Man kann vom Kanzleramt sicherlich vieles behaupten, aber nicht, dass sie sich nicht mit Gesetzen auskennen. Immerhin befindet es sich gewissermaßen im Zentrum der Gesetzgebung. Nicht zuletzt obliegt es seiner Aufgabe, diese zu koordinieren und zwischen den verschiedenen Ressorts zu vermitteln. Dennoch gab ein hochrangiger Vertreter des Kanzleramtes auf die Frage eines CEOs nach dem aktuellen Wunsch an die Wirtschaft bzw. die Öffentlichkeit eine merkwürdige Antwort, die mir zu denken gab.

Er äußerte den Wunsch, dass die Wirtschaft und die Öffentlichkeit bei der Bewertung und Kommentierung von Gesetzgebungsverfahren, insbesondere während ihrer Entstehungsphase, bitte weniger kritisch sein sollten. Man solle sich zurückhalten und diese erst bewerten, wenn sie als ausformulierte Vorschläge vorliegen würden. Um dies zu verdeutlichen, zog er das bekannte Zitat von Bismarck heran:

„Gesetze sind wie Würste, man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden“.

In Anbetracht dessen sollte man erst am Ende anhand des fertigen Produkts entscheiden und beurteilen, wie es geworden ist. Man könnte also überspritzt formulieren: Gesetze sollen uns also „Wurst“ sein.

Zunächst einmal hat er dahingehend recht, dass Gesetze und Wurst viel gemeinsam haben. Doch grade deshalb sollte uns deren Entstehungsprozess nicht Wurst sein. Schließlich sind sie die Grundlage unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens und unseres Wohlstandes. Daher lohnt es sich besonders, genau hinzuschauen und vor allem „dabei zu sein“, wenn diese entstehen. Aktuell geschieht dies sogar noch viel zu wenig. Insofern hätte er kein besseres Beispiel wählen können, um zu verdeutlichen, warum genau das Gegenteil erforderlich ist.

Würste und Gesetze

Es hat einen Grund, weshalb in der EU bzw. in Deutschland im Bereich sensibler Lebensmittel (wie Fleisch) hohe Auflagen und Kontrollen existieren, insbesondere im Hinblick auf die Hygiene. Dies dient vor allem dazu, sogenanntes „Marktversagen“ zu verhindern und einer „adversen Selektion“ aufgrund von asymmetrischen Informationen vorzubeugen.

Würste unterliegen dieser Problematik insofern, als dass Konsumenten die Qualität im Gegensatz zum Produzenten nur begrenzt einschätzen können. Der Grund: Wesentliche Qualitätseigenschaften sind – wenn überhaupt – erst nach dem Konsum für den Konsumenten feststellbar.

Natürlich existieren auch sogenannte „Sucheigenschaften“, die bereits vor dem Kauf eines Produktes bewertet werden können, wie beispielsweise der Geruch oder das äußere Erscheinungsbild der Wurst. Übertragen auf Gesetze wäre das dann wohl der fertige Gesetzestext, den wir gemäß dem Herrn aus dem Kanzleramt dann kritisieren und kommentieren dürften. Und in der Tat, da „Sucheigenschaften“ bereits vor dem Konsum festzustellen sind, sind sie in Bezug auf asymmetrische Information und potenzielles Marktversagen unproblematisch.

Würste und Zitronen

Aber weder Wurst noch Gesetze sollte man allein anhand ihrer Optik beurteilen. Sie verfügen über viel wichtigere „Erfahrungseigenschaften“ und „Vertrauens- bzw. Prozesseigenschaften“, die jedoch einem deutlich höheren Risiko an Marktversagen aufgrund von Informationsasymmetrien unterliegen.

Die Entdeckung dieser Form des Marktversagens haben wir dem Nobelpreisträger George Akerloff zu verdanken. In seinem berühmten Paper „The Market for Lemons“ erklärt er anschaulich, wie asymmetrische Informationen zu einer „adversen Selektion“ und letztlich zu dieser Form des Marktversagen führen können, sodass am Ende nur noch die schlechteste Qualitätsstufe – die „Lemons“ – angeboten werden.

Da Käufer vor dem Kauf gute nicht von den schlechten Gebrauchtwagen (Lemons) unterscheiden können, bilden sie sich einen Erwartungswert über die durchschnittliche Qualität am Markt, woraus sich ihre Zahlungsbereitschaft ableitet. Das Problem ist jedoch, dass dann alle Qualitätsstufen, die über dieser Zahlungsbereitschaft liegen, aus dem Markt ausscheiden und dann lieber privat weitergegeben werden. Durch deren Ausscheiden wird der Erwartungswert und damit die Zahlungsbereitschaft weiter gesenkt, sodass wiederum weitere Qualitätsstufen oberhalb der neuen Zahlungsbereitschaft aus dem Markt ausscheiden. Am Ende sind nur noch „Lemons“ übrig und der Markt für gute Gebrauchtwagen zusammengebrochen.

Erfahrungen und Wiederholungen

Für Lebensmittel wie Wurst ist nicht zuletzt der Geschmack eine zentrale Qualitätseigenschaft, die ebenfalls erst nach dem Konsum also dem Verzehr „erfahrbar“ ist, weshalb man hier auch von Erfahrungseigenschaften spricht. Erst dann weiß ich, ob die Wurst nicht möglicherweise versalzen war. Übertragen auf Gesetze wären es solche Qualitätseigenschaften, die sich erst in der Anwendung zeigen und bei Vorliegen bzw. Verabschiedung des Gesetzestextes noch nicht feststellbar sind. Und in der Tat, viele Probleme zeigen sich oftmals erst in der Anwendung und im Vollzug.

Diese Erfahrungseigenschaften unterliegen schon einem deutlich höheren Risiko des Marktversagens, wie das das Beispiel des Gebrauchtwagenmarktes zeigt, wenn sich erst nach einiger Zeit herausstellt, ob man mit Zitronen gehandelt hat oder nicht.

Vor allem handelt es sich bei Autos um ein hochpreisiges Gut, was man vielleicht nur alle paar Jahre kauft, weshalb sich hier beispielsweise Garantien zur Verhinderung des Marktversagens durchgesetzt haben. Bei Würsten hingegen ist der Preis niedrig, sodass sich Garantien nicht lohnen würden. Dafür haben sie den Vorteil, dass es hier i.d.R. zu Wiederholungskäufen kommt, wodurch man bei negativen Erfahrungen einfach auf ein Konkurrenzprodukt umsteigen kann. Somit verfügt der Markt auch hier über einen „Selbstheilungsmechanismus“.

Falls es allerdings nicht zu Wiederholungskäufen kommt, bleibt die Gefahr des Marktversagens bestehen. Dies erklärt im Übrigen, warum man an Touristenhotspots oftmals das schlechteste und teuerste Essen bekommt. Schließlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kunden wiederkommen, sehr gering. Das Zeitalter der Internet-Bewertungen hat dieses Problem etwas reduziert.

Hier ähneln Gesetze dann eher den Gebrauchtwagen als Würsten, da man nur alle 4 Jahre eine andere Wahl treffen kann. Auch entscheidet man sich nicht direkt für ein Gesetz, sondern wenn überhaupt gleich für ein ganzes Bündel. Qualitätsgarantien gibt es bei Gesetzen auch nicht, sodass hier ein erhöhtes Risiko für Marktversagen besteht, auch wenn für Parteien die grundsätzliche Gefahr besteht, dass sie weniger nachgefragt werden, wenn Wähler in der Anwendung schlechte Erfahrungen mit ihren Gesetzen machen. Problematisch wird es dann, wenn die Alternativen aber auch keine Besserung versprechen und der politische Anreiz für anwendungsfreundlichere Gesetze fehlt.

Gesetze und Vertrauenseigenschaften / Prozesseigenschaften

Letztlich kommt sowohl bei Würsten als auch bei Gesetzen noch eine weitere, schwierig zu beurteilende Qualitätseigenschaft hinzu, nämlich die der „Vertrauens- und Prozesseigenschaften“. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass der Verbraucher sie nicht einmal nach dem Konsum bzw. der Anwendung beurteilen kann und somit an dieser Stelle vertrauen muss.

Beispielsweise sieht man es einer Wurst nicht an und schmeckt es auch nicht, ob in dieser nicht doch Gammelfleisch beigemischt wurde oder sogar giftige Rückstände enthalten sind, die sich erst sehr zeitverzögert äußern und nicht mehr kausal auf die Wurst zurückführbar sind. Auch sehe ich es der Wurst nicht direkt an oder schmecke es, ob das Fleisch aus artgerechter Haltung stammt oder nicht.

Ich müsste entweder über aufwändige Messtechnik und Expertise verfügen oder bei dem gesamten langen Produktionsprozess dabei gewesen sein, um dies beurteilen zu können.

Es wären also sehr hohe Transaktionskosten erforderlich, die sich angesichts des Preises für den einzelnen Konsumenten nicht lohnen.

Daher werden an dieser Stelle durch den Staat entsprechende Hygiene- und Qualitätsstandards als öffentliches Gut eingeführt und vor allem kontrolliert. Auch dienen Label dazu, besondere Haltungsformen für den Konsumenten bereits vor dem Kauf sichtbar zu machen, sodass dieser in beiden Fällen auf die Qualität vertrauen kann. Es ist daher nicht verwunderlich, dass bei diesen Eigenschaften die „Reputation“ des Anbieters von entscheidender Bedeutung ist.

Auch bei Gesetzen kann der Wähler in der Regel auch nach Inkrafttreten nur schwer beurteilen, ob in einem Gesetz nicht möglicherweise ungewünschte Dinge beigemischt wurden und schädliche Rückstände von parteipolitischen Machtspielen oder durchsetzungsstarken Partikularinteressen enthalten, die ihre negativen Auswirkungen erst zeitverzögert oder nicht erkennbar zeigen. Wie bei der Wurst fehlt ihm das notwendige Messinstrumentarium und Expertise hinsichtlich der „artgerechten Haltung“ des Gesetzes.

Von der Wurst lernen

An dieser Stelle sollte die Wurst der Politik als Vorbild dienen, um auch bei Gesetzen politisches Marktversagen aufgrund von Informationsasymmetrien zu verhindern. Schließlich haben wir alle kein Interesse an Gammelfleisch, weder in der Wurst noch in den Gesetzen. Der Schlüssel hierfür lautet Transparenz sowie einzuhaltende und zu kontrollierende Qualitätsstandards.

Nicht umsonst haben wir in Deutschland einen besonders hohen Standard an Lebensmittelsicherheit und -qualität[1], was man von Gesetzen angesichts der überbordenden Bürokratie und unzureichender Digitalisierung aktuell nicht gerade behaupten kann. Doch während der Gesetzgeber für andere nur allzu gerne und manchmal sogar zu leichtfertig neue Regulierungen beschließt, ist er, wenn es um sich selbst und die eigene Verantwortung geht, äußerst und auffallend zurückhaltend.

Es geht um die Wurst: Unsere Demokratie

Politische Interessenvertretung ist elementar für eine Demokratie, die aus unterschiedlichsten Interessen einer Gesellschaft gemeinsame Regeln für alle finden muss. Deren intensive Beteiligung im Gesetzgebungsverfahren ist unerlässlich und leistet letztlich einen wesentlichen Beitrag zur besseren Gesetzgebung, da hierdurch von den Betroffenen bereits frühzeitig Probleme in der Anwendung bzw. im Vollzug adressiert und vermieden werden können.

Insofern sollte man im Gegensatz zum Bismarck-Zitat erst recht „dabei sein“, wenn Gesetze entstehen. Der frühzeitige und umfassende Miteinbezug von Stakeholdern leistet einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung von politischem Marktversagen in einer Demokratie. Ein solches würde sich durch adverse Selektion, also das Übrigbleiben der schlechtesten Qualitätsstufe sowie geringes Vertrauen in die Politik und Politik(er)verdruss äußern.

Das kann und darf jedoch nicht in unserem Interesse sein, im Gegenteil. Daher ist der Wunsch des Herrn aus dem Kanzleramt der falsche Weg und die derzeitige Praxis in der Koalition, Stakeholderbeteiligung mit absurd kurzen Stellungnahmefristen von nicht selten 24 Stunden[2], genau der falsche Ansatz. Die strukturierte Beteiligung wurde bereits unter der GroKo und wird nun auch bei der Ampel zunehmend zum „nice to have“ statt zum „must have“.

Nicht zuletzt widerspricht dies auch dem Koalitionsvertrag, mit dem die „Fortschrittskoalition“ angetreten war. Dort heißt es im Kapitel II „Moderner Staat und Demokratie“:

Wir wollen eine neue Kultur der Zusammenarbeit etablieren, die auch aus der Kraft der Zivilgesellschaft heraus gespeist wird.“

Wir wollen die Qualität der Gesetzgebung verbessern. Dazu werden wir neue Vorhaben frühzeitig und ressortübergreifend, auch in neuen Formaten, diskutieren. Wir werden dabei die Praxis und betroffene Kreise aus der Gesellschaft und Vertreterinnen und Vertreter des Parlaments besser einbinden sowie die Erfahrungen und Erfordernisse von Ländern und Kommunen bei der konkreten Gesetzesausführung berücksichtigen. Im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens soll die Möglichkeit der digitalen Ausführung geprüft werden (Digitalcheck). Wir werden ein Zentrum für Legistik errichten.“

„Wir werden ein digitales Gesetzgebungsportal schaffen, über das einsehbar ist, in welcher Phase sich Vorhaben befinden. Dort werden wir öffentliche Kommentierungsmöglichkeiten erproben.“

Qualitätsstandards und Kontrollen bei Gesetzen, um „Lemons“ zu verhindern

Glücklicherweise ist das Kanzleramt die richtige Stelle, um dort die Schublade des Schreibtisches zu öffnen, aus der man ein fast vergessenes Gutachten des Normenkontrollrates von 2019 wieder hervorholen kann. Dieses wurde einst zusammen mit McKinsey erstellt, um unnötige Bürokratie bei der Wurzel zu packen, indem man den Gesetzgebungsprozess an sich reformiert und reif für das 21. Jahrhundert macht. In „Erst der Inhalt dann die Paragrafen[3] wird aufgezeigt, wie dieser nicht nur transparenter, sondern durch die Einführung von wichtigen Qualitätsstandards letztlich auch die Gesetze verbessern kann. Nur wäre hier der Gesetzgeber selbst der Regulierungsgegenstand.

Eine Optimierung des Gesetzgebungsprozesses, der ihn besser gegen politische Machtspiele absichert, ein angemessener Stakeholdermiteinbezug gewährleistet und vor allem eine adäquate Folgenabschätzung (impact assessment) sowie einen obligatorischen Digitalcheck vorsieht, kann nicht nur bessere Gesetze hervorbringen, unnötige Bürokratie bereits im Entstehen verhindern, sondern auch das Vertrauen in den Gesetzgebungsprozess steigern und letztlich politisches Marktversagen verhindern. Ohne solche Mechanismen bliebe das Risiko für dieses Marktversagen groß und es bestünde die Gefahr, dass Bürger bei Wahlen nur noch „Lemons“ zur Auswahl hätten.

Lobbyregistergesetz exemplarisch für einen schlechten Gesetzgebungsprozess

Was passiert, wenn dies ausbleibt, zeigt ausgerechnet die Reform des Lobbyregistergesetzes. So handelte es sich schon im Verfahren um kein reguläres Gesetzgebungsverfahren, da der Entwurf über die Koalition direkt in den Bundestag eingebracht wurde. Die betroffenen Interessenvertreter hatten erst sehr spät die Möglichkeit, sich anhand eines konkreten Entwurfs mit Feedback an die Berichterstatter zu wenden.

Zwar wurde mit (manchen) Interessenvertretern bereits im Vorfeld gesprochen. Leider blieb man hier oftmals im Ungefähren oder sagte gar die Unwahrheit über jene Inhalte, die dann in der Veröffentlichung zu Tage traten und für die Betroffenen eine negative Überraschung waren bzw. dem „Wurst-Case Szenario“ entsprachen.

Zwar hatten sich die Koalitionsfraktionen im Frühjahr 2023 auf Eckpunkte geeinigt, die vom BMI zu einer Formulierungshilfe ausgearbeitet werden sollten. Doch statt diese Eckpunkte als Diskussionsgrundlage transparent mit allen zu teilen, blieben diese unter höchster Geheimhaltungsstufe unter Verschluss. Statt dann wiederum nur die Eckpunkte umzusetzen, hat dann die Exekutive sogar noch viele weitere Punkte ergänzt, ohne dabei eine erforderliche und angemessene Folgenabschätzung zu treffen.

Wie wichtig so etwas ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, wie massiv sich der Gesetzgeber bei den angenommenen Kosten für das Lobbyregister 2021 verschätzte. Statt der angenommenen 18 Minuten waren es am Ende eher 185 Stunden für einen durchschnittlichen Eintrag und statt der unterstellten Gesamtkosten in Höhe von 0,12 Mio. Euro mussten die ca. 6000 betroffenen Interessenvertreter bis zu 65 Mio. Euro bei der Umsetzung tragen. Auch bei der aktuellen Reform werden diese Kosten weiterhin erheblich unterschätzt.[4]

Wenn es hingegen um die eigene Regulierung geht, ist der Gesetzgeber auffallend zurückhaltend und versucht auch hier die Kosten eher auf die Bürger abzuwälzen. Auch hierfür hat das Lobbyregistergesetz ein passendes Beispiel.  Statt dass der Gesetzgeber selbst seiner Verantwortung nachkommt, einen exekutiven Fußabdruck einführt, um transparent zu machen, wer wesentlich an einer Gesetzgebung beteiligt war, sollen Interessenvertreter zukünftig selbst ihre Stellungnahmen (erneut) hochladen, obwohl ein Großteil dieser „grundsätzlichen Stellungnahmen“ bereits heute von den Ministerien veröffentlicht wird.

Das erinnert viele zurecht an die Grundsteuerreform, bei der die Bürger viele ohnehin bereits (digital) vorhandene Daten nochmals erneut zusammentragen mussten. Ein Paradebeispiel für ein Lemon-Gesetz, dass bei allen zu negativen Erfahrungen in der Anwendung und unnötiger Bürokratie führte.

Frühzeitige Transparenz über den Gesetzgebungsprozess und dessen Beteiligte

Dabei ist Transparenz über den Gesetzgebungsprozess sogar von zentraler Bedeutung, um die Qualität dieser Prozesseigenschaften zu gewährleisten. Während für den Konsumenten die Haltungsform des Tieres für die Wurst entscheidend sein kann, muss auch im Gesetzgebungsprozess klar sein, wer sich mit welchem Inhalt in ein Gesetzgebungsverfahren eingebracht hat und wer hierbei wessen Interessen vertreten hat.

Da der Wähler in diesen Prozess selbst nicht involviert ist und wieder vertrauen müsste, gilt es genau jenes Vertrauen in den Gesetzgebungsprozess zu stärken. Die Einführung des Lobbyregisters war hier ein erster wichtiger Schritt.

Umso bedauerlicher, dass ausgerechnet der aktuelle Reformentwurf hinsichtlich der Veröffentlichung von Spenden hier einen erheblichen Transparenz-Rückschritt darstellt, da ca. 99% der anzugebenden Schenkungen entfallen, während gerade große Organisationen und deren Großspender hiervon profitieren würden. Es wird somit wieder intransparent, wer wessen Interessen vertritt. Passenderweise zeigt sich ausgerechnet bei diesem Thema, wie schwer sich der Gesetzgeber mit der erforderlichen Prozesstransparenz tut, wenn es um ihn selbst geht.[5]

Dabei ist es von elementarer Bedeutung, deutlich zu machen, WER sich mit WELCHEN ARGUMENTEN in ein Gesetzgebungsverfahren – also beim Entstehungsprozess von Gesetzen – eingebracht hat. Es zeigt, dass es einen exekutiven Fußabdruck in der Gesetzesbegründung braucht, in dem dargelegt wird, inwiefern Interessenvertreter im Rahmen der Vorbereitung der Referenten- und Gesetzentwürfe wesentlich beteiligt waren. Das BMJV hat seinerzeit 2020/2021 einen Formulierungsvorschlag vorgelegt, der von der Ampel jedoch (noch) nicht aufgegriffen wurde.[6]

Einheitlicher Standard für glaubwürdige Informationen

Entgegen anders lautender Thesen[7] erfordert aber gerade die beschriebene Problematik asymmetrischer Informationen bei Vertrauens- und Prozesseigenschaften, dass die Dokumentationspflicht auf Seiten des Gesetzgebers liegen muss. Schließlich ist nur dieser in der Lage, einen einheitlichen Standard und damit einen glaubwürdigen Informationsmehrwert zu gewährleisten. Nur der Gesetzgeber kann bewerten, wer wesentlich am Verfahren beteiligt war. Läge die Dokumentationspflicht hingegen, wie von Polk (2021) nahelegt und im Gesetzesentwurf umgesetzt, auf Seiten der Interessenvertreter, resultiert hieraus eine äußerst problematische Anreizstruktur und ist daher allein schon aus ökonomischen Gesichtspunkten abzulehnen.

Diese führt dazu, dass einige den Anreiz hätten, sehr viel unnötige und zusätzliche Informationen (z.B. als Arbeitsnachweis oder konkurrenzbedingt) hochzuladen, sodass auch der Aufwand für die Abgeordneten und deren Mitarbeiter, dieser Informationsflut Herr zu werden, deutlich steigen würde. Umgekehrt hätten viele weitere aufgrund der marginalen Entdeckungswahrscheinlichkeit keinen Anreiz, ihre Stellungnahmen hochzuladen. Schließlich wäre eine Kontrolle hier nur schwer möglich. Auffallen würde dies nur durch Hinweise von Abgeordneten oder Referaten selbst. Doch diese haben angesichts ihrer ohnehin bereits knappen Zeit keinerlei Anreiz, erhaltene Stellungnahmen darauf zu überprüfen und nachzuhalten, ob diese im Lobbyregister veröffentlicht werden. Die Kosten wären hoch, der (erwartete) Nutzen marginal. Zudem wäre es ein Leichtes, auf (zeitintensive) persönliche Gespräche auszuweichen.

Die im Lobbyregister hochgeladenen Inhalte wären extrem heterogen, verzerrt und somit nicht vergleichbar. Die jedoch für Prozesseigenschaften so wichtige Glaubwürdigkeit der Informationen wäre nicht gegeben, sodass nicht wie gewünscht das Vertrauen in den Gesetzgebungsprozess und die Demokratie gesteigert wäre. Stattdessen würde das ohnehin noch geplante Online-Konsultationsverfahren für die richtigen und gleiche Anreize sorgen.

Lobbyregistergesetz: Bürokratischer Aufwand statt Transparenz

Somit ist es eher ein Beispiel für ein Lemon-Gesetz, da es in der Umsetzung zu erheblichem unnötigem bürokratischem Mehraufwand kommen und kaum einen Transparenzgewinn erzielt werden würde.

Dabei hatte die Koalition erst vor ein paar Tagen in Meseberg beschworen, unnötige Bürokratie reduzieren zu wollen. Vor allem wäre diese „falsche Fußspur“ nicht erforderlich. Schließlich betonen alle Regierungsfraktionen, dass der geplante (und erforderliche) exekutive Fußabdruck ohnehin noch (zusätzlich) kommen wird, wodurch diese falsche Fußspur erst recht kaum Transparenzmehrwert erzielen würde, zumal perspektivisch ohnehin wie auf EU-Ebene ein Online-Konsultationsverfahren geplant ist. Letzteres müsste man lediglich noch mit dem Lobbyregister verzahnen.

Mehr Wurst wagen

Daher ist es umso wichtiger, sowohl bei der Entstehung von Wurst als auch von Gesetzen entgegen des Bismarck-Zitats „dabei zu sein“. Gesetze dürfen uns also gerade nicht Wurst sein. Stattdessen können wir viel von der Wurst lernen und sollten bei Gesetzen mehr Wurst wagen, um Lemons zu verhindern.

 

Michael Henning ist Senior Referent im Hauptstadtbüro des Verbands der Chemischen Industrie e.V. (VCI) und u.a. zuständig für das Thema Lobbytransparenz und Better Regulation.

 

[1] BfR-MEAL-Studie bestätigt hohen Standard der Lebensmittelsicherheit in Deutschland – BfR (bund.de)

[2] Bundestagspräsidentin: Bärbel Bas ermahnt Ampel-Fraktionen wegen zu kurzer Fristen | ZEIT ONLINE

[3] NKR (2019) Erst der Inhalt dann die Paragrafen

[4] Lobbyregisterumfrage-2023-der-Allianz-fuer-Lobbytransparenz-und-degepol.pdf

[5] Lobbyregister-Reform: Keine Transparenz zu wichtigem Vorgespräch? | Transparency International Deutschland e.V.

[6] Entwurf-Fussabdruck_abgelehnt.pdf (lobbycontrol.de)

[7] Polk 2021: Mehr Transparenz durch das Lobbyregister?