begegnen, gibt es zwei Hebel, die wir unbedingt nutzen müssen: Den Ausbau und Modernisierung der Netze aber auch und vor allem deren Digitalisierung. Dies erlaubt dann die Flexibilisierung des Strombezugs durch entsprechende Preissignale. So können die Netzinfrastruktur effizient ausgelastet und Engpasssituationen leichter vermieden werden. Die Digitalisierung erfordert dabei den zügigen Roll-out intelligenter Zähler, also den Aufbau einer Smart-Meter-Infrastruktur und mithilfe eines einzuführenden Smart-Readiness-Indicators-for-Grids können wir die Leistungsfähigkeit der Netze ermitteln, um daraus zielgerichtete Investitionen in den Aus- und Umbau abzuleiten.

Wenden wir uns viertens noch dem Strompreis zu. Aktuell setzt er sich zu über 50 Prozent aus Steuern und Umlagen zusammen. Das heißt nichts anderes als: Der Energieträger, der die Energiewende vorantreibt, ist mit den meisten Abgaben belastet. Das muss sich ändern. Die endgültige Abschaffung der EEG-Umlage darf also nur noch eine Frage der Zeit sein. Derzeit ist sie für 2023 geplant – der Termin muss gehalten, wenn nicht sogar vorgezogen werden. Für einen attraktiven Strompreis braucht es aber noch mehr: Die Stromsteuer muss sich am Treibhausgasgehalt des Energieträgers ausrichten, sodass für Strom aus regenerativen Quellen gar keine mehr anfällt. Nur so wird der Umstieg gelingen und für alle machbar sein. Komplimentiert werden muss dies durch einen wirkungsvollen CO2-Preis, der EU-weit – im Idealfall sogar weltweit – steigt und der auch in den Sektoren Wärme und Verkehr marktgetrieben ermittelt werden sollte, sowie ein Wegfallen von sämtlichen Vergünstigungen für fossile Brenn- und Kraftstoffe.

Zuletzt noch ein Wort zum Drehkreuz der Energiewende: Den Gebäuden. Deren CO2-Ausstoß ist nach wie vor zu hoch – ein Drittel der Emissionen in Deutschland stammen direkt und indirekt aus diesem Sektor. Seit Jahren herrscht dort ein Modernisierungs- und Sanierungsstau. Bezogen auf die elektrische Gebäudeinfrastruktur können weite Teile unseres Bestands im Land als museumsreif bezeichnet werden. Was es braucht, ist eine jährliche Sanierungsquote von mindestens drei Prozent bei Heizungen und sechs Prozent bei Beleuchtung. Die derzeitige Quote von rund einem Prozent ist viel zu wenig, um unsere Gebäude energie-, verkehrs- und gebäudewendefähig zu machen.

Wichtig bei alldem ist: Wir dürfen uns nicht selbst im Weg stehen. Nicht mit überbordenden oder zu komplexen Regulierungen, etwa beim Thema Digitalisierung. Nur unter innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen können sich Technologien wie z. B. KI voll entfalten, wir dem Klimawandel erfolgreich entgegentreten und den Weg in die All-Electric-Society gehen. Verzicht ist kein wirksames Mittel, und nur eine wachsende Volkswirtschaft wird die enormen Kosten der Energiewende tragen können.

Was wir jetzt tun müssen, ist vor allem eins: umsetzen. Wir fordern deshalb von der nächsten Bundesregierung ein umfassendes Maßnahmenpaket – ein verbindliches „Arbeitsprogramm Klimaschutz“, das entschlossen und mit einem konkreten, verbindlichen Fahrplan umgesetzt wird.

 

Dr. Gunther Kegel