Eckpunkte einer zukunftssicheren europäischen Industriestrategie

 

Der internationale Wettlauf um die Zukunftsmärkte für Klimaschutztechnologien ist in vollem Gange. China, der weltweit größte Hersteller von Komponenten für die Energiewende, wie etwa Solarmodule, Windkraft-Rotoren und Wechselrichter, dominiert weite Teile der globalen Lieferketten für grüne Technologien. Die USA haben mit dem Inflation Reduction Act (IRA) nun den Hochlauf zentraler Klimaschutztechnologien beschlossen und investieren rund 370 Milliarden US-Dollar in den Ausbau von Erneuerbaren Energien und in die Wasserstoffproduktion, in mehr Effizienz und in eine stärkere Elektrifizierung. Ebenso hat Japan im Dezember 2022 mit der Green Transformation Roadmap ein umfassendes politisches Paket auf den Weg gebracht, das staatliche Investitionen in Höhe von 150 Milliarden Euro für die japanische Energiewende vorsieht. Das sind wichtige Signale für den globalen Klimaschutz.

Und wie positioniert sich die Europäische Union in diesem industriepolitischen Wettlauf? Die EU-Kommission hat im Kontext des am 1. Februar 2023 vorgeschlagenen Green Deal Industrial Plan angekündigt, den Beihilferahmen für Investitionen in klimaneutrale Technologien zu lockern. Doch das greift deutlich zu kurz, um im Wettlauf mithalten zu können: Die EU muss deshalb jetzt zügig aus dem Modus des reaktiven Krisenmanagements des Jahres 2022 in den Modus einer gestaltenden Industriepolitik schalten. Bei der Wahl der Strategien und Instrumente sollte sie sich dabei ihrer komparativen Vorteile bedienen – das bedeutet: nicht nur auf Subventionen zu setzen, sondern auch auf Preis- oder Regulierungsinstrumente.

Im Kontext des mehrjährigen Finanzrahmens (MFF) und der Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF) stellt die EU bereits umfangreiche Finanzmittel für Investitionen in Klimaschutztechnologien zur Verfügung. Zwar stehen hier anders als in den USA weder Steuerkredite noch eine explizite Förderung lokaler Produkte im Fokus der Förderung, doch in Summe handelt es sich um Mittel für Klimaschutzinvestitionen in ähnlicher Größenordnung wie beim IRA. Um diese Mittel zu mobilisieren, muss nun ein Bepreisungs- und Regulierungsrahmen geschaffen werden, der sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite Anreize für Investitionen in klimaneutrale Technologien setzt. Hier hat Europa deutlich mehr Handlungsspielraum als beispielsweise die USA, wo die föderale Regierung Bepreisungs- oder Regulierungsinstrumente politisch nur eingeschränkt nutzen kann. Dies ist einer der Gründe, warum der amerikanische IRA vor allem auf Steuerkredite setzt.

Damit Unternehmen langfristige Planungssicherheit bekommen und der Einsatz staatlicher Mittel zeitlich begrenzt werden kann, sind zwei Dinge entscheidend: Ein verlässlicher Ordnungsrahmen, etwa durch eine CO2-Bepreisung, sowie Maßnahmen zur Stärkung der Nachfrage für grüne Produkte und Technologien, damit grüne Leitmärkte entstehen. So war etwa das Zusammenspiel von EU-Emissionshandel und nationalen Förderregimen für Erneuerbare Energien ausschlaggebend für den Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung in Europa.

Auch bei der Umsetzung des Green Deal Industrial Plan sollte ein kluger Instrumentenmix handlungsleitend für eine europäische Investitionsoffensive in Klimaschutztechnologien sein. Mit vier Transformationspfeilern können Investitionen abgesichert und der internationale Technologiewettbewerb aufgenommen werden:

1. Den Ausbau der Erneuerbaren Energien beschleunigen und die Abhängigkeit von fossilem Erdgas zügig verringern

Durch die steilen Preisanstiege und Europas starke Erdgasabhängigkeit ist Energie zum Haupttreiber der Inflation geworden. Nur mit einer strukturellen Reduktion des Erdgasverbrauchs können die Energiemärkte stabilisiert werden, was eine zentrale Rahmenbedingung für ein gutes Investitionsumfeld der Industrie ist. Der REPowerEU Plan der EU zielt folgerichtig darauf ab, den Erdgasverbrauch in der Industrie bis 2030 um 41 Prozent gegenüber 2021 zu reduzieren.

Im Gegenzug gilt es, den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu entfesseln und das Energiesystem durch flexible Verbraucher wie Wärmepumpen, Elektroautos und die Industrieproduktion effizienter zu machen. Die im Dezember 2022 beschlossene EU- Notfallverordnung zur Vereinfachung der Genehmigungsverfahren und effektiveren Flächenbereitstellung für Erneuerbare-Energien-Anlagen zeigt hier in die richtige Richtung. Zusätzlich sollte für Großverbraucher von Strom, die in die Dekarbonisierung investieren, der direkte Zugang zu Erneuerbaren Energien erleichtert werden, etwa durch attraktivere Rahmenbedingungen für den Abschluss von langfristigen Stromlieferverträgen (PPAs).

2. Turbo für Investitionen in Elektrifizierung, Energie- und Ressourceneffizienz zünden

Die direkte Elektrifizierung von Prozesswärme senkt schnell und nachhaltig den Gasbedarf der Industrie und ist für den überwiegenden Teil der Industrieprozesse die effizienteste klimaneutrale Technologieoption: Eine Wärmepumpe, die einen Erdgaskessel ersetzt, benötigt nur eine Kilowattstunde Strom statt etwa drei Kilowattstunden fossiles Gas. Insbesondere für den Niedertemperaturbereich bis 500 Grad Celsius, in dem die Prozesswärme in der Industrie derzeit zum großen Teil aus Erdgas gewonnen wird, sind strombasierte Technologien wie Großwärmepumpen oder Elektrodenkessel bereits auf dem Markt verfügbar. Weitere Investitionen zur Steigerung von Energieeffizienz und für eine stärkere Kreislaufführung tragen dazu bei, den Gasbedarf für die Grundstoffproduktion strukturell zu reduzieren.

Gezielte Förderprogramme können den Turbo für industrielle Wärmepumpen, Elektrodenkessel, Energieeffizienztechnologie sowie fortschrittliche Sortier- und Recyclingtechnologien zünden. Gerade für die Phase des Technologiehochlaufs ist eine Anschubfinanzierung wichtig, die höhere Kosten im Vergleich zu konventionellen Technologien ausgleicht. Ebenso müssen Fehlanreize durch nationale Subventionen abgebaut werden. Klare Ziele zur Dekarbonisierung von Prozesswärme, sowie die Einführung eines Zero-Carbon-Standards für Neuinvestitionen in der Prozesswärme können schließlich für die notwendige Planungssicherheit sorgen.

3. Herstellerkapazitäten für klimaneutrale Technologien stärken

Um sich als Wirtschaftsstandort zukunftsfest aufzustellen, muss Europa seine Herstellungskapazitäten in zentralen Technologiefeldern wie Erneuerbare Energien, Wärmepumpen, Wasserstoff-, Speicher- und Stromnetztechnologien. systematisch ausweiten. Damit lässt sich zum einen die steigende Nachfrage der Unternehmen nach fossilfreien Technologien bedienen. Zum anderen kann Europa so die Krise nutzen, um Zukunftsmärkte vor Ort zu etablieren und die Resilienz von Lieferketten zu verbessern.

4. Leitmärkte für grüne Produkte schaffen

Investitionen in klimaneutrale Technologien setzen voraus, dass Unternehmen mit einem Absatzmarkt und einer Zahlungsbereitschaft für grüne Produkte rechnen können. Europa sollte daher systematisch in den Aufbau grüner Leitmärkte investieren und so eine Nachfrage nach grünen Produkten schaffen. Entscheidend hierfür ist eine einheitliche Definition von grünen Grundstoffen, etwa grünem Stahl oder klimaneutralem Beton. Um eine erste stabile Nachfrage zu schaffen, sollten im Beschaffungswesen entsprechende Quoten für grüne Produkte definiert werden. Zudem sollten durch Quoten für recycelten Stahl, Beton, Plastik oder Aluminium moderne Technologien der Kreislaufwirtschaft gefördert werden, um die Resilienz Europas beim Rohstoffbedarf zu stärken.

Auf Basis dieser vier Eckpunkte kann Europa seine Abhängigkeit von fossilen Energieträgern verringern, die dämpfende Wirkung von Erneuerbaren Energien, Elektrifizierung und weiteren Energieeffizienzmaßnahmen auf die Energiepreise nutzen und seine Industrie- und Herstellerkapazitäten zukunftssicher stärken. Damit wird das Rennen um die Zukunftsmärkte für Klimaschutztechnologien nicht zu einem ineffizienten und teuren Subventionswettlauf, sondern zu einem Wettlauf um die klügste Strategie.

 

Frauke Thies, Exekutivdirektorion Agora Energiewende und Agora Industrie

Julia Metz, Leiterin Industriepolitik Agora Industrie