Wie eine langfristig erfolgreiche Transformation zu einer resilienten Wirtschaft gelingen kann

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Covid-19 ist Weckruf der Natur an eine gesättigte Wohlstandsgesellschaft. Wir können nicht mehr ignorieren, dass unsere ressourcenintensive Lebens- und Wirtschaftsweise ein Treiber für Pandemien ist. Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass eine wesentliche Ursache für die in den letzten Jahrzehnten zu beobachtende Zunahme von neuen, zwischen Tier und Mensch übertragenen Infektionskrankheiten die voranschreitende Zerstörung von bisher geschützten Lebensräumen ist und die Wahrscheinlichkeit von Pandemien mit der zunehmenden Vernichtung von Ökosystemen weiter zunimmt.

Ein direkter Zusammenhang zwischen Gesundheits-, Klima- und Biodiversitätskrise wird immer unübersehbarer. Unsere wachstumsfokussierte Lebensweise stößt längst an planetare, soziale und psychische Grenzen. Sie muss daher dringend erneuert und konkrete Strategien entwickelt werden wie der Übergang zu einer konsequenten Green-Economy gelingen kann. Aber auch Konzepte einer Postwachstumsgesellschaft, die Krisen vermeidet und ein Einkommen für alle garantiert, sollten nicht ausgeschlossen und ergebnisoffen diskutiert werden. Wir benötigen also dringend einen gemeinsamen Dialogprozess, wie eine Transformation in eine nachhaltige und vor allem resiliente Wirtschaft gelingen und wie lebenswerte Zukünfte aussehen könnten. Eine resiliente Gesellschaft braucht Dialog und Vielfalt in ihren Vorstellungen davon, wie es sein könnte. Die Corona-Krise zeigt uns deutlich, wie Systeme unserer Gesellschaft zusammenhängen und ihre Resilienz beziehungsweise Vulnerabilität abhängig ist von nachhaltiger beziehungsweise nicht nachhaltiger Organisation.

Als ein Beispiel sei hier nur das Kaputtsparen von Gesundheitssystemen in einigen Ländern oder der Zusammenbruch von effizienten, aber fragilen Lieferketten genannt. Die Corona-Krise und der Umgang mit ihr bietet jedoch auch jede Menge Lernerfahrung. Insbesondere wenn die Krise für den erfolgreichen Ausbau der Gesundheitssysteme hin zu mehr Resilienz und Widerstandsfähigkeit genutzt wird, kann das für andere Bereiche wie das Management von Wirtschaftssystemen verwendet und international ausgetauscht werden. Die Verwendung des Resilienzbegriffs sollte dabei einer noch fehlenden Präzision zugeführt werden. Insbesondere fehlt es häufig an einem klaren Verständnis dafür, dass Krisenresilienz neben einer statischen Dimension (Bewahrung der bisherigen Funktion eines Systems im Krisenfall) auch einer adaptiven Interpretation (Anpassung an neue Umweltbedingungen) bedarf. Der Resilienzbegriff kann daher erst dann zu einem normativen wirtschaftspolitischen Leitbild werden, wenn er nicht nur auf ein statisches Konzept beschränkt wird, sondern auch an die jeweilige gesellschaftliche Zielfunktion und das Zusammenspiel verschiedener gesellschaftlicher Ebenen anknüpft. Jedoch gilt es zu beachten: resilience is more than a metaphor but less than a theory.

Obwohl die Forderung einer Transformation in eine nachhaltigere und resilientere Wirtschaft von immer mehr Menschen vertreten wird, passiert in Wissenschaft und Politik noch viel zu wenig, um sie zu erfüllen. Die beiden hauptsächlichen Gründe dafür sind zum einen die Furcht der Politik vor sozialen Instabilitäten sowie der Verlust von etablierten gesellschaftlichen Strukturen. Zum anderen ist aber auch das Wachstumsprinzip tief in unsere eigene Psyche eingraviert und führt zu einem pausenlosen «Wettrüsten» durch privaten Kompensations- oder Prestigekonsum. Die Sehnsucht nach einem guten und glücklichen Leben und die Illusion, man könne Glück quasi in Tüten erwerben, führt bei vielen zu einem übersteigerten Konsumverhalten zum Zweck der gesellschaftlichen Distinktion.

Der Sozialpsychologe Harald Welzer bezeichnet sie als „mentale Infrastrukturen des Wachstums“. Wir sind uns dieser Denkstrukturen, die unsere Weltbeziehungen maßgeblich prägen, meist nicht bewusst, weil sie für unsere Lebensweise selbstverständlich sind. Die Vorstellungen von unendlichem Wachstum haben wir als VerbraucherInnen tief verinnerlicht. Sie prägen als „mentale Infrastrukturen“ unsere Wünsche sowie unser Denken und Fühlen. Es ist also nicht nur die Angst der PolitikerInnen vor Instabilitäten, vielmehr verhindern drei dominante und miteinander verzahnte mentale Infrastrukturen des Wachstums in uns selbst, dass wir die hedonistischen Tretmühlen der Konsumgesellschaft verlassen und unsere Wirtschaftsweise verändern: das Streben nach Beschleunigung, einseitig ökonomisches Denken und Handeln sowie der Wunsch nach umfassender Naturbeherrschung.

Insbesondere der Wunsch nach Beschleunigung ist ein bedeutsamer innerer Antrieb für wachstumsorientiertes Handeln. Menschen müssen tendenziell schneller werden, um ihre Position zu halten. Es geht um ein „Mehr“ in derselben knappen und wertvollen Zeit. Es geht um einen Wettlauf der Eitelkeiten um mehr Geld, Kapital, Ressourcen, Prestigegüter, soziale Kontakte, Status, Reisen, oder Bildung vor dem Hintergrund von Wettbewerb und begrenzter Lebenszeit. Dieser Zwang erzeugt nach Hartmut Rosa ernstzunehmende psychosoziale Probleme, und dennoch ist der Wunsch nach Beschleunigung tief in uns eingeschrieben: Beschleunige dein Leben, um deine Ressourcenausstattung zu vergrößern, möglichst viele Lebenswünsche zu realisieren, nicht abgehängt zu werden und dadurch selbstbestimmt und authentisch zu sein.

Die zweite mentale Infrastruktur lässt sich treffend anhand der Figur des Homo oeconomicus beschreiben. Dieser muss entsprechend seiner neoklassischen Modellierung in jeder Situation nach dem eigenen Vorteil fragen und ist stets auf Nutzenmaximierung im Sinne einer alle Lebensbereiche umfassenden Kosten-Nutzen-Analyse bedacht. Nach Auffassung von Albert O. Hirschman spiegelt sich hier ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel wider: Der Übergang vom leidenschaftsgeleiteten Menschen zum interessengeleiteten Menschen, der aufgrund seines Interesses an wirtschaftlichem Erfolg und Aufstieg auf Verlässlichkeit und Beständigkeit baut, die Leidenschaften also zähmt. Für wachstumsbasierte Gesellschaften ist das Menschenbild des interessengeleiteten „Homo oeconomicus“ enorm wichtig: Es nimmt an, dass unser Verlangen in der Regel niemals befriedigt ist und es daher es immer wünschenswert ist, den eigenen Nutzen weiter zu steigern. Ohne diese ständige Nutzenmaximierung des Einzelnen wäre stetiges Wachstum gar nicht erreichbar.

Die dritte mentale Infrastruktur des Wachstums ist nach Welzer eine Form der Weltbeziehung, die aus einer spezifisch modernen Wahrnehmung resultiert: Wir tendieren dazu, uns getrennt von der Natur zu sehen: Hier Geist, dort Materie; hier Kultur, dort Natur. Diese Trennung wurde ab dem 17. Jahrhundert maßgeblich von den modernen Wissenschaften etabliert (etwa von René Descartes) und vorangetrieben (etwa von der frühen Physik, die annahmen, dass Natur berechenbar sei). Wir denken, wir könnten die Natur berechnen, vorhersehen und folglich auch (technisch) kontrollieren. Aber diese Macht haben wir nicht. Die Trennung und die daraus hervorgehende Hierarchie zwischen Menschen und Nicht-Menschen legitimiert eine rücksichtslose Naturausbeutung und ist eine wesentliche Voraussetzung, um Wirtschaftswachstum zu realisieren. Die Corona-Krise zeigt uns jedoch sehr deutlich, dass die Vorstellung von Naturbeherrschung eine Illusion ist. Statt zu versuchen, uns von der Natur zu emanzipieren, sollten wir akzeptieren, dass Systeme unserer Gesellschaft zusammenhängen und ihre Resilienz beziehungsweise Vulnerabilität abhängig ist von nachhaltiger beziehungsweise nicht nachhaltiger Organisation.

Vor diesem Hintergrund benötigen wir also dringend einen gemeinsamen Dialogprozess, wie eine Transformation im Einklang mit der Natur in eine resiliente Wirtschaft gelingen kann, aber auch eine Debatte über uns selbst. Damit eine Transformation hin zu einem nachhaltigen, guten Leben für alle gelingen kann, braucht es also eine geteilte Verantwortung: Klare politische Signale und Maßnahmen, aber auch das Engagement jedes*r Einzelnen, die eigenen mentalen Infrastrukturen zu hinterfragen und die Bereitschaft, mit Andersdenkenden eine offene und wertschätzende gesellschaftliche Diskussion zuzulassen.

Prof. Dr. phil. Hans-Peter Benedikt