19.12.2022China

China und die europäische Wirtschaft – Wie abhängig sind wir wirklich?

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Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in China im Interview mit Matthias Machnig

 

Matthias Machnig: Herr Wuttke, wir führen dieses Gespräch in stürmischen und interessanten Zeiten. In China gibt es eine Protestwelle, wie es sie seit vielen Jahrzehnten nicht gegeben hat. Wie breit ist aus Ihrer Sicht diese Protestwelle und wie ernst muss man sie nehmen?

Jörg Wuttke: Ich habe 1989 die Proteste hier in Peking miterlebt. Die Proteste gingen schnell in die Millionen und führten zum Crackdown am 4. Juni. Davon sind wir noch weit entfernt. Aber es ist das erste Mal, dass in mehreren Städten Chinas direkt gegen die Regierung demonstriert wurde, wenn auch in kleinerem Maßstab. Es handelt sich um ein paar 1000 Menschen jeweils. Aber es war schon bedenklich, dass das so schnell hochgekocht ist, auch wenn es gleich wieder im Keim erstickt worden ist. Wir wissen nicht, wie es von hier aus weitergeht.

Sind die Signale in der chinesischen Regierung angekommen oder sehen sie Bewegung, dass man zumindest überlegt, wie man auch in friedlicher Art und Weise mit diesen Protesten umgehen kann?

Die Proteste nähren sich ja aus unterschiedlichen Unzufriedenheiten. Die Menschen sind nach drei Jahren Dauer-Testen und Dauer-Restriktionen müde und wünschen sich wieder ein normales Leben. Mit ausgelöst hat das auch die Fußballweltmeisterschaft. Zum ersten Mal haben die Chinesen in großem Maßstab gesehen, wie sich die Welt ohne Masken und ohne Furcht trifft. Eine Rolle spielt sicherlich auch, dass die Wirtschaft abdriftet. Wir haben eine zunehmende Arbeitslosigkeit. Ein weiterer Nährpunkt der Proteste ist zudem auch diese Allgegenwärtigkeit von Politik, die sich ausdrückt in der Figur des Präsidenten.

Wir haben uns seit April dieses Jahres den Mund fusselig geredet, dass sie Menschen zu Hause lassen und bessere Impfungen durchführen sollen, gerade auch bei Über-60-Jährigen. Und jetzt haben wir auf einmal innerhalb kurzer Zeit eine Wendung zu einer entspannteren Politik was das Testen angeht. Diese Prozesse wurden sicherlich durch die Proteste in Gang gesetzt.

Wir schauen ein bisschen erstaunt auf China, weil man landläufig davon ausgeht, ein autoritär-autokratischer Staat müsste in der Lage sein eine Impfkampagne durchzuziehen. Und jetzt weiß man, dass die Quote mit knapp über 50 % niedrig ist. Insbesondere die Älteren sind weniger geschützt als jüngere. Warum ist dieser für uns so mächtige chinesische Staat nicht in der Lage, zusammen mit seinen Bürgern eine Impfkampagne auf den Weg zu bringen?

Ja, das ist für mich auch eine undurchschaubare Angelegenheit. Sie können den Menschen vorschreiben, wie sie zu denken haben, aber nicht, dass sie geimpft werden sollen. Das ist unglaublich. Sicherlich hat das auch damit zu tun, dass in der Bevölkerung ein generelles Misstrauen gegenüber Impfungen und Impfstoffen vorherrscht. Zudem wurden die Entwicklungen im Ausland permanent schwarzgemalt, auf Nebenwirkungen des BionTech Impfstoffes zum Beispiel hingewiesen und darauf, dass im Ausland eine Million Menschen gestorben sind.

Diese Covid-Politik hat natürlich auch massive ökonomische Konsequenzen. Das Wachstum ist rückläufig in China, Liefer-Verpflichtungen können nicht eingehalten werden und die Legitimität der chinesischen Regierung bestand ja immer aus hohen Wachstumsraten, Verbreiterung der Mittelschicht und dem Versuch, viele Menschen in Arbeit zu bringen.

Wird es denn Korrekturen geben, vor allen Dingen im Hinblick auf die ökonomische Entwicklung, weil China natürlich davon abhängig ist, dass ihr „ökonomisches Erfolgsmodell“ auch weiter funktioniert?

Das Erfolgsmodell war ja nicht ganz anders als in Korea und Taiwan – autokratische Staaten, die durch diesen Prozess am Ende demokratisch wurden – oder auch Japan. Wir haben uns das mal zusammen mit der Weltbank angeschaut. Die ersten 30-35 Jahre nach Öffnung der Wirtschaft liefen für alle vier Volkswirtschaften identisch.

China ist also nicht anders gewachsen als die Volkswirtschaften von Korea, Japan oder Taiwan in den jeweiligen Zeiträumen. Wir nähern uns jetzt einer Phase in der die low hanging fruits geerntet sind. Mit der Urbanisierung gab es einen starken Schub an Wirtschaftswachstum. Die große Anzahl junger Menschen durch die Ein-Kind-Politik wird jetzt jedoch zu einem Nachteil. Und deswegen wird die Transformation der chinesischen Volkswirtschaft relativ schwierig werden.

Wir gehen von einem Wirtschaftswachstum in China in diesem Jahr von etwa 2,8 % aus. Das kommt in China fast einer Rezession gleich, wo man an knapp zehn Prozent gewöhnt ist. Im produzierenden Gewerbe läuft es noch ganz gut. Mit den sogenannten Closed Loops kann man es in den Griff kriegen, weiter zu produzieren, obwohl die Außenwelt abgeschnitten ist. Man darf jedoch nicht vergessen, dass in China 21 % des Bruttosozialprodukts in Städten entsteht, die im Lockdown sind. 1/5 der chinesischen Volkswirtschaft ist de facto in einem Lockdown. Besonders hart trifft es natürlich den Service-Sektor, was man auch bei der Jugendarbeitslosigkeit merkt, die offiziellen Zahlen zufolge in urbanen Gebieten bei 20 % liegt.

Das größte Problem momentan ist einfach, dass die Stimmung schlecht ist und das ist sehr unchinesisch, weil die Chinesen eigentlich immer extrem optimistisch waren. Die Covid-Politik liegt wie ein Mehltau über dem ganzen Land. China hat ein Bruttosozialprodukt von 17.000 $ pro Kopf. In Europa sind wir ja bei über 40.000, Amerika 60.000. In der chinesischen Volkswirtschaft ist noch eine Menge Wachstum drin. Aber der kurzfristige Ausblick über die nächsten ein bis zwei Jahre ist mau.

Wir haben immer interessiert auf China geguckt, weil natürlich China auch eine sehr starke industriepolitische Strategie hatte. Einerseits Made in China 2025, das der Frage nachgeht: “Wo wollen wir eine Spitzenposition einnehmen?“ und dann die Dual Circulation Strategie als der Versuch, sich möglichst autonom in bestimmten Bereichen aufstellen. Wie soll diese Strategie durchgesetzt werden? Gerade China, als ein Land, das ja gerade vom Handel extrem profitiert. Ist das nicht eine dysfunktionale Strategie, weil das dazu führen kann, dass man die Handelskontakte und die Präsenz auf bestimmten Märkten dann in der Form nicht mehr abbilden kann?

Ja, die Industriepolitik war in der Tat über die letzten 20 Jahre die Stärke Chinas, nämlich die Ressourcen-Bündelung, die man machen kann, weil man überall mit staatseigenen Betrieben die richtigen Hebel hat. Aber da stottert der Motor momentan.

Wir haben in unserem Positionspapier der EU-Kammer im September die Überschrift gewählt „Ideology trumps the economy“. Zum ersten Mal ist Ideologie wichtiger als Wirtschaftswachstum – etwas, das auch der Präsident ganz klar beim 20. Parteitag gesagt hat. Man muss davon ausgehen, dass er in der Tat das Augenmerk mehr auf Kontrolle und Stabilität legt und weniger auf die Manchesterkapitalismus-ähnlichen Umstände, die wir zum Teil in den letzten 20 Jahren gehabt haben.

Im letzten Jahr hat er Marktwerte in Höhe von einer Billionen US Dollar vernichtet – bei Unternehmen wie Tencent und Alibaba, die wirklich neue Produkte auf den Markt gebracht haben – und damit für großen Frust bei Privatunternehmern ausgelöst. Für den chinesischen Staatspräsidenten ist im Grunde nur die Politelite wichtig. Die Wirtschafts-Privatelite spielt keine große Rolle. Er sieht sie aus kommunistischer Sicht als Menschen, die das System schwächen.

Gerade in dem Moment als China mit „Made in China 2025“ zum Sprung ansetzt und neue Technologien entwickeln will, zieht er die Grundlage weg, die das bisher ermöglicht hat. Das wird natürlich noch durch die Amerikaner erschwert, die extreme Sanktionen bei den Halbleitern eingesetzt haben.

Das wird China extrem schwer zu schaffen machen. Die Ideologie, mit Dual Circulation die Welt beherrschen und seine Volkswirtschaft abkoppeln zu wollen, um die Welt abhängiger von China zu machen und China unabhängiger von der Welt, endet denke ich in Autarkie. Ich glaube nicht, dass das umsetzbar ist und wenn, dann nur zum Schaden dieser Volkswirtschaft. Staatseigene Betriebe sind nun mal nicht so innovativ wie Privatunternehmer. Und dieser Zusammenhang von Ideologisierung und auch Covid-Reise-Restriktionen, die Nichtachtung von Privatinteressen (nur 18 der 2900 Parteitags-Delegierten kamen aus der Privatindustrie) wird wahrscheinlich dazu führen, dass China bei dem Sprung nach vorne im Bereich Technologie etwas kürzer springt, als man das annehmen könnte.

Es gibt ja durchaus ein breites Engagement auch von deutschen Unternehmen in China. China ist ein wichtiger Markt. Manche Unternehmen wie VW machen einen Großteil ihrer Gewinne und ihres Umsatzes in China. Welche Konsequenzen hat diese ideologische Ausrichtung für das Engagement und die Entwicklung der deutschen Unternehmen auf dem chinesischen Markt?

Wir müssen das genauestens verfolgen und gegenüber der chinesischen Regierung kommunizieren, dass Marktmechanismen weiterhin wichtig für uns sind. Durch die Urbanisierung und das Entstehen einer anspruchsvollen Mittelklasse wurde unsere Automobil- und Chemieindustrie und auch der Maschinenbau enorm vorangebracht. Wir haben hier viel Entwicklung vorangetrieben, wenig Forschung, sondern Entwicklung, weil die Kunden hier sehr viel anspruchsvoller sind als Otto-Normalverbraucher in Deutschland. Wir werden jetzt jedoch in eine Phase kommen, in der wir umdenken müssen.

Der Hälfte des globalen Chemie-Marktes ist in China, 1/3 des globalen Automobil-Marktes. Die großen Unternehmen müssen hier mit dabei sein. If you’re not at the table you’re gonna be on the menu. Der Maschinenbau in China ist so groß wie Japan, Europa und USA zusammengenommen. Wenn man hier nicht mitspielt, hat man verloren. Für die Top 10 europäischen Investoren in China gibt es keinen zweiten Markt. Für die Mittelständler ist das anders. Die sind gerade dabei, sich ein zweites Standbein in anderen Ländern wie Indien oder Thailand zu suchen. Auch die Covid-Politik führt dazu, dass China de facto allen anderen Ländern die Tür aufmacht für europäische Investitionen, was man auch gerade bei der 17. Asien-Pazifik-Konferenz der Deutschen Wirtschaft in Singapur gemerkt hat.

Eine der großen ökonomischen und politischen Auseinandersetzungen wird natürlich die System-Rivalität USA-China sein. Welche Konsequenzen hat das aus Ihrer Sicht für die ökonomische Entwicklung? Die Amerikaner haben jetzt mit Inflation Reduction Act bestimmte Local Content Klauseln und ähnliches durchgesetzt. Deuten sich neue Handelskonflikte an und inwiefern könnten diese Handelskonflikte auch Rückwirkungen haben auf die europäische und deutsche Wirtschaft?

Wir haben letztes Jahr im Januar einen Bericht über das De-Coupling zwischen den USA und China veröffentlicht und gezeigt, dass das auch einen Stresspunkt für uns bedeutet. Es ist beim Markt für Maschinenbau schon so, dass die Chinesen verlangen, dass keine amerikanischen Komponenten enthalten sein dürfen und die Amerikaner genau dasselbe von den deutschen Maschinenbauern in Amerika verlangen. Denen bleibt unter Umständen nichts anderes übrig, als drei Mal dasselbe Produkt herzustellen, für die Amerikaner, die Chinesen und dann für den Rest der Welt. Da sind wir schon angekommen. Wir haben auch bei Telekommunikationsunternehmen De-Coupling festgestellt. Da sind wir mit den europäischen Firmen wie Nokia oder Ericsson genau zwischendrin.

Wir haben momentan eine sehr schwierige Phase, gerade auch durch die de facto Halbleiter-Kriegserklärung der Amerikaner. Man muss aufpassen, dass das politisch nicht noch mehr entgleist. Es ist wahnsinnig wichtig, dass Taiwan die Ein-China-Politik aufrechterhält und man jetzt nicht mit Salamitaktik versucht, eine taiwanesische Unabhängigkeit zu generieren.

In Deutschland wird ja gerade auch vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit Russland intensiv über China diskutiert. Die Losung heißt: Wir dürfen nicht wieder die gleichen Fehler machen wie bei Russland und dürfen nicht in Abhängigkeiten von China geraten. Wie abhängig sind wir aus Ihrer Sicht und wo sind wir abhängig? Welche Konsequenzen muss man daraus ziehen?

Ich halte eine China-Strategie für enorm wichtig. Wir müssen Chinas Rolle durchdeklinieren: Partner, Konkurrent, Rivale. Nur muss man aufpassen, das jetzt nicht durch die Brille eines Russland-Traumas zu sehen, sondern die Unterschiede zu erkennen.

Russland war ein zwei Produkte Lieferant, während China ein 1000 Produkte Lieferant ist. Unsere Abhängigkeit von China ist relativ gering. In den ersten acht Monaten dieses Jahres haben die Chinesen zum Beispiel 4,1 Millionen Container nach Europa geschifft, während wir nur 1,2 Millionen Container nach China gebracht haben. Das Ungleichgewicht ist offensichtlich. Wir als europäische Konsumenten kreieren 16 Millionen Jobs in China. Die Frage ist, wie viele Jobs diese eine Millionen Container in Europa schaffen. In der Hinsicht sind die Chinesen sehr viel abhängiger vom europäischen Konsumenten als wir hier.

Die chinesische Volkswirtschaft ist riesig, der zugängliche Markt ist relativ klein. Europa hat letztes Jahr gerade mal 23 % mehr nach China verkauft als in die Schweiz. Wir haben 60 % mehr nach England verkauft als nach China und Amerika ist sowieso weit weg, 250 oder 300 %.

Wir haben 103 Produktgruppen untersucht, in denen wir als europäische Konsumenten sehr abhängig sind von China. Das fängt an mit Mobiltelefonen, geht über Computer, Elektronika zu Möbeln, Sportgeräten, Healthcare-Equipment, natürlich Schuhe und Textilien. Und da muss man sich dann fragen: Inwieweit sind wir denn wirklich abhängig davon? Oder können wir diese Dinge auch woanders kaufen?

Gefährliche Abhängigkeiten bestehen bei Pharma-Vorprodukten, seltenen Erden, Vitamin B, Magnesium. Und da muss man sich überlegen mit welcher Industriepolitik man sich aus dieser Abhängigkeit, die de facto Erpressbarkeit hervorbringen könnte, löst und man das entweder wieder hier in Europa produziert oder in likeminded countries – Ländern, mit denen wir ein ähnliches Wertesystem haben. Die Abhängigkeit ist de facto relativ gering, weil sie ersetzbar ist. Anders als bei Öl und Gas. China ist zudem auch sehr stark bei Solarpanels und Windturbinen. Das kann man als Abhängigkeit sehen oder sagen, es sei eine tolle Sache, dass wir unsere grüne Energie jetzt mit chinesischen Produkten hinbekommen. Ich hoffe, dass die China-Strategie an dem Punkt das Kind nicht mit dem Bade auszuschüttet.

Auch eine Abhängigkeit von Investitionen in China ist nicht gegeben. Europa hat letztes Jahr 9 oder 10 Milliarden € in China investiert, 160 Milliarden in den USA. Alleine in Texas haben wir 2021 mehr investiert als in China. Man muss seine Hausaufgaben machen, um zu sehen, wo man steht und dann kann man daraus seine Strategie entwickeln.

 Brauchen wir nicht statt einer China-Strategie eine Resilienz-Strategie, die Abhängigkeiten auch über China hinaus untersucht?

Absolut. Da bin ich voll bei Ihnen. Wir sollten uns nicht überlegen, ob wir uns von China trennen oder wo wir uns von China abwenden sondern wo wir einfach schlichtweg besser werden.

Wir müssen China als Sputnik-Moment wahrnehmen, das Problem zu erkennen, um dann mit Industriepolitik beispielsweise unsere Batterie-Komponenten auch zu Hause zu fertigen – unter Umständen auch mit den Chinesen. Wir sollten versuchen, auf Augenhöhe mit den Chinesen zu konkurrieren können und zwar nicht nur in Europa, sondern auch in China und auch auf Dritt-Märkten. Ich bin immer für offensives Spiel.

Beim Umgang mit China und anderen Teilen der Welt – und die Mehrheit der Länder auf diesem Globus sind autoritär-autokratische Systeme – muss man sich die Frage stellen: Führen wir eigentlich eine werte- oder eine interessenorientierte Außenpolitik?

 Wobei eine interessenorientierte Außenpolitik natürlich nicht von Werten abstrahieren darf. Werte sind nicht verhandelbar, Interessen sind jedoch verhandelbar und man kann zu neuen Balancen kommen. Müssen wir also aus deutscher Sicht heraus nicht stärker eine interessenorientierte Außen- und Handelspolitik machen?

Das ist eine schwierige Angelegenheit, da sich Länder und Werte ändern. Wer vor 20 Jahren in Ungarn investiert hat wird heute ganz anders angeguckt. Bei China ist das ja ähnlich. Es gibt auch Regionen, die sich in die richtige Richtung bewegen. Taiwan ist so ein Fall.

Von daher müssen wir darauf achten, dass die Firmen, wenn sie international auftreten, europäische Werte vertreten in dem Rahmen, in dem sie das auch beeinflussen können. Das heißt natürlich zuvörderst, innerhalb ihrer eigenen Fabrik-Tore dafür zu sorgen, dass dort de facto deutsche Verhältnisse herrschen. Aber auch dafür zu sorgen, dass die Lieferkette anständig ist. Das muss man nachweisen und wissen können. Ansonsten darf man meines Erachtens nicht mitspielen.

In autokratischen Ländern keine Fabrik hinstellen zu wollen ist denke ich nicht möglich. Zum einen kann man sich die Nachfrage nicht aussuchen. Zum anderen glaube ich, dass Veränderungen möglich sind. Das ist eine Frage, die von der Politik beantwortet werden muss und nicht von Firmen. Wir Firmen haben Shareholder und sicherlich auch Stakeholder, aber dass wir jetzt dafür sorgen können, dass in Xinjiang die Zwangslager abgeräumt werden, das ist schlicht nicht möglich. Das muss die Politik versuchen in den Griff zu kriegen. Wir haben ein Wertesystem, das wir als DNA mittragen müssen. Und wenn wir es nicht mehr umsetzen können in den jeweiligen Märkten, dann müssen wir eben gehen.

Bei der Interessenvertretung kann das in der Tat anders gelagert sein. Auf der einen Seite sind die deutschen Interessen und auf der anderen die Wirtschaftsinteressen. Als multinationale Firmen haben wir auch Anteilseigner, die aus autoritären Ländern kommen und unter Umständen eine andere Wertevorstellung, Interessenvorstellungen haben.

Es ist eine Fifty Shades of Grey Diskussion, die man aber mal ernsthaft führen sollte. Man sollte sich meines Erachtens wirklich nicht scheuen, in schwierigen Ländern wie China auch für seine Werte einzustehen. Das versuche ich immer mit einer klaren Ansprache. Gleichzeitig sollte man versuchen, die andere Seite zu verstehen und Brücken zu bauen. Ich lebe jetzt hier über 35 Jahre in einem autoritären System, habe schlimme Sachen miterlebt. Aber ich muss sagen, ich glaube immer noch, dass wir hier Einfluss haben und man sollte da nicht zu demütig rumlaufen, sondern selbstbewusst seine Menschenrechte formulieren.

35 Jahre sind eine lange Zeit. Sie sind sozusagen, wenn ich das mal so sagen darf, der Botschafter mit der längsten Amtszeit in China. Herzlichen Dank und alles Gute.