Im Kapitel „Bauen und Wohnen“ der Koalitionsvereinbarung der neuen Bundesregierung nehmen Maßnahmen zur Verbesserung der Wohnraumversorgung breiten Raum ein. Dazu zählt nicht nur das ehrgeizige Ziel, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu schaffen. In der letzten Dekade bewegten sich die jährlich fertig gestellten Wohnungen lediglich zwischen 150.000 und 300.000. Es geht den Koalitionären explizit auch darum, dort, wo in den letzten Jahren die Mieten explodiert sind, die Mietkosten im Blick zu halten. Im Rahmen der jährlich 400.000 neu zu schaffenden Wohnungen sollen jeweils 100.000 öffentlich gefördert und damit sozialgebunden realisiert werden. Daneben werden aber auch mietrechtliche Lösungen und Verbesserungen beim Wohngeld angesprochen – nicht zuletzt, um den Zielkonflikt zwischen bezahlbarem Wohnraum und den klimapolitischen Zielen der Bundesregierung im Auge zu behalten.

Um diese ambitionierten Ziele zu erreichen, muss die neue Bundesregierung die vorhandenen Instrumente effizient ausgestalten und durch innovative Ansätze neu interpretieren. Dies erfordert Mut und Tatkraft von der Koalition, deren drei Partner den Wohnungsmarkt teilweise aus sehr unterschiedlichen Perspektiven betrachten. In diesem Beitrag skizzieren wir wesentliche Elemente einer mutigen Wohnungsbaupolitik.

Wohnraum muss bereits kurzfristig bezahlbar gemacht werden

Empirische Untersuchungen belegen, dass bereits heute ca. 40 Prozent der Haushalte mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens für die Miete aufbringen müssen. Die 30 Prozent-Marke gilt – versehen mit einem relativ breiten wissenschaftlichen Konsens – als die Grenze, die aus sozialpolitischen Gründen möglichst nicht überschritten werden sollte. Wenn die Diagnose richtig ist – und die Empirie belegt dies -, dass Mieten in den Ballungsgebieten und in deren Speckgürtel vor allem bei den Neuvermietungsmieten für kleine und mittlere Einkommen diese Grenze überschreiten, werden Neubaumaßnahmen alleine nicht ausreichen, um sozialpolitische Missstände kurzfristig zu beheben.

Deshalb ist es richtig, dass die Koalition auch Verschärfungen beim Mietrecht und Verbesserungen beim Wohngeld vorsieht. Die mietrechtlichen Vorhaben setzen an den richtigen Stellen an, um Mietpreissteigerungen in angespannten Wohnungsmärkten einzudämmen: Steigerungen von Bestandsmieten werden weiter begrenzt, Neuvermietungen sollen bis 2029 der sogenannten Mietpreisbremse unterliegen und die Pflicht zur Erstellung von Mietspiegeln, die ein zentrales Instrument sind, um die Mietpreisbremse umzusetzen, soll erweitert werden. Die Richtung stimmt – ob nachjustiert werden muss, wird der Gesetzesvollzug zeigen.

Ein Dilemma bleibt: Mietrecht kann überhöhte Mietsteigerungen unterbinden, aber nicht dafür sorgen, dass bereits heute sozialpolitisch inakzeptable Mieten gezahlt werden müssen. Angebotssteigernde Maßnahmen (siehe unten) sind deshalb notwendig, aber nicht in der Lage, kurzfristig bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Aus diesem Dilemma erwächst eine wichtige Funktion des Wohngeldes. Wohngeld wirkt kurzfristig entlastend. Es ist eine klassische sozialpolitische Maßnahme, die als Subjektförderung ausgestaltet ist. Sie verändert nicht die Marktergebnisse, sondern macht sie für Bezieher niedriger Einkommen erträglicher. Spätestens seit dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium aus dem Jahr 2018 mit dem Titel „Sozialer Wohnungsbau“ wird das Wohngeld als „Wunderwaffe“ marktliberaler Ökonomen von progressiven Wissenschaftlern skeptisch beäugt. Der Grund ist klar und nachvollziehbar: Wenn man Wohngeld dauerhaft so ausgestaltet, dass bedürftige Mieter nicht mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für Wohnkosten aufbringen müssen und man alle anderen regulierenden Maßnahmen (Mietrecht, Baurecht) und staatliche Eingriffe  (soziale Wohnraumförderung) zurückschraubt, subventioniert der Staat den Eigentümern Mietsteigerungen, indem er bei den Mietern für den entsprechenden sozialen Ausgleich sorgt.

Wohngeld darf nicht zur Entschädigung für unregulierte und überhöhte Marktergebnisse werden. Es muss perspektivisch eine Sozialleistung für einkommensschwache Haushalte bleiben. Wenn die Mieten in bestimmten Ballungsräumen aber so hoch sind, dass selbst Bezieher mittlerer Einkommen in angemessenen Wohnverhältnissen die 30 Prozent-Marke deutlich übersteigen, muss darüber nachgedacht werden, temporär die Parameter des Wohngeldgesetzes zu verändern. Der Koalitionsvertrag sieht strukturelle Verbesserungen beim Wohngeld nur im Kontext möglicher Verteuerungen infolge von Klimaschutzmaßnahmen vor. Mietenstufen, Einkommensgrenzen und das Ausgleichsmaß sind geeignete Parameter im Wohngeldgesetz, die temporär so verändert werden könnten, dass stark mit Mietzahlungen belastete Haushalte nicht einige Jahre darauf warten müssen, bis neu gebaute Wohnungen zu einer Entspannung des Wohnungsmarktes führen.

Mittelfristig muss neuer bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden

Mietrecht und Wohngeld sind wichtige Instrumente, aber sie kurieren hauptsächlich an den Symptomen des Wohnungsmarktes. Eine ursachenadäquate Politik muss das Angebot bezahlbaren Wohnraums in den angespannten Märkten fördern.

Die Ampelkoalition will, dass jährlich 400.000 neue Wohnungen erstellt werden, davon 100.000 geförderte Wohnungen. Dabei soll neben der traditionellen sozialen Wohnraumförderung die Gemeinnützigkeit in der Wohnungswirtschaft wiederbelebt werden. Eine neue Gemeinnützigkeit kann ein interessanter Baustein für bezahlbares Wohnen werden, aber ohne eine massive Ausweitung des öffentlichen Wohnungsbaus wird das gesteckte Ziel von jährlich 100.000 neuer, geförderter Wohnungen nicht erreicht werden. Die Ampelkoalition sollte daher den öffentlichen Wohnungsbau stärken, indem sie auf drei bewährte Instrumente des Bundes zurückgreift und diese den zukünftigen Herausforderungen entsprechend anpasst.

Das erste Instrument ist die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), die durch einen eigenen Bodenfonds die Länder und Kommunen dabei unterstützen sollte, einen angemessenen Bestand an öffentlichen Bodeneigentum aufzubauen. Denn eine effektive Liegenschaftspolitik ist häufig nur möglich, wenn Grund und Boden im Eigentum der öffentlichen Hand verbleibt. Dies haben die meisten Städte und Gemeinden mittlerweile erkannt, aber vielen Kommunen fehlen die finanziellen und personellen Ressourcen. Hier kann ein Bodenfonds der BImA helfen, der durch finanzielle Beiträge, Sacheinlagen (Bundesliegenschaften) und organisatorisches know-how die Gründung kommunaler und landeseigener Boden- und Infrastrukturfonds unterstützt.

Das zweite Instrument ist die KfW, die mittels eines eigenen Beteiligungsfonds die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften bei der Aufstockung der Eigenkapitalbasis finanziell stärken sollte. Darüber hinaus kann ein solcher Beteiligungsfonds die Kommunen und Länder bei der Gründung öffentlicher Wohnungsbaugesellschaften unterstützen. Denn viele kommunale Wohnungsbaugesellschaften haben zwar ihre Bautätigkeit zuletzt ausgeweitet, aber halten sich immer noch mit dem Neubau zurück, um nicht ihre Eigenkapitalquote zu sehr abzusenken. Dadurch entsteht ein gefährlicher Engpass im öffentlichen Wohnungsbau, den ein Beteiligungsfonds verringern kann.

Das dritte Instrument ist die Beratungsgesellschaft des Bundes „Partnerschaft Deutschland“ (PD), welche ihre Beratungstätigkeit im Bereich des kommunalen Wohnungsbaus ausweiten sollte. Die PD kann die kommunalen Verwaltungen bei der Planung und Entwicklung von Wohnbau- und Stadtteilprojekten unterstützen. Solche Projekte sind häufig hochkomplex und erfordern die Bündelung verschiedener Aufgabenbereiche und fachlicher Kompetenzen. Zudem sollte die PD noch stärker als bisher den Kommunen helfen, Förderprogramme des Bundes oder der EU abzurufen („Lotsenfunktion“).

Die genannten Instrumente sind wichtige Bausteine zur Stärkung des öffentlichen Wohnungsbaus, aber das gesteckte Ziel von jährlich 100.000 neuer, geförderter Wohnungen kann ohne eine Kapazitätsausweitung in der Bauwirtschaft nicht erreicht werden. Deshalb ist es richtig, dass im Koalitionsvertrag dem seriellen Bauen eine besondere Rolle zugeschrieben wird. Denn nur das serielle Bauen kann – im Zusammenspiel mit einer Digitalisierung und Entbürokratisierung – zu den Produktivitätsgewinnen führen, ohne die eine Senkung der Baukosten nicht möglich ist. Serielles Bauen wird in Zukunft durch innovative Technologien noch mehr als bereits heute schon auch in puncto baulicher und gestalterischer Qualität überzeugen. Darüber hinaus sollte die neue Bundesregierung zusätzliche Anstrengungen unternehmen, die Bauwirtschaft bei der Ausbildung und Einstellungen von Fachkräften zu unterstützen. Kurz gesagt: Es braucht ein „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“, das alle wichtigen Akteure und Ansätze zusammenbringt.

 

Prof. Dr. Carsten Kühl

Prof. Dr. Sebastian Dullien