Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP bekennt sich sehr deutlich zur Orientierung der deutschen Klimapolitik an der Marke von 1,5 °C. Der Vertrag formuliert explizit den Anspruch, „Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen“. Ungeklärt bleibt bislang aber, wie die Angemessenheit nationaler Klimapolitik im globalen Maßstab eigentlich zu bemessen wäre. Ist der in der deutschen Debatte sehr prominente „Budget-Ansatz“, der eine Pro-Kopf-Verteilung des „globalen CO2-Restbudgets“ vorsieht, tatsächlich geeignet? Und falls nicht, welche anderen Möglichkeiten bestehen, um die Bundesregierung an ihrem selbst formulierten Anspruch zu messen?

Auf globaler Ebene lässt sich ein Restbudget bestimmen, das angibt, wieviel CO2 noch in die Atmosphäre abgegeben werden darf, um die globale Erwärmung mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit auf eine bestimmte Temperatur zu begrenzen. Auf globaler Ebene lässt sich das CO2-Budget unter bestimmten Unsicherheiten für verschiedene Temperaturniveaus prinzipiell beziffern. Laut Weltklimarat IPCC beträgt es für eine 50% Wahrscheinlichkeit einer Begrenzung auf 1,5 °C etwa 500 Gigatonnen CO2 ab 2020, bei derzeitigen Emissionen von 40 Gigatonnen pro Jahr. Die Ableitung eines nationalen Restbudgets (Budgetieren) aus globalen Werten führt jedoch nicht zu eindeutigen Ergebnissen.

Zum einen unterliegen schon die globalen Budgetberechnungen signifikanten Unsicherheiten und verändern sich nach wie vor mit jedem IPCC-Bericht. Zum anderen ist eine exakt bezifferte nationale Verantwortung vom gewählten Gerechtigkeitsprinzip abhängig. Zudem legt das Pariser Abkommen ein globales Langfrist-Temperaturziel fest, dessen Einhaltung nur mit einer kollektiven Anstrengung zu erreichen ist. Nationale Ziele sind darüber hinaus meist als Treibhausgas (THG)-Ziele definiert, umfassen also auch Methan und Lachgas, während sich das globale Budget aus methodischen Gründen ausschließlich auf CO2 bezieht, das sich über sehr lange Zeiträume in der Atmosphäre akkumuliert. Alle diese Aspekte sprechen gegen den Budget-Ansatz als politisch handlungsleitende Größe auf nationaler Ebene.

Allerdings kann umgekehrt das Kumulieren, also das Umrechnen nationaler Zielpfade in die voraussichtliche Gesamtmenge an Emissionen, ein gangbarer Weg sein, um das nationale Ambitionsniveau darzustellen. Dabei sind die Ziele im deutschen Bundes-Klimaschutzgesetz als THG-Minderungsziele mit einem Langfristziel für THG-Neutralität (politisch meist „Klimaneutralität“ genannt) bis 2045 formuliert. Da es zwar auf globaler Ebene ein CO2-Budget, aber kein THG-Budget gibt, muss auf nationaler Ebene eine Umrechnung in eine kumulierte CO2-Menge stattfinden. Dies ist mit Unsicherheiten behaftet, da das Klimaschutzgesetz hier nur wenig Ansatzpunkte für eine Kalkulation liefert. Weiterhin bestehen bei der Berechnung einige Freiheitsgrade durch den Einbezug von CO2-Senken, die zum Ausgleich für nicht-eliminierbare „residuale“ Emissionen (etwa Methan und Lachgas aus der Landwirtschaft) notwendig sind – wie die folgende idealtypische Abbildung globaler Klimaschutzpfade zeigt.

Da Methoden zur nachträglichen Entfernung von Treibhausgasen aus der Atmosphäre bislang nur für CO2 existieren (etwa Aufforstung, Pflanzenkohle oder die Direktabscheidung von CO2 aus der Umgebungsluft durch chemische Filter), ein Großteil der residualen Emissionen aber aus Nicht-CO2-Treibhausgasen besteht, wird Netto-Null CO2 stets deutlich vor Netto-Null THG erreicht, in Deutschland vermutlich 5-10 Jahre. Damit einhergehend erreichen die CO2-Emissionen beim Erreichen von THG-Neutralität auch bereits netto-negative Werte.

Für eine MCC-Studie haben wir die mutmaßlichen Emissionseffekte des deutschen Klimaschutzgesetzes kalkuliert. Wie die folgende Abbildung zeigt, ergeben sich nach unseren Berechnungen ab dem Jahr 2022 kumulierte Emissionen von 6,4 bzw. 6,2 Gigatonnen CO2, je nach Betrachtungszeitraum bis 2045 oder 2050 (aufgrund der ab den frühen 2040er-Jahren zu erwartenden netto-negativen CO2-Emissionen verringern sich die kumulierten Werte paradoxerweise bei einem längeren Betrachtungszeitraum). Wir vergleichen das Ambitionsniveau der deutschen Klimaschutzziele in einem zweiten Schritt mit nationalen CO2-Restbudgets wie sie vom Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) vorgeschlagen werden (und auf die auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz 2019 exemplarisch Bezug nimmt). Auf Basis dieser Methodik stünden Deutschland ab 2022 zur Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,75 °C noch 6,0 Gigatonnen CO2 und für 1,5 °C noch 3,0 Gigatonnen CO2 zu, bei einem derzeitigen Jahresausstoß von knapp 0,7 Gigatonnen CO2.

Legt man die SRU-Rechnung als Vergleichsmaßstab zugrunde, würden die kumulierten Emissionen auf Basis des Klimaschutzgesetzes in etwa doppelt so hoch liegen wie ein nationales CO2-Budget für eine Begrenzung auf 1,5 °C, sie würden aber in etwa einem CO2-Budget für eine Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,75 °C entsprechen.

Daraus ergeben sich konkrete Schlussfolgerungen für die deutsche Klimapolitik. Zunächst einmal müssen die nationalen Ziele mit konkreten Maßnahmen zur Umsetzung unterlegt werden, nicht trotz, sondern gerade wegen des Ukraine-Kriegs und den drohenden Einschränkungen bei der Energieversorgungssicherheit. Das Klimaschutzgesetz enthält lediglich Zielbestimmungen – real sinken werden die Emissionen nur durch konkrete Maßnahmen und Instrumente.

Um darüber hinaus eine Orientierung Deutschlands an 1,5 °C glaubwürdig und nachvollziehbar zu machen, wird sich die Bundesregierung aber auch zu zwei zentralen Fragenkomplexen positionieren müssen. Zum einen ist die Frage, nach welchen Gerechtigkeitskriterien ein deutscher Beitrag zur Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 °C zu bemessen wäre. Daran schließt sich die Frage an, ob dieser faire nationale Beitrag ausschließlich in Deutschland erbracht wird oder ob auch im Ausland Anstrengungen zur Emissionsminderung unternommen werden sollen. Falls letzteres angestrebt wird, braucht es eine aktive internationale Klimapolitik mit konkreter und messbarer Erfolgskontrolle. Nur so wird das nationale Ambitionsniveau transparent und wissenschaftlich überprüfbar.

Dr. Brigitte Knopf

Dr. Oliver Geden

 

Zum Weiterlesen

Brigitte Knopf/Oliver Geden (2022): Ist Deutschland auf dem 1,5-Grad-Pfad? Eine Einordnung der Diskussion über ein nationales CO2-Budget, MCC-Arbeitspapier