Das Klimaschutzgesetz aus dem Jahr 2021 sieht vor, dass Deutschland bis zum Jahr 2045 treibhausgasneutral sein soll.[1] Als Zwischenziel ist geplant, die Treibhausgasmissionen bis zum Jahr 2030 um 65% gegenüber 1990 zu reduzieren. Ob das gelingt, ist allerdings fraglich. Das vorherige Ziel, die Emissionen bis zum Jahr 2020 um 40% zu mindern, wurde zwar erreicht.[2] Aber das war ein Sondereffekt aufgrund der pandemiebedingten Einschränkung von Mobilität und wirtschaftlicher Aktivität. Im Jahr 2021 wurde die 40-prozentige Einsparung gegenüber 1990 wieder verfehlt, und die Emissionen in diesem und im nächsten Jahr dürften über einem gedachten linearen Abbaupfad bis hin zu den 65% im Jahr 2030 liegen.[3]

Projektionen der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose zeigen, dass die angestrebte mittelfristige Reduktion der Emissionen ohne einen Rückgang der Produktion und des Konsums kaum zu erwarten ist.[4] Dazu müssten die Geschwindigkeit, mit der der Energieverbrauch je Euro Bruttoinlandsprodukt gesenkt wird, massiv erhöht und gleichzeitig der Anteil der treibhausgasneutralen Energien am Energiemix deutlich gesteigert werden. Selbst wenn es doch gelingen sollte, durch technologischen Fortschritt den fossilen Energieverbrauch produktionsneutral zu senken, dürften die künftigen Konsummöglichkeiten je Einwohner gedämpft werden, denn es sind immense Investitionen erforderlich. Man denke nur an den Gebäudesektor, dessen energetische Ertüchtigung sehr aufwendig sein wird.

Ein wichtiges Element der Emissionsreduktionsstrategie war bislang, aus der klimaschädlichen Energieerzeugung mit Kohle auszusteigen und stattdessen so lange auf das etwas weniger klimaschädlichere Erdgas zurückzugreifen, bis erneuerbare Energien im ausreichenden Ausmaß zur Verfügung stehen.[5] Diese Strategie geht nach der weitgehenden Drosselung russischer Gaslieferungen nach Europa nicht mehr auf. Im kommenden Winter wird das Gas trotz der gefüllten Speicher bei weitem nicht ausreichen, um den durchschnittlichen Verbrauch der Vorjahre aufrechtzuerhalten, geschweige denn zusätzliches Gas zur Substitution von Kohle zu nutzen. [6] Ausdruck dieser Knappheit ist der erheblich gestiegene Gaspreis, der kurzfristig zu substanziellen ökonomischen Verwerfungen führt. So ist zwar die Industrieproduktion insgesamt bislang weitgehend stabil geblieben, aber in der energieintensiven chemischen Industrie ist die Produktion zwischen Januar und August 2022 um etwa 20% gesunken.[7] Die hohen Importkosten für Flüssiggas tragen außerdem dazu bei, dass Deutschland in den Jahren 2021 bis 2023 aufgrund des ungünstigeren Verhältnisses von Import- zu Exportpreisen einen Kaufkraftverlust in der Größenordnung von 100 Mrd. Euro erleidet, also etwa 1.200 Euro je Einwohner.[8]

Was kann die Politik angesichts dieses negativen Angebotsschocks tun? Zunächst einmal gilt es, die Energieversorgung weiterhin sicherzustellen. Da eine kurzfristige Ausweitung des Angebots nur sehr begrenzt möglich ist – etwa durch Gaslieferungen aus nicht-russischen Quellen –, kommt der Verbrauchsreduktion hierbei eine herausragende Bedeutung zu. Die Bundesnetzagentur schätzt, dass der Gasverbrauch von Industrie- und Haushaltskunden um 20% gegenüber dem Vorjahr gedrosselt werden muss, um eine Gasmangellage im Winter zu vermeiden.[9]

Für die Finanzpolitik, die Effizienz-, Verteilungs- und Stabilisierungsziele verfolgt, ergeben sich daraus folgende Implikationen: Unter Effizienzaspekten wäre es das Beste, die höheren Energiekosten schnell und umfassend an die Verbraucher weiterzugeben. So kann erreicht werden, dass Energie überall dort eingespart wird, wo der daraus resultierende Nutzen und die damit verbundene Zahlungsbereitschaft die Beschaffungskosten nicht decken. Jedwede Subventionierung des Gasverbrauchs, insbesondere eine krude Deckelung des Preises für den gesamten Verbrauch, erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Gasmangellage im kommenden oder im darauf folgenden Winter.  Kleinteilige und ineffiziente staatliche Regulierung und Kontrolle des individuellen Gasverbrauchs wären die Folge.

Allerdings ist klar, dass eine Reihe von Unternehmen und Haushalten nicht in der Lage sind, die gestiegenen Energiekosten aus eigener Kraft zu tragen. Aus der Verteilungsperspektive ist es somit Aufgabe der Finanzpolitik, für einen gerechten Lastenausgleich zu sorgen. Üblicherweise sollte dies nach der individuellen Leistungsfähigkeit erfolgen, d.h. Haushalte mit einem überdurchschnittlichen Einkommen müssten nicht nur die eigenen Mehrkosten tragen, sondern auch für Transfers an Haushalte mit niedrigen Einkommen aufkommen. Nach der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2018 entfallen annähernd 50% des gesamten ausgabefähigen Einkommens (nach Abzug von Steuern usw.) auf die 20% der Haushalte mit Nettoeinkommen über 5.000 Euro. Diese Haushalte geben mit knapp 200 Euro pro Monat 4% ihres Nettoeinkommens für Energie aus, während sich die Energieausgaben von Haushalten mit Medianeinkommen mit 150 Euro auf etwa 6% deren Einkommens belaufen. Geringverdiener mit Nettoeinkommen von unter 900 Euro wenden sogar 9% für Energie auf. Eine Entlastung, bei der Haushalte mit sehr hohen Einkommen durch eine Energiepreisbremse für einen Basisbedarf prozentual in ähnlichem Umfang wie Haushalte mit niedrigen Einkommen subventioniert werden, ist somit verteilungspolitisch und auch angesichts des gesamtwirtschaftlichen Kaufkraftverlusts und der physischen Energieknappheit nicht geboten.

Aus der Stabilisierungsperspektive lässt sich argumentieren, dass der Gaspreisschock ein im Vorhinein nicht versicherbares Risiko darstellt, das eine finanzpolitische Dämpfung des Kostenanstieges für alle Gaskunden rechtfertigt. Hierbei mag auch die Gefahr sozialer Instabilität eine Rolle spielen. Es wäre jedoch zu gewährleisten, dass Subventionen eine Gasmangellage nicht wahrscheinlicher machen und angesichts der wohl dauerhaft höheren Energiekosten den Strukturwandel im Zuge der Reduktion des Einsatzes fossiler Energieträger nicht behindern. Unternehmenshilfen mit einer Standort- oder Beschäftigungsgarantie zu verknüpfen, läuft hingegen Gefahr, einen Fehler des Aufbaus Ost und der Subventionen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur zu wiederholen, nämlich die Subventionierung des Weiterbetriebs wenig produktiver Geschäftsbereiche. Sinnvoller wäre es beispielsweise, die Subventionen an Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz zu knüpfen, um so den Übergang zu klimafreundlicher Produktion zu fördern und die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu reduzieren.

Zusätzlich gilt es auch, die europäische Perspektive im Blick zu behalten. Nationale Alleingänge bei der Gassubventionierung beeinträchtigen den europäischen Binnenmarkt und bergen somit das Risiko protektionistischer Reaktionen. Ferner ist Energieversorgungssicherheit in Deutschland nur im Zusammenspiel mit den europäischen Partnern realisierbar. Die ökonomischen Kosten eines Auseinanderdriftens der EU-Mitgliedsstaaten sollten nicht unterschätzt werden.

Insgesamt steht die Politik vor der Herausforderung, ein ausgewogenes Verhältnis von Gaspreissubventionen, die den Effizienz- und zum Teil auch den Verteilungsaspekten sowie den Grundprinzipien des europäischen Binnenmarktes zuwiderlaufen können, und kurzfristig stabilisierenden Maßnahmen zu finden. Dabei sollte auch beachtet werden, dass schuldenfinanzierte Zahlungen an private Haushalte und Unternehmen die ohnehin schon hohe allgemeine Inflation weiter anheizen könnten. Die Erwartung, dass ein einzelnes Instrument wie eine Gas- und Strompreisbremse all diese Zieldimensionen gleichzeitig bedienen kann, ist überzogen. Es kommt aber darauf an, die erforderlichen Lenkungseffekte höherer Gaspreise in der Breite wirken zu lassen, ohne eine Destabilisierung von Wirtschaft und Gesellschaft zu riskieren. Eine Gaspreisbremse jedoch, die am Ende nicht die notwendige Verbrauchsreduktion fördert und damit zu einer Gasmangellage beiträgt, würde letztlich zu einer Zielverfehlung in allen Dimensionen – Effizienz, Verteilung, Stabilität, europäische Einheit und Klimaschutz – führen. Die Konsequenzen des gegenwärtigen Energiepreisschocks sind letztlich auch Vorboten der im Zuge der Klimaschutzpolitik zu erwartenden Verteilungskonflikte.

Prof. Dr. Oliver Holtemöller, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)

 

[1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/klimaschutzgesetz-2021-1913672

[2] Das 40%-Ziel war unverbindlicher Bestandteil des Energiekonzepts der damaligen Regierungskoalition aus dem Jahr 2010, vgl. https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgasminderungsziele-deutschlands#nationale-treibhausgasminderungsziele.

[3] Drygalla et al. (2021): Energiekrise in Deutschland, IWH Konjunktur aktuell 10(3), 68-97.

[4] Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2022a): Von der Pandemie zur Energiekrise – Wirtschaft und Politik im Dauerstress, Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2022, Kiel.

[5] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/wohlstand-und-klimaschutz-2018366

[6] Dass die Gasspeicher auch ohne einen großen Teil der russischen Importe gefüllt werden konnten, liegt auch daran, dass die Nettogaslieferungen nach Deutschland im Zeitraum Januar bis August 2022 etwa 5% über dem Durchschnitt der Vorjahre (2018-2021) lagen, weil nicht nur die Importe, sondern auch die Exporte deutlich gesunken sind (eigene Berechnung auf Basis von Eurostat-Daten).

[7] Statistisches Bundesamt: Produktionsindex für das Verarbeitende Gewerbe, 2-Steller, Stand vom 31.10.2022.

[8] Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2022b): Energiekrise: Inflation, Rezession, Wohlstandsverlust, Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2022, Essen.

[9] Bundesnetzagentur (2022): Aktuelle Lage der Gasversorgung in Deutschland (Stand 28.10.2022, 13 Uhr), https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Gasversorgung/aktuelle_gasversorgung/start.html.