Wissenschaft und Wettbewerbsfähigkeit – Forschung braucht politischen Willen

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Bundeskanzler Olaf Scholz hat es in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag Ende Februar auf den Punkt gebracht: Wir erleben aktuell eine Zeitenwende. Doch wie beginnt eine Zeitenwende und wie lange dauert sie? Nur einen Moment, 30 Jahre oder länger? Und ist diese Zeitenwende die erste Zeitenwende? Ganz sicher nicht! Als Begleiter der innerdeutschen Wende sage ich dies mit großer Gewissheit. In der Tat überlagern sich derzeit verschiedene Krisen, die dazu führen, dass Althergebrachtes überdacht und neue, innovative Lösungen dringend gefunden werden müssen. Für die Fraunhofer-Gesellschaft als weltweit führende Organisation für anwendungsorientierte Forschung mag das kontinuierliche Hinterfragen zum Identitätskern gehören. Dennoch kann auch ich feststellen, dass es selten eine ähnliche Abfolge ökonomischer Schocks und politischer Krisen in vergleichbarer Frequenz gab, die unsere Politik regelmäßig auf das Äußerste fordert.

Die Ergebnisse des politischen Handelns in den vergangenen Jahren können sich aus meiner Sicht sehen lassen: Mit Ausnahme von nur fünf Jahren ist das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands seit der Wiedervereinigung stetig gestiegen. Dennoch haben wir es uns zunehmend zur Gewohnheit gemacht, die Auswirkungen von Krisen mit Staatsvermögen abzufedern. Selbstverständlich müssen sozialen Fragen, Aspekten der Sicherheit und der Nachhaltigkeit höchste politische Priorität eingeräumt werden. Doch wir dürfen das Fundament nicht vergessen, auf dem dieser Wohlstand entstanden ist, mit dem wir heute unsere Probleme lösen: Der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Diese Wettbewerbsfähigkeit basiert auf Kostenvorteilen, die Unternehmen realisieren sowie einer großen Nachfrage nach exzellenten Produkten, für die ein höherer Preis verlangt werden kann. Technologische Vorsprünge wirken begünstigend auf beides: Kostenvorteile und Gewinnspannen. Das gilt selbst – oder gerade! – unter anspruchsvollsten Rahmenbedingungenwie den aktuell steigenden Energiepreisen.

Ein essenzieller Schlüssel der Wettbewerbsfähigkeit ist Innovation, die stets im Wechselspiel zwischen Wissenschaft und Wirtschaft entsteht. Und nicht nur das: Dieses Zusammenspiel liefert darüber hinaus zentrale Beiträge zur Umsetzung der notwendigen ökologischen Transformation, der drohenden Energieversorgungskrise und damit zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Zugegeben, auch die Förderung der Wissenschaft kostet den Staat Geld. Doch Studien zeigen, dass die positiven Effekte auf Volks- und Betriebswirtschaft diese Investitionen bei Weitem kompensieren.

Um ihr volles Potenzial zu entfalten, benötigt die Forschung in Deutschland und Europa nicht nur Geld, sondern vor allem mehr Flexibilität und weniger Bürokratie. Neue Instrumente und Ansätze geben der deutschen Forschung mehr Autonomie und machen sie durch die Möglichkeit der gegenseitigen und wirtschaftlichen Vernetzung noch stärker. Eine agilere Forschungsförderung bedeutet eine Entbürokratisierung von Forschungskooperationen und Gründungsaktivitäten aus der Wissenschaft. Bereits heute werden im Rahmen gemeinsamer Berufungen von Hochschullehrern Ausgleichszahlungen zwischen Universitäten und Forschungsorganisationen durch Mehrwertsteueraufschläge behindert. Will die Fraunhofer-Gesellschaft beispielsweise anderen außeruniversitärer Forschungsorganisationen oder Universitäten Zugang zu ihren Forschungsinfrastrukturen oder Geräten gewähren, müssen vorab Verwaltungsvereinbarungen mit 16 Ländern und dem Bund geschlossen werden. Warum werden hervorragende Vernetzungsplattformen wie die Industrielle Gemeinschaftsforschung sowie das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand nicht deutlich aufgestockt?

Warum ist die Förderung junger Unternehmen nicht ein gemeinnütziges Ziel? Denn, wer mehr Gründungen aus Forschungseinrichtungen fordert, vergisst, dass Beihilfe- und Wettbewerbsrecht verbieten, öffentlich gefördertes Wissen an junge Unternehmen „zu verschenken“ – obwohl erfolgreiche Gründungen dem Standort Deutschland Arbeitsplätze und Steuern einbringen und den notwendigen industriellen Wandel fördern. Diese Liste ließe sich beliebig fortführen, allerdings gibt es auch Erfolgsbeispiele: Die steuerliche Forschungszulage fördert Kooperationen zwischen Unternehmen und Wissenschaft unbürokratisch und technologieoffen. Die verschiedenen Cluster-Wettbewerbe des Bundesministeriums für Bildung und Forschung haben echte Innovationskerne in Deutschland hervorgebracht. Nicht zuletzt hat der international beachtete und mehrfach verlängerte Pakt für Forschung und Innovation ein starkes und arbeitsteilig organisiertes Wissenschaftssystem hervorgebracht.

Eine gelingende Transformation braucht das funktionierende Zusammenspiel von Wirtschaft und Wissenschaft, wie konkrete Kooperationen – beispielsweise der Fraunhofer-Gesellschaft – bereits deutlich zeigen. Doch darüber hinaus bedarf es besserer Rahmenbedingungen und neue (Experimentier-) Räume, damit die Zusammenarbeit zwischen Forschenden und Anwendenden den Schub bekommt, die sie für die Lösung der ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen braucht. Zur Beseitigung der genannten Hürden braucht es nicht in erster Linie Geld, sondern vor allem politischen Willen.

 

Reimund Neugebauer