Blog politische Ökonomie: Herzlich Willkommen Dr. Stefan Bach vom DIW Berlin, einer der anerkanntesten Steuerexperten Deutschlands und Prof. Dr. Sebastian Dullien, Leiter des IMK Wirtschaftsinstituts der Hans-Böckler-Stiftung. Wir wollen uns heute dem Thema der Übergewinnsteuer nähern und ihre Sinnhaftigkeit und ihre Machbarkeit diskutieren, daher die Fragen an Sie beide: Ist die Übergewinnsteuer, die jetzt vielfach als neues steuerpolitisches Instrument diskutiert wird, sinnvoll und ist sie machbar? 

Prof. Dr. Sebastian Dullien: Erstmal zur Frage, ob sie sinnvoll ist. Da muss man in zwei Dimensionen trennen, einmal die ökonomische Dimension und einmal die polit-ökonomische Dimension.

Ökonomisch: Wenn man Einnahmen des Staates generieren möchte, ist es durchaus sinnvoll, Übergewinne zu besteuern – insbesondere, wenn man Übergewinne analog dem englischen Begriff der „windfall-profits“ definiert. Windfall-profit besagt, dass das eigentlich Gewinne sind, die zufällig und unerwartet entstanden sind, die also nicht auf eine besondere Leistung des Besteuerten zurück gehen. Wenn man die Regeln so gestaltet, dass genau diese Art von Gewinnen abgedeckt wird, sollte es keine negativen Anreize geben und der Staat hat Zusatzeinnahmen. Das ist dann eigentlich sogar eine ideale Steuer.

Polit-ökonomisch glaube ich, ist es sinnvoll, weil es in den jetzigen Zeiten, den Menschen signalisiert, dass es eben in einer sozialen Marktwirtschaft mit Leistung und Gerechtigkeit zugeht. Gewinne sind immer auf Kosten der Konsumenten und Konsumentinnen und es ist okay, Gewinne zu machen, wenn sie darauf zurückzuführen ist, dass man ein besonders gutes Produkt oder eine gute Leistung angeboten hat. Wenn jemand Gewinne auf Kosten der Konsumenten machen, nur weil Krieg in der Ukraine ist, dann gibt es dafür wenig Verständnis. So stellen sich die Menschen die soziale Marktwirtschaft nicht vor. Wenn man den Rückhalt in unser marktwirtschaftliches System stärken möchte, ergibt es durchaus Sinn, solch eine Steuer einzuführen.

Bei der Machbarkeit gibt es in Deutschland allerdings ein paar Schwierigkeiten. Das ist einmal die Frage, wie man das verfassungskonform gestalten kann: Hier gibt es das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages von Ende Juli, das aufzeigt, wie die Umsetzung der Steuer rechtlich verfassungskonform und rechtsicher zu machen ist. Die andere Frage ist: Wie definiert man die Bemessungsgrundlage, um tatsächlich windfall profits abzugreifen, und nicht hohe Gewinne, wie sie zum Beispiel durch Entwicklung eines Impfstoffes oder der Ausweitung der Produktion von Wärmepumpen gemacht werden.

Dr. Stefan Bach: Die Geschichte zeigt, dass es in Kriegs- und Krisenzeiten Übergewinnsteuern gab. Einige Länder machen das auch aktuell, daher ist nicht einzusehen, wieso das in Deutschland nicht gehen sollte. Steuertechnisch ist das machbar mit etwas Pragmatismus, siehe zum Beispiel Italien. Klar sollte aber sein, dass nur eine temporäre Steuer erhoben wird, die auf die windfall-profits abzielt und zusätzliche Kosten der betroffenen Unternehmen auch bei einer pauschalierten Gewinnermittlung berücksichtigt werden. Dies ist beim italienischen Modell gewährleistet, das sich an der Netto-Marge orientiert, abgeleitet aus den Umsatzsteuer-Berechnungen. Das größte Problem sehe ich bei der Festlegung der Referenzperiode, auf die sich der Gewinnzuwachs bezieht. Es gibt auch eine gewisse Willkür bei der Festlegung, welche Branche man einbezieht. Die Energiewirtschaft liegt nahe, aber auch Landwirtschaft, Lebensmittelproduktion, Teile des Handels bis hin zur Rüstungsindustrie machen derzeit krisenbedingte Gewinne. Damit muss man leben, sollte aber mögliche Verzerrungen beobachten und gegebenenfalls gegensteuern.

Wir haben in einer Reihe von Ländern die Einführung der Steuer gesehen, wie z.B. Italien, Großbritannien, Rumänien, Griechenland. Auch Belgien und andere europäische Länder denken über die Besteuerung der windfall-profits nach bzw. haben diese bereits angekündigt. Bei uns kommt aber unser Steuersystem hinzu, welches komplizierter ist als in anderen Ländern, da es in der Verfassung verankert ist und man dementsprechend nicht einfach eine neue Steuer leicht erfinden kann. Wie würde denn eine Übergewinnsteuer aussehen, stellt sie eine Art Solidaritätsabgabe, also einen „Energiesoli“ dar, oder wie müsste man sich das vorstellen?

Stefan Bach: Das ist ein spezifisch deutsches Problem. Bei uns sind Finanzordnung und Steuersystem verfassungsrechtlich weitgehend festgelegt, um den Föderalismus auszubalancieren. Die Frage ist, ob die Übergewinnsteuer im Rahmen der bestehenden Einkommensteuer und Unternehmenssteuern eingeführt werden kann. Das sieht das letzte Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages eher positiv, selbst wenn die Bemessungsgrundlage pauschalisiert definiert wird. Das ist aber umstritten und wird sehr wahrscheinlich zu Klagen führen. Um auf der sicheren Seite zu sein, müsste man eine verfassungsändernde Mehrheit organisieren – dazu braucht man einen breiten Konsens in Bundestag und Bundesrat.

Sebastian Dullien: Ich bin ja kein Steuerrechtler, darum weiß ich nicht genau, was rechtlich machbar ist. Das müssen dann die Juristen und Juristinnen prüfen. Grundsätzlich könnte man aber über eine Formel den Übergewinn definieren, z.B. im Energiesektor anhand einer Referenzperiode oder pauschalisierend für Raffinerien, indem man etwa die Branchenmarge betrachtet und dann den Übergewinn in Cent je Liter Benzin berechnet. Ökonomisch wäre das schon machbar, wenn man das will.

Wir haben ja auch grundsätzliche Argumente dagegen. Wir haben nicht nur die Argumente, es sei innovationsfeindlich, sondern, wie auch Clemens Fuest am vergangenen Wochenende vorgebracht hat, dass die großen Konzerne, vor allem die großen Ölkonzerne, gar nicht ihren Sitz in Deutschland haben und wir gar nicht an die Gewinne rankommen. Vielleicht könnten Sie zu diesem Punkt etwas sagen. Wen besteuert man eigentlich?

Stefan Bach: An die internationalen Rohstoffrenten, die derzeit durch den gestiegenen Öl- oder Gaspreis hochlaufen, kommen wir in Deutschland nicht ran, auch nicht mit Zöllen oder Verbrauchsteuern. Die können leicht überwälzt werden, indem weniger nach Deutschland geliefert wird und die Preise weiter steigen. Aber auch bei der inländischen Verarbeitung und im Handel steigen wohl die Gewinne. Vor allem beim Stromsektor laufen Übergewinne auf, also bei den Kohle- und Kernkraftwerken und bei den Erneuerbaren Energien. Letztere zu erfassen, wird allerdings aufwändiger, da es dort viele kleine Produzenten gibt.

Sebastian Dullien: Das sehe ich ähnlich. Klar wir können nicht die Extragewinne der Ölscheichs besteuern. Wir können aber die Raffinerien besteuern, und es gab ja auch eine Diskussion, dass die Margen in den Raffinerien deutlich gestiegen sind. Das sind Betriebe, die im Inland sitzen. Die zu besteuern ist auch aus Sicht von Investitionsanreizen unproblematisch, weil keiner davon ausgeht, dass wir in fünf Jahren so viel Raffineriekapazität brauchen wie heute und deshalb so oder so die Betreiber ihre Kapazitäten nicht ausweiten werden. Die höheren Margen dort sind reine Windfall-profits und die kann man natürlich besteuern. Das kann man auch tun, wenn diese Raffinerien Ausländern gehören und es Transferpreissysteme gibt. Dann macht man, wenn das Gesetz richtig geschrieben ist, einfach eine Pauschalierung und beschränkt die Verrechnung von ausländischen Steuern mit Einkaufspreisen oder Lizenzgebühren, die ausländische Unternehmen für die Markennutzung geben. Wie schon gesagt: Wenn man das wirklich möchte, kann man das tun.

Eine andere Herausforderung ist, dass nach meinem Kenntnisstand zum Beispiel in Italien ein Teil der Konzerne noch nicht bezahlt hat und auch zum Ausdruck gebracht hat, nicht zahlen zu wollen. Sind die Unternehmen also gezwungen sofort die Überweisung zu tätigen oder können die Unternehmen auch einfach ein Urteil des Verfassungsgerichtes abwarten? Also könnte es dazu kommen, dass wir eine Zahlung erst in zwei Jahren sehen? Zum Beispiel sieht der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil die Übergewinnsteuer als Mittel um das 9€-Ticket zu finanzieren, deswegen bräuchte man ja jetzt das Geld und nicht erst in zwei Jahren. Gibt es für die Konzerne die Möglichkeit zu sagen, wir zahlen es einfach nicht?

Stefan Bach: Normalerweise wird der Vollzug nicht ausgesetzt, wenn gegen Steuerbescheide geklagt wird. Da muss man schon gute Gründe anführen, warum man die Steuer nicht zahlen kann oder die jeweilige Regelung grob unverhältnismäßig und rechtswidrig ist. Das ist hier nicht zu erkennen, wenn die Übergewinnbesteuerung halbwegs sachgerecht ausgestaltet wird, es sind ja auch hohe Gewinne vorhanden.

Sebastian Dullien: Also ich glaube, wenn ich mich richtig an vergleichbare Fälle erinnere, wie etwa die Brennelementsteuer, haben die Unternehmen auch zuerst die Steuer bezahlt und sie dann wieder zurückbekommen. Dann bekommen sie es auch mit der üblichen Verzinsung aus dem Steuerrecht zurück. Aber dass man sich hinstellt und sagt, ich zahle zunächst nicht, das geht nicht. Es ist ja so: Ein Gesetz gilt, bis es vom Verfassungsgericht als nichtig bezeichnet wird. Es ist nicht andersrum, dass, sobald ich Zweifel an einem Gesetz habe, das Gesetz erstmal nicht gilt und nicht angewandt wird. Aber das ist natürlich eine deutsche Diskussion, Stefan Bach und ich führen diese nicht als Steuerjuristen, sondern als Ökonomen. Wie das in Italien und anderen Ländern ist, ist nochmal eine ganz andere Frage.

Es gab auch die Einlassung von verschiedenen Stakeholdern und Marktteilnehmern, dass gesagt wurde, das mit der Übergewinnsteuer zu lassen, da die Konzerne die Mittel brauchen, um in die Energiewende und Transformation zu investieren. Kann man den Konzernen vorschreiben, dass diese zwar keine Übergewinn-Steuern zahlen, aber sie dafür verpflichtend einen gewissen Prozentsatz in grüne Investitionen tätigen müssen?

Sebastian Dullien: Da muss ich ganz kurz fragen, ob dieses Argument überhaupt Gültigkeit hat. Sind das jetzt Konzerne, die Liquiditätsbeschränkungen haben, die, wenn ich ihnen von Gewinnen, die sie nicht erwarteten, einen Teil wieder wegnehme, deshalb weniger investieren? Da habe ich meine Zweifel. Konzerne haben mehrjährige Investitionspläne, vielleicht korrigieren sie diese jetzt, da sich die Preise geändert haben, aber, dass diese Unternehmen aufgrund der Besteuerung von Extragewinnen weniger investieren? Man müsste auch erstmal nachweisen, dass diese Wirkung existiert.

Stefan Bach: Die Briten ziehen bei der Erhöhung ihrer Zusatz-Steuer auf Gewinne aus der Öl- und Gasproduktion Investitionen ab. Auch da gilt natürlich, dass es keine Liquiditätsbeschränkungen gibt. Das ist wohl ein politisches Zugeständnis, um die Steuerhöhung bei den Konservativen durchzusetzen. Allerdings hat sich in den letzten Jahren auch gezeigt, dass während Corona der Erhaltungsaufwand bei fossilen Energien vernachlässigt wurde, da musste einiges nachgeholt werden. Für die Erneuerbaren Energien oder die Netzinfrastruktur wäre das aber schon eine Option für die Investitionen der Energiekonzerne.

Wie erwarten Sie, dass es weitergeht in der Diskussion? Und wo sehen Sie die größten Fallstricke und Herausforderungen?

Sebastian Dullien: Also ich erwarte, dass da gesetzgeberisch nicht viel passiert, die Diskussion aber im Herbst weitergeht und, dass wir mit der ganzen Diskussion bezüglich steigender Energiepreise im Winter einen neuen Höhepunkt erreichen werden. Allein die Gasumlage für Uniper kann bis zu 2 Prozentpunkte Inflation ausmachen, womit wir 10 Prozent Inflation erreichen könnten. Das wird die Debatte noch einmal befeuern. Dann haben wir haben eine Koalitionsarithmetik, mit einem Finanzminister, der sehr entschieden dagegen ist und die anderen beiden Koalitionsparteien das auch nutzen können, um sich gegenüber dem Finanzminister zu profilieren. Von daher würde ich erwarten, dass wir da eine anhaltende Diskussion haben werden, wir aber nicht sehr schnell irgendwelche gesetzgeberische Schritte sehen werden.

Wie hoch wird die Inflation aus der Sicht des IMK werden? Also über 10 Prozent müssten es ja demnach sein.

Sebastian Dullien: 10 Prozent sind durchaus denkbar, wenn die Gasumlage so umgesetzt wird, wie es zurzeit zum Teil diskutiert wird. Wenn die Umlage mit 5 Cent pro Kilowattstunde plus Mehrwertsteuer eingeführt wird und von den meisten Versorgern weitergereicht wird, sind wir nahe der 10-Prozent-Marke. Aber vielleicht kann Stefan Bach etwas dazu sagen, ob man verhindern kann, dass die Umlage der Mehrwertsteuer unterliegt. Das würde den Inflationseffekt einer 5-Cent-Umlage von 2 auf 1,6 Prozentpunkte Inflation dämpfen. Dafür wird das dann teurer.

Stefan Bach: Plus die finanzpolitischen Herausforderungen, wenn demnächst weitere Entlastungspakete geschnürt werden. Da kommt man schnell auf zweistellige Milliardenbeträge im Jahr – und bei niedrigen zweistelligen Milliardenbeträgen bleibt es auch nur dann, wenn man die Hilfen auf die unteren Einkommen konzentriert, ansonsten wird es teurer. Wenn auch die Schuldenbremse eingehalten werden soll, kommt man an Steuererhöhungen kaum vorbei. Die sollten sich dann sinnvollerweise an die höheren Einkommen und Vermögen richten, und da ist die Übergewinnsteuer ein relevantes Instrument, auch wenn es nicht einfach zu realisieren ist.

Zum Abschluss nochmal eine plakative Frage: Angesichts der Finanzierungsherausforderung, die wir jetzt haben, was wird es eher geben, eine Reform der Schuldenbremse oder eine Übergewinnsteuer?

Sebastian Dullien: Ich glaube, da gibt es eher eine Übergewinnsteuer als eine Reform der Schuldenbremse, weil man für den vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestags aufgezeigten Weg, diese einzuführen, keine verfassungsändernde Mehrheit braucht. Die Reform der Schuldenbremse ist zurzeit gar nicht in der Debatte, sondern eigentlich geht es darum, ob die Regierung nochmal 2023 die Ausnahmeregel, die Notfallklausel, zieht. Wenn die Frage darauf abzielt, ob es eher eine Übergewinnsteuer oder eine Aktivierung der Notfallklausel für 2023 gibt, würde ich eher auf die Ausnahmeklausel setzen.

Stefan Bach: Ja, das ist dann der kleinste gemeinsame Nenner, auf den man sich verständigen wird. Die Übergewinnsteuerdiskussion wird weiter gehen im Rahmen der Diskussion um die Verteilung der Belastungen durch die Energiekrise. Die aktuelle Diskussion um die kalte Progression ist die andere Seite dieser Medaille.

Sebastian Dullien: Eine Anmerkung noch. Dass schon allein die Debatte um die Übergewinnsteuer nützlich sein kann, sieht man daran, was in Frankreich passiert ist. Da ist die Übergewinnsteuer im Parlament abgelehnt worden, aber nur nach dem Total angekündigt hat, die Margen für das Benzin zu senken und damit den Benzinpreis zu senken. Auch die Speditionsunternehmen und Redereien haben angekündigt, dass sie Rabatte für französischen Unternehmen geben wollen. Das heißt, dass hier offensichtlich einige Unternehmen zumindest angekündigt haben, ihr Verhalten zu ändern, allein, weil über die Übergewinnsteuer ernsthaft diskutiert wurde.

 

Mit anderen Worten: Es ist sinnvoll, die Diskussion weiterhin zu führen.

 

Vielen Dank für das Interview Sebastian Dullien und Stefan Bach

 

Dieses Interview hat Dr. Nils Heisterhagen geführt