09.03.2023Digitalisierung

Der Aufbau einer starken Digitalwirtschaft als Handlungsfeld für die soziale Demokratie

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Die Digitalisierung bedeutet für die Wirtschaft einen fundamentalen Transformationsprozess: Produkte, Prozesse und Geschäftsmodelle verändern sich teils radikal, vieles wird effizienter, auch ganz neue Produkte und Geschäftsmodelle werden geschaffen. Gerade diese neuen digitalen Geschäftsmodelle haben in den vergangenen Jahren einen rasanten weltweiten Siegeszug hingelegt. So hat z.B. die Erfindung von Plattform-Geschäftsmodellen ganze Branchen revolutioniert (z.B. Handel) oder neu entstehen lassen (z.B. soziale Netzwerke, App-Economy, Online-Advertising, Cloud-Computing). Die neuen Geschäftsmodelle sind so revolutionär erfolgreich, dass die heutige Weltwirtschaft klar von den auf diesem Gebiet führenden Unternehmen dominiert wird. Diese tragen, allen bekannten Schattenseiten ihrer Geschäftsmodelle zum Trotz, zu einem immer größeren Teil zur Wertschöpfung von Volkswirtschaften bei.

Während die einen Unternehmen als Gewinner vom Prozess der Digitalisierung profitieren, gehen andere, deren Geschäftsmodell obsolet wurde oder die dem Wettbewerbsdruck nicht standgehalten haben, unter. Durch diesen unaufhaltsamen Strukturwandel wird auch der Wohlstand zwischen Regionen und Nationen neu verteilt. Wirtschaftliche Gewinner der Digitalisierung sind die Regionen und Länder, in denen Unternehmen entstehen oder sich ansiedeln, die die riesigen neuen Märkte zu nutzen verstehen – und dabei handelt es sich vorrangig um Unternehmen der Digitalwirtschaft. „Software is Eating the World“, titelte das Wall Street Journal schon 2011. Neben der Bewahrung von Autonomie („technologische Souveränität“) ist das der Hauptgrund, weshalb Regierungen auf der ganzen Welt versuchen, durch Industrie-, Technologie-, Innovations- und Standortpolitik die heimische Wirtschaft im digitalen Transformationsprozess zu unterstützen, Schlüsseltechnologien zu fördern sowie einen international konkurrenzfähigen Tech-Sektor aufzubauen.

Deutschland und Europa haben eine starke Wirtschaft – sind aber beim Rennen um digitale Zukunftstechnologien und den Wohlstand von Morgen im Hintertreffen. Im Hardware- und Software-Bereich liegt Europa weit hinter der internationalen Konkurrenz. Zukunftstechnologien wie Cloud-Computing, IoT, 6G, digitale Plattformen, Blockchain, Quantencomputing oder Künstliche Intelligenz haben Disruptionspotenzial für weite Teile der „Old Economy“ und werden von US-Amerikanischen oder chinesischen Unternehmen dominiert. Auch wenn es positive Einzelbeispiele gibt (etwa Siemens, Bosch, SAP): „Deutschland zeigt in der Entwicklung von digitalen Technologien erhebliche Schwächen“, so der Befund im EFI-Gutachten 2022. Es verliere nicht nur den Anschluss in einem ökonomisch immer bedeutsamer werdenden Technologiebereich, sondern gefährde auch seine bestehenden Stärken in den Produktionstechnologien sowie den Bio- und Lebenswissenschaften, weil diese zunehmend von digitalen Technologien durchdrungen würden. Die Folge dieser technologischen Schwäche zeigt sich schon heute: Unter den 100 wertvollsten Unternehmen der Welt findet sich mittlerweile kein einziges deutsches Unternehmen mehr.

Um den Wohlstand auch in Zukunft zu erhalten, muss die Politik es als zentrale Aufgabe verstehen, den Rückstand Deutschlands und Europas bei digitalen Zukunftstechnologien und beim Transfer in weltweit erfolgreiche Geschäftsmodelle aufzuholen. Das würde auch die Autonomie und Resilienz des Landes stärken. Für die soziale Demokratie böte sich hier ein geeignetes Profilierungsfeld. Eine aktuelle Allensbach-Umfrage zeigt, dass nur noch 39% der Bevölkerung zuversichtlich sind, dass Deutschland in 10 bis 15 Jahren noch zu den führenden Wirtschaftsnationen gehört. Vor fünf Jahren waren davon noch 59 % überzeugt (FAZ vom 26.1.23). Breite Bevölkerungsschichten auch jenseits des engen Kernmilieus ließen sich durch entsprechende Narrative ansprechen: Die soziale Demokratie fördert die Wirtschaft von Morgen, um unser Land zukunftsfähig aufzustellen und den Wohlstand auch für kommende Generationen zu sichern. Weitere damit verknüpfte Narrative sind die „gestaltende Industriepolitik“ sowie „Innovationen und technologischer Fortschritt“, die ebenfalls in der sozialen Demokratie anschlussfähig sind. Bislang jedoch dominieren im Themenfeld „Digitalisierung“ ganz andere Diskurse: ethische Fragen, Risiken, Regulierungsoptionen. Diese sind auch wichtig, es Bedarf aber einer Balance zwischen einer chancen- und risikoorientierten Herangehensweise.

Wesentliche Hemmnisse für einen starken Tech-Sektor und mögliche politische Ansätze zur Stärkung desselben können hier nur kursorisch vorgetragen werden:

  • Investitionen: Die USA und China investieren massiv mehr in den Tech-Sektor als Deutschland und Europa. Europäische Startups haben es daher schwerer an Kapital zu kommen. Nach wie vor fehlt es hier an Risikokapital, besonders für Anschlussfinanzierungen in der Wachstumsphase. Ziel muss sein, viel mehr privates und staatliches Risikokapital für aussichtsreiche digitale Geschäftsmodelle zu mobilisieren, als bislang.
  • Gründungsdynamik und Risikobereitschaft: Unternehmen in den USA und China sind in der Regel risikobereiter als Unternehmen in Deutschland und Europa. Auch die Gründungsbereitschaft ist höher – insbesondere beim Transfer von starker Forschung in innovative Geschäftsmodelle ist Deutschland nach wie vor schwach (Valley of Death).
  • Innovationen: Die Innovationsstärke Deutschlands, die sich in einigen Daten zeigt, fußt v.a. auf der internationalen Spitzenstellung der forschungsintensiven Industriebranchen. Bei den Investitionen und Forschungsausgaben in Informations- und Kommunikationstechnologie belegt Deutschland einen hinteren Platz unter den OECD-Ländern.
  • Binnenmarkt: Der europäische Markt ist nicht einheitlich, sondern stark aufgespalten in mehrere Länder mit verschiedenen Sprachen, die sich zum Teil in ihrer Gesetzgebung stark unterscheiden. Im Gegensatz dazu sind die USA und auch China einheitliche, homogene Märkte, was Markteintritt und Skalierung für Tech-Unternehmen erleichtert. Der digitale Binnenmarkt und die Kapitalunion sind essentielle Stellschrauben.
  • Talente: Die USA und China haben einen größeren Pool an Fachkräften im Tech-Sektor als Deutschland und Europa. Deutschland muss mehr MINT-Fachkräfte ausbilden oder anwerben. Für den Startup-Sektor sind zudem wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für die Mitarbeiterkapitalbeteiligung unabdingbar, um Fachkräfte zu gewinnen.
  • Mindset und Regulierung: In den USA und auch China herrscht eine technologieoptimistische Mentalität vor, was sich u.a. in weniger Regulierung und Bürokratie niederschlägt.
  • Infrastruktur und öffentliche Verwaltung: Eine schwerfällige Bürokratie und eine schwache digitale Infrastruktur hemmen die Entstehung neuer Digitalunternehmen.
  • Industriepolitik: Industriepolitik wird zu oft aus Sicht der hierzulande dominierenden „old economy“ betrieben. Dabei geht es dann meist darum, bestehende Unternehmen bei der schrittweisen Digitalisierung von Prozessen und Geschäftsmodellen sowie bei der Dekarbonisierung zu unterstützen. Ein vornehmlich am Schutz bestehender Unternehmen ausgerichtetes Verständnis von Industriepolitik reicht aber nicht aus. Eine moderne Industriepolitik sollte darauf abzielen, die Entstehung neuer Digitalunternehmen zu fördern, die das Potenzial besitzen, mit Spitzentechnologien zu Weltkonzernen zu werden und die Märkte von Morgen zu erobern.

Die o.g. Hemmnisse sind größtenteils seit Jahren bekannt und zum Teil gibt es auch bereits politische Ansätze oder Ideen diesen zu begegnen (z.B. Zukunftsfonds, DATI, SPRIND, Gaia X, Digitalstrategie, Datenstrategie, KI-Strategie, IPCEI-Projekte). Bisherige Ansätze sind jedoch oft kleinteilig, wenig ambitioniert oder setzen an Nebenkriegsschauplätzen an, weil diese politisch einfacher durchsetzbar erscheinen. Was fehlt ist der politische Wille, das Thema prioritär zu behandeln und die wirklich entscheidenden Baustellen anzupacken. Hierzu gehört sicherlich die Höhe der Gesamtinvestitionen in den Tech-Sektor, die massiv gesteigert werden muss. Für die soziale Demokratie wäre es zunächst sinnvoll, eine klare politische Mission in diese Richtung zu formulieren, darauf aufbauend eine ganzheitliche politische Strategie (bestehend aus Industrie-, Innovations-, Bildungs-, Finanz- und standortpolitischen Ansätzen) zu entwerfen und sich anschließend kraftvoll an die Umsetzung zu begeben.

Dr. Robert Philipps

 

Dieser Text spiegelt keine offizielle Positionierung der FES in dieser Thematik wider.