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Klimaschutzpolitik macht in Deutschland nur dann und nur insoweit Sinn, als sie exportfähig ist. Wenn sie nicht so angelegt wird, dass sie exportfähig ist, schadet sie nicht nur dem Wirtschaftsstandort Deutschland, sondern auch den globalen Bemühungen um eine Eindämmung des Klimawandels.

Warum ist das so?

Deutschland allein kann den globalen Klimawandel nicht aufhalten. Stellen wir uns vor, Deutschland würde ab morgen früh klimaneutral: durch Verbot jeden Autoverkehrs, durch Verbot von Heizungen und Warmwassernutzung, durch Verbot jeglicher Energieerzeugung und Wirtschaftstätigkeit, mit der fossile Energien verbraucht werden. Was bedeutete das für das globale Klima? Nicht mehr, als wenn ein Wassereimer in der Mongolei umkippen würde. Es wäre für das globale Klima weitgehend belanglos. Denn der Anteil Deutschlands an den globalen CO2-Emissionen ist so gering, dass ein klimaneutrales Deutschland das Weltklima nur marginal beeinflussen würde.

Zugleich aber würden alle Länder des Auslands dieses Deutschland, das morgen früh klimaneutral wird, als ein abschreckendes Beispiel für eine völlig verfehlte Klimaschutzpolitik ansehen. Man würde fassungslos und entsetzt auf ein Deutschland schauen, das dem Klimaschutz einen so hohen Stellenwert beimisst, dass es, um klimaneutral zu werden, seine Industrie ruiniert, den Lebensstandard der Menschen dezimiert und seinen sozialen Zusammenhalt aufopfert.

Die Tatsache, dass der Anteil Deutschlands an den weltweiten CO2-Emissionen nur sehr gering ist, bedeutet mithin für die deutsche Klimaschutzpolitik: Sie muss so konzipiert werden, dass sie ausstrahlt in die Welt. Sie muss so ausgestaltet werden, dass sie anschlussfähig ist an das, was in anderen Ländern in Sachen Klimaschutzpolitik möglich und realistisch ist. Sie muss auf einer politischen Programmatik basieren, die für möglichst viele Staaten der Welt attraktiv und akzeptabel ist. Sie muss exportfähig sein.

Eine deutsche Klimaschutzpolitik, die davon ausgeht, dass Klimaschutz alles ist, dass der Klimaschutz allen anderen politischen Zielen übergeordnet ist, isoliert Deutschland in der Welt und diskreditiert damit die deutsche Klimaschutzpolitik weltweit.

Das bedeutet konkret, dass deutsche Klimaschutzpolitik, die exportfähig sein will, von drei Grundsätzen ausgehen muss:

Erstens: Sie muss dazu beitragen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu stärken.

Klimaschutzpolitik muss so ausgestaltet werden, dass sie den Wirtschaftsstandort Deutschland und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft stärkt und nicht schwächt. Entsprechend können zum Arsenal einer exportfähigen deutschen Klimaschutzpolitik nur solche Maßnahmen gehören, die auf dieses Ziel einzahlen.

Es gilt also, in Deutschland eine Klimaschutzpolitik zu konzipieren, die deutlich macht, dass Maßnahmen zum Klimaschutz zugleich die Wettbewerbsfähigkeit einer nationalen Volkswirtschaft stärken können.

Es kann deshalb nicht angehen, mit dem Mantra des Klimaschutzes

  • die regulatorischen, bürokratischen und finanziellen Belastungen für die deutsche (und europäische) Wirtschaft gegenüber globalen Wettbewerbern zu erhöhen bzw. deutschen (und europäischen) Unternehmen Lasten aufzuerlegen, die für globale Wettbewerber nicht gelten;
  • die Kosten für wirtschaftliches Handeln am Standort Deutschland so heraufzusetzen, dass Unternehmen motiviert werden, außerhalb Deutschlands zu investieren und zu expandieren,
  • ein Regime staatlicher Förderungen für Unternehmen aufzubauen, das mit den Förderregimes in relevanten anderen Ländern nicht wettbewerbsfähig ist.

Eine nationale Klimaschutzpolitik, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft beschädigt, diskreditiert die deutsche Klimaschutzpolitik und damit den Klimaschutz weltweit.

Nur dann, wenn die deutsche Klimaschutzpolitik international anschlussfähig ist, besteht die Chance, dass Deutschland wirksame Impulse für globale Anstrengungen zum Klimaschutz geben kann.

Daraus können zwei Folgerungen für eine exportfähige Klimaschutzpolitik abgeleitet werden:

Entweder es gelingt, globale Regeln für Wirtschaftsunternehmen aufzustellen und durchzusetzen, die dem Klimaschutz dienen.

Oder, falls das nicht gelingt: Dann muss sich nationale Klimaschutzpolitik auf solche Maßnahmen beschränken, die die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen in Deutschland verbessern.

Zweitens: Klimaschutzpolitik muss Wirtschaftswachstum fördern und Mittel und Wege für klimaschutzrelevantes Wirtschaftswachstum aufzeigen.

Wer davon ausgeht, dass Klimaschutz nur gelingen kann, wenn Wirtschaftswachstum eingedämmt wird, stellt sich ins Abseits. Er begibt sich damit weltweit in eine „splendid isolation“. Er ist dann vielleicht im Bunde mit dem Schönen, Guten und Wahren, steht dabei aber allein. Er verliert seine Anschlussfähigkeit an weltweite Entwicklungen.

Es ist nicht nur so, dass ohne Wirtschaftswachstum in Deutschland die Ressourcen für Investitionen auch und gerade in den Klimaschutz, in die Sanierung der Infrastruktur, für sozialpolitische Wohltaten und für eine Reparatur des kriselnden Bildungswesens zusammenschmelzen.

Es kommt hinzu: Ohne Wirtschaftswachstum wird in Deutschland eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt, die jeden Fortschritt gefährdet. Denn die Nationen dieser Welt befinden sich in einem sich zuspitzenden wirtschaftlichen Wettbewerb. Eine Nation, die nicht mehr wächst, wird in diesem Wettbewerb zurückfallen. Sie wird eine Abdrift von Talenten, Unternehmen, Ressourcen, Know-how und Technologien ins wachsende Ausland erleben. Sie wird auch auf dem politischen Parkett weltweit an Bedeutung verlieren.

Deshalb kann eine nachhaltig wirksame deutsche Klimaschutzpolitik nur so konzipiert werden, dass sie das Wirtschaftswachstum am Standort Deutschland stärkt:

  • Sie muss wirtschaftliche Wertschöpfung stimulieren anstatt sie einzudämmen.
  • Sie darf nicht von einer „klammheimlichen Sympathie“ für die Deindustrialisierung Deutschlands getragen werden („Endlich verlassen fossil befeuerte Industrieanlagen unser Land.“), sondern muss darauf setzen, Klimaschutz mit einer Stärkung des deutschen industriellen Potenzials zu verbinden.
  • Sie muss alle Maßnahmen vermeiden, die zwar dem Klimaschutz dienen, aber zugleich wirtschaftliche Wachstumsdynamik schwächen.

Drittens: Klimaschutzpolitik muss im Einklang mit den Interessen und Bedürfnissen der Mehrheit der Menschen konzipiert und durchgeführt werden. Sie darf nicht zu einer wachsenden sozialen Spaltung führen, sondern muss soziale Zerwürfnisse vermeiden.

Zitieren wir hier einmal einen fiktiven Politiker, der sich im Bunde mit dem klimaschutzpolitisch Guten, Schönen und Wahren weiß:

„Klimaschutzpolitik ist so überragend wichtig, dass hinter ihr jedes andere politische Ziel zurückstehen muss. Wenn der deutsche Weg zur Klimaneutralität an Ruinen vorbeiführt, dann muss das in Kauf genommen werden. Wenn deutsche Klimaschutzpolitik nur wirksam ist, wenn sie Ruinen erzeugt, dann soll es so sein. Klimaschutzpolitik ist nicht kostenlos zu haben. Sie hat ihren Preis. Diesen Preis müssen wir zahlen. Denn für wirksamen Klimaschutz ist kein Opfer zu groß, kein Verzicht unzumutbar, kein Preis zu hoch.

Das gilt nicht nur für Wirtschaftsunternehmen. Sondern auch für jeden Einzelnen. Jeder Einzelne hat seine individuellen Interessen und Bedürfnisse hinter dem Ziel des Klimaschutzes zurückzustellen. Deutschland kann nur dann möglichst bald klimaneutral werden, wenn jeder Einzelne seine Mobilität einschränkt, sein Essensverhalten klimaschutzkonform ändert und sich warm anzieht, anstatt zu heizen. Wer nicht bereit ist, persönliche Opfer für den Klimaschutz zu erbringen, der ruiniert den Planeten.“

Die Schwierigkeit bei diesem klimaschutzpolitischen Credo besteht nicht nur darin, dass es an die Interessen und Bedürfnisse der meisten Menschen in diesem Land nicht anschlussfähig ist. Sondern auch darin, dass dieses Credo mit dem Statement einhergeht, Klimaschutz sei so wichtig, dass für wirksame klimaschutzpolitische Maßnahmen auch soziale Zerrüttungen, Verwerfungen und Spaltungen hingenommen werden könnten / müssten.

Und dieses Statement wiederum ist nicht exportfähig. Es gibt kein Land auf dieser Welt außerhalb Deutschlands, in dem die Regierung die Strategie verfolgt, Klimaschutzmaßnahmen auch dann durchzusetzen, wenn sie den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährden und wenn sie die Menschen in einen engen Käfig von Verhaltensgeboten und Verhaltensverboten einpferchen.

Würde Deutschland diesen Weg gehen, dann wäre die deutsche Politik damit nicht die Avantgarde der weltweiten Klimaschutzbewegung, nicht Vorreiter und Vorbild, sondern der Trottel der Kompanie.

Deshalb kann wirksame, international anschlussfähige Klimaschutzpolitik nur so konzipiert werden, dass sie die Menschen mitnimmt, die Interessen und Bedürfnisse der Menschen aufgreift und bedient, anstatt sie klimaschutzkonform zu kanalisieren und zu konditionieren.

Fazit: Wider die Superiorität der Klimaschutzpolitik

In der deutschen politischen Debatte um den Klimaschutz geht es im Kern um folgende Fragen:

  • Ist Klimaschutzpolitik ein Politikfeld der Superiorität, das alle anderen Politikfelder überragt, das über allen anderen politischen Zielen steht, dem sich also alle anderen Politikbereiche unterzuordnen haben? Sind deshalb Maßnahmen, die im Sinne einer derart verstandenen superioren Klimaschutzpolitik konzipiert werden, auch dann durchzusetzen, wenn sie sozial zersetzend und wirtschaftlich ruinös wirken?
  • Oder muss Klimaschutzpolitik demgegenüber als ein inferiores Politikfeld verstanden und konzipiert werden, das nur solche Maßnahmen umfassen darf, die auf die Ziele auch anderer relevanter Politikfelder (Wirtschaftspolitik, Technologiepolitik, Gesellschaftspolitik etc.) einzahlen?

Es gibt viele Gründe dafür, Klimaschutzpolitik nicht als superiore, sondern als inferiore Politikveranstaltung zu denken. Als ein Politikfeld, das nur dann bestellt werden kann, wenn damit zugleich andere Politikfelder bedient werden können.

Einer dieser Gründe ist die internationale Anschlussfähigkeit bzw. die Exportfähigkeit der deutschen Klimaschutzpolitik. Wenn sie nicht gegeben ist, begibt sich Deutschland nicht nur international in eine „splendid isolation“, sondern diskreditiert damit auch global die Klimaschutzpolitik.

Wenn die deutsche Politik nach dem Grundsatz „Klimaschutz über alles“ handeln würde, dann begäbe sie sich damit des Einflusses auf die internationale Klimaschutzdebatte und auf globale Entwicklungen in der Klimaschutzpolitik. Deutschland wäre dann für die meisten Länder dieser Welt ein exotischer, esoterischer Klimaschutz-Eremit, dem man nicht mehr zuhört, weil er Positionen vertritt, die für andere Länder schlicht belanglos sind.

Ein weiterer Grund dafür, Klimaschutzpolitik nicht als superiores Politikfeld zu begreifen, ist die „Benefit-Logik“, der jede mehrheitsfähige Politik folgen muss.

Diese „Benefit-Logik“ lässt sich wie folgt beschreiben: Eine politische Maßnahme, die den Menschen beträchtliche Lasten auferlegt, ist nur durchsetzbar, wenn die Menschen eine Vorteilhaftigkeit dieser Maßnahme für sich selbst bzw. für das Gemeinwesen erkennen können. Diese Vorteilhaftigkeit muss konkret erkennbar sein und in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Belastung stehen.

Alle politischen Maßnahmen in Deutschland folgten in den vergangenen Jahrzehnten dieser Benefit-Logik: Steuerlasten wurden verhängt, weil die Vorteile des Steuerstaates sinnfällig sind (Schulen, Polizei, Rechtsstaaat etc.). Regulierungen für den Individualverkehr wurden erlassen, um damit den Verkehrsteilnehmern mehr Verkehrssicherheit zu verschaffen und den Verkehrsfluss zu fördern. Kontaktbeschränkungen in der Pandemie wurden erlassen, um die Pandemie einzudämmen etc. etc.

In der Klimaschutzpolitik aber ist diese Benefit-Logik außer Kraft gesetzt. Dies hat erhebliche Auswirkungen darauf, wie die Klimaschutzpolitik konzipiert und umgesetzt werden muss.

Warum ist die Benefit-Logik der Klimaschutzpolitik fremd?

Weil Belastungen durch Klimaschutzpolitik unmittelbar wirken, Entlastungen aber weder erheblich noch spürbar sind. Weil die Nachteile, die den Menschen durch klimaschutzpolitische Maßnahmen in Deutschland entstehen bzw. entstehen könnten, nicht durch den Vorteil einer Abwendung des Klimawandels aufgewogen werden.

Um das in einem Beispiel zu veranschaulichen: Würde die deutsche Politik morgen ein Gesetz verabschieden, mit dem allen Deutschen auferlegt wird, bis Ende 2024 klimaneutral zu heizen, dann würden damit vielen Deutschen erhebliche Lasten auferlegt. Aber, und das ist der entscheidende Punkt, es wäre damit für die so belasteten Deutschen keine Vorteilhaftigkeit dieses Gesetzes erkennbar. Denn durch diese Maßnahme würde das Weltklima ähnlich stark beeinflusst wie durch das Umkippen des oben schon erwähnten Wassereimers in der Mongolei.

Diese Außerkraftsetzung der Benefit-Logik ist der deutschen Klimaschutzpolitik unvermeidbar immanent. Dies muss erhebliche Auswirkungen auf die Konzeption dieser Politik haben.

Diese Auswirkungen lauten: Deutsche (oder soll ich sagen: Sozialdemokratische) Klimaschutzpolitik muss „embedded“ sein, eingebettet in andere Politikziele, so ausgestaltet werden, dass sie andere Politikziele unterstützt. Sie muss eben so konzipiert werden, dass sie die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft stärkt, Wirtschaftswachstum am Standort Deutschland befördert, die Freiheitsräume der Menschen nicht kaserniert, sondern wahrt und stärkt, die Interessen und Bedürfnisse der Menschen aufgreift und den sozialen Zusammenhalt festigt.

Sonst, horrible dictu, schadet sie dem Klimaschutz.

Dr. Hans Gerd Prodoehl