08.06.2023Wettbewerb

Kurs halten für Wettbewerbsschutz

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Wettbewerb ist nicht irgendein Prinzip, sondern ein tragender Pfeiler unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Als Innovationsmotor und Schwungrad der Wirtschaft treibt er die Unternehmen im positiven Sinne an, besser zu werden und sich um die Gunst der Verbraucherinnen und Verbraucher zu bemühen. Sie profitieren davon unmittelbar in Form von günstigeren Preisen, besserer Qualität und immer wieder neuen Ideen. Daneben hat der Wettbewerb aber noch eine weitere entscheidende Funktion: Er ist der effektivste Machtbegrenzer, den wir haben. Also ein Selbstkorrektiv der Märkte, das nicht nur wirtschaftliche Macht, sondern auch daraus erwachsende politische Macht der Unternehmen im Zaum hält. So genial dieses Wettbewerbsprinzip auch ist, so fragil und schutzbedürftig ist es auch. Für Unternehmen ist Wettbewerb unangenehm und die Versuchung ist groß, Mittel und Wege zu finden, ihn auszuschließen oder zu umgehen. Für Deutschland, das einst als Land der Kartelle galt, war es ein Glücksfall, dass 1958 das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in Kraft trat. Ludwig Erhard hatte das von ihm so bezeichnete Grundgesetz der Sozialen Marktwirtschaft gegen erbitterte Widerstände der Industrie durchgesetzt. Wichtige Wegbereiter waren vor allem die Vertreter der Freiburger Schule wie Walter Eucken, Franz Böhm und andere. Heute gilt die Erkenntnis, dass Marktwirtschaft nur mit Wettbewerb zu Wohlstand in der Bevölkerung führt, als Grundkonsens in Deutschland, Europa und in weiten Teilen der Welt.

Das Bundeskartellamt hat die Aufgabe, als eine Art Schiedsrichter in der Wirtschaft zu große Marktmacht zu verhindern und verbotene Wettbewerbsbeschränkungen zu sanktionieren. Zunächst nur zuständig für die Kartellverfolgung und die Missbrauchsaufsicht ist es von ursprünglich 53 auf heute über 420 Kolleginnen und Kollegen angewachsen und hat viele neue Aufgaben hinzubekommen: In den siebziger Jahren Einführung der Fusionskontrolle, Jahre später Prüfungen im Vergaberecht, Sektoruntersuchungen, Markttransparenzstellen, Kompetenzen im Verbraucherschutz, der Betrieb des digitalen Wettbewerbsregisters – hier stellen wir für öffentliche Auftraggeber im Kontext von Vergabeverfahren Transparenz über Rechtsverstöße von Unternehmen her – und seit neuestem die Missbrauchsaufsicht über die Energiepreisbremsen. Das Bundeskartellamt ist schon immer eine Behörde im Wandel, ohne seine DNA als Hüter des Wettbewerbs zu verlieren. Drei Bereiche haben für uns aktuell eine herausgehobene Bedeutung: Die digitale Wirtschaft, das Thema Nachhaltigkeit und Auswirkungen weltweiter Krisen.

  1. Digitalisierung

Nirgendwo lässt sich besser verdeutlichen, wie das Bundeskartellamt mit der Wirtschaft Schritt hält, als anhand der wohl radikalsten Veränderung in den vergangenen Dekaden: Der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft.

Als eine der international führenden Wettbewerbsbehörden haben wir früh damit begonnen, die Anwendung des Kartellrechts auf das digitale Zeitalter zuzuschneiden. Die Auswirkung von Phänomenen wie Netzwerkeeffekten, Plattformen oder Daten auf den Wettbewerb sind nach einer steilen Lernkurve gut verstanden. Schon vor etlichen Jahren wurden aus Bonn viele erfolgreiche und wegweisende Verfahren in der digitalen Wirtschaft geführt wie gegen Facebook, Amazon oder Booking. Fälle mit Bezug zu Internetplattformen und Daten sind alltäglich geworden. Die Auswirkungen dieser Fälle reichen teils weit über Deutschland und sogar Europa hinaus. Nach zwei Novellierungen in den vergangenen sechs Jahren ist das GWB eines der modernsten Wettbewerbsgesetze der Welt. Anfang 2021 hat der Gesetzgeber ein erweitertes Instrumentarium für eine noch effektivere Aufsicht über große Digitalkonzerne eingeführt. Daraufhin wurden umgehend neue Verfahren gegen fast alle Big-Tech Unternehmen eingeleitet. Dabei geht es auch darum, die Regelsetzungsmacht der großen Digitalkonzerne einzugrenzen. Es sind Zeiten, in denen in Europa und der Welt eine erstaunliche Einigkeit herrscht. Die Regeln in der Wirtschaft sollten nicht von Tech-Konzernen gemacht werden. Fast überall werden strengere Regeln für Digitalkonzerne diskutiert, eingeführt oder sind bereits in Kraft. Diese Wirkkraft zeigt sich bei uns in konkreten Ergebnissen, die wir mit den neuen Wettbewerbsregeln für Digitalkonzerne erreicht haben. Zwei ganz aktuelle Beispiele: Auf Bedenken des Amtes hin dürfen Metas VR-Brillen auch ohne Facebook-Account genutzt werden und beim Nachrichtenangebot Google News Showcase haben wir entscheidende Verbesserungen für Verlage erwirkt. Verfahren gegen Amazon, Apple und Microsoft auf Grundlage der neuen Vorschriften laufen.

  1. Wettbewerb als Innovationsmotor hin zu mehr Nachhaltigkeit

Eine weitere tiefgreifende Veränderung, mit der sich das Bundeskartellamt intensiv auseinandersetzt, ist die ökologische Transformation der Wirtschaft. Der nachhaltige Umgang mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen ist für Verbraucherinnen und Verbraucher, Politik und Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Manchmal wird der Versuch unternommen, zwischen Gemeinwohlzielen und dem Ziel des Wettbewerbsschutzes einen grundsätzlichen Konflikt heraufzubeschwören. Das Gegenteil ist aber richtig: Nachhaltigkeit wird zunehmend zum Wettbewerbsparameter und für viele Unternehmen besteht ein Anreiz, ihr unternehmerisches Handeln an Nachhaltigkeit bzw. Gemeinwohlzielen auszurichten. Im Wettbewerb sind Unternehmen bestrebt, die staatlichen Nachhaltigkeitsvorgaben möglichst kostensparend zu erfüllen, etwa im Bereich Co2-Reduktion. Das sorgt für mehr Effizienz und niedrigere Preise. Wenn Nachhaltigkeit ein echter Wettbewerbsparameter ist, haben Unternehmen aber gleichzeitig einen Anreiz, über staatliche Vorgaben hinaus zu gehen. So werden Innovationen hin zu mehr Nachhaltigkeit durch den Wettbewerb beflügelt. Wenn sie sich am Markt durchsetzen, können solche Innovationen eine enorme Wirkkraft entfalten und schnell zu de-facto Standards werden – oft viel schneller, als durch staatliche Regulierung möglich. Das alles gelingt aber nur, wenn wir wettbewerbliche Strukturen schützen.

Bei neuen Nachhaltigkeitszielen voran zu gehen, kann für Unternehmen natürlich auch kostspielig und risikobehaftet sein. Deshalb bilden sich immer häufiger branchenweite Initiativen und Kooperationen zwischen verschiedenen Unternehmen, um gemeinsame Vereinbarungen etwa über Standards, Kriterien oder Vorgehensweisen zu treffen, mit deren Hilfe Nachhaltigkeitsziele erreicht werden sollen. Für das Bundeskartellamt ist es mittlerweile Normalität geworden, sich mit Anfragen von Unternehmen zu den kartellrechtlichen Rahmenbedingungen bei dieser Art Kooperationen zu befassen. Beispiele sind Tierwohl, existenzsichernde Löhne bei Bananen, Initiativen der Milchwirtschaft oder nachhaltige Textilien. Initiativen wie diese sind zwar am Kartellrecht zu messen, führen aber in den allermeisten Fällen nicht zu durchgreifenden wettbewerblichen Bedenken. Gewisse Einschränkungen des Wettbewerbs können kartellrechtlich akzeptiert werden, soweit die Verbraucherinnen und Verbraucher im Gegenzug von mehr Nachhaltigkeit profitieren. Ausnahmevorschriften etwa für die Landwirtschaft existieren und werden angewandt. Eine Grenze ist jedoch erreicht, wenn etwa Preisaufschläge vereinbart werden, ohne mehr Nachhaltigkeit zu erreichen. Die konsequente Anwendung des Wettbewerbsrechts führt somit zu einer Balance: Zusammenarbeit für mehr Nachhaltigkeit ist auch unter Wettbewerbern möglich. Das Ausschalten des Wettbewerbs unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit aber nicht.

  1. Wettbewerb in Krisenzeiten

Die Wirtschaft und der Wettbewerb werden durch die Krisen unserer Zeit herausgefordert. Das gilt auch für das Bundeskartellamt. Seit dem 24. Februar 2022, dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine, ist die Welt eine andere.

Das Bundeskartellamt setzt in erster Linie das Kartellrecht durch. Wir stehen der Wirtschaft aber gleichzeitig beratend zur Seite, wenn sie nach Wegen sucht, um in der Krise zu kooperieren. Immer wenn solche Kooperationen den Wettbewerb berühren, kommt das Kartellrecht ins Spiel. Dessen Generalklauseln haben sich als hinreichend flexibel erwiesen, um zu berücksichtigen, dass Märkte und der Wettbewerb anders funktionieren, als zu normalen Zeiten. So sind Krisen-Kooperationen möglich, müssen unter anderem aber zeitlich eng auf die Phase der Krise befristet werden. Während der Corona-Krise ging es z.B. um Lieferketten in der Automobilindustrie oder eine Notfallplattform Impfzubehör. Seit dem vergangenen Jahr geht es verstärkt um mögliche Knappheiten im Energiesektor. Hier haben wir etwa eine Zusammenarbeit von Zuckerproduzenten zugelassen, die im Falle einer möglichen Gasmangellage greift. Nur in diesem Fall dürfen sich die Unternehmen gegenseitig Produktionskapazitäten zur Verfügung stellen, um den Verderb großer Teile der Rübenernte zu verhindern. Unsere Einschätzung schafft Rechtssicherheit, indem wir deutlich machen, welche Ausgestaltungen möglich und wo die Grenzen sind.

Energie ist schon lange das bestimmende Thema – auch für das Bundeskartellamt. Als nach Ausbruch des Krieges Tankstellenpreise und der Rohölpreis auseinandergelaufen waren, haben wir unmittelbar eine Sektoruntersuchung mit Blick auf die Raffinerie- und Großhandelsebene eingeleitet. Erste Ergebnisse haben wir im Herbst vergangenen Jahres vorgelegt, weitere Ermittlungen laufen. Es geht darum, bei der Marktstruktur, den Kosten, der Preissetzung und den tatsächlichen Gewinnmargen Licht ins Dunkel zu bringen. Klar ist schon jetzt: Die Mineralölwirtschaft hat rekordverdächtige Gewinne eingefahren, die Preissteigerungen lassen sich nicht allein durch Kostensteigerungen erklären. Allerdings können wir hohe, selbst sehr hohe Preise, nicht einfach verbieten oder per Knopfdruck senken. Für einen Eingriff brauchen wir immer einen kartellrechtlichen Hebel. Das bedeutet nicht, dass wir Blankoschecks ausstellen oder unsere Schwerter stumpf sind. Ein kartellrechtswidriges Verhalten ist bislang aber nicht festgestellt worden. Wie effektiv wir festgestellte Verstöße sanktionieren, zeigen hohe Bußgelder, die wir bei Kartellen Jahr für Jahr verhängen. In der Missbrauchsaufsicht haben wir in Bereichen wie Wasser, Fernwärme oder Gas in der Vergangenheit viele Millionen Euro an Entlastung für Kundinnen und Kunden erreicht. Damals ging es um sehr spezielle, monopolisierte Bereiche, in denen Kundinnen und Kunden nicht wechseln konnten. Heute ist der Unterschied, dass es in vielen Märkten und Branchen Preissteigerungen gibt, die allerdings auf Inflation zurückzuführen sind. Neben der Energie haben wir Inflation bei Lebensmitteln und im Supermarktregal. Hier haben wir in der Regel keine Monopole. Ich halte die Missbrauchsaufsicht aber auch grundsätzlich nicht für ein geeignetes Instrument, um die Inflation zu bekämpfen. Hier sind dann doch eher Zentralbanken und die Politik gefragt.

Angesichts der großen Belastungen durch die Energiepreise hat der Gesetzgeber entschieden, die Energiepreisbremsen einzurichten. Seit Anfang des Jahres sind sie in Kraft. Das Bundeskartellamt übernimmt hierbei eine völlig neue Aufgabe: Es geht darum, einzuschreiten, wenn Anbieter Preise für Strom, Gas oder Wärme ohne sachliche Rechtfertigung anheben, um höhere bzw. ungerechtfertigte staatliche Entlastungsbeträge zu erlangen. Es ist alles andere als trivial, unter tausenden Versorgern mit verschiedensten Tarifen, sowie 10.000enden von Individualverträgen mit Industriekunden die schwarzen Schafe ausfindig zu machen. Aber wir sind es aus dem Kartellbereich gewöhnt, eine treffsichere Auswahl vorzunehmen. Im Zuge einer Analyse sämtlicher Antrags- und Meldedaten wurden bereits zwei Tranchen von Prüfverfahren eingeleitet: Zum einen betreffen sie eine zweistellige Zahl von Gasversorgern, die möglicherweise überhöhte Erstattungsanträge nach den Preisbremse-Gesetzen gestellt haben. Wir haben Anhaltspunkte dafür, dass die zugrundeliegenden Preise gegenüber den Endkunden sachlich nicht gerechtfertigt sein könnten. Zum anderen betreffen sie mehrere Wärmeversorger, die Vorauszahlungsanträge nach den Preisbremsen-Gesetzen gestellt haben. Wie schon bei Erdgas, decken die eingeleiteten Verfahren auch im Wärme-Bereich ca. 15 Prozent der bislang für das erste Quartal 2023 geltend gemachten Entlastungssummen ab. Betroffen sind weit über hundert Wärmenetze unterschiedlichster Größe in verschiedenen Regionen Deutschlands.

Neben den neuen Aufgaben ist das Kartellrecht weiter in Bewegung. Die Bundesregierung hat den Gesetzentwurf zur 11. GWB-Novelle beschlossen. Wir begrüßen das Ziel der Novelle, das Kartellrecht noch schlagkräftiger zu machen. Das zentrale Vorhaben des Gesetzentwurfes ist die Schaffung einer neuen Eingriffsbefugnis im Anschluss an Sektoruntersuchungen. Danach können konkrete Maßnahmen zur Abstellung festgestellter erheblicher Wettbewerbsstörungen angeordnet werden, sowohl im Hinblick auf die Marktstruktur als auch das Verhalten einzelner Unternehmen – auch ohne, dass zunächst ein Verstoß gegen das Kartellrecht festgestellt wurde. Dies umfasst als ultima ratio eine missbrauchsunabhängige Entflechtung marktbeherrschender Unternehmen bzw. solcher mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb. Diese Maßnahme könnte als äußerster Ausnahmefall auf verfestigten Märkten Abhilfe schaffen. Im Vergleich zum ambitionierten Entwurf des Wirtschaftsministeriums ist der Anwendungsbereich der neuen Befugnisse im Regierungsentwurf deutlich enger. Diese können aber in bestimmten Marktsituationen immer noch dazu beitragen, wettbewerbliche Problemlagen aufzubrechen und Wettbewerb wieder zu ermöglichen. Zudem soll u.a. die Vorteilsabschöpfung effektiviert und die Möglichkeit der Anordnung einer Anmeldepflicht von Fusionen unterhalb der Aufgreifschwellen verbessert werden. Für die laufende Legislatur ist der Entwurf einer 12. GWB-Novelle bereits angekündigt, der die Stärkung des Verbraucherschutzes besonders in den Blick nehmen soll. Angesichts dieses gesetzgeberischen Momentums sind wir gespannt, wie sich die Dinge weiterentwickeln.

Das Bundeskartellamt hat sich seinen Markenkern als Hüter des Wettbewerbs über viele Jahrzehnte erarbeitet. Diesen Markenkern wollen wir erhalten und gehen unsere neuen Aufgaben entschlossen an. Der ordnungspolitische Kompass ist ein guter Wegweiser.

 

Andreas Mundt