Klimaverhandlungen im Schatten des Krieges

©
iStock bluejayphoto

 

 

Die Klimaverhandlungen Ende 2021 in Glasgow stimmten optimistisch. Die EU verwies zu Recht auf ihren anspruchsvollen European Green Deal, ambitionierte Klimaziele inklusive. Die Biden-Regierung war nach den zerstörerischen Trump-Jahren zurück auf der klimapolitischen Weltbühne. Die chinesische Regierung hatte erstmals Klimaneutralität als Zielsystem für die eigene Wirtschaft akzeptiert und angekündigt. 2060 solle es soweit sein – aus der Sicht der Klimaforschung etwas spät, aber immerhin war Bewegung ins Spiel gekommen. Überhaupt, Klimaneutralität, schien endlich der neue Kompass der Weltwirtschaft zu werden. Viele Staaten einigten sich auf eine Verschärfung der Klimaziele für die kommenden Jahre. Könnte es sein, dass nach 26 Jahren Klimaverhandlungen, der Prozess endlich in die richtige Richtung rutscht? Könnte gut sein, war ein Grundgefühl in Glasgow.

Die Stimmung ein Jahr später bei der COP27 in Ägypten war, jenseits der eingeübten Routinen der Klimaverhandlungen, ganz anders. Wir „rutschen“ nicht in Richtung der Umsetzung der Paris Ziele, wir straucheln am Anfang der Dekade, die aus Sicht der Klimaforschung zur Dekade der ambitionierten Umsetzung werden muss, um noch unter 2 Grad globaler Erwärmung verbleiben zu können. Der russische Krieg hat die Prioritäten der internationalen Politik massiv verschoben. Klimaschutz wurde in den vielen G7-, G20-, UN-Meetings seit dem 24. Februar 2022 nicht beerdigt, aber an den Rand gedrängt. Die Sorge um die internationale Sicherheitsordnung, nukleare Bedrohungen, Investitionen in die zivile und militärische Infrastruktur der Ukraine, Energie- und Nahrungsmittelknappheiten in Folge des Krieges, Zerwürfnisse zwischen denen, die den Russlandkrieg klar verurteilen, ihm neutral gegenüberstehen oder gar dem russischen Narrativ vom imperialistischen Westen folgen, haben die geopolitische Landkarte verändert. Die Bekämpfung der Klimakrise, da waren sich in Glasgow viele einig, verlangt die volle Aufmerksamkeit der Staatengemeinschaft, der Regierungen, die Unternehmen, der Unterstützung durch die Zivilgesellschaften. Diese „volle Aufmerksamkeit“ ist dahin. Die globale Klimapolitik ist ins Trudeln gekommen, sie tritt in dem Moment auf der Stelle, in dem sie beschleunigt werden sollte und müsste. Drei Perspektiven dazu.

Ein Lichtblick: ein Loss & Damage Fund soll entstehen

Das ist ein Durchbruch, auf den viele Entwicklungsländer lange hingearbeitet hatten. Die Länder, die kaum zum Klimawandel beitragen, aber insbesondere unter dessen Folgen leiden, sollen zukünftig wirksam unterstützt werden. Die Bilder von den Überschwemmungen großer Teile Pakistans und von nicht enden wollenden Dürren in afrikanischen Ländern, die Extremwetterereignisse in Mittelamerika, immer stärkere Hitzewellen, an immer mehr Orten, die die menschlichen Anpassungsfähigkeiten überfordern, zeigen, worum es geht. Und nicht vergessen, wir sind „erst“ bei einer globalen Temperaturerhöhung von 1,2 Grad – besser wird es im Verlauf des Jahrhunderts sicher nicht werden. Ein angemessener Loss und Damage Fund, der auf der COP27 verabredet wurde, ist aus der Sicht internationaler Solidarität und Hilfe, aber auch aus der Verursacherperspektive dringend geboten. Zudem können Klimawandelfolgen Gesellschaften überfordern und destabilisieren sowie Fluchtbewegungen auslösen. Loss und Damage – Investitionen sind daher auch sicherheitspolitisch anzuraten. Ein Anfang ist gemacht, aber viele schwierige Fragen sind offen: Wie groß soll der Fund sein? Wer zahlt ein und wieviel? Wer ist unterstützungsberechtigt? Bis wann soll der Fund funktionsfähig sein? Viel Konfliktstoff verbirgt sich hinter diesen Fragen. Der zentrale Punkt ist: je weniger erfolgreich wir beim Klimaschutz agieren, desto höher werden die Loss und Damage – Kosten.

Emissionen reduzieren: wie kommen wir in eine Faktor 6 – Welt?

Der UNEP-Gap-Report und andere Studien, die zu Beginn der COP27 veröffentlicht worden waren, kommen alle zum gleichen Ergebnis: die Regierungen haben seit Glasgow ihre Klimaschutzambitionen nicht weiterentwickelt. Wir befinden uns global auf einem 2,6 – 3,5 Grad – Pfad. Die Emissionen müssten bis 2030 in etwa halbiert werden, um die globale Erwärmung noch auf zwischen 1,5 – 2 Grad stabilisieren zu können. Dafür wäre weltweit ein Faktor 6 – Kurs im Vergleich zu den Anstrengungen der letzten Jahre notwendig: 6-mal so schnell raus aus der Kohle, 6-mal höhere Investitionen in erneuerbare Energien, in E-Mobilität usw. Im europäischen Kontext geht es um eine Beschleunigung der Anstrengungen um den Faktor 3. Vieles davon wären weltweite Investitionen in Klimaschutz, Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftssicherung zugleich. Denn alle Beteiligten wissen: jenseits der 1,5-2 Grad – Leitplanke beginnt das gefährliche Terrain der „Kipp-Punkte“ im Erdsystem: das Abschmelzen des Grönlandeisschildes, das Auftauen des Permafrostes, die Erosion des Amazonasregenwaldgebietes könnten mit steigender Wahrscheinlichkeit irreversibel angestoßen werden. Es ist nicht realistisch, einen Beschleunigungsmechanismus in die Faktor 6 – Welt von Großveranstaltungen wie den Weltklimaverhandlungen zu erwarten. „Durchbruchallianzen“ müssen organisiert werden: mit Indien, das die Präsidentschaft der nächsten G20 – Runde inne hat; mit Brasilien und anderen Schwellenländer; mit den USA und China; mit afrikanischen Ländern, um die dortige Urbanisierungsrevolution klimaneutral auszurichten. Es darf nichts unversucht bleiben. Der Modus und der Impetus, die notwendig sind, müssen auf den Erfahrungen aus der Pandemie und der Russland-Aggression aufbauen. In beiden Fällen wurde rasch und ambitioniert reagiert, in den Krisenmodus umgeschaltet. Dieses unmittelbare Krisen- und Bedrohungsgefühl scheint sich im Feld der Klimapolitik bisher nicht einzustellen – zu Unrecht, wie ein Blick auf Erkenntnisse der Klimaforschung zeigt.

China im Zentrum

China stand während der COP27 im Zentrum vieler Prozesse. Es wird durchaus ungemütlich für die asiatische Weltmacht. Die OECD-Länder drängen China, deutlich vor 2060 klimaneutral zu werden, weil ansonsten die Paris-Ziele unerreichbar werden. Die G7-Staaten sind zunehmend irritiert, weil China, als derzeit größter Treibhausgasemittent, nicht zum Anpassungs- sowie zum Loss und Damage – Fund beitragen möchte. Das chinesische Narrativ vom „größten Entwicklungsland der Erde“ verliert an Glaubwürdigkeit. Erleichtert wurde zur Kenntnis genommen, dass China und die USA beim G20-Gipfel auf Bali übereinkamen, wieder miteinander über Klimapolitik zu sprechen. Veränderungen dürften auch der Regierungswechsel in Brasilien erzeugen. Mit dem klimapolitisch interessierten Präsidenten Lula könnte Dynamik in die klimapolitische Positionierung der BRICS-Staaten kommen, nicht zuletzt, weil sich auf der COP27 zeigte, dass Indien zunehmend an mehr Klimaschutz interessiert ist.

Sollte der Krieg Russlands 2023 beendet werden, könnten Grundlagen für eine Konstellation entstehen, die während der letzten Monate keine Chance hatte: die EU, die USA, China, Indien, Brasilien könnten sich der Klimakrisen annehmen, um die durch die Pandemie und den Russlandkrieg gebeutelte Weltwirtschaft durch Klimaneutralitätsinvestitionen wieder anzuschieben und – nach den gefährlichen Zerwürfnissen des vergangenen Jahres – globale Kooperation zu revitalisieren, um das wichtigste öffentliche Gut der Menschheitsgeschichte und damit den Weltfrieden zu schützen. Ist das wahrscheinlich? Nicht unbedingt, aber ratsam und notwendig.