Jochen Homann, Staatssekretär a.D. und Präsident der Bundesnetzagentur a.D., im Interview mit Matthias Machnig

Matthias Machnig: Das Thema Energieversorgungssicherheit war eines der zentralen Themen im Jahre 2022 und wird uns die nächsten Jahre weiter beschäftigen. Wie steht es um die Versorgungssicherheit in diesem Winter? Und auch im nächsten Winter und mittelfristig in den 20er Jahren? Für einen Industriestandort wie Deutschland wird das eine Schlüsselfrage sein.

Jochen Homann: Für diesen Winter sind wir recht gut aufgestellt. Die Politik hat sehr früh angefangen, die Gasspeicher wieder aufzufüllen und ich denke, dass wir diesen Winter wahrscheinlich einigermaßen unbeschadet überstehen werden. 2023 werden wir die Speicher jedoch nicht mit russischem Gas auffüllen können wie noch in den ersten Monaten des vergangenen Jahres, und ob das Flüssiggas, das wir jetzt bekommen, diese Lücke ausfüllen kann, muss sich erst noch zeigen. Der nächste Winter wird also möglicherweise deutlich schwieriger werden.

Die eigentlichen Sorgen mache ich mir jedoch mittel- und langfristig. Die Energiepreise werden in Deutschland strukturell erheblich höher sein als wir es in der Vergangenheit kannten. Das bringt unsere Industrie überall dort in Schwierigkeiten, wo sie im internationalen Wettbewerb steht mit Konkurrenten aus den USA oder aus Asien, die sehr viel niedrigere Energiekosten haben.

Sprechen wir nochmal über den nächsten Winter. Vor kurzem wurde das erste LNG-Terminal eingeweiht. Weitere sind in Planung. Was muss darüber hinaus geschehen, damit die Energieversorgung für den nächsten und übernächsten Winter gesichert ist? Was muss getan werden etwa im Bereich LNG aber auch im Bereich Strom? Welche zusätzlichen Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht dazu erforderlich?

Zunächst einmal müssen wir weitere Anstrengungen beim Sparen unternehmen. Auch wenn unsere Nachbarländer weiter sparen, hilft uns das bei der eigenen Versorgung. Was zudem im Bereich LNG passiert, ist sehr erfreulich und für mich auch ein bisschen erstaunlich, wie schnell es ging, die entsprechenden Pipelines zu bauen und das erste Flüssiggas an Land zu bringen. Das Tempo in Wilhelmshaven ist für Deutschland sehr ungewöhnlich.

Darüber hinaus müssen wir uns für eine gewisse Zeit darauf einstellen, dass wir weiterhin Gas brauchen werden, auch fossiles Gas. Wasserstoff, der das fossile Gas irgendwann ablösen wird, liegt noch in weiter Ferne.

Infrastruktur ist das eine, Lieferverträge das andere. Dazu müssen entsprechende Verträge abgeschlossen werden, wie jetzt in Katar. Ist das ausreichend und wo sehen Sie die Partner, die einen Beitrag dazu leisten können, dass über LNG dann auch Versorgungssicherheit in Deutschland gewährleistet ist?

Die bisherigen Mengen reichen nur, um einen Teil der ausgefallenen russischen Gasimporte zu ersetzen. Trotzdem wird schon darüber spekuliert, ob wir nicht zu viel LNG-Gas einkaufen und mit den LNG-Terminals „stranded assets“ schaffen – eine absurde Diskussion aus meiner Sicht. Wir sollten froh sein über jedes Molekül, das hier ankommt. Wir werden es brauchen und wenn wir es nicht brauchen, brauchen es unsere Nachbarn. Wir sind ja immerhin Partner in der EU und im europäischen Energie-Binnenmarkt. Von daher sollten wir so viel wie möglich beschaffen. Neben Katar kommen etwa auch die USA und Australien sowie weitere Länder als Partner in Frage.

Wir haben ein Problem mit den Lieferfristen. Um – wie politisch beschlossen – bis 2045 klimaneutral zu sein, müssen wir auch aus fossilem Gas aussteigen. Dann können wir natürlich keine sehr langfristigen Gaslieferverträge abschließen. Das möchten die Lieferländer jedoch und das ist ja auch nachvollziehbar. Wenn wir dann nicht mit entsprechenden Angeboten kommen, wird das Gas in andere Länder verschifft. China hat das gerade gezeigt bei einem Vertrag mit Katar mit einer Laufzeit von 27 Jahren.

 Der Bundeswirtschaftsminister zumindest hat beim Abschluss des Vertrags mit Katar keinerlei Probleme mit einer Laufzeit von 15 Jahren. Ob das auch für seine Fraktion und seine Partei in gleichem Maße gilt, weiß ich nicht.

Es zeichnet sich schon länger ab, dass der Bundeswirtschaftsminister relativ pragmatisch vorangeht und nicht immer politische Rücksicht auf die eigene Partei nimmt. Und das kann ich nur begrüßen.

Wir haben in den 20er Jahren noch ein weiteres Problem. Wir wollen den Ausbau der Erneuerbaren vorantreiben und 85% Erneuerbaren-Anteil in 2030 erreichen. Das ist sehr ambitioniert. Sind diese Ziele realistisch? Und welche Rahmenbedingungen brauchen wir, damit diese Ziele erreicht werden können beim Thema Investitionssicherheit, Planungssicherheit bei Genehmigungsverfahren und ähnlichem?

Ich halte es für richtig, dass man sich Ziele setzt. Die können gerne auch ehrgeizig sein. Und ich glaube auch, dass die energiepolitische Ausrichtung vor dem Hintergrund der Klimakrise richtig ist. Die Zeit-Ziele, die damit verknüpft sind, halte ich allerdings für überambitioniert. Ich halte es für völlig ausgeschlossen, dass es gelingen kann, die Genehmigungszeiten für Infrastrukturen zu halbieren. Ich würde mir das sehr wünschen, gerade als betroffener ehemaliger Netzagentur-Präsident. Ich habe jedoch meine Erfahrungen damit bei den Stromnetzen gemacht und halte das für reine Utopie.

Ähnliches gilt teilweise auch für den Ausbau der Erneuerbaren. Bei Solar mag es ja noch gehen, viele neue Flächen zu erschließen. Aber beim Windausbau an Land halte ich die Ziele für nicht erreichbar in der kurzen Zeit. Das heißt nicht, dass der Weg falsch ist. Der Weg ist richtig, aber die Zeitziele sind aus meiner Sicht unrealistisch.

Das ist ja nicht nur eine Frage für die Bundesregierung, sondern auch für die Länder. 2% der Flächen sollen in jedem Bundesland zur Verfügung gestellt werden. Auch die Länder müssen sich also bewegen. Das ist eine zentrale Voraussetzung. Sehen sie bei den Ländern genügend Ambitionen und Unterstützung für diese Ziele?

Es gibt ein Nord-Süd-Gefälle. Im Norden war die Ambition immer schon groß. Dies ist ja auch nachvollziehbar, weil man dort viel erneuerbaren Wind ernten und daraus regionale Wertschöpfung ziehen kann. Im Süden ist die Situation etwas anders und ich bin wirklich gespannt, ob Bayern nicht nur verbal von seiner bisherigen Windenergiepolitik abrückt. Ich hoffe sehr, dass in Bayern, Baden-Württemberg und anderen eher windschwächeren Ländern mehr passiert im Bereich Windausbau. Große Zuversicht habe ich an der Stelle jedoch nicht.

Auch wenn man die Erzeugungskapazität ausbaut, gibt es einen Engpass bei den Netzen. Wo stehen wir beim Netzausbau? Schon bei den alten Zielen gab es Probleme beim Netzausbau. Jetzt sind die Ziele nochmal deutlich angehoben worden. Was könnten Maßnahmen sein, um den Netzausbau in den nächsten Jahren wirklich zu beschleunigen? Denn ohne Infrastruktur gibt es keine Versorgungssicherheit.

Das ist richtig. Ohne Infrastruktur keine Versorgungssicherheit. Was die vergangenen Ziele angeht: Die haben wir alle gerissen. Wir waren viel zu langsam beim Stromnetzausbau. Wir hatten 2011 die Vorstellung, dass mit dem Ausstieg aus der Kernenergie Ende 2022 die großen Stromautobahnen stehen. Das ist mitnichten der Fall. Im Moment sieht es eher danach aus, dass sie erst in den Jahren 2026 bis 2028 in Betrieb gehen werden.

Mir erschließt sich nicht, woher man die Zuversicht nehmen soll, dass das in Zukunft besser wird. Der Bundeswirtschaftsminister hat das Problem, denke ich, sehr klar erkannt und ist bei der Durchsetzung auch deutlich entschlossener als manche Vorgänger. Ich halte es trotzdem für eine sehr mutige Vorstellung, bei den Genehmigungszeiten wesentlich voranzukommen. Denn es ist ja nicht so, dass wir es alleine in der Hand hätten, die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Wir brauchen Brüssel dazu. Wir brauchen andere Regeln in Brüssel, was Natur, Artenschutz und vieles mehr angeht und die wird es nach meiner Einschätzung nicht geben. Das Verhältnis von Klima-, Umwelt- und Naturschutz muss besser austariert werden.

Wo sehen Sie beim Thema Netze die größten Schwachstellen? Warum geht es nicht voran?

Es gibt eine Reihe von Schwachstellen. Jedenfalls gibt es nicht den einen Hebel, den man umlegen muss. Zum einen verursachen die Netzbetreiber teilweise selbst Probleme, weil sie mit unterschiedlichen Verfahren und Beratern arbeiten und dann unterschiedliche Maßstäbe anlegen an die Genehmigungsvorlagen, die sie an die Netzagentur schicken. Das führt zu zeitraubenden Rückfragen und Nachforderungen.

Ein Problem ist auch, dass die Behörden häufig personell nicht ausreichend ausgestattet sind. Das betrifft nicht nur die Bundesnetzagentur, die viel Personal für diesen Bereich bekommen hat, sondern auch die Genehmigungsbehörden in den Ländern. Viele Leitungen müssen länderseitig vorangetrieben werden.

Dann erleben wir Widerstand von Bürgerinitiativen. Das sehe ich zweischneidig. Auf der einen Seite gibt es Widerstand, der sich in Wahrheit gegen die Ausrichtung der Energiewende richtet, auf der anderen Seite haben viele Bürgerinitiativen mit ihren konkreten Vorortkenntnissen wertvolle Argumente geliefert, die dann beim Voranbringen der Projekte geholfen haben. Schwierig wird es immer dann, wenn die Politik sich hinter die Bürgerinitiativen stellt. Sehr geschadet hat uns die Diskussion über das Erdkabel. Man kann über das Erdkabel denken, was man will – ich halte das im Ergebnis für richtig -, aber es hat uns bei den Genehmigungsverfahren um 3 Jahre zurückgeworfen. Wenn sich dann gelegentlich Landespolitik gemein macht mit Widerstand aus Bürgerinitiativen und selbst Begriffe wie „Monstertrassen“ und ähnliches aufgreift, ist das ein Problem.

Reicht die Eigenkapitalbasis der Netzbetreiber aus, um den gewaltigen Investitionsbedarf in den nächsten Jahren zu realisieren oder benötigen die Betreiber auch staatliche Unterstützung?

Die Netzbetreiber bemühen sich um zusätzliches Eigenkapital. Das hat dazu geführt, dass die KfW und damit letztlich der deutsche Staat bei 50Hertz eingestiegen ist. Wir haben auch bei TenneT die Diskussion über die Frage, ob der deutsche Staat sich daran beteiligen kann oder soll. Bei TransnetBW wird im Moment die Diskussion über die Privatisierung eines Anteils geführt.

Es wird fraglos Eigenkapital gebraucht, um den Stromnetzausbau zu finanzieren. Das führt in regelmäßigen Abständen zu einer teilweise emotional geführten Diskussion über die Höhe der von der Bundesnetzagentur festgelegten Eigenkapitalverzinsung der Netzbetreiber. Bisher ist noch kein Projekt an fehlendem Eigenkapital gescheitert. Ich bin sicher, dass die Bundesnetzagentur auch künftig die Investitionserfordernisse bei ihren Entscheidungen im Blick haben wird.

Auch wenn wir unterstellen, dass wir die Ziele erreichen, bleibt im Bereich Erneuerbare eine Flanke: gesicherte Leistung, die wir dringend brauchen. Dazu gibt es unterschiedliche Studien mit unterschiedlichen Annahmen. Die dena geht von 20 – 25 GW zusätzlicher Erzeugungskapazität aus. Das bedeutet 20 bis 25 neue H2-ready Gaskraftwerke. Was sind aus Ihrer Sicht die Voraussetzungen, damit solche Investitionen überhaupt vorankommen können?

Zunächst einmal teile ich die Ansicht, dass dieser Bedarf besteht. Es ist vielen gar nicht klar, dass es selbst bei einhundert Prozent Erneuerbaren immer Tage oder Stunden geben wird, in denen die Erneuerbaren keinen Strom liefern. Wir brauchen also nicht nur Freiheitsenergien, sondern auch Sicherheitsenergien, die immer dann eingesetzt werden, wenn Sonne und Wind nicht liefern können. Selbst bei über 100 Prozent erneuerbarer Kapazität ist die Versorgung noch nicht gesichert.

Deswegen brauchen wir die genannten Gaskraftwerke, die möglichst H2-ready sein sollten. Dazu braucht es aber die entsprechenden Investitionsprojekte. Und die gibt es im Moment nicht. Die Unternehmen, soweit ich sie beobachte, sind verunsichert. Sie wissen erstens nicht, ob sie Gas bekommen und sie wissen zweitens nicht, wie viel das am Ende kostet, wenn es H2-ready sein soll. Und hier ins Risiko zu gehen und die notwendigen Investitionsentscheidungen zu treffen, ist natürlich schwierig. Soweit ich weiß, gibt es auch nur sehr wenige Projekte, die im Moment in der Pipeline sind.

Es muss also noch eine ganze Menge passieren. Der Wasserstoff-Ausbau muss kommen. Es muss Klarheit geschaffen werden über Regulierungsfragen, über die künftige Infrastruktur, über die Frage, wo denn Wasserstoff sinnvollerweise eingesetzt werden kann oder muss und wo es vielleicht nicht so sinnvoll ist. All diese Fragen hängen teilweise noch in der Luft.

Im Polit-Sprech heißt das: Wir brauchen ein neues Strommarktdesign. Was heißt das eigentlich? Wie kann Investitionssicherheit gewährleistet werden? Denn das ist ja die Voraussetzung dafür, dass überhaupt investiert wird. Und das heißt auch, dass man nicht mehr wie früher davon ausgehen kann, dass es bestimmte Laufzeiten gibt, in denen die Kraftwerke wirklich in Betrieb sind und darüber Geld verdient werden kann. Wie muss ein neuer Mechanismus aussehen?

Vielen, die öffentlich über Strommarktdesign diskutieren, ist, denke ich, nicht ganz klar, worüber sie da sprechen. Häufig wird über die Merit-Order diskutiert, also die Einsatzreihenfolge der Kraftwerke am Markt. Diese Debatte geht in die falsche Richtung.

Was Sie andeuten, ist ein anderes Thema und aus meiner Sicht das wichtigere Thema. Nämlich die Frage: Wo kommt eine Leistung oder ein Kraftwerk eigentlich her? Wer baut ein Kraftwerk, das nur wenige Stunden im Jahr läuft – nämlich dann, wenn es Sonne und Wind ergänzen muss? Bisher war es die Philosophie zu sagen, dass sich Investoren finden werden, die darauf setzen, in den sonne- und windarmen Stunden bei sehr hohen Preisen so viel zu verdienen, dass sich das Investment rechnet. Daran habe ich schon immer meine Zweifel gehabt.

Die eigentliche Debatte beim Strommarktdesign ist: Wir müssen einen Weg finden, dass Kraftwerke gebaut werden, die die größte Zeit des Jahres möglicherweise gar nicht laufen und trotzdem finanziert werden müssen und Geld verdienen können.

Der Schlüsselbegriff heißt dann – manche mögen den Begriff nicht und umgehen ihn – Kapazitätsmärkte, die genau das leisten sollen. Gibt es Berechnungen oder Abschätzungen, was das dann insgesamt für die Kostenstruktur bedeutet?

Dazu sind mir keine Zahlen bekannt. Das wird, denke ich, über Ausschreibungen gehen müssen: die Kraftwerksleistung wird ausgeschrieben und dann kommen die zum Zuge, die das am günstigsten anbieten.

Ja, diese Kraftwerke gibt es nicht umsonst. Aber es kann für die Gesellschaft viel teurer werden, wenn diese Kraftwerke im Ernstfall fehlen und Produktions- und Stromausfälle drohen. Statt von einem Kapazitätsmechanismus sollten wir vielleicht besser von einer Stromausfall-Versicherung sprechen.

Wenn man 2030 gesicherte Leistung haben will, hat das natürlich Vorlaufzeiten: Investitionsentscheidungen, Planungsgenehmigungsverfahren, Bauzeiten usw. Wann müssen aus Ihrer Sicht Entscheidungen getroffen werden, damit die Rahmenbedingungen für die Unternehmen, die investieren sollen, klar sind?

Mit Blick auf 2030 müssten die Entscheidungen in den Unternehmen eigentlich längst gefallen sein. Wenn man sich die normalen Genehmigungs- und Bauzeiten vorstellt bei Gaskraftwerken etwa, dann wird es allerhöchste Zeit, dass diese Entscheidungen fallen. Sie fallen im Moment nach meiner Einschätzung jedoch nicht, weil der Rahmen noch zu unsicher ist. Das Bundeswirtschaftsministerium hat zumindest angekündigt, bis Mitte des Jahres entsprechende Pläne vorzulegen.

Neben dem Thema Versorgungssicherheit sind Preise natürlich ein ganz zentrales Thema. Einige gehen davon aus, dass es in den nächsten Jahren eine leichte Beruhigung bei den Energiepreisen geben wird. Würden Sie das auch so sehen? Sicherlich werden die Preise jedoch höher bleiben als vor dem 24. Februar. Was heißt das dann für die Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland?

Die eigentliche Botschaft ist nicht, dass die Preise wieder sinken werden, sondern die eigentliche Botschaft ist: die Preise bleiben strukturell höher als wir sie vor der Krise gesehen haben. Wenn man sich aktuell die Terminbörsen anschaut, sieht man, dass die Preise mit Blick in Richtung 2025 runtergehen. Das ist sehr erfreulich, aber sie bleiben hoch – jedenfalls höher als im Durchschnitt der Jahre vor dem russischen Überfall auf die Ukraine.

Wir haben einen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Regionen, etwa den USA, die ein deutlich niedrigeres Energiepreisniveau haben. Die asiatischen Länder hatten bisher ein höheres Niveau, aber die Differenz schrumpft allmählich immer weiter zusammen. Wir geraten in ein wachsendes preisliches Wettbewerbsproblem. Durch den Inflation Reduction Act der US-Regierung mit seinen Local Content Vorgaben wird dieses Problem zusätzlich verschärft. Diese Kombination setzt uns erheblich unter Druck.

Die Bundesregierung hat Gas- und Strompreisbremsen auf den Weg gebracht. Es gibt jedoch auch deutliche Kritik. Der BDI etwa hat deutlich gemacht, dass das Instrument in der Form für eine erhebliche Anzahl von energieintensiven Unternehmen nicht zielführend ist, weil die Beihilferegeln einfach nicht zulassen, dass sie auf diese Mechanismen zugreifen können. Was müssen wir also europäisch tun? Müssen die Beihilferegeln angepasst werden?

Ja, einmal das. Und die Diskussion findet ja in Brüssel auch statt. Der Beihilferahmen ist bereits angepasst worden, um die hohen Kosten für energieintensive Unternehmen durch staatliche Hilfen abfedern zu können.

Die andere Frage ist, wie man sich an den Außengrenzen der EU verhält. Es gibt verschiedene Ideen, wie das Erheben von Zöllen, um den CO2-Fußabdruck mit einzubeziehen. Auch der Klimaclub ist ein möglicher Weg, um sich vor der Konkurrenz zu schützen, die weniger klimabewusst agiert.

Wettbewerbsfähigkeit bleibt ein zentrales Thema. Es wird jetzt auch die Forderung nach einem Industriestrompreis erhoben. Vor den Wahlen wurde mal eine Höhe von 4 Cent die Kilowattstunde angedeutet. Davon sind wir heute meilenweit entfernt. Braucht es aus Ihrer Sicht – Stichwort Sicherung der industriellen Substanz und der Wettbewerbsfähigkeit – Industriestrompreise, damit die energieintensive Industrie auch angesichts von IRA bestehen kann? Und ist das eigentlich finanzierbar? Damit wären ja erhebliche Kosten und Finanzierungsnotwendigkeiten verbunden.

Von einem gesonderten Industriestrompreis halte ich nichts, weil damit nur verdeckt wird, was die wahren Hintergründe für diesen hohen Preis sind. Wir haben andere Möglichkeiten. Wir können Stromsteuern senken; das wird seit Jahren diskutiert. Wir können das Angebot an Strom erhöhen. Dann muss man auch nochmal darüber nachdenken, ob nicht die Kernkraftwerke etwas länger laufen sollten als es im Moment beschlossen ist. Es gibt also andere Wege, um den Preis nach unten zu bringen, als ihn für die Industrie künstlich auf 4 Cent zu setzen und dann die entsprechenden Subventionen zu zahlen – mal abgesehen davon, dass das ja auch ein großes Beihilfeproblem auslösen würde.

Die Sache mit der Kernenergie ist, denke ich, entschieden. Die Bundesregierung hat das festgelegt. Im Frühjahr ist alles vorbei. Auch die Betreiber sagen, dass sei nicht wie eine elektrische Eisenbahn, die man mal hoch und wieder runterfahren kann. Das ist also Geschichte. Und dann verbleibt nicht viel. Die eine Variante ist Zubau, die andere Variante ist Kohle und dann stellt sich natürlich die Frage: geht zusätzliche und längere Nutzung von Kohle eigentlich mit Klimaschutzzielen zusammen? Das ist ein offenkundiger Zielkonflikt.

Den Konflikt sehe ich insofern nicht, als wir einen europäischen Emissionshandel haben. Das, was wir mehr an Emissionen haben, müssen andere einsparen. So ist das europäische System angelegt. Wir verfehlen dann zwar die deutschen Ziele – die verfehlen wir aber ohnehin. Von 1990 – 2021 haben wir unseren C02-Ausstoß um 39 Prozent reduziert, unter anderem als Folge des Zusammenbruchs vieler ostdeutscher Industriebetriebe nach der Wiedervereinigung. In den 23 Jahren bis 2045 auf minus hundert Prozent zu kommen, erscheint mir eine sehr mutige Vorgabe.

Die Bundesregierung hat sich jedoch dazu verpflichtet. Es könnte sein, dass man wegen der Klimaschutzziele aus der Kohle aussteigt, aber auf der anderen Seite noch gar nicht weiß, wie der Strommix im Jahre 2030 aussieht.

Für mich ist eines klar. Wenn man aus der Kohle und der Kernkraft aussteigt, bleibt nur noch Gas als Sicherheitsoption. Wir werden diese Lücken weder über Speicher noch über Lastmanagement oder dergleichen füllen können, zumal der Strombedarf weiterwächst. Wir werden auch künftig Gas brauchen, und zwar länger als viele glauben. Wir müssen den Weg vom fossilen Gas zum Wasserstoff finden, aber das wird Zeit brauchen.

Ein letzter Punkt zum Thema Wasserstoff. Die Ausbaupfade sind sehr ambitioniert. Damit ist auch völlig klar, dass der Bedarf in Deutschland nicht ansatzweise gedeckt werden kann. Man braucht internationale Partnerschaften und man braucht ein Preisniveau. In den USA geht man durch den IRA von ein bis zwei US-Dollar die Einheit aus, in Europa von acht bis neun Euro. Wie schnell sehen Sie den Hochlauf in Deutschland und wie realistisch sind internationale Projekte? Und was heißt das dann auch für den Wasserstoffpreis, den wir in Europa und Deutschland bezahlen müssen?

Die Bundesregierung hat das klare Ziel gesetzt, 10 Gigawatt Elektrolysekapazitäten in Deutschland bis 2030 zu schaffen. Davon sind wir im Moment meilenweit entfernt. Das ist jedoch, denke ich, leichter zu schaffen, als die dann immer noch fehlenden Wasserstoffmengen aus dem Ausland zu beschaffen. Vor allen Dingen müssen wir uns endlich darüber klar werden, welche Art von Wasserstoff wir haben wollen – die berühmte Farbenlehre. Wenn wir uns nur auf grünen Wasserstoff versteifen, werden wir das Ziel auf keinen Fall erreichen. Wir werden auch andere „Farben“ brauchen und die entsprechenden Technologien dazu ermöglichen müssen (CCS, CCU), um zu den Wasserstoffmengen zu kommen, die wir benötigen.

Die Transformation wird eine große Herausforderung für den Wirtschaftsstandort. Wie optimistisch sind Sie, dass das gelingt, und was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Maßnahmen, die im Jahre 2023 auf den Weg gebracht werden müssen, um bei der Transformation im Energiesektor voranzukommen?

Mein Optimismus gründet sich darauf, dass die Politik offensichtlich erkannt hat, wo die Probleme liegen. Es hat erhebliche Anstrengungen gegeben (Osterpaket, Sommerpaket), um den Prozess zu beschleunigen. Die Politik ist meiner Einschätzung nach jedoch zu optimistisch was die Umsetzungsmöglichkeiten und Zeitziele angeht – darüber haben wir gesprochen.

Am dringendsten wäre es, bei den Genehmigungsverfahren voranzukommen. Das betrifft sowohl den Bereich der Erzeugung – Stichwort Windräder – wie auch den Bereich der Infrastruktur – Pipelines und Stromleitungen. Da muss in der Politik etwas passieren. Bei den LNG-Terminals hat sich gezeigt, dass es geht, wenn man entsprechende Gesetze macht. Auch wenn es bei Stromleitungen etwas komplizierter ist.

Ältere unter uns erinnern sich an die britische Polit-Satire „Yes, Minister“, das Tagebuch eines fiktiven britischen Kabinettsministers. In einer Episode beklagt er sich über die Schwerfälligkeit des britischen Regierungssystems. Es sei ein System, das einen Motor wie ein Rasenmäher und Bremsen wie ein Rolls Royce habe. Ich glaube dieses Bild kann man wunderbar übertragen auf Deutschland: wir müssen die Bremsen lockern!

Herzlichen Dank. Ein gutes Neues Jahr für Sie, erfolgreich und gesund.

Vielen Dank, von mir auch alles Gute.