Runter von der Bremse: Planungs- und Genehmigungsverfahren jetzt beschleunigen

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Prof. Dr. Ines Zenke Präsidentin des Wirtschaftsforums der SPD e.V.
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Als 2007 der Bau des neuen Kraftwerksblocks Datteln 4 begann, sah die Welt noch anders aus. Die Steinkohle hatte mit 142 Terrawattstunden einen deutlich höheren Anteil an der Bruttostromerzeugung in Deutschland als die Erneuerbaren Energien mit 89 Terrawattstunden. Im Jahr 2020, als das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 schließlich den Betrieb aufnahm, lag der Steinkohleanteil dann noch bei 43, die Erneuerbaren dagegen bei rund 250 Terrawattstunden. Dazwischen lagen 13 Jahre planungsrechtliches Tauziehen: Der Bebauungsplan wurde für unwirksam erklärt, es folgte ein neuer vorhabenbezogener Bebauungsplan. Mitte letzten Jahres wurde schließlich auch dieser für rechtswidrig erklärt. Damit fehlt dem Kraftwerk die planungsrechtliche Grundlage. Offen ist, wie sich dieser Sachverhalt nun in Bezug auf den (gültigen) Genehmigungsbescheid verhält. Eigentlich war geplant, das Kraftwerk bis 2038 in Betrieb zu halten …

Abgesehen von der ebenfalls diskutierten Frage, ob Datteln vor dem Hintergrund des deutschen Kohleausstieges und der geschärften Klimaschutzziele überhaupt noch gewollt ist: Für die Investorenseite steht die Genehmigungsgeschichte von Datteln 4 als prominentes Negativbeispiel für ein deutsches Planungs- und Genehmigungssystem, das die Investitionen ausbremst oder diese schlimmstenfalls zu stranded investments macht. Gleich nach Datteln 4 wird regelmäßig auf das Vorhaben SuedLink verwiesen, die für die deutsche Energieversorgung so zentrale HGÜ-Leitung, die den erzeugungsstarken Norden mit dem stromhungrigen Süden verbinden soll. Anstatt von 2022 spricht man hier mittlerweile von 2028 als „ambitioniertes“ Ziel der Fertigstellung. So richtig überzeugt davon, dass dieses Datum auch zu halten ist, scheint allerdings aktuell niemand zu sein. Dass die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und der vordringliche Bedarf von SuedLink bereits 2013 festgestellt wurden, macht die Sache nicht besser. Lange Genehmigungsverfahren kennt auch die Erneuerbare-Energien-Branche. Die Genehmigung einer Windkraftanlage an Land dauert nicht selten mehrere Jahre. Mit den Zielen der Bundesregierung, die Erneuerbaren Energien kurzfristig massiv auszubauen (80 % Erneuerbare bis 2030), passt das nicht zusammen.

Aber natürlich gibt es auch gute Nachrichten. Zum einen hat die Verwaltung in zahlreichen Verfahren bewiesen, dass sie schnell, effizient und rechtssicher kann. Prominente wie weniger prominente Beispiele zeigen, dass komplexe Verfahren in akzeptablen Zeiträumen mit wertschätzender Beteiligung aller Betroffenen abgeschlossen werden. Zum anderen greift die Ampel-Koalition die Notwendigkeit der Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren an verschiedener Stelle als zentral auf. Dies zeigen sowohl der Koalitionsvertrag als auch die Eröffnungsbilanz Klimaschutz des BMWK.

Danach soll bis zum Erreichen der Klimaneutralität ein befristeter Vorrang für Erneuerbare Energien bei der Schutzgüterabwägung geschaffen werden. Die Erneuerbaren Energien sollen als im überragenden öffentlichen Interesse eingeordnet werden. Ganz grundsätzlich ist geplant, die personelle und technische Ausstattung der Behörden und Gerichte zu verbessern sowie die Digitalisierung der Planungs- und Genehmigungsverfahren voranzutreiben. Wie wichtig die Netzinfrastruktur – sowohl auf Übertragungs- als auch auf Verteilnetzebene – für das Gelingen der Energiewende ist, hat das BMWK in seiner Eröffnungsbilanz ebenfalls bestätigt. Und identifiziert die langwierigen Verfahren als wesentlichen Punkt für den zu langsamen Netzausbau. Eine integrierte und vorausschauende Netzplanung müsse ermöglicht werden mit einem ganzheitlichen Blick auf die Medien Strom, Erdgas, Wasserstoff und Wärme.

All dies sind bereits wichtige und richtige Ansätze, um das Planungs- und Genehmigungsszenario in Deutschland zu beschleunigen. Jenseits der offensichtlichen Argumentationen „höheres Budget für die öffentliche Verwaltung“ und „Personalaufstockung“ gilt es konsequent weiter zu denken. Der Fachkräftemangel verfliegt nicht durch das schlichte Aufstocken von zu besetzenden Stellen in einer Genehmigungsbehörde. Auch das immer wieder geforderte Verkürzen von Stellungnahme- oder Auslegungsfristen in der Bürger*innenbeteiligung – die Zulässigkeit dessen mal beiseitegelassen – hätte Projekten wie Datteln 4 oder SüdLink wenig geholfen.

Tatsächlich braucht es ein ganzes Bündel von Maßnahmen, um die gewünschte Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren zu erreichen. Das gilt für die großen Linien, die nur der Gesetzgeber neu schreiben kann, wie der schon erwähnte befristete Vorrang für Erneuerbare Energien bei der Schutzgüterabwägung oder etwa die Einordnung bestimmter energiewendefreundlicher Anlagen (wie Elektrolyse-Anlagen zur Herstellung von Wasserstoff, Energiespeicher, Photovoltaik-Anlagen) als privilegierte Vorhaben im Außenbereich.

Weitere Möglichkeiten liegen in der Korrektur vermeintlicher Kleinigkeiten, die enorme Verfahrensbeschleunigungen mit sich bringen können. Sie betreffen sowohl solche, die bei den Vorhabenträger*innen ansetzen als auch solche, die sich an die Behörden wenden. Einige dieser Maßnahmen wurden bereits erfolgreich erprobt, haben es aber noch nicht über die Grenze der jeweiligen landesbehördlichen Verwaltungspraxis geschafft. Hierzu gehört der Einsatz von privaten Projektmanager*innen. Während die private Finanzierung dieser sachverständigen Organisatoren in einigen Ländern als entlastend anerkannt und ihr Einsatz bei der Gebührenfestsetzung entsprechend in Abzug gebracht wird, ist dies anderenorts noch nicht der Fall. Ähnlich sieht es mit dem Einsatz der Behördensachverständigen aus. Nicht jede Genehmigungsbehörde darf bei Engpässen auf unterstützenden externen Sachverstand einfach so zurückgreifen, selbst dann nicht, wenn die Vorhabenträger*innen eine Kostenübernahme bestätigen.

Aus anderen Ländern wird berichtet, dass der Staat sich dort mit den Vorhabenträger*innen gemeinsam in die Antragstellung begibt, gerade wenn es um große Infrastrukturvorhaben geht. Das so erzeugte Eigeninteresse beschleunige die Verfahren enorm. In Deutschland ist diese gemeinsame Antragstellung zwar nicht vorgesehen. Wenn es aber das Credo wäre, von mehreren Alternativen für die Genehmigungserteilung stets diejenige zu wählen, mit der ein Vorhaben am schnellsten realisiert werden kann, ließen sich ähnliche positive Effekte erzielen. Dann hieße der Handlungspfad z.B. Vollgenehmigung unter Bedingung oder Auflage vor späterer Genehmigungserteilung oder weiterer Zusatzgebühren auslösender Teilgenehmigung. Warum soll die Genehmigungserteilung auch vom Eintrag einer Grundstücksvereinigung im Grundbuch abhängen, wenn es reicht, dass er bei Inbetriebnahme gegeben ist? Gleiches gilt für den Nachweis der Statikprüfung oder des Brandschutzes. Zudem sollte die Stellung der verfahrensführenden Behörde gestärkt werden. Insbesondere die innerbehördliche Abstimmung darf kein Engpass sein. Bekanntes und bereits identisch in einem anderen Verfahren Geprüftes sollte verfahrensverkürzend heranziehbar sein. Auch Standards der Abstimmung oder Fristen zur Klärung innerbehördlicher Differenzen helfen der Schnelligkeit im Verfahren.

Vieles gilt es dringend umzusetzen. Die gute Nachricht ist: Vieles davon ist machbar. Meint die Ampel-Koalition es ernst mit der rapiden Modernisierung des Landes, dann gehören die deutliche Straffung und Effizienz von Planungs- und Genehmigungsverfahren ganz oben auf die Agenda. Mehr noch, sie sind Voraussetzung dafür.

Prof. Dr. Ines Zenke