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Wir stehen vor einer Dekade der ständigen Veränderungen und Verunsicherungen. Krisenhafte Situationen werden an der Tagesordnung sein. Die letzten drei Jahre weisen den Weg: Es gibt kein neues Normal mehr, sondern nur noch Erschütterungen und Veränderungen.

Warum? Die Zeitenwende ist vor allem auch eine geopolitische Neuordnung für Europa mit großen Auswirkungen auf Lieferketten, Handelsbeziehungen, aber auch zivilgesellschaftliche Zusammenarbeiten. Faktisch tritt eine dritte Transformation der Wirtschaft neben die digitale und klimapolitische Transformation. Ein System, in dem drei voneinander weitgehend unabhängige Transformationsprozesse zeitgleich ablaufen, erfährt aber immer wieder eruptive Momente und Instabilitäten oder muss sogar chaotische Phasen durchlaufen.

Dies wird eine andere Form der Politik erfordern. Politik muss die Menschen viel mehr als bisher mitnehmen, sie in Entscheidungen einbinden. Politische Entscheidungsträger müssen ihre Entscheidungen erkennbar als Ergebnis von Konsultationen mit Experten, aber auch Betroffenen darlegen. Die Corona-Politik der Jahre 2020/21 mit den Ministerpräsidentenkonferenzen als dem Hochamt der politischen Entscheidung waren das genaue Gegenteil dessen. In Zukunft brauchen wir mehr Mut zur Transparenz und zur Benennung von Unsicherheiten in der Politik. Darum ist es auch wichtig und richtig, dass die Bundesregierung aktuell bei den zwingend erforderlichen Maßnahmen zur Beschleunigung von Planung und Bau von Infrastrukturen nicht die frühe Bürgerbeteiligung aushebelt. Ihre systematische Stärkung sowie die Einführung einer Mitwirkungspflicht für Behörden sind vielmehr die Voraussetzung dafür, dass der immense Schub beim Ausbau Erneuerbarer Energien und der Energie- und Verkehrsinfrastrukturen nicht gesellschaftliche Gräben vertieft, sondern auf Akzeptanz stößt.

Wir werden auch nach diesem Krieg globale Politik und Kooperationen brauchen. Die Staaten, die der Verurteilung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine in der UN Vollversammlung ihre Zustimmung verweigert haben, erzeugen gemeinsam rund 50% der CO2 Emissionen der Welt. Die Vorstellung, dass wir künftig überhaupt eine sinnvolle Klimapolitik machen können, ohne Russland, China und Indien einzubinden, ist absurd. Vielmehr werden wir lernen müssen, dass es einerseits enge Alliierte, Freunde oder auch Partner und andererseits schwierige Akteure gibt, die trotzdem eingebunden werden müssen. Mit den einen teilt man Werte und bildet darum auch eine wehrhafte Gemeinschaft. Mit den Anderen muss man einen Modus Operandi finden, der Konflikten nicht aus dem Weg geht, aber trotzdem die Bereitschaft zur Zusammenarbeit ausstrahlt.

Dies gilt es abzustufen und neu einzuschätzen, neue strategische Partnerschaften aufzumachen. Dabei sind Freihandel und entsprechende Abkommen nicht als Signal beliebiger Globalisierung, sondern als ein Baustein solcher abgestuften Partnerschaften zu verstehen. Auch globale Arbeitsteilung wird weiterhin sinnvoll sein. Was bisher meist als Instrument der globalen Wohlstandsentwicklung galt, muss hinsichtlich seiner friedenschaffenden Dimension genauer beleuchtet werden. Einige Analysen der letzten Wochen zeigen auf, dass die These vom „Wandel durch Handel“ eventuell doch präziser im Sinne von „Frieden durch Arbeitsteilung“ gefasst werden muss.

Der entscheidende Fehler der deutschen Russlandpolitik im Besonderen, lag aber nicht in der Zusammenarbeit und der unermüdlichen Diplomatie Deutschlands und Europas, um eine Ausdehnung des Kriegs gegen die Ukraine seit 2014 zu verhindern. Welche Fehler wurden also gemacht? Vier Punkte lassen sich aus heutiger Sicht aufzeigen:

Erstens: Politik muss Szenarien denken und zulassen. Dazu gehört auch das Worst Case Szenario, das sich seit dem 24. Februar als neue Realität in Europa erweist. Seit der nationalen Katastrophenschutzübung LÜKEX 2018 war klar, wie massiv unsere Abhängigkeiten von russischem Erdgas sind und welche dramatischen Folgen dies hat. Seit dem Überfall auf die Krim 2014 musste der deutschen Politik aber auch gewahr sein, dass Russland Krieg als Instrument in Europa nicht ausschließt. Daraus hätte die deutsche Wirtschaft und die deutsche Politik eine klare Strategie ableiten und eine Wende in Richtung eines Energie-resilienten Deutschlands einleiten müssen. Dies nicht gemacht zu haben, hat jetzt eine dramatische Konsequenz für die deutsche Wirtschaft, denn eine echte Gasmangellage würde wohl einen Zusammenbruch industrieller Wertschöpfungsketten und massive Asset-Verluste zur Folge haben. Eine solche Situation würde die deutsche Wirtschaft so massiv schwächen, dass ganz Europa in Mitleidenschaft gezogen und der Wiederaufbau nach dem Krieg kaum finanzierbar wäre, weshalb es auch notwendig war, dass die Bundesregierung ein Gasembargo durch die EU verhindert hat.

Zweitens: Wirtschaftliche Sanktionen haben bislang in quasi keinem Fall kurzfristige politische Folgen gehabt oder sogar einen Regimechange nach sich gezogen. Oftmals mussten dafür Jahre oder Jahrzehnte durchgehalten werden. Das geschlossene Handeln der Kriegsgegner ist aktuell wichtig, dennoch bleibt eine ernste Bewertung der nach dem Überfall auf die Krim eingeleiteten Sanktionen. Diese scheinen ihre Wirkung verfehlt zu haben, eher zum sozialen Abstieg der Mittelschichten in Russland und zur Verfestigung der Macht von Wladimir Putin beigetragen zu haben. Das gilt es dringend zu analysieren, um in anderen Fällen künftig zielgerichteter agieren zu können.

Drittens: Für die Wirtschaft muss die Erkenntnis stehen, dass sie nicht in einer politikfreien Welt agiert. Wer die Ereignisse von Georgien, Syrien, aber auch die Tiergartenmorde richtig interpretierte, musste Erkenntnisse auch für das Risiko im Umgang mit Russland ziehen. Wirtschaft wird sich in Zukunft nicht mehr auf die Position eines freien Handels zurückziehen können, sondern sehr wohl politische Risiken erörtern müssen, Abhängigkeiten vermeiden und Resilienzen aufbauen helfen.

Viertens: Seit rund zehn Jahren haben wir Erkenntnisse darüber, dass russische Medien und russische Social Media Söldnertruppen in Deutschland die Zivilgesellschaft infiltrieren und mit Fake News zersetzen. Sie nutzen Twitter, Facebook und Telegram, um in Filterblasen gezielt ihre Sicht der Welt, vielfach aber auch einfach nur Misstrauen und Desinformation abzusetzen. Viele wussten davon, beobachteten diese Entwicklung, aber selbst gegen RT Deutschland wurde erst in diesem Jahr konsequent vorgegangen. Natürlich ist dies zunächst Aufgabe staatlicher Institutionen. Aber es ist auch Aufgabe zivilgesellschaftlicher und wirtschaftlicher Akteure, diesem entschlossener entgegenzutreten, in Freiheitstechnologien und DemTech zu investieren, Strukturen der Interaktion zu stärken und nicht nur Zuschauer einer problematischen Entwicklung zu sein.

Fazit

Wirtschaft und Wirtschaftspolitik werden „politischer“: Global Geschäfte machen, und darauf vertrauen, dass am Ende die Regeln der WTO gelten, Partner sich an das internationale Recht halten und sich zu fairem Wettbewerb bekennen – das ist in Zukunft unter den Vorzeichen einer vermachteten Geopolitik naiv. Wirtschaft und Politik müssen ihre Strategien neu bewerten und justieren. Dabei müssen sie transparent vorgehen, um gegenüber der Gesellschaft und Partnern in der Welt erklärungsfähig zu sein. Nichts ist gefährlicher, als auf diese neue Lage auf unkommunikative und intransparente Weise zu reagieren. Innenpolitisch müssen Menschen mitgenommen werden, genauso müssen die Unternehmen gegen über ihren eigenen Stakeholdern und Shareholdern kommunikationsfähig sein. Die Außenpolitik Deutschlands, die bislang einen guten Ruf genoss, muss kommunikativ klar sein, um nicht in Intransparenz und Undurchsichtigkeit das Vertrauen der Welt auf Deutschland zu verspielen.