Die hohe Inflation, der Arbeitskräftemangel und die massive Erhöhung des Mindestlohns lassen die Löhne in Deutschland schneller steigen. Wir zeigen, wie die nächste Tarifrunde ausgehen könnte und was dies für die Inflation und die EZB bedeuten würde.

 

Inflation, Arbeitskräftemangel und höherer Mindestlohn schieben Löhne an, …

Bis zu 19% mehr für das Bodenpersonal der Lufthansa, bis zu 24% mehr für einen Teil der Zeitarbeiter: Zuletzt wurden in einigen Tarifverträgen Lohnzuwächse vereinbart, wie man sie in Deutschland schon länger nicht gesehen hat.

Wirklich überraschend ist dies nicht. Denn derzeit gibt es einige Faktoren, die die Gewerkschaften auf kräftige Lohnsteigerungen drängen lassen und ihre Verhandlungsposition verbessern:

  • Die hohe Inflation von zuletzt 7,9%, die die Reallöhne der Arbeitnehmer deutlich gedrückt hat. Zudem setzt sich mehr und mehr die Überzeugung durch, dass es sich hierbei nicht nur um eine Episode handelt, sondern auch in den kommenden Jahren mit einem starken Preisanstieg zu rechnen ist.
  • Der in immer mehr Branchen spürbare Mangel an Arbeitskräften. So sind nach der jüngsten Erhebung des IAB-Instituts bei deutschen Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen zuletzt fast 2 Millionen Stellen nicht besetzt.
  • Die kräftige Erhöhung des Mindestlohns: Am 1. Oktober wird der Mindestlohn in Deutschland auf 12 Euro pro Stunde angehoben, womit er gut 22% höher sein wird als Anfang des Jahres und bei einigen Branchen auch über den Entlohnungen für die untersten Lohngruppen liegen wird. Zumeist werden nicht nur diese Löhne – teilweise deutlich – angehoben, sondern auch die der darüber liegenden Lohngruppen, um einen gewissen Abstand zwischen den Lohngruppen beizubehalten.

… bei deutlichen Unterschieden zwischen den Branchen

Auch wenn bei den meisten der im Verlauf dieses Jahres abgeschlossenen Tarifverträgen höhere Lohnzuwächse als in den vorhergehenden Verträgen vereinbart wurden, gibt es zwischen den einzelnen Branchen beträchtliche Unterschiede. Besonders starke Zuwächse gab es dabei insbesondere bei zwei Gruppen von Unternehmen. Zu der einen gehören diejenigen mit einem unterdurchschnittlichen Lohnniveau, bei denen die Erhöhung des Mindestlohns sich besonders stark bemerkbar machte. Zu nennen sind hier unter anderem die Gebäudereiniger und der Zeitarbeitssektor. Zu der anderen Gruppe gehören Sektoren, deren Unternehmen auch von der Krise profitieren, da ihre Preise stärker steigen als ihre Kosten. Ein Beispiel hierfür ist die Stahlbranche, für die ein Lohnplus von 6 1/2% vereinbart wurde.

Für einige andere Branchen wie das Bank- und das Versicherungsgewerbe, aber auch die Textil- und die Druckindustrie wurden hingegen vergleichsweise moderate Zuwächse zwischen 2 bis 3% pro Jahr vereinbart. Neben den Problemen dieser Sektoren mag dabei auch eine Rolle gespielt haben, dass zum Zeitpunkt dieser Abschlüsse im Frühjahr mancher noch von einem schnelleren Rückgang der Inflationsraten ausging.

Bisher nur etwas stärkerer Anstieg der Tariflöhne, …

Diese moderaten Tarifabschlüsse in einigen Sektoren haben dazu beigetragen, dass sich der unterliegende Aufwärtstrend bei den Tariflöhnen bisher nur leicht verstärkt hat. Rechnet man die teilweise sehr umfangreichen Einmalzahlungen heraus, sind die Tariflöhne in den ersten sechs Monaten dieses Jahres um moderate 1,9 gestiegen.

… aber nun stehen die großen Tarifrunden an

In den kommenden Monaten dürfte sich dies allmählich ändern. Denn einige der bereits vereinbarten kräftigen Anhebungen – z.B. diejenigen bei der Zeitarbeit – treten erst im Herbst in Kraft. Zudem stehen erst dann mit den Verhandlungen für die Metall- und Elektroindustrie, die chemische Industrie und dem öffentlichen Dienst bei Bund und Gemeinden die großen Tarifrunden an, die den gesamtwirtschaftlichen Lohntrend maßgeblich bestimmen.

Ziel Kaufkrafterhalt, …

Dabei hat die IG Metall mit einer Lohnforderung von 8% bereits klar gemacht, dass aus ihrer Sicht für die Arbeitnehmer zumindest ein beträchtlicher Teil des in den vergangenen Monaten erlittenen Kaufkraftverlustes ausgeglichen werden soll.

… aber Umfeld für Gewerkschaften trübt sich ein

Allerdings dürfte sich das Umfeld für die Gewerkschaften in den kommenden Monaten während der Verhandlungen verschlechtern. So dürfte der aktuelle Mix aus rekordhohen Energiepreisen, den weiterhin bestehenden beträchtlichen Lieferengpässen bei Vorprodukten sowie einer schwächeren Weltwirtschaft die Unternehmen zunehmend belasten und die deutsche Wirtschaft in eine Rezession abgleiten lassen. Zudem wird weiterhin eine Rationierung von Erdgas zumindest drohen, wenn nicht sogar umgesetzt werden, was die Industrie allgemein und die chemische Industrie im Speziellen beeinträchtigen wird.

Trotz deutlich stärkerem Lohnanstieg …

Trotzdem dürften bei den Gesprächen deutlich höhere Lohnzuwächse vereinbart werden als bei den vorhergehenden Abschlüssen. Bei der Metall- und Elektroindustrie liegt hierfür die Hürde angesichts der vorhergehenden Nullrunden (jeweils mit Einmalzahungen) auch sehr niedrig. Das gilt auch für die chemische Industrie und den öffentlichen Dienst beim Bund und den Gemeinden, wo die Löhne in den vergangenen Jahren um deutlich weniger als 2% zugelegt hatten.

… fallen Reallöhne auch 2023, …

Insgesamt rechnen wir für dieses Jahr mit einem Anstieg der Tariflöhne (inklusive Einmalzahlungen) um knapp 3%. Im kommenden Jahr dürfte sich das Plus wegen der dann greifenden neuen Tarifverträge auf 31/2 bis 4% erhöhen. Damit bleiben die Löhne hinter der Inflation zurück, so dass die Reallöhne auch im kommenden Jahr fallen werden, sich also Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Endeffekt die höheren Energiekosten teilen.

… aber schneller steigende Lohnkosten schieben Preise an

Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Lohnkosten der Unternehmen stärker steigen werden. Auf Dauer werden diese versuchen, die höheren Kosten an ihre Kunden weiterzugeben. So mag zwar die Inflationsrate im Verlauf des kommenden Jahres fallen. Die mittelfristigen Inflationsgefahren werden wegen des stärkeren Lohnanstiegs aber zunehmen. Da dies auch für die anderen Euro-Länder gilt, wächst der Druck auf die EZB, ihre Leitzinsen weiter kräftig anzuheben.

 

Dr. Jörg Krämer und Dr. Ralph Solveen