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Der Erfolg unserer Wirtschafts- und Energiepolitik – nämlich Dekarbonisierung ohne Wohlstands- und Arbeitsplatzverluste bei Erhalt unserer industriellen Basis – hängt nicht nur von Entscheidungen auf europäischer oder Bundesebene ab, sondern auch von einer klugen Politik in den Bundesländern.  Insbesondere die Wasserstoffstrategien müssen dabei mit der nationalen Roadmap und dem europäischen Green Deal ineinandergreifen.

Rheinland- Pfalz ist ein exportorientiertes Flächenland mit einem überdurchschnittlichen Anteil der Industrieproduktion am BIP (wobei hier besonders die Chemieindustrie ins Gewicht fällt) und einer überdurchschnittlichen Abhängigkeit von Gas als Energieträger. Wie die gesamte Bundesrepublik steht das Land vor einem grundlegenden Wandel. Im Zentrum künftigen Unternehmenserfolgs stehen CO2-neutrale Produktion von Waren und Dienstleistungen, Nachhaltigkeit im Sinne eines schonenderen Umgangs mit Ressourcen und eine daten- und technologieorientierte Innovationsfähigkeit. Für den Wirtschaftsstandort und die Beschäftigten in Rheinland-Pfalz gilt es daher Lösungen zu finden, die den technologischen Wandel und die Prinzipien guter Arbeit vereinen.

Die Unumkehrbarkeit der Transformation wurde durch zwei große Krisen besiegelt: Die Corona-Pandemie sorgte für einen Digitalisierungsschub und der Angriffskrieg auf die Ukraine führte zu einer enormen Dringlichkeit beim Ausbau der regenerativen Energien sowie der Notwendigkeit einer Reorganisation der Lieferketten. Die Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 hat das Land Rheinland-Pfalz zusätzlich vor gewaltige Herausforderungen gestellt.

Die Regierungskoalition aus den drei Ampel-Parteien hat bereits mehrere Hebel in Gang gesetzt, um in dieser Situation die rheinland-pfälzischen Unternehmen zu unterstützen. Neben dem Transformationsrat, der bereits im Januar 2020 einberufen wurde, sollen vor allem eine ans Wirtschaftsministerium angebundene Innovationsagentur und eine dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung unterstellte Transformationsagentur als Anlaufstelle, Impulsgeber, Umsetzungs- und Unterstützungsorgane fungieren.

Der Arbeitskreis Wirtschaft und Verkehr der SPD-Landtagsfraktion hat im Zuge der letzten 12 Monate 20 rheinland-pfälzische Unternehmen unterschiedlicher Größe und Branchen besucht, um weitere Impulse für die künftige Wirtschaft, Umwelt und Arbeit einzuholen. Die Besuche umfassten unter anderem die Branchen Chemie, Fahrzeugbau, Fahrzeugteile, Papier-, Glas-, Keramik- und Metallerzeugung, Energieversorgung sowie Handel und Versicherungen. Der Schwerpunkt lag dabei auf Großunternehmen des produzierenden Gewerbes. Es wurde ein besonderer Wert darauf gelegt, immer auch Gespräche mit dem Betriebsrat zu führen, um auch die Arbeitnehmer:innen-Perspektive miteinzubeziehen.

Die Diversität der rheinland-pfälzischen Unternehmen zeigte sich auch in den jeweiligen Transformationssituationen und den damit verbundenen Forderungen an die Politik. Als gemeinsames Ergebnis konnten acht Themenfelder identifiziert werden, aus denen die hier vorliegenden Impulse für die Transformationspolitik abgeleitet werden.

DEKARBONISIERUNG UND ENERGIEVERSORGUNG

Alle besuchten Unternehmen der Transformationsreise haben sich zur Dekarbonisierung ihrer Produktionsprozesse verpflichtet und zum Teil bereits auf den Bezug oder die Eigenproduktion erneuerbarer Energien umgestellt.

Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe sind jedoch auf absehbare Zeit weiterhin vom Bezug von Erdgas abhängig. Für die Industrie muss daher auch in Zukunft Energie über die Gasnetzinfrastruktur zur Verfügung gestellt werden.

Dies sollte daher über eine Versorgung mit regenerativ erzeugtem Biogas, klimaneutralem synthetischem Erdgas aus Power-to-Gas-Anlagen oder mit klimaneutral erzeugtem Wasserstoff, die bereits heute in kleinen Anteilen über die Gasnetzinfrastruktur transportiert werden können, erfolgen. Wichtig ist dabei, die geltenden Regelwerke auszubauen, sodass höhere Beimischungsquoten möglich sind und einen Regulierungsrahmen zu schaffen, der den Erhalt, Aus- und Umbau der bestehenden Gasnetze und die vermehrte Einspeisung von erneuerbaren und dekarbonisierten Gasen zum Ziel hat. Ferner gilt es, die Gasinfrastruktur schrittweise auf den Wasserstoffbetrieb umzustellen, so dass Wasserstoff aus regenerativen Energiequellen über Gasnetze transportiert und auch Industrieunternehmen in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt werden kann.

Im Zuge des Kriegs in der Ukraine besteht große Sorge vor weiter rasant steigenden Energiepreisen. Neben den bereits von der Bundesregierung getroffenen Stabilisierungsentscheidungen benötigt die Industrie jedoch einen wettbewerbsfähigen Industriestrompreis, zum Beispiel in Form eines europäischen Industriestromtarifs.

DIGITALISIERUNG

Die Digitalisierung der Wirtschaft ist in vollem Gange, und die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung noch einmal beschleunigt. Rheinland-Pfalz versteht sich als Treiber dieser Entwicklung: Mit seiner Digital- und Gigabit-Strategie, der international führenden Forschung im Bereich der Künstlichen Intelligenz und der Kompetenz im Bereich Industrie 4.0, zum Beispiel durch die Smart Factory in Kaiserslautern, nimmt das Land eine Vorreiterrolle in diesen industriepolitisch so entscheidenden Technologiebereichen ein. Das Förderprogramm „Digiboost“ war dabei ein wichtiger Impuls für kleine und mittlere Unternehmen in Rheinland-Pfalz, um mit Hilfe von Zuschüssen die Digitalisierung im Unternehmen voranzutreiben. Trotzdem muss es das Ziel bleiben, die guten Rahmenbedingungen weiter zu verbessern, zum Beispiel durch Steuererleichterungen für Investitionen in digitale Infrastruktur. Um Unternehmen vor Cyberangriffen zu schützen, wären zusätzliche Fördermöglichkeiten für IT-Sicherheit hilfreich.

BERUFLICHE QUALIFIZIERUNG

Die Unternehmen in Rheinland-Pfalz profitieren seit vielen Jahren von der gemeinsam mit der Landesregierung, den Gewerkschaften und der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit erarbeiteten Fachkräftestrategie, die aktuell bis 2026 fortgeschrieben wurde. Die demographische Entwicklung macht zudem die Zuwanderung von Fachkräften aus anderen Staaten notwendig. Die Anerkennung der Gleichwertigkeit von Berufsabschlüssen im Zuge des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes (FEG) sollte dabei noch schneller gehen.

Ferner ist die Stärkung der dualen Berufsausbildung, beispielsweise durch weitere Angebote im Bereich der außerschulischen Berufsorientierung notwendig. Berufsschulen und überbetriebliche Bildungsstätten müssen daher entsprechend ausgestattet und die Kompetenzentwicklung der Lehrenden ausgebaut werden, wie es im Rahmen der Schaffung Digitaler Lernzentren bereits begonnen wurde. Eine systematische Beratung von Studierenden, die erst an der Hochschule merken, dass eine Berufsausbildung für sie der richtige Weg ist, kann die duale Ausbildung zusätzlich stärken.

Eine entscheidende Rolle spielt auch die Weiterbildung, da sich bestehende Berufsbilder verändern und teilweise zugunsten neuer Anforderungen auflösen. Um auch Beschäftigten kleiner und mittelständischer Unternehmen den Zugang zu Qualifizierungsmaßnahmen zu erleichtern, hat Rheinland-Pfalz eine Transformationsagentur als Anlaufstelle für Arbeitnehmer:innen und Unternehmen gegründet.

ARBEITSRECHT

Die Corona-Pandemie hat den digitalen Wandel in der Arbeitswelt noch einmal verstärkt. Das Arbeitsrecht muss mit den Entwicklungen von „New Work“ Schritt halten und entsprechend angepasst werden, auch was den Arbeitsschutz betrifft. Ebenso erfordert das im Grundgesetz verankerte Recht auf Gewerkschaftsarbeit in Zukunft Regelungen zur hybriden oder digitalen Mitbestimmung. Zum Beispiel in Form eines digitalen Zugangsrechts der Gewerkschaften zum Betrieb oder auch digitalen Betriebsratswahlen, zu deren Erprobung sich die Ampel-Koalition auf Bundesebene entschieden hat. Ferner muss die Flucht in europäische Aktiengesellschaften (SE) zur Umgehung und Aushebelung der Unternehmensmitbestimmung beendet werden. Im Interesse der Betriebe sollte die Veränderung der Arbeitsprozesse und Implementierung neuer Techniken mit und nicht gegen die Beschäftigen vollzogen werden.

BILDUNG UND WISSENSCHAFT

Im Wettbewerb um hochspezialisierte Fachkräfte muss Rheinland-Pfalz sein bestehendes Profil als leistungsstarker, innovativer und attraktiver Standort weiter schärfen. Dazu gehört der Ausbau der MINT-Strategie des Landes, als auch eine Stärkung der Medienkompetenz und der Informatik in der Schulbildung. Die Einrichtung von insgesamt 21 Informatik-Profil-Schulen (IPS) in Rheinland-Pfalz, ist daher ein wichtiger Schritt zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts.

Gute Transformationsbedingungen in Rheinland-Pfalz bestehen darüber hinaus in der hervorragenden Vernetzung von Unternehmen, Hochschulen und Forschungsinstituten. Sie muss weiter vorangetrieben werden.

Auch im Sinne der Unternehmen gilt der Grundsatz: Niemanden zurücklassen. Passgenaue Angebote – etwa zur digitalen Grundbildung – sind daher besonders wichtig und müssen die aktive Arbeitsmarktpolitik des Landes auch in Zeiten niedriger Arbeitslosigkeit weiterhin begleiten.

RECHT UND BÜROKRATIEABBAU

Die häufigste, von den Unternehmen genannte Kategorie politischer Forderungen betraf den Bereich Rechtsfragen und Verwaltung. Sie erwarten in vielen Bereichen schnellere Entscheidungen, z.B. bei der Auszahlung zugesagter Fördergelder (was aufgrund von  Inflation und Lieferengpässen nochmal an Bedeutung gewonnen hat), aber auch eine Verkürzung der Genehmigungsverfahren, zum Beispiel beim Anlagenbau.

Aus Sicht der Unternehmen in Rheinland-Pfalz ist es daher begrüßenswert, dass sich die Bundesregierung im Frühjahr 2022 mit dem sogenannten „Osterpaket“ dazu entschlossen hat, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu verschlanken. Auf Seiten des Landes Rheinland-Pfalz soll parallel durch die Änderung des Kapitels „Erneuerbare Energien“ im Landesentwicklungsprogramm (LEP IV) weiterer Flächenzuwachs für die erneuerbaren Energien generiert werden, sodass Rheinland-Pfalz bereits jetzt zwei Prozent der Landesfläche für die Windenergie bereitstellen wird.

Im Bereich der Fahrzeugindustrie sind es vor allem Fragen zum Ausbau der Elektromobilität und des autonomen Fahrens, die aus Sicht der Unternehmen von der Politik vorrangig gelöst werden müssen.

INFRASTRUKTUR

Ein gut ausgebauter und kostengünstiger Öffentlicher Personennahverkehr hat für die Entwicklung einer Region und der Wirtschaft große Bedeutung. Für die Unternehmen in Rheinland-Pfalz kommt daher dem Ausbau des ÖPNV-Angebots, einem Nachfolge-Modell zum 9-Euro-Ticket sowie der Schaffung zusätzlicher Radwege eine große Bedeutung zu. Ziel muss es sein, ein leistungsfähiges Gesamtsystem zu etablieren, das verschiedene Angebotsalternativen zur Pkw-Nutzung bereithält. Gleichzeitig muss der Ausbau der Elektromobilität weiter forciert werden, vor allem was den Ausbau der Ladeinfrastruktur betrifft, beispielsweise für LKWs oder auf Mitfahrerparkplätzen.

Daneben hat die flächendeckende Breitband- und Mobilfunkversorgung eine Schlüsselfunktion, da diese die wirtschaftliche Entwicklung von Regionen stimuliert, ortsunabhängiges Arbeiten ermöglicht und die digitale Teilhabe der Menschen am sozialen wie am wirtschaftlichen Leben steigert.

Infrastrukturfragen spielen für die rheinland-pfälzischen Unternehmen auch bei der Nutzung grünen Wasserstoffs eine große Rolle. Der Neubau von Wasserstoff-Pipelines und die Ertüchtigung des vorhandenen Gasnetzes zur (anteiligen) Durchleitung von Wasserstoff sind genauso Voraussetzung für die Nutzung dieser Technologie wie der Ausbau der Häfen. Insbesondere bei der Positionierung von Rheinland-Pfalz im „Startnetz H2“ und im Zusammenhang mit schnellen Genehmigungsverfahren kommen auf das Land große Aufgaben zu.

Die Elektrifizierung von Verkehr, Wärme und zahlreichen Industrieanlagen erfordert darüber hinaus auch eine entsprechende Ertüchtigung der Stromnetze.

ÖFFENTLICHKEITSARBEIT

Der Industrie- und Technologiestandort Rheinland-Pfalz muss stärker beworben werden, um im Wettbewerb um Investoren, Fachkräfte und Fördermöglichkeiten weiter zu bestehen. Dazu gehört auch, das Bewusstsein für die Bedeutung der Industrie als Motor für Wohlstand und Beschäftigung immer wieder zu erneuern. Die Weiterentwicklung der Tourismus-Marke „Rheinland-Pfalz.GOLD“ zur Wirtschaftsstandortmarke ist daher ein gelungener erster Schritt.

Fazit:

Auch wenn der Krieg Russlands in der Ukraine derzeit gesellschaftliche und wirtschaftliche Dynamiken zu bremsen droht, wird es eine Zeit nach dem Krieg geben. In dieser Zeit werden die Herausforderungen der Transformation weiterhin bestehen, daher müssen auch jetzt die Hebel in Bewegung gesetzt werden, um den Transformationsprozess für alle Beteiligten zukunftsweisend zu gestalten. Der ständige Austausch mit den Unternehmen im Land ist dabei unverzichtbar. Denn jede Krise ist auch eine Chance, die es zu nutzen gilt.

Dr. Anna Köbberling