11.04.2023Geopolitik

Die Stärkung der transatlantischen Souveränität bringt uns vor die Welle neuer Handelsdifferenzen

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Der Fokus internationaler Handelspolitik verschiebt sich. Statt der Öffnung neuer Märkte und dem Abbau von Handelshemmnissen geraten nun eher Klima- und Artenschutz sowie Fragen der nationalen Sicherheit in den Fokus.  

Seit dem völkerrechtswidrigem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und den damit verbundenen globalen ökonomischen Auswirkungen werden handels- und industriepolitische Ziele von Staaten noch stärker anhand übergeordneter geopolitischer Ziele diskutiert und umgesetzt.  

Als Ergebnis solcher Entwicklungen und zur Abmilderung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und des Krieges wurden sowohl in den USA als auch in der EU verschiedene Programme aufgesetzt, die Investitionen in klimaschonende Technologien fördern und dazu auch umfangreiche finanzielle Anreize bieten sollen. In den USA sind dies der Inflation Reduction Act (IRA) und der Chips and Science Act. In der EU waren dies das „Fit for 55“-Paket, der EU Chips Act und nun der Net Zero Industry Act.  

Noch nicht alle Programme sind final beschlossen, die Ausrichtung ist aber deutlich: die Sicherung der jeweiligen Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeiten der Länder. Allerdings führten gewisse Regelungen des IRA, insbesondere spezielle „Local Content“-Bedingungen, dazu, dass einige europäische Staats- und Regierungschefs einen aufziehenden Handelskonflikt sehen und eine „Made in Europe“-Industriepolitik fordern. Die zahlreichen Gespräche auf höchster politischer Ebene und die eingesetzte Arbeitsgruppe, die direkt im Weißen Haus und im Berlaymont angesiedelt ist, nährt die Hoffnung, dass man partnerschaftliche Lösungen finden wird, um die Industriestandorte auf beiden Seiten des Atlantiks gemeinsam transformieren zu können. Auch der von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Joe Biden initiierte „Clean Energy Incentives Dialogue“ soll einen Teil dazu beitragen, einen Subventionswettlauf zwischen der EU und den USA zu verhindern.  

Der IRA war auch ein Weckruf. Er führt nicht nur dazu, dass man in der EU über eine Vereinfachung von Subventionsregelungen debattiert, sondern sollte auch zu neuen Überlegungen im Hinblick auf Handelsabkommen führen. Denn die Debatten über die Ausgestaltung von Förderprogrammen zeigen, wie wichtig Kooperation und Abstimmung zwischen den transatlantischen Handelspartnern sind. In Zeiten fragiler globaler Rahmenbedingungen ist eine weitere Integration der beiden Wirtschaftsräume noch wichtiger, um handlungsfähig zu bleiben und gemeinsam Wachstumsimpulse für die Industrie zu setzen.  

Ein wichtiger Aspekt dabei ist auch die Zusammenarbeit bei der Definition neuer Standards für zukünftige Technologien, v.a. im Bereich der Clean Technologies, zu vertiefen. Durch einen Dreiklang aus enger Kooperation, einer Vertiefung der Integration der beiden Standorte und der Zusammenarbeit in der Standardsetzung kann die transatlantische Souveränität im globalen Wettbewerb gestärkt werden.   

In der politischen Debatte ist der Wunsch nach europäischer Souveränität zu vernehmen, die mehr Gestaltungsfreiheit und Unabhängigkeit für die EU verspricht. Doch eine komplette Unabhängigkeit ist eine Illusion.  Nur Zusammenarbeit von Staaten macht in den heutigen Zeiten echte Erfolge möglich – beim Klimaschutz, bei der Friedenssicherung, beim Wohlstand durch Handel und vielem mehr. Deshalb muss die Antwort auf die aktuellen industrie- und sicherheitspolitischen Herausforderungen, auch mit Blick auf China, ein Hinausdenken und – handeln über Grenzen hinweg sein, um im globalen Konkurrenzkampf Wertschöpfung und Wohlstand generieren zu können.   

Die politischen Verhandlungen und der sich hoffentlich abzeichnende Kompromiss beim IRA sowie die Ankündigung von US-Präsident Joe Biden und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, eine Rohstoffpartnerschaft einzugehen, aber auch die Diskussionen um die Einrichtung und Ausgestaltung eines Klimaclubs zeigen deutlich, dass an einem Regelwerk gearbeitet werden sollte, das über die Beratungen des EU-U.S. Trade and Technolgy Councils (TTC) hinausgeht. Die Einrichtung des TTC und die dortige Zusammenarbeit ist zu begrüßen, konnte die Differenzen über den IRA aber nicht verhindern. Ein Handelsabkommen zwischen der EU und den USA bietet die Chance, zunächst Handelsbeschränkungen jeder Art für Industriegüter zu beseitigen, und grundsätzlich die gemeinsamen wirtschaftlichen Stärken deutlich auszubauen. Ein Fokus sollte darauf liegen, dass Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks die Möglichkeit eingeräumt wird, mit ihren Innovationen zur erfolgreichen grünen Transformation beizutragen und nicht durch Handelsbarrieren die Erreichung dieses verbindenden Ziels zu erschweren.  

Zum Ende dieses Jahres endet die Aussetzung der US-Strafzölle auf Stahl und Aluminium (Produkte) aus der EU sowie der damit einhergehenden EU-Gegenmaßnahmen. Es muss eine neue und finale Einigung erzielt werden. Ein Abkommen sollte sichere Rahmenbedingungen und Planungssicherheit bieten, um weitere Handelsstreitigkeiten zu verhindern und dauerhalte Lösungen zu schaffen. Die USA sind der engste Partner Deutschlands außerhalb der EU, mit dem wir auf demokratischer und rechtsstaatlicher Basis Lösungen für Differenzen finden können. In einem sich radikal verändernden globalen Umfeld müssen die transatlantischen Partner ihre politische und wirtschaftliche Stärke gemeinsam in die Waagschale werfen, um sich im globalen Wettbewerb erfolgreich zu behaupten.  

Die derzeitigen globalen Herausforderungen und die Notwendigkeit sich auf neue Umstände einzustellen, bieten die Chance proaktiv die transatlantische Handelspolitik des 21. Jahrhunderts zu gestalten. Die Bundesregierung sollte sich innerhalb der EU in Brüssel für neue Verhandlungen einsetzen.  

 

Simone Menne, Präsidentin der American Chamber of Commerce in Germany e.V.