Ich muss manchen Beobachter*innen, auch hier im Blog, energisch widersprechen: Die Ergebnisse von Glasgow waren und sind ein großer Erfolg. Ich habe der britischen Präsidentschaft entsprechend herzlich gratuliert. Denn wir nehmen aus Glasgow klare Signale mit: für eine Klimapolitik, die sich am 1,5 Grad Ziel ausrichtet, einschließlich weltweiter Energiewende. Und für Solidarität mit den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Staaten.

Das Regelwerk ist fertig

Der völkerrechtliche Rahmen für das Übereinkommen von Paris steht nun: die fehlenden Kapitel des Pariser Regelbuchs sind geschrieben.

Schon für die Emissionen dieses Jahres müssen die Staaten regelmäßig und einheitlich über ihre Emissionen und Fortschritte bei der Umsetzung ihrer nationalen Verpflichtungen berichten. Die Tabellen- und Berichtsformate dafür haben wir gerade noch rechtzeitig verabschiedet.

Die Klimabeiträge der Staaten (NDCs) sollen ab 2025 für jeweils fünf Jahre im Voraus – also dann für 2031-2035 – abgegeben werden.

Und wir haben endlich ambitionierte Regeln zu Artikel 6 des Pariser Abkommens; also dazu, wie Staaten untereinander oder auch mit Unternehmen zusammen an Emissionsminderungen arbeiten und die Ergebnisse nutzen können, um ihre NDCs zu erreichen. Das macht den Weg frei für zusätzliche Ambitionssteigerungen durch Kooperationen. Hier hat sich das Warten sehr gelohnt: alle Ansinnen einer Doppelzählung sind nun vom Tisch. Die Regeln sind an vielen kleinen, aber wichtigen Stellschrauben, auch gegenüber den Entwürfen von Madrid, noch robuster geworden.

Globale Energiewende: Der Anfang vom Ende der Kohle

Glasgow hat festgestellt, dass die weltweite Energiewende schon im Gange ist. Schnell auf erneuerbare Energien umzusteigen und ineffiziente Subventionen für fossile Energieträger abzubauen sind beides Meilensteine.

Sehr viele Staaten hatten sich sehr ausdrücklich eine deutlichere Formulierung zum Kohleausstieg gewünscht, manche sicher auch eine klarere Sprache zum Subventionsabbau. In dramatischer letzter Minute wurde der Wortlaut zum internationalen Kohleausstieg abgeschwächt. Aber auch in der Formulierung als „phasedown of unabated coal power“ ist der Einstieg in den Ausstieg enthalten.

1,5 Grad in Reichweite halten: das Ambitionssteigerungsprogramm

Im Vorfeld und noch während der Konferenz haben zahlreiche Staaten ihre Klimaschutzziele deutlich verschärft. So wollen bspw. alle G7-Staaten bis 2050 klimaneutral werden. Dem haben sich auch die meisten G20-Staaten bereits angeschlossen. Neue nationale Ziele setzten sich u.a. Indien (Klimaneutralität bis 2070), Nigeria (Klimaneutralität bis 2060) und die Türkei (Klimaneutralität bis 2053).

Eine große Errungenschaft von Glasgow ist, dass erstmals beschlossen wurde, die Erderhitzung nicht mehr wie noch auf der Klimakonferenz von Paris vorrangig auf 2 Grad zu begrenzen. Die bislang nur „erstrebenswerte“ Begrenzung auf 1,5 Grad wurde nun zum tatsächlichen Ziel ausgebaut.

Dieses Ziel braucht nationales wie internationales Handeln, über das hinaus, was weltweit auf dem Tisch liegt. Jeder Staat muss zum Beispiel beitragen zur weltweiten Energiewende – siehe oben. Aber wir brauchen dafür auch die weltweiten Industrie-, Verkehrs-, Bau- und Wärme-, Landwirtschafts- und Ernährungswenden.

Dass bis 2030 die Emissionen um 45 Prozent gegenüber 2010 sinken müssten, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, unterstreicht die Abschlusserklärung im Einklang mit dem bisher aktuellsten IPCC-Bericht.

Um diese Herausforderung anzugehen, beginnt 2022 das Programm zur Ambitionssteigerung vor 2030: Die Staaten sollen dafür im ersten Schritt ihre derzeitigen Klimaziele überprüfen und bis Ende 2022 anheben, damit die globale Minderung der Treibhausgasemissionen in Einklang mit den Temperaturgrenzen des Pariser Abkommens steht. Außerdem sollen sie dazu passende Langfriststrategien vorlegen, durch die das Ziel der Treibhausgasneutralität erreicht wird. Diese sind anschließend regelmäßig zu aktualisieren. Auch die EU ist aufgefordert, 2022 ihren Klimabeitrag zu überprüfen; Deutschland sollte auch seine Langfriststrategie aktualisieren. Ein jährlicher hochrangiger politischer Dialog wird die Fortschritte bei der Ambitionssteigerung ab der nächsten UN-Klimakonferenz (COP 27) in Ägypten 2022 diskutieren.

Flankierende sektorale Initiativen: ein Blick in die Zukunft des UNFCCC-Prozesses?

Flankierend hatte die britische COP-Präsidentschaft eine Reihe von sektoralen Ankündigungen, Erklärungen und Initiativen vorbereitet. Auch Deutschland ist den allermeisten dieser Erklärungen beigetreten. Wir haben auch das „Leader’s Statement of the High Ambition Coalition“ unterzeichnet, in dem sich eine Gruppe von Industrie-, Entwicklungs- und besonders vulnerablen Staaten (z.B. die Marshall Inseln, Costa Rica oder die USA) auf einen globalen 1.5°-Pfad verpflichtet und entsprechende Maßnahmen zusagt. Dem Joint Statement des Zero Emission Vehicle Transition Council im Vorfeld der COP sowie der „Declaration on accelerating the transition to 100% zero emission cars and vans“ in Glasgow konnte sich Deutschland leider nicht anschließen – denn synthetische Kraftstoffe sind dort aus der Definition emissionsfreier Fahrzeuge ausgeschlossen.

Weitere multilaterale Vereinbarungen wie etwa der Methan-Pledge, eine Erklärung zur Beendigung der internationalen Finanzierung von fossilen Energien und finanzielle Zusagen für den Schutz der Wälder in den nächsten 5 Jahren, können für künftige Kooperationen wegweisend sein.

Auch die von Deutschland mitinitiierte Partnerschaft mit Südafrika zum sozialverträglichen Kohleausstieg setzte ein Zeichen für Ambition im Klimaschutz. Multinationale sektorale Umwelt-, Klima- und Energiekooperationen wie diese sollten wir ausbauen, um Entwicklungsländer bei der Emissionsminderung und Transformation zu unterstützen.

Für die Umsetzungsphase des Übereinkommens von Paris wird sich der UNFCCC Prozess weiter entwickeln müssen. Wie können wir ihn auf effiziente Weise stärker mit solchen sektoralen Umsetzungsprozessen verknüpfen? Diese Frage wird die COP 27 in Ägypten auch diskutieren.

Anpassung und ihre Finanzierung, Verluste und Schäden

Anpassung an den Klimawandel und der Umgang mit Schäden und Verlusten, die die weltweite Erhitzung verursacht, sind den Entwicklungsländern sehr wichtig.

Da bisher wesentlich mehr Geld in Minderungsmaßnahmen fließt als in Anpassungsmaßnahmen, soll bis 2025 die Anpassungsfinanzierung verdoppelt werden. Das ist ein verständliches Anliegen der Entwicklungsländer, auch wenn Investitionen in Minderung weiterhin das rentabelste Mittel sind, um die Erforderlichkeit und Kosten der Anpassung in Grenzen zu halten.

Das globale Anpassungsziel des Pariser Abkommens besagt – leicht verkürzt: weniger Verwundbarkeit, mehr Resilienz. Um daran intensiver zu arbeiten, wurde ein zweijähriges Glasgow-Sharm-el-Sheikh Arbeitsprogramm beschlossen. Auch der Weltklimarat – Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC – wird dazu beitragen, denn er verabschiedet im Februar 2022 das zweite Kapitel seines sechsten Sachstandsberichts zu Folgen des Klimawandels, Verwundbarkeit und Anpassung. Diese Ergebnisse werden bei den nächsten technischen Klimaverhandlungen in Bonn im Juni 2022 eine Rolle spielen, etwa bei der Diskussion über die Fortschritte, die wir bei der Umsetzung des Globalen Anpassungsziels gemacht haben und noch machen müssen.

Im Fokus von COP 27 (und danach) wird auch eine bessere Risikovorsorge für Verluste und Schäden durch den Klimawandel stehen; außerdem, ob – und falls ja, wie – eine Finanzierungsfazilität für Schäden und Verluste ausgestaltet werden soll.

Klimafinanzierung bis 2025 und nach 2025

Das Klimafinanzierungsziel von jährlich 100 Milliarden US-Dollar für die Jahre 2020 bis 2025 wurde bekanntlich bisher verfehlt. Im Vorfeld der COP hatte ich daher auf Bitte der britischen COP-Präsidentschaft mit meinem kanadischen Kollegen Wilkinson einen Plan ausgearbeitet, wie es noch erreicht werden kann. Dass wir uns hier transparent, offen und ehrlich gezeigt haben, hat sicher dazu beigetragen, dass die berechtigte Kritik der Entwicklungsländer am Verfehlen der Ziele nicht in eine Verweigerungshaltung umgeschlagen ist, sondern dass wir konstruktiv und nach vorne blickend das Paket von Glasgow verabschieden konnten.

Daneben greift die Mantelentscheidung auch den Bedarf auf, die internationale Klimafinanzierung über 100 Mrd. USD pro Jahr hinaus zu erhöhen. Das hatten wir schon in Paris für den Zeitraum nach 2025 vereinbart. Dieses neue Klimafinanzierungsziel für die Zeit nach 2025 soll bis 2024 festgelegt werden.

Die Abschlusserklärung unterstreicht auch, dass wir noch intensiver daran arbeiten müssen, die globalen Finanzströme in Einklang zu bringen mit einer emissionsarmen und klimaresilienten Entwicklung.

Jugendbewegung anerkannt, neues Arbeitsprogramm für Klimabildung

Die Jugendbewegung ist wichtiger Akteur und Verbündeter für ehrgeizige globale Klimaschutzmaßnahmen – das würdigt auch die Abschlusserklärung von Glasgow.

Das neue, auf zehn Jahre angelegte Arbeitsprogramm für Klimabildung wird 2022 durch einen Aktionsplan ausgestaltet.

Biodiversität, Geschlechtergerechtigkeit

Der Zusammenhang zwischen Biodiversitäts- und Klimakrise wird ebenso unterstrichen. Deswegen spricht das Glasgow-Paket auch die Notwendigkeit an, für erfolgreichen Klimaschutz und Anpassung intakte Ökosysteme zu schützen und degradierte wiederherzustellen; natürlich unter Einhaltung sozialer und ökologischer Leitplanken.

Erstmals wurde der Ruf nach Geschlechtergerechtigkeit inhaltlich wirksam: Gender Mainstreaming soll nun in den NDCs und Langfriststrategien berücksichtigt werden. Auch die Klimafinanzierung soll Geschlechtergerechtigkeit stärker berücksichtigen.

 

Jochen Flasbarth