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Der russische Einmarsch in der Ukraine ist ein Paradigmenwechsel für die europäische und speziell für die deutsche Politik. Noch bis vor wenigen Wochen schienen alle politischen Aktivitäten in Brüssel und Berlin darauf ausgerichtet zu sein, Europa binnen kurzer Zeit zum klimaneutralen Kontinent zu machen und dessen technologische Wettbewerbsfähigkeit zu behaupten. Die ökologische Transformation sollte zum Markenkern der gerade neu ins Amt gewählten Ampel-Koalition werden.

Mit Beginn des Krieges und spätestens seit der Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar haben sich die Gewichte erst einmal verschoben: Deutschland wird seine Ausgaben für das Militär in den kommenden Jahren signifikant steigern und beträchtliche Investitionen in seine äußere Sicherheit tätigen. Zugleich wurden wirtschaftliche Sanktionen gegen den Aggressor verhängt, die in dieser Dimension beispiellos sind. Die Eindämmung Russlands dürfte zum Europa beherrschenden Thema mindestens der nächsten Monate werden.

Was heißt das für die Klimapolitik Deutschlands und Europas in den kommenden Jahren? Die Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass sie an ihren klimapolitischen Ambitionen festhalten werde. Um diese Absicht zu untermauern, hat sie gerade erst beschlossen, dem Energie- und Klimafonds bis 2026 200 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Auch wenn ein größerer Teil dieses Betrages ohnehin schon eingeplant war, veranschaulicht diese Summe doch, dass die Dringlichkeit der Energiewende noch einmal größer geworden ist. Die Abhängigkeit von russischen Gas- und Ölimporten hat sich schließlich als Achillesferse Deutschlands und anderer Staaten erwiesen und muss so schnell wie möglich beendet werden. Flüssiggasterminals, neue Bezugsquellen, gegebenenfalls längere Laufzeiten von Kohlekraftwerken sind die eine Seite der Medaille, doch vor allem geht es der Bundesregierung darum, den Umstieg auf erneuerbare Energien noch einmal zu forcieren.

Investitionen in gewaltiger Höhe

Dass der Umbau unserer Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität und Nachhaltigkeit viel Geld kosten wird, ist natürlich kein Geheimnis und wird nicht nur durch die Summen verdeutlicht, die in den Klimafonds fließen sollen. Die grüne Transformation, aber auch die Errichtung einer modernen digitalen Infrastruktur, die für eine erfolgreiche Klimapolitik unumgänglich ist, erfordert Investitionen in gewaltiger Höhe. Für die Europäische Union rechnet die Kommission mit jährlichen Beträgen von mindestens 350 Milliarden Euro. Andere Zahlen bewegen sich in ähnlichen Sphären.

Doch wer soll diese Investitionen stemmen? Obgleich staatliche Milliardenpakete gegenwärtig schnell geschnürt werden, ist die Frage der Finanzierung des Klimaschutzes damit noch längst nicht beantwortet. Selbstverständlich werden öffentliche Investitionen eine wichtige Rolle spielen. Der Bau einer leistungsfähigen Infrastruktur für den Energietransport oder für die klimaneutrale Mobilität muss vorangetrieben werden, und hier ist in erster Linie der Staat in der Verantwortung. Eine kluge Förderpolitik kann das Geld obendrein in die Entwicklung grüner Technologien lenken und so eine unverzichtbare Anschubfinanzierung leisten.

Aber der Fokus auf öffentliche Investitionen und Staatshilfen führt in die falsche Richtung. Die finanziellen Ressourcen des Staates sind zwar groß, aber sie sind alles andere als unerschöpflich. Ein Großteil der Ausgaben für neue Technologien und Produktionsverfahren muss und wird daher privat finanziert werden. Anders lässt sich die grüne Transformation nicht erfolgreich bewerkstelligen. Klar ist deshalb: Wir brauchen eine Finanzierungsarchitektur, die der Größe der Aufgabe gerecht wird und die es ermöglicht, Beträge in ungekannter Höhe zu mobilisieren.

Es kommt nun zunächst ganz erheblich auf die Wirtschaft an: Tausende Unternehmen werden in den kommenden Monaten und Jahren ihre CO2-Bilanz gründlich analysieren und hierzu unzählige Daten erheben müssen – häufig haben sie damit schon begonnen. Tausende Unternehmen werden ihre Geschäftsmodelle anpassen und in neue klimafreundliche Technologien investieren. Und sehr viele von ihnen werden sich dabei an ihre Banken wenden, denn über die Kreditinstitute läuft ein Großteil der Finanzierung der deutschen und europäischen Wirtschaft.

Es ist deshalb nicht übertrieben zu sagen: Mehr Klimaschutz geht nur mit den Banken. Die Institute realisieren schon seit einiger Zeit, dass das Thema in den Gesprächen mit ihren Unternehmenskunden eine immer größere Rolle spielt. Der Druck auf die Wirtschaft, sich klimafreundlich aufzustellen, wächst: Steigende CO2-Preise spielen hier ebenso eine Rolle wie die Erwartungen von Kunden, Öffentlichkeit sowie der Banken. Obendrein unterliegen immer mehr Unternehmen direkten und indirekten Berichterstattungspflichten im Bereich der Nachhaltigkeit. Doch auch die Banken verspüren diesen Druck, denn sie sind es, die die Risiken ihrer Kredite neu bewerten müssen: Sie prüfen sehr genau, wie es um die Nachhaltigkeit ihrer Unternehmenskunden bestellt ist und wie sich Unternehmen für künftige Herausforderungen rüsten. Neben Klima- und Umwelt spielen dabei auch soziale Aspekte und Fragen der guten Unternehmensführung eine Rolle. Um Risiken richtig zu beziffern, müssen sehr viele Daten von den Unternehmen eingeholt werden.

Daten werden immer wichtiger

Womit wir bei der Taxonomie wären, dem Aufregerthema der ersten Wochen des Jahres. Die grüne Taxonomie der EU ist das Herzstück des EU-Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums. Sie definiert, was grün im Sinne der Umwelt und des Klimaschutzes ist, und soll Anlegern so die Möglichkeit eröffnen, gezielt in nachhaltige Unternehmen und Branchen zu investieren. Der Fokus der „EU-Taxonomie“ liegt zwar auf großen, kapitalmarktorientierten Unternehmen, aber auch mittelständische Unternehmen werden immer mehr in die Pflicht genommen: Sie müssen in ihrem Jahresabschluss zukünftig genauere Angaben zur Nachhaltigkeit machen.

Immer mehr Unternehmen wollen darüber hinaus wissen, welchen Einfluss die Taxonomie auf den Kreditprozess hat. Die Banken wiederum sind angehalten, künftig die sogenannte Green Asset Ratio (GAR) offenzulegen. Die GAR setzt die taxonomiekonformen Risikopositionen von Kreditinstituten ins Verhältnis zu ihren gesamten Risikopositionen. Die GAR könnte weitreichenden Einfluss auf die Berichterstattung von Kreditinstituten haben, da sie einen Vergleich von „Nachhaltigkeits-Quoten“ ermöglicht. Problem an der Sache: Viele der für die Berechnung der Green Asset Ratio notwendigen Daten werden bisher noch nicht systematisch erfasst. Zudem werden bestimmte Positionen im Zähler der GAR nicht berücksichtigt, wodurch Institute schlechter dastehen, als sie es eigentlich sind.

Ohne Zweifel: Die Taxonomie ist ein wertvolles Instrument, das für den Übergang zu einer kohlenstoffarmen und ressourceneffizienten Wirtschaft wegweisend ist, schließlich zeigen die definierten Kriterien und Leistungsschwellen auf, welche Aktivitäten klima- bzw. umweltfreundlich sind und welche nicht. Wichtig bei alldem aber ist, dass das Regelwerk nicht zu kleinteilig wird. Dass Daten erhoben und ausgewertet und die detaillierten Bewertungskriterien regelmäßig aktualisiert werden müssen, liegt in der Natur in der Sache. Der dabei entstehende Aufwand darf angesichts der Fülle an Daten aber nicht unterschätzt werden, teilweise steht er schon jetzt in keinem Verhältnis zu den gewonnenen Informationen. Hier müssen wir aufpassen, dass die Beteiligten bald den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Wichtig deshalb auch: Die relevanten Nachhaltigkeitsdaten müssen künftig zentral gesammelt und bereitgestellt werden. Dies sollte insbesondere auch für die Energieeffizenzausweise von Immobilien gelten, die bislang kaum zugänglich sind, obgleich die Banken sie für ihr Reporting benötigen.

Transformationsfinanzierung ermöglichen

Die aktuelle Ausgestaltung der Taxonomie zeigt deutlich, dass ihr Fokus zu eng gesteckt ist. Letztlich muss sich die gesamte Wirtschaft auf den Weg in Richtung Net-Zero machen. Der zügige Umbau der Wirtschaft darf nicht dadurch erschwert werden, dass Unternehmen und Banken viel Zeit mit komplizierten technischen Bewertungskriterien verbringen müssen und so am Eigentlichen gehindert werden: Transformationspfade beschreiten und Transformationspfade finanzieren. Denn gerade um diese Transformationspfade geht es. Es ist daher wichtig, dass die „Green Taxonomy“ zur „Greening Taxonomy“ erweitert, also um Prinzipien zur Transformationsfinanzierung ergänzt wird – das Geld muss schließlich gerade auch dorthin fließen, wo CO2 eingespart wird und Unternehmen sich auf dem Weg zur Klimaneutralität machen. Und auch hier ist die Praktikabilität von immenser Wichtigkeit.

Sofern bürokratische Belastungen den grünen Aufbruch der Wirtschaft nicht empfindlich beeinträchtigen, kann die Finanzwirtschaft eine enorme Hebelwirkung erzeugen. Und genau diese Möglichkeiten sollten ausgeschöpft werden. Deswegen müssen die Banken einen genügend großen Kreditvergabespielraum haben. Regulierung soll Impulse setzen, darf aber gerade die kleinen Banken und Unternehmen nicht überfordern. Und deswegen sollte „Sustainable Finance“ zu einem integralen Bestandteil der Klimaschutzpolitik werden. In ihrem Koalitionsvertrag bekennt sich die Bundesregierung dazu, Deutschland zum führenden Standort nachhaltiger Finanzierung zu machen. Dazu gehört aber auch, die Bedeutung der Finanzbranche für den Klimaschutz anzuerkennen. Aus unserer Sicht wäre es daher dringend angezeigt, dass Verbände wie der Bankenverband, die intensiv an den Themen arbeiten, vollwertige Mitglieder in einem künftigen Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung werden.

Schnell sein, kreativ sein, konsequent sein, und das nicht auf Kosten der Sicherheit, sondern auf Kosten von Bürokratie und Überregulierung – so kann eine erfolgreiche Klimaschutzpolitik aussehen, die neue Chancen eröffnet. Und über den Tellerrand hinausschauen, denn die Finanzierungsarchitektur, die wir benötigen, muss eine europäische sein. Deswegen brauchen wir über eine funktionierende Bankenlandschaft hinaus eine europäische Kapitalmarktunion, die das riesige Potenzial an verfügbarem Kapital, das es in Europa gibt, effizient nutzt. Je mehr finanzielle Ressourcen wir mobilisieren können, desto besser für das Klima.

 

Dr. Christian Ossig