Die Pferde müssen saufen! Warum wir dringend mehr Optimismus brauchen.

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Von Karl Schiller, einem der Väter des Godesberger Programms der SPD, ist bekanntermaßen das folgende Bonmot überliefert: Man kann die Pferde zur Tränke führen, aber saufen müssen sie selber! Schiller übernahm damals nahezu wortgleich einen Satz von John Maynard Keynes, der bis heute in jede wirtschaftspolitische Zitatensammlung gehört. Das liegt natürlich an der eingängigen Metapher, mit der nicht nur grundsätzlich die Grenzen staatlichen Einflusses auf die Wirtschaft beschrieben werden, sondern zugleich auch die erfolgsentscheidende Rolle von Stimmungslagen und Einstellungen der Wirtschaftsakteure, seien es Unternehmer oder Konsumenten.

Was heute die Verhaltensökonomie so populär macht, erklärt Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller für die Volkswirtschaft schon seit Jahrzehnten: Fakten und Daten allein können die Abfolge von Boom und Zusammenbruch nicht erklären. Die Psychologie der Menschen ist entscheidend, individuell, aber noch stärker in der Gruppe oder gar Masse.

Und genau da sind wir in der aktuellen Lage: Im Augenblick streiten alle nur darüber, ob „die Tränke“ in ausreichender Menge und Qualität gefüllt ist. Nahezu jeder fühlt dabei seine Interessen nicht ausreichend berücksichtigt. Tatsächlich wird fast alles schlechtgeredet, kurzatmig und hektisch. Kein Wunder also, dass die Pferde nicht saufen, selbst wenn – und das ist das Fatale – die Tränke immer weiter mit Investitionsprogrammen, Subventionen, Transformationsunterstützung etc. gefüllt wird. Nun wird zwar niemand bestreiten, dass es eine ganze Vielzahl von dringenden Strukturverbesserungen am Standort Deutschland braucht, angefangen von der Entbürokratisierung bis hin zur Infrastruktur. Aber ohne Vertrauen, Optimismus und Selbstbewusstsein, ohne ein positives Mindset, und das am besten in Massen, wird es nicht gelingen, diese Aufgaben systematisch abzuarbeiten. Oder um im Bild zu bleiben: wenn sich die Stimmungslage nicht verbessert, nützt es auch nichts, die Tränke weiter zu füllen.

Dieses Dilemma lässt sich nur auflösen, wenn man den Blick jederzeit zugleich auf die andere Seite der Tränke lenkt. Es sind die Unternehmerinnen und Unternehmer, die darüber entscheiden, ob Ihnen der Füllpegel der Tränke für Investitionsentscheidungen reicht oder nicht, oder ob er ihnen sogar egal ist und erst einmal weiter abgewartet wird. Und da sind wir wieder bei der Psychologie: entscheidend ist die Überzeugung, dass es eine gute Zukunft gibt mit einem planetenfreundlicheren Wachstum als bisher. Staatliches Handeln, das gedacht ist, die Tränke zu füllen, sollte deshalb immer zugleich wie ein Stimmungsaufheller sein. Kein Mikro-Engineering, das niemand im Publikum versteht und die Verwaltung nicht umsetzen kann, sondern wenige Weichenstellungen mit klarer Richtung.

Gibt es nicht? Doch, die gibt es, aber sie werden gerade von der negativen Stimmungslage erdrückt. Ein Beispiel, wie es gehen kann, liegt gerade auf dem Tisch, nämlich das Zukunftsfinanzierungsgesetz. Es sieht u.a. vor, dass zukünftig Mitarbeiter Firmenanteile erst deutlich später versteuern müssen und die Mindestmarktkapitalisierung für Börsengänge auf eine Million Euro gesenkt wird. Gründern und anderen Unternehmern, die weiter die Kontrolle über ihr Unternehmen behalten wollen, wird zudem die Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien erlaubt, mit einem Stimmrecht von bis zu zehn zu eins. Insgesamt sind das wichtige Schritte, um die Finanzierungsbedingungen für Start-ups, insbesondere den Zugang zum Kapitalmarkt z.B. über IPOs, voranzubringen. Googelt man die Reaktionen auf den Gesetzentwurf, dann ist ausnahmslos von Jubel, Beifall und Lob die Rede. Dieses positive Echo auf das Gesetz ist mindestens so wichtig wie das, was drinsteht. Klar, auch hier müssen die Pferde erst noch saufen, aber die Zeichen stehen gut.

Zurück zu Robert Shiller, der eindrücklich beschrieben hat, wie das Auf und Ab der Ökonomie nicht zuletzt in Verbindung mit den jeweils vorherrschenden Narrativen zu sehen ist. Wenn es zutrifft, dass diese Kraft der Narrative gerade in die falsche Richtung, nämlich in Richtung Krise, wirkt, dann lässt sich logisch daraus folgern, dass wir andere, positivere Narrative brauchen, die kraftvoll genug sind, den Trend umzukehren.

Wir brauchen demnach wirkmächtige positive Narrative – doch woher sollen sie kommen? Aus dem Konjunkturverlauf vorläufig nicht, denn ein dynamischer Wachstumspfad ist nicht in Sicht. Auch auf den meisten dominierenden Politikfeldern wird es schwer, die Zukunfts-Skepsis zu überwinden. Ehrlicherweise werden Energie- und Klimaschutzpolitik erst einmal zu weiteren Belastungen für alle führen, ohne Garantie für den erhofften Erfolg. Die Industriepolitik ist vor allem auf Überlebenskampf ausgerichtet und als Finanzstandort war Deutschland immer schon eher unbedeutend.

Nein, Zuversicht verbreiten können allein erfolgreiche Entrepreneure, Gründer, Mittelstand und ihre Investoren, vorzugsweise in Kombination mit einer gelingenden Digitalisierung bzw. aus der Digitalwirtschaft. Hier gibt es nach wie vor so viel Potenziale, die nicht zuletzt aus volkswirtschaftlicher Sicht relevant sind. Die Fortschritte beim Glasfaserausbau und Mobilfunknetz sind unübersehbar, bei wichtigen öffentlichen Anwendungsfeldern, wie z.B. der elektronische Patientenakte, wurde der Knoten durchgeschlagen und die Datenstrategie der Bundesregierung lässt sich durchaus positiv sehen. Zugleich explodiert der Einsatz der Tools der generativen Artificial Intelligence (AI), die vor gut einem Jahr einem breiteren Anwendermarkt noch nicht einmal bekannt waren. Das betrifft nicht nur die Softwarefirmen, sondern AI revolutioniert gerade quer durch alle Branchen die Funktionen Marketing, Vertrieb, Produktentwicklung, Customer Services oder Back-office-Lösungen. Blickt man dann noch auf die Fortschritte des Quantencomputings, dann lässt sich mit etwas Optimismus sagen, dass gerade ein echter Ruck in Sachen Digitalisierung durch die deutsche und europäische Wirtschaft geht. Warum schreiben wir also nicht gemeinsam eine Geschichte vom digitalen Durchbruch in 2023 und begründen ein wirkungsvolles Narrativ des digitalen Deutschlands, einfach, eingängig und massentauglich?

Keine Frage, es ist schwer, bei stagnierender oder sogar sinkender Wirtschaftskraft unserer Volkswirtschaft mit einer solchen Idee nach vorne zu gehen. Aber wir brauchen kein Dauerlamento, sondern eine Kultur des Anpackens und Machens. Dann kann man auch saufen, wenn die Tränke nur halbvoll ist.

 

Tilman Au, Jahrgang 1977, lenkt als CEO die Geschicke von diva-e. Mit seiner Digitalexpertise begleitete er die Initiierung der Agenturgruppe im Jahr 2015 und ist heute mit CCO Sirko Schneppe einer der beiden führenden Köpfe des Unternehmens. Diva-e gehört heute mit mehr als 80 Millionen Euro Umsatz und mehr als 900 Mitarbeitern zu den größten deutschen Digitaldienstleistern.