Die Kreislaufwirtschaft als Wachstumsmotor

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Es wäre ein starkes Signal gewesen. Im Dezember hätte der UN-Sicherheitsrat den Klimawandel erstmals als Bedrohung für Frieden und Sicherheit einstufen können. Doch Russland und Indien sagten Nein; ein Dämpfer für das Momentum der Weltklimakonferenz in Glasgow. Dabei ist der Ernst der Lage unübersehbar. Der globale CO2-Ausstoß nimmt weiter zu – nach einem Rückgang im ersten Corona-Jahr gab es 2021 wohl wieder eine Steigerung um fünf Prozent auf gut 36 Milliarden Tonnen. Deutschland hat im vergangenen Jahr offenbar sogar den höchsten Anstieg seiner Treibhausgasemissionen seit 1990 verzeichnet und kommt damit vom Pfad zum 2030-Klimaziel ab. Deshalb hat die Bundesregierung gerade ein Klimaschutz-Sofortprogramm aufgelegt.

Der Klimawandel ist aber nur eine Facette der globalen Dreifachkrise, die den Planeten Erde und seine Bewohner bedroht. Hinzu kommt die schleichende Ressourcenausbeutung: Die Menschheit lebt seit 1970 über ihre Verhältnisse. Gleichzeitig schreitet die Umweltzerstörung voran mit Artensterben und Abfallkrise. Mindestens ein Drittel des auf der Erde anfallenden Siedlungsmülls wird nicht ordentlich entsorgt.

Die Linearwirtschaft ist nicht zukunftsfähig

Das schreit nach Änderungen. Und wir brauchen in der Tat eine andere Art zu leben und zu wirtschaften, müssen alte Fehler im System beheben. Allen voran die hohe Klimaintensität, insbesondere in der Industrie: 45 Prozent aller Treibhausgasemissionen entstehen durch die Herstellung von Alltagsgegenständen. Hinzu kommt, dass Produktion und Konsum noch immer größtenteils unidirektional verlaufen: extrahieren, gebrauchen, wegwerfen – eine rein lineare Angelegenheit.

Demgegenüber wird noch viel zu wenig recycelt. Die weltweite Rate liegt erst bei 8,6 Prozent und ist mithin sogar rückläufig. In engem Zusammenhang damit steht die unserem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem innewohnende Obsoleszenz: Konsum und Produkte, die auf Schnelllebigkeit und Ersatz ausgelegt sind.

Also: ein umfassender Zukunftsplan für Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft muss her. Ein Konzept, das den Planeten bewahrt und gleichzeitig Wertschöpfung und Wohlstand auf einem besseren Fundament als derzeit ermöglicht. Und das im Idealfall auch zu einem nachhaltigeren gesellschaftlichen Miteinander führt. Dieses Konzept ist für mich die Kreislaufwirtschaft. Sie ist die übergeordnete Vision, die uns führen und motivieren sollte, der Schlüssel für Klimaneutralität, Ressourcenschonung und Umweltschutz.

Die Kreislaufwirtschaft als globales Leitprinzip

Die Kreislaufwirtschaft zum Leitprinzip machen: ein lohnendes Ziel, das uns aber auch viel abfordern wird. Vor allem benötigen wir einen mentalen Wandel, müssen bereit sein, Schluss zu machen mit der Ex-und-Hopp-Mentalität. Stattdessen heißt es: Güter lange und mehrfach verwenden, mehr reparieren. Abfall vermeiden und unvermeidbaren Abfall als wertvolle Ressource betrachten. Und vor allem: Produkte von vornherein kreislauffähig machen.

Zugegeben, das wird keine bequeme Reise. Wir müssen raus aus der Komfortblase. Wir brauchen XXL-Dosen an Entschlossenheit, Ausdauer und Mut – Unternehmen, Politiker, jeder einzelne Bürger. Auf der anderen Seite ist die Transformation zum zirkulären Wirtschaften und Leben aber keine schiere Zumutung. Die Kreislaufwirtschaft bildet vielmehr auch ein Konjunkturprogramm par excellence. Sie hat enormes Potential für Wertschöpfung, Wachstum und Beschäftigung. Wenn es uns gelingt, sie richtig zu entfesseln, sind in Europa bis 2030 wirtschaftliche Vorteile von rund 1,8 Billionen Euro drin. 700.000 neue Arbeitsplätze könnten entstehen, und beim europäischen Bruttoinlandsprodukt wäre ein Plus um 0,5 Prozent möglich.

Eine Branche erfindet sich neu

Die Chemie- und Kunststoffindustrie hat die große Transformation bereits eingeleitet. Sie ist dabei, eingefahrene Wege zu verlassen. Das bedeutet, nicht nur konsequent auf erneuerbare Energien einzuschwenken, sondern gleichzeitig auch auf der Rohstoffseite eine regelrechte Revolution hin zu erneuerbaren Quellen zu entfachen. Fossile Ressourcen wie Erdöl sind zwar noch vorherrschend. Doch die Wachablösung hat begonnen: durch Abfall, Biomasse und CO2, die uns nachhaltigen, erneuerbaren Kohlenstoff liefern können. So wird dieses wichtige Element im Kreis geführt, anstatt in die Atmosphäre zu ziehen.

Schon heute lässt sich beispielsweise der Kohlenstoff in der wichtigen Grundchemikalie Anilin komplett aus Pflanzen gewinnen. Forschungsdurchbrüche wie diese sorgen für Aufbruchstimmung. Auch am Markt: Aktuell liegt das durchschnittliche jährliche Produktionswachstum biobasierter Kunststoffe bei acht Prozent – und damit höher als der Zuwachs bei Polymeren insgesamt.

Das Recycling von Kohlendioxid ist ebenfalls auf dem Vormarsch. Immer mehr Unternehmen nutzen CO2 als alternativen Rohstoff. Für Autoteile beispielsweise, für Matratzen oder Sportböden. Und auch die Politik erkennt das Potenzial von „Carbon Capture and Utilization (CCU)“. Nicht nur, um weitere CO2-Emissionen zu vermeiden, sondern auch, um das Klimagas aus der Atmosphäre zurückzuholen, Stichwort Direct Air Capture. Ein riesiges ungenutztes Rohstofflager bilden ferner Abfälle beziehungsweise Kunststoffe, die ans Ende ihrer Nutzung gekommen sind. So wird in Deutschland derzeit nur etwa 16 Prozent des Plastikabfalls tatsächlich zu Rezyklat verarbeitet.

Kunststoff mit Netto-Null-Emissionen

Wenn wir Abfall, Biomasse und CO2 sowie Ökostrom in der Produktion kombinieren, ergeben sich fantastische Perspektiven. Auf diese Weise ließen sich nämlich Kunststoffe mit Netto-Null-Emissionen herstellen, wie eine Gruppe von Forschern vor kurzem im Wissenschaftsmagazin „Science“ erläutert hat. Und zwar mit weniger Energie und Kosten, als wenn man die herkömmliche fossilbasierte Produktionsweise in Verbindung mit Abtrennung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS) heranzieht.

Um das Recycling anzukurbeln, brauchen wir aber mehr Allianzen entlang der gesamten Wertschöpfungskette – vom Rohstofflieferanten bis zum Endverbraucher. Nur so gelingt es uns, Abfallmanagementsysteme konsequent auf- und auszubauen. Parallel müssen die Technologien weiterentwickelt werden. Vor allem das noch junge chemische Recycling als Wegbereiter, um Kunststoffe im großen Stil wiederzuverwerten. Dass es als Recyclingoption nun im Koalitionsvertrag steht, darf als ein wichtiger Impuls für Kreislaufwirtschaft gelten.

Die Pfeiler für ein nachhaltigeres, resilienteres System sind also eingerammt. Mit der Kreislaufwirtschaft können wir Klima, Natur und Ressourcen schützen und Wachstum innerhalb planetarer Grenzen zur Realität werden lassen. Wir haben einen Plan – setzen wir ihn um! Denn nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.

Dr. Markus Steilemann