Die Zeit für grünen Wasserstoff ist jetzt

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„Wo der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen“: Das vielzitierte chinesische Sprichwort über Veränderungsangst und Zukunftsoptimismus zeigt in den multiplen Krisen dieser Tage wieder einmal seine Aktualität. Deutschland muss vor allem begreifen, dass nicht nur ein Wind des Wandels weht, sondern ein veritabler Orkan, der kaum einen Stein auf dem anderen lassen wird. Passend dazu schrieb kürzlich die „Financial Times“: „Deutschland sieht sich mit einem kaputten Geschäftsmodell konfrontiert.“ Die Zeit des Wirtschaftswachstums auf der Basis von billigem Erdgas aus Russland ist vorbei. Mehr noch, und das kann nicht stark genug betont werden: Die aktuellen Krisen sind der Anfang vom Ende der fossilen Energien. Laut der Internationalen Energie-Agentur (IEA) wird die Welt in den nächsten fünf Jahren so viel Strom aus erneuerbaren Energien erzeugen wie in den 20 Jahren zuvor. Die IEA spricht von einem „historischen Wendepunkt hin zu einer saubereren und sichereren Energieversorgung“.

Daraus ergibt sich eine völlig neue energie- und industriepolitische Gemengelage mit weitreichenden geopolitischen Implikationen. Die USA haben mit ihrem Inflation Reduction Act ein Wettrennen um die Führerschaft bei grünen Technologien zur Dekarbonisierung der Industrie entfesselt. Auch China läuft sich warm und möchte vorne mitspielen. Europa muss fortan kämpfen, um nicht abgehängt zu werden. Das gilt umso mehr für Deutschland, dass sich aufgrund seiner bisherigen einseitigen Abhängigkeiten noch einschneidenderen Veränderungen ausgesetzt sieht als andere EU-Länder.

Eine reine Weiterentwicklung unserer Industriepolitik mit behäbigen und kleinteiligen Schritten wird uns bei alldem nicht helfen. Nur wer jetzt konsequent umbaut und entschieden auf die Technologien von morgen setzt, wird sich im geopolitischen Wettrennen behaupten. Die gute Nachricht: Auf diesem Weg bieten sich gerade für Deutschland enorme Chancen.

Andere Länder machen es uns derzeit vor und schieben die grüne Wasserstoffwirtschaft konsequent an. Portugal etwa will Investitionen in grüne Wasserstoffprojekte signifikant beschleunigen, indem die Planungs- und Genehmigungsverfahren noch in diesem Jahr stark abgekürzt werden. Gleichzeitig baut das Land zusammen mit Frankreich und Spanien eine Wasserstoff-Pipeline zwischen Barcelona und Marseille – ein überaus ehrgeiziges aber auch dringend notwendiges Projekt auf dem Weg zu einem europäischen Markt für grünen Wasserstoff. Australien investiert in den kommenden vier Jahren satte 16 Milliarden Euro in erneuerbare Energien und will in der Branche 600.000 neue Jobs schaffen.

Der größte Gamechanger aber ist der Inflation Reduction Act, kurz IRA, in den USA. Das 369 Milliarden Dollar große Paket setzt industriepolitisch radikal neue Anreize. Es sieht handelbare Steuergutschriften und Subventionen vor und verknüpft diese mit starken Anreizen für die Lokalisierung der Produktion in den USA. Auch für die Wasserstoff-Branche ist der IRA ein Quantensprung. Steuergutschriften von bis zu 3 USD/kg für die Produktion von grünem Wasserstoff machen diesen „über Nacht“ konkurrenzfähig gegenüber konventionellen (sprich: fossilen) Wasserstoffarten. Währenddessen doktert die EU-Kommission seit über zwei Jahren an den Kriterien für den Elektrolyse-Strombezug herum, die im Rahmen eines delegierten Rechtsaktes erlassen werden sollen. „Die EU setzt auf grünen Wasserstoff – und reguliert ihn kaputt“, schrieb der „Spiegel“ treffend.

Kanada hat direkt auf den IRA reagiert und antwortet mit bis zu 30 Prozent Steuergutschriften auf Erneuerbare und sogar bis zu 40 Prozent auf Wasserstoff-Produktion. Der IRA wird so zu einem Booster für die globale Wasserstoff-Wirtschaft, aber eben auch einer Gefahr für die europäische Wasserstoff-Industrie – und den Industriestandort in Europa insgesamt. Denn eines ist klar: Produktionskapazitäten, die jetzt in den USA entstehen, gehen für Europa verloren. Angesichts des durch den IRA angeregten Wachstums wird der US-Wasserstoffmarkt die dort produzierten Anlagen vollständig aufnehmen. Hersteller von Elektrolyseuren und anderen Wasserstofftechnologien können – trotz aller Anstrengungen – nicht unbegrenzt skalieren.

Anstatt aber jetzt in ein „De-Industrialisierungs“- und „Deutschland wird Industriemuseum“-Lamento zu verfallen, sollten wir uns anstrengen und uns auf unsere Stärken besinnen. Deutschland hat ein enormes Potenzial an starken, innovativen Unternehmen mit klugen Köpfen und motivierten Mitarbeitern – gerade im Mittelstand. Die industriepolitischen Chancen einer konsequent auf erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff ausgerichteten Politik sind weitaus größer als das Risiko, dass einige in einem als zu ambitioniert wahrgenommenen Handeln für den Industriestandort Deutschland sehen mögen. Durch die Notwendigkeit der schnellen Skalierung der Produktion von Elektrolyseuren ergeben sich neue Perspektiven für den Maschinen- und Anlagenbau. Bei Sunfire haben wir das durch die Übernahme – inklusive aller Mitarbeiter – eines ehemals für den Bergbau tätigen Galvanikspezialisten sowie durch die Produktionspartnerschaft mit einem führenden Automobilzulieferer bereits wiederholt unter Beweis gestellt.

Deshalb ist es auch gut, dass das Bundeswirtschaftsministerium in einem Strategiepapier den IRA nicht als reine Bedrohung, sondern als „Ansporn für eine zweite Phase des European Green Deal“ sieht. Ebenso wichtig und richtig in dem Strategiepapier ist der Ansatz, dass eine Antwort auf den IRA auch einem „breiteren geopolitischen Bild inklusive der Rolle Chinas“ Rechnung tragen muss. Denn gerade in China entsteht in atemberaubendem Tempo ein Heimatmarkt für grünen Wasserstoff – so befindet sich dort seit Anfang 2022 das weltweit größte grüne Wasserstoffprojekt mit 150 MW Leistung. Im aktuellen Fünfjahresplan Chinas (2021-2025) wird die Wasserstoffindustrie als eine von sechs industriellen Prioritäten genannt. Führende Hersteller von Solaranlagen sowie staatliche Unternehmen sind in den Markt eingetreten und verfolgen die gleiche Strategie, die bereits in der Solarbranche zu einer Marktdominanz geführt hat: Subventionierung der Unternehmen, massive Skalierung der Produktion, damit verbundene Senkung der Stückkosten und rasche Weiterentwicklung der Technologie.

Deshalb müssen bei uns jetzt den Worten Taten folgen – gerade beim Wasserstoff. Es ist zwar ein gutes Zeichen, dass laut Ministeriumspapier der im IRA gewählte Ansatz zur Förderung von Wasserstoff als Vorbild geprüft werden soll. Aber der aktuelle Entwurf für die Überarbeitung der Nationalen Wasserstoff-Strategie ist kleinkariert, zu wenig ambitioniert und geht in Teilen in die falsche Richtung. Auf der einen Seite rückt nun auch blauer Wasserstoff wieder in den Fokus, der in Teilen der deutschen Industrie zwar als Heilsbringer gesehen werden mag, durch dessen Förderung sich für Deutschland technologisch und beschäftigungstechnisch allerdings nur marginales Potenzial ergibt. Auf der anderen Seite wird die heimische Elektrolyse in ein Korsett der „Systemdienlichkeit“ gezwängt, dass einen eingeschränkten Elektrolyse-Betrieb vor allem in Norddeutschland und in Stunden des Überschussstroms vorsieht. Für die großen Industriezentren zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen oder Bayern würde damit der Einsatz von Elektrolyseuren erschwert. Dabei werden sie gerade dort gebraucht, bis ab 2030 die notwendige (auch transeuropäische) Transportinfrastruktur entwickelt und gebaut ist.

Das alles zeigt: Wir müssen beim Ausbau von grünem Wasserstoff und den Erneuerbaren unbedingt die Handbremse lösen. Dazu gehören eine effiziente Regulierung, schnelle und unbürokratische Gewährung staatlicher Förderung, praktikable Grünstrom-Kriterien und der Abbau von Hürden beim Infrastruktur-Hochlauf. Zudem darf nicht blind die Anwendung subventioniert werden wie damals bei der Photovoltaik. Auch die Komponenten, und damit die Resilienz europäischer Wertschöpfungsketten, sollten bei der Förderung berücksichtigt werden.

Wir müssen uns klar machen, dass wir in Deutschland und Europa an einem Scheideweg stehen: Schaffen wir es dieses Mal, eine globale Industrie mit neuen europäischen Industrieunternehmen aufzubauen? Oder nehmen andere Länder uns diese Pionierarbeit und diesen Fortschritt aus der Hand, wie es bei der Solarindustrie geschehen ist?