KLIMASCHUTZ UND WIRTSCHAFTSKRAFT – ZWEI SEITEN EINER MEDAILLE

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Die 20er Jahre sind ein Transformationsjahrzehnt. Politik, Gesellschaft und Wirtschaft werden digitaler, vernetzter, nachhaltiger. Dieser Wandel muss gestaltet werden. Gleichzeitig gilt es, die Stärke unseres Industriestandortes zu erhalten. Deutschland und Europa stehen vor entscheidenden Weichenstellungen. Das gilt auch für die Lufthansa Group. Vor der Pandemie gehörte Lufthansa Group zu den Top5 unter den Airline Gruppen weltweit. Diese Position wollen wir halten. Gleichzeitig haben wir uns auf den Weg in eine CO2-neutrale Zukunft gemacht. Um erfolgreich zu bleiben und verstärkt in Klimaschutz investieren zu können, brauchen wir die richtigen politischen Leitplanken.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat getitelt: „Jetzt sichere Arbeit & Klimaschutz wählen.“

Und in der Tat: genau das müssen die zwei Seiten einer Medaille sein. Wertschöpfung und Jobs zu sichern und zugleich die ökologische Transformation voranzutreiben. Beides muss gelingen.

Damit die Wirtschaft in Deutschland und Europa erfolgreich bleibt, muss die Industrie gestärkt und ihre Transformation konstruktiv begleitet werden. Nicht wenige der verbliebenen industriellen Säulen sind unter Druck: die Metall- und Elektroindustrie, die Automobilbranche oder der Maschinenbau. Auch die Luftfahrtbranche steht als eine unserer Wohlstandssäulen im harten internationalen Wettbewerb. Fluggesellschaften und Flughäfen sind attraktive Arbeitgeber für hunderttausende Beschäftigte mit höchst unterschiedlichen Qualifikationen. Allein die Lufthansa Group sichert trotz Pandemie mit schwersten Auswirkungen auf die Luftfahrt über 60.000 zukunftsfähige Arbeitsplätze in Deutschland – weltweit sind es mehr als 100.000.

Der Kranich ist international ein Aushängeschild für Qualität und Zuverlässigkeit. Für Deutschland ist er starker und verlässlicher Partner. Das haben wir einmal mehr in der Corona-Pandemie bewiesen. Wir haben Reisende aus aller Welt, insbesondere Menschen aus unseren Heimatmärkten, nach Hause gebracht, Lieferketten durch unser Streckennetz aufrechterhalten sowie Impfstoffe und dringend benötigtes medizinisches Material transportiert. Wir bringen Fachkräfte, Innovationen und Know-How in die Welt. Lufthansa ist Waren- und Wissensträger für Deutschland und Europa.

Für den Erfolg einer Exportnation ist der Luftverkehr essenziell. Ebenso wichtig aber ist seine geopolitische und geostrategische Bedeutung. Fliegen bringt die Welt zusammen. Menschen, Kulturen und Wirtschaftsräume lassen sich nicht auf Dauer per Videokonferenz verbinden. Gleichzeitig wollen und dürfen wir nicht auf Kosten künftiger Generationen wirtschaften. Der globale Luftverkehr emittiert rund 3 Prozent der von Menschen verursachten CO2-Emissionen. Aber ich bin überzeugt: unser Anteil an der Lösung der Klimakrise ist deutlich größer.

Wir wollen bis spätestens 2050 CO2-neutral wirtschaften. Um dieses Ziel zu erreichen, investieren wir trotz massiver Krisenfolgen konsequent in klimaschonende Technologie, Innovation und Digitalisierung. Wie modernisieren mit rund 2,5 Milliarden Euro pro Jahr unsere Flotte, wir sind Pioniere beim Einsatz nachhaltiger Kraftstoffe und wir entwickeln neue Instrumente für den CO2-Ausgleich für Privat- und Geschäftsreisende. Wir wollen Premium bleiben und nachhaltiger werden. Wir wollen international erfolgreich sein und klimaschonender fliegen. Damit das gelingt, brauchen wir den passenden regulatorischen Rahmen. Der Schlüssel liegt in dem Erhalt unserer globalen Wettbewerbsfähigkeit. Konkret: in dem Erfolg und der Stärke unseres Hub-Systems.

Über unsere Drehkreuze Frankfurt, München, Zürich, Wien und Brüssel binden wir unsere Heimatmärkte an die Welt an und bieten ein attraktives und breites Angebot an Interkontinentalflügen. Dafür brauchen wir ein gut funktionierendes Netz von Zubringerverbindungen mit ausreichend Umsteigepassagieren aus vielen Ländern. Ein Beispiel: Allein auf der Lufthansa Strecke München – San Francisco kommen die Passagiere regelmäßig aus 50 verschiedenen Start / Flughäfen. Von überall her nach München geflogen, gelangen sie dann in einem Flugzeug an ihr Ziel. Indem wir Passagiere an unseren Hubs bündeln, erreichen wir eine hohe Auslastung. Das ist ökologisch und ökonomisch optimal und sehr effizient. Um beispielsweise 12 Städte direkt miteinander zu verbinden, sind 66 Einzelstrecken notwendig. Ein Drehkreuz-System benötigt lediglich 12 Strecken.

Doch die Drehkreuze in Deutschland und Europa stehen unter Druck. Immer mehr Reisende steigen auf ihrer Reise nach Asien oder Afrika in Istanbul, Dubai oder Doha um. Das zeigt der Blick auf die Passagierströme vor der Pandemie: In den Jahren 2010 bis 2019 nahm der Verkehr von Deutschland nach Asien und Afrika insgesamt um 73 Prozent zu. Als Transferland spielt Deutschland aber kaum eine Rolle (+15 Prozent), denn dieses Wachstum erfolgt überwiegend auf Routen über Istanbul und Drehkreuze außerhalb Europas (+115 Prozent).

Dazu kommt: Die Krise hat den Wettbewerb weiter verschärft. Denn viele Airlines außerhalb Europas, haben zum Teil deutlich mehr staatliche Unterstützung erhalten als die Lufthansa Group. Oft sind das Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen. EU-Netzwerk-Airlines mit hohen Umwelt- und Sozialstandards drohen im Wettbewerb mit staatlich gestützten Fluggesellschaften vom Golf und Bosporus verdrängt zu werden. Damit stehen langfristig Arbeitsplätze, Investitionspotenziale, Konnektivität und soziale Standards auf dem Spiel. Auf diese Entwicklung muss die Politik in Berlin und Brüssel reagieren.

Wir brauchen ein internationales Level-Playing-Field. Wenn globale Vorgaben nicht umsetzbar sind, müssen zumindest Regulierungen gefunden werden, die EU Airlines nicht einseitig schwächen und die die Verlagerung von Verkehr und Emissionen – den sogenannten Carbon-Leakage-Effekt – vermeiden.

Genau das aber leisten die bisherigen Vorschläge des von der EU Kommission vorgestellten Klimaschutzpakets „Fit for 55“ nicht: Alle geplanten luftverkehrsrelevanten Maßnahmen sind für heimische Airlines viel schärfer als für nicht-europäische Fluggesellschaften. Sie werden dem Anspruch der Wettbewerbsneutralität nicht gerecht. Signifikante „Carbon Leakage“-Effekte sind vorgezeichnet. Profitieren würden große Drehkreuze und Airlines in den EU-Anrainerstaaten sowie am Bosporus und am Golf. Sie könnten zu günstigen Preisen Passagiere zu Drehkreuzen jenseits von Europa locken. Das wäre geradezu ein Konjunkturprogramm für autoritäre Regime mit niedrigen Umwelt- und Sozialstandards. Ob Kerosinsteuer, CO2-Zertifikatshandel oder eine Quote für nachhaltige Kraftstoffe: Wir werden nur erfolgreich bleiben, wenn europäische und nicht-europäische Airlines künftig unter gleichen Rahmenbedingungen fliegen. Sonst wird der Tourismus in unseren europäischen Partnerländern teurer, während andere Länder in weiterer Entfernung profitieren. Das wäre ein europäisches Eigentor – ökologisch und ökonomisch.

Mehr Tempo und Fortschritt beim Klimaschutz unterstützen wir. Grundlage muss ein fairer Wettbewerb sein mit Regeln, die für alle gelten. Damit das gelingt und „Fit for 55“ ein Erfolg wird, müssen die Pläne der EU-Kommission überarbeitet werden. Die „Aviation Alliance Fit for 55“, ein neues Bündnis aus rund 20 europäischen Airlines und Airports, darunter die gesamte Lufthansa Group sowie die Flughäfen München und Frankfurt, hat konkrete Vorschläge entwickelt, wie das EU Klimaschutzpaket zum weltweiten Vorbild werden kann und Konnektivität und Arbeitsplätze gesichert werden können.

Auch die Bundesregierung will die „Schlüsselindustrie“ Luftverkehr nachhaltig und leistungsfähig weiterentwickeln. Und zwar mit international wettbewerbsneutralen Konzepten, so hat es die Regierung in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. In diesem Sinne rechnen wir mit einer starken deutschen Stimme im europäischen Dialog der kommenden Monate. Denn es geht genau um das, was Bundeskanzler Scholz im Wahlkampf angekündigt hat: sichere Arbeit und Klimaschutz verbinden.

Carsten Spohr