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Wie wir mehr Gerechtigkeit schaffen und welche Rolle dabei Windkraft und Wasserstoff spielen

Von Bengt Bergt, stellv. energiepolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Berichterstatter für Windenergie und Gasinfrastruktur

 

Wie wird die „Energieversorgung der Zukunft“ aussehen? Diese Frage geht uns alle etwas an, ausnahmslos. Besonders betroffen sind künftige Generationen. Energieversorgung – das hat uns das letzte Jahr eindrücklich gezeigt – ist ein zutiefst soziales Thema. Hier ist die SPD gefragt, die nötige Transformation gerecht zu gestalten und dabei die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen. Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sollten wir Taktgeber in dieser Frage sein.

Für uns ist klar: Strom, Brennstoffe und Wärme müssen sicher, bezahlbar und sauber sein – also möglichst unabhängig von autoritären Staaten, erschwinglich auch für Klein- und Mittelverdiener und so CO2-arm wie es geht. Nur nachhaltige Energie kann den Klimawandel stoppen und unseren Kindern und Enkeln eine lebenswerte Welt erhalten.

Dazu gehören auch Arbeitsplätze. Unser Ziel ist es, das Energiesystem der Zukunft mit Wertschöpfung und Wohlstand zu verknüpfen – es soll und kann ein Wirtschafts- und Job-Motor für Deutschland werden. Eine Rolle dabei werden zwei Bereiche spielen: die Windenergie und unsere Gasinfrastruktur.

Windenergie als wesentlicher Eckpfeiler der Energiewende

Warum beide – auch im Zusammenspiel – für unser Ziel „Klimaneutralität 2045“ so wichtig sind, erkläre ich an späterer Stelle.

Zunächst einmal zur Windenergie. Dass die Erneuerbaren im Strommix immer wichtiger werden, zeigen die Zahlen deutlich: 2015 hatte der „grüne“ Strom noch einen Anteil von 30 Prozent, 2022 waren es schon 50 Prozent. Ganz oben: Strom aus Wind.

Von Januar bis Oktober 2022 wurden in Deutschland 443 Windenergieanlagen mit einer Leistung von 2.031 Megawatt installiert – das war etwa ein Drittel mehr Zubau-Leistung als 2021. Um das besser einordnen zu können: Ein durchschnittliches Windrad an Land produziert etwa 15 Millionen Kilowattstunden Strom jährlich und kann etwa 4.000 Haushalte ein Jahr lang mit Strom versorgen. Das zeigt: Windenergie hat enormes Potenzial, das wir nutzen können, um unsere Klimaziele zu erreichen.

Die Windkraftanlagen werden nicht nur immer leistungsfähiger. Sie haben auch eine gute Ökobilanz, die sich immer weiter verbessert. Aufgrund der bei Produktion, Wartung und Logistik entstehenden Emissionen verursacht ein Windrad trotz emissionsfreien Betriebs etwa acht bis zehn Gramm Treibhausgas pro Kilowattstunde. Das ist nicht viel. Verglichen mit  dem gesamten deutschen Strommix, also inklusive fossiler Energieträger wie Kohle, sind Windenergieanlagen damit ein sicherer Garant für sauberen Strom. Im Mix lag der Ausstoß an Kohlendioxid im Jahr 2020 bei etwa 366 Gramm CO2 pro Kilowattstunde.

Die Klimabilanz der Windkraft ist also offensichtlich – aber produzieren Windenergieanlagen auch günstigen Strom?

Die Antwort lautet: Ja. Windkraftanlagen können, nach Photovoltaik, den günstigsten Strom produzieren. Allerdings ist hier das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Da die Anlagen immer leistungsstärker werden, werden auch die Kosten weiter sinken. Ehrlicherweise müssen wir uns vor Augen führen, was die volkswirtschaftlichen Kosten dieses günstigen Preises sind – in den letzten zehn Jahren ist der Preis pro Wind-Megawattstunde um ganze 74 Prozent gesunken. Um der Preisspirale zu begegnen sind Firmen und ganze Produktionsbereiche mitsamt ihrem Know-how in Niedriglohnländer abgewandert.

Viele Vereinfachungen auf dem Weg – andere müssen folgen

Zur Ehrlichkeit gehört auch dazu: Vom definierten Ziel, 115 Gigawatt Leistung bis 2030 zu installieren, sind wir noch weit entfernt. Derzeit rotieren in Deutschland Anlagen mit insgesamt knapp 60 Gigawatt Leistung. Mit anderen Worten: Wenn wir unsere Ziele erreichen wollen, müssen in den nächsten Jahren jeden Tag etwa sechs Windkraftanlagen gebaut werden. Das ist viel – aber es ist zu schaffen.

In den vergangenen Monaten haben wir als Ampel-Koalition viel aufgeräumt, woran vor allem die Union über viele Jahre eisern festhielt. Wer jedes Windrad bekämpft, wie CDU und CSU es in der Vergangenheit getan haben, kann die Energiewende nicht schaffen. Den Ländern geben wir klare Vorgaben: Bis 2032 müssen die Länder zwei Prozent ihrer Fläche für die Windkraft ausweisen. Stadtstaaten etwas weniger, landreiche Flächenstaaten etwas mehr. Diese Regelung ist seit 1. Februar in Kraft.

Damit das zu schaffen ist, haben wir Genehmigungsverfahren deutlich verschlankt, ohne dabei den Artenschutz aufzugeben. Um den Strom vom (windreichen) Norden in den (weniger windreichen) Süden transportieren zu können, haben wir die Voraussetzungen für einen schnelleren Netzausbau geschaffen.

Auch hier sollten wir ehrlich sein: Das sind enorme Fortschritte, die wir in kürzester Zeit geschafft haben. Wir werden aber weiter nachjustieren müssen. Das tun wir etwa bei der Vereinfachung von Verwaltungsgerichts-Verfahren und der Umsetzung der Notfall-Verordnung der EU (die Regelungen zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren enthält). Beide haben wir kürzlich im Bundestag beschlossen. Und wir müssen an weiteren Stellschrauben kräftig drehen.

Fachkräfte gewinnen, Lieferketten europäisch ausrichten

Um nur drei Beispiele zu nennen: Ohne die nötige Logistik, die Fachkräfte und die entsprechenden Ressourcen (zum Beispiel Kupfer, Eisenerz, Bauxit oder sogenannte Seltene Erden) werden wir den Ausbau der Windenergie in dem notwendigen Ausmaß nur schwer erreichen. Das bedeutet, wir müssen auf ein intaktes, stärker europäisch ausgerichtetes Lieferkettensystem hinwirken und stärkere Anreize für Fachkräfte setzen. Dazu zählen nicht nur eine tariflich abgesicherte, gute Bezahlung sowie gute Arbeitsbedingungen, etwa Mitbestimmungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Sondern auch die Ansiedlung von innovativen Firmen und die Vergabe der Aufträge an naheliegende Werften, Hersteller und Zulieferer.

Um die Potenziale unserer heimischen Wirtschaft zu heben, konnten wir bei der Offshore-Windenergie erreichen, dass der Einsatz für Fachkräftenachwuchs und der CO2-Fußabdruck der Lieferkette als Ausschreibungskriterien verankert werden. Das setzt richtige Anreize und stärkt deutsche und europäische Standorte. Es zeigt, dass wir durchaus Instrumente in der Hand haben, um den heimischen Industrien den Rücken zu stärken – ohne in Konflikt zu kommen mit dem europäischen Beihilferecht.

Gute Arbeit, faire Löhne und regionale Wertschöpfung

Im Sinne gleicher Wettbewerbsbedingungen für alle muss klar sein: Wer immer sich auf deutschen Windeignungsflächen engagiert, muss gute Arbeit, faire Löhne und regionale Wertschöpfung sicherstellen.

Was hat das nun mit unserer Gasinfrastruktur zu tun? Sehr viel sogar.

Zunächst: Der Gasverbrauch in Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich angewachsen, von rund 60 Milliarden Kubikmetern Erdgas im Jahr 1980 bis auf rund 90 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2020. Wir werden Erdgas noch einige Zeit benötigen – zum einen als Energieträger zum Heizen und zur Stromerzeugung, zum anderen als Grundstoff für die chemische Industrie.

Um unabhängig zu werden von russischem Erdgas müssen wir zum Teil auf Flüssiggas zurückgreifen, das vorwiegend aus den USA nach Deutschland verschifft wird. Das ist nicht schön, denn es ist teurer als Pipeline-Gas und verursacht Emissionen. In dieser Situation ist der LNG-Import für eine Übergangszeit aber unvermeidbar. Es ist eine gute Nachricht, dass die USA mehr und mehr auf Zertifizierung von LNG setzen. Das trägt dazu bei, Emissionen aus Methan-Leckagen zu reduzieren.

Um das Flüssiggas an der deutschen Küste ins Gasnetz einspeisen zu können, haben wir im Eiltempo schwimmende LNG-Terminals und die notwendige Anbindungsinfrastruktur im Hinterland ermöglicht. In den nächsten Jahren entstehen hier wasserstofffähige feste Terminals an Land. Und hier kommt die Windenergie ins Spiel.

Windenergie und die Erzeugung des „grünen Gases“

Windenergieanlagen sind ein idealer „Partner“ für Elektrolyseure. Dabei handelt es sich um technische Anlagen, die Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten. Dort, wo erneuerbarer Strom aus Wind produziert wird, kann und soll künftig parallel sogenannter „grüner Wasserstoff“ gewonnen werden. Dieses Gas kann über die geschaffene Infrastruktur beigemischt werden und helfen, den CO2-Fußabdruck von bestehenden gasbetriebenen Erzeugungsinfrastrukturen um bis zu 20 Prozent zu senken.

Die Wasserstofferzeugung und -speicherung eröffnet auch Flexibilisierungsoptionen für das Stromnetz – kann doch überschüssiger Windstrom zur Erzeugung von Wasserstoff genutzt werden. Dieser mittels sogenannter Power-to-X-Verfahren erzeugte Wasserstoff kann dann bei wenig Wind oder Sonne wieder verstromt werden und das Netz auf erneuerbare Art und Weise stabilisieren..

Einen größeren Teil des benötigten Wasserstoffs werden wir aufgrund noch begrenzter inländischer Kapazitäten und enormen Bedarfs importieren müssen (etwa aus Chile oder Kanada). Das spricht aber nicht gegen eine eigene, heimische Wasserstoff-Wirtschaft. Im Gegenteil: Gerade um kleine, mittlere sowie kommunale Unternehmen in ihren Klimazielen zu unterstützen, fördert der Bund den Markthochlauf finanziell. Alles muss stets eingebettet sein in eine gemeinsame europäische Strategie. Das Gute ist: Wo das Angebot langsam Formen annimmt, schafft das Sicherheit für die Nachfrage-Planung in der Wirtschaft und wird die Energietransformation forcieren.

Unser weit verzweigtes Erdgasnetz mit den angeschlossenen Gasspeichern ist hier ein echtes Pfund: Durch die bestehenden Strukturen sind Investitionen planbar und gering – anders als bei einem Schwenk auf eine rein stromgeführte Infrastruktur. Nach und nach unser Erdgasnetz aufzugeben – auch wenn unser Bedarf an Erdgas sukzessive abnehmen wird – wäre aus meiner Sicht nicht verantwortbar.

Kommunen bei Wasserstoff-Wirtschaft mitnehmen

Wärmepumpen werden in Zukunft eine deutlich größere Rolle einnehmen bei der Wärmeversorgung. Es wird aber weiterhin Bedarf für Gase geben, denn die Nachfrage nach Wasserstoff wird deutlich steigen. Hier sollten wir auch die Kommunen unterstützen, um Teil der deutschen Wasserstoff-Wirtschaft zu werden. Es wäre ein wichtiger Beitrag für die (klimaneutrale) Wärmeversorgung und nachhaltige Mobilität. Ich denke hier etwa an Wasserstoff-Busse, wasserstofffähige Blockheizkraftwerke oder kommunale Fahrzeugflotten.

Prognosen gehen davon aus, dass der Bedarf ab 2030 deutlich ansteigen wird. Noch ist die Bandbreite der Annahmen – von 250 bis 800 Terrawattstunden im Jahr 2050 – aber sehr groß. Schätzungen zufolge wird allein die heimische Stahlindustrie bis 2050 mehr als 80 Terrawattstunden nachhaltig erzeugten Wasserstoff benötigen, um die Prozesse klimaneutral umzustellen. Bei der deutschen Raffinerie- und Ammoniakproduktion (Ammoniak ist ein wichtiger Grundstoff, etwa für Dünger) werden es zusätzlich mehr als 20 Terrawattstunden sein. Weiteren, noch schwer bezifferbaren Bedarf an nachhaltigem Wasserstoff wird es beispielsweise im Luft- und Seeverkehr geben. Auch um den noch nicht absehbaren Bedarfen zu begegnen, ist technologische Offenheit und Innovationsförderung zwingend notwendig.

Die Windkraft mit einer resilienten Lieferkette und gut ausgebildeten Fachkräften und ein modernes, wasserstofffähiges Gasnetz gehören hier zusammen. Sie sind zwei Seiten derselben Medaille. Zusammen mit anderen erneuerbaren Energien – u.a. Solar, Geothermie, Biogas – sind dies wichtige Bausteine für eine gerechte Energieversorgung der Zukunft: sicher, sauber und bezahlbar.