18.01.2023Beitrag

Das Ende der Globalisierung?

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Wir sind mit einer historisch herausfordernden Situation konfrontiert. Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine auf europäischem Boden stellt nicht nur eine politische Zäsur dar, sondern hat auch eine massive Energiekrise beschleunigt. Die stark ansteigende Inflation belastet die Menschen, gestörte Lieferketten bringen Zulieferer in vielen Sektoren in Not und für viele europäische Volkswirtschaften droht eine Rezession.

Unser Welthandelssystem, das auf Arbeitsteilung und Teilhabe basiert, wird von vielen Ländern immer mehr in Frage gestellt. Parallel dazu bilden sich neue politische und ökonomische Blöcke heraus. Der Westen gegen Russland, China und Indien rücken enger zusammen und Afrika und Lateinamerika finden sich irgendwo dazwischen wieder. Autarkie, nationale Souveränität und Unabhängigkeit sind Forderungen der Stunde – ganz gleich, ob das realistisch ist oder nicht.

Große strukturelle Herausforderungen

Gleichzeitig kommen zu diesen aktuellen Entwicklungen strukturelle Herausforderungen dazu, die wir ebenfalls lösen müssen, um grundsätzlich als Volkswirtschaft wettbewerbsfähig zu bleiben. Allen voran der Kampf gegen den Klimawandel, die weitere Digitalisierung von Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft, Reform unseres Bildungssystems, Lösung der demographischen Probleme und Bekämpfung des Fachkräftemangels, der mittlerweile auch auf den Managementetagen der Unternehmen angekommen ist.

In Wachstum investieren

Um diese gefährliche Mischung aus Krisen und strukturellen Herausforderungen zu meistern, brauchen wir mehr öffentliche und private Investitionen in allen Bereichen. Ohne das notwendige Kapital werden wir die teilweise schon vorhandenen Lösungsansätze nicht finanzieren und so auch den wichtigen Weg der „grünen“ Transformation nicht beschreiten können. Damit das gelingt, benötigen wir weiteres qualitatives und quantitatives Wirtschaftswachstum.

Das schaffen wir in Europa und vor allem in Deutschland aber nur, wenn sich der globale Handel wieder erholt. Denn gerade die deutsche Volkswirtschaft ist wie kaum eine andere auf einen freien Warenverkehr und internationale Arbeitsteilung angewiesen. Deutschland ist heute nach den USA das am stärksten global aktive und international investierte Land. Rund jeder vierte Arbeitsplatz hängt vom Export ab. 2021 haben wir Waren im Wert von 1,38 Billionen Euro exportiert. Ganze Industrien leben vom Handel mit dem Ausland. Gleichzeitig ist Deutschland als rohstoffarmes Land auch auf Importe angewiesen. Künftig sogar noch mehr als früher.

Auf globalen Handel angewiesen – auch mit China

Profitierte Deutschland in den letzten Jahrzehnten stark von der Globalisierung, so drohen wir jetzt zu den großen Verlierern zu gehören: Wegen der aktuellen Störungen im Welthandelssystem prognostiziert der IWF Deutschland die größten Wohlstandsverluste und die schlechtesten Wachstumsraten aller westlichen Volkswirtschaften.

Doch damit nicht genug. Jetzt kommt auch eine Debatte über eine mögliche Entkoppelung (De-Coupling) von China auf, was Deutschlands Wirtschaft zusätzlich massiv schaden würde. Betroffen davon wären nicht nur die großen Konzerne, sondern auch der starke deutsche Mittelstand, der seit den achtziger Jahren in China sehr präsent ist. Das bilaterale Handelsvolumen lag 2019 bei rund 206 Mrd. Euro. Dabei entfielen 96 Mrd. Euro auf deutsche Exporte nach China und 110 Mrd. Euro auf chinesische Exporte nach Deutschland. Damit ist China – noch vor den Niederlanden und den USA – Deutschlands wichtigster internationaler Handelspartner. Die meisten importierten Waren in Deutschland kommen aus dem „Reich der Mitte“. Die wirtschaftlichen Beziehungen mit China sind daher aus meiner Sicht bis auf Weiteres alternativlos, wenn man weiteren Schaden vom Wirtschaftsstandort Deutschland abhalten möchte.

Die Lösung: Re-Globalisierung

Ja, es ist Fakt, dass sich die Welt durch die aktuelle Krise ändern wird. Geopolitik erlebt eine Renaissance und ihre verstärkte Berücksichtigung wird bei der Entwicklung von Unternehmensstrategien einen entscheidenden Einfluss haben. Fakt ist aber auch: Die Weltwirtschaft darf nicht de-globalisiert werden. Neue ökonomische Nationalismen dürfen nicht einfach so hingenommen werden. Denn das ist brandgefährlich. Das würde nicht nur Europa und Deutschland hart treffen und massive Wohlstandsverluste mit ungeahnten sozialen Folgen nach sich ziehen, sondern in der Folge auch die Situation ärmerer Länder, z.B. in Afrika, weiter verschlechtern.

Wir müssen daher differenzieren. Es gibt wichtige und notwendige Änderungen, die wir aus der aktuellen Lage heraus vornehmen müssen. Eine Neubewertung der bisherigen Partner ist wichtig und richtig. Es wird hier sicher zu Verschiebungen und neuen Partnerschaften kommen müssen. Allerdings kann das nicht über Nacht passieren.

Gleichzeitig müssen wir uns aber dafür einsetzen, dass globale Lieferketten wieder instandgesetzt und der freie Welthandel wieder aufgenommen werden. Denn nochmal: Ohne Globalisierung kein Wachstum für Europa und Deutschland. Ohne Wachstum meistern wir weder die aktuelle Krise noch lösen wir strukturelle Herausforderungen. Das heißt konkret: Wenn wir die Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit – das bedeutet natürlich auch die sukzessive Abkehr von fossilen Energieträgern – und die vierte industrielle Revolution erfolgreich gestalten wollen, sind wir auf einen ungehinderten Warenverkehr angewiesen.

Es geht nur zusammen

Die enge internationale Zusammenarbeit hat uns Frieden, mehr Freiheiten und Wohlstand gebracht. Jetzt ist es an uns, die Globalisierung weiterzuentwickeln, ökologischer, sozialer und inklusiver zu gestalten. Das geht aber nicht in einer Welt, in der sich wie im Kalten Krieg dauerhaft verfeindete Blöcke gegenüberstehen. Sondern nur, wenn wir allmählich wieder zu einem geordneten Miteinander zurückfinden und uns darauf konzentrieren, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Für alle Menschen. Denn das ist das zentrale Anliegen, das sich die meisten Länder nach den grausamen Erfahrungen des 19. und 20. Jahrhunderts voll Nationalismus, Chauvinismus und Gewalt verordnet hatten. Zu Recht.